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Weihnacht bei der Roten Armee: Mit Gottvertrauen und Russisch-Lehrerin

Das Jahr 1989 war nicht nur das Jahr der Maueröffnung, sondern auch das Jahr der Offenheit in der DDR. Tagesspiegel-Leser Jürgen Rhode aus Cottbus machte die Probe aufs Exempel und organisierte als Pfarrer eine ganz besondere Weihnachtsfeier: für junge Soldaten der Roten Armee. Was er in der abgeschotteten Kaserne erlebte, bewegt ihn bis heute.

Seit dem Kriegsende 1945 lebten wir mit dem Teil der Sieger, die aus dem Osten kamen. Die Soldaten der Roten Armee bewohnten die ehemals deutschen Kasernen. In all den 44 Jahren kannten wir diese Gebäude und meistens auch die Angehörigen der Sowjetarmee nur als externe Welt, zu der wir keinen Zutritt hatten. So auch in Cottbus, wo ich seit 1973 evangelischer Pfarrer einer Stadtgemeinde war.

In der Vorweihnachtswendezeit 1989 wollten wir das neue Klima in der Öffentlichkeit testen und die abgeschottete Welt  der Roten Armee ein wenig öffnen. Wir beantragten beim zuständigen sowjetischen Stadtkommandanten Charitonow eine Genehmigung für eine vorweihnachtliche Feier in einer Kaserne am Stadtrand - und erhielten sie auch.

Zu abendlicher Stunde im Dezember zogen wir mit einem Posaunenchor, einer Russisch-Lehrerin als Dolmetscherin und einer Kiste mit  kleinen Geschenken durch das Kasernentor  und betraten einen theaterähnlichen Saal mit Bühne und dem üblichen Fahnenschmuck.  Vor uns saßen mit erwartungsvollen Gesichtern etwa 250 junge Soldaten mit auffallend kurzem Haarschnitt, wie es für Wehrpflichtige üblich war. Ungewohnt für alle war der Anfang der Begegnung. Was mögen die jungen Sowjetsoldaten über die Deutschen gedacht haben, was ging in unserer Gemeindegruppe vor? Wir waren uns zwar räumlich nahe, aber innerlich ziemlich fremd. Worte bedurften erst der Übersetzung, aber die Musik ertönte in einer überall verständlichen Sprache und schlug eine direkte Brücke. Der Posaunenchor traf Ohren und Herzen der Zuhörer. Die Stimmung wurde sehr freundlich, wir merkten, dass die alten deutschen Weihnachtslieder „Seele“ hatten.

Später hielt ich eine kurze Ansprache über den Anlass der Weihnacht, über Schuld und Leid im Völkerleben und über die Sehnsucht nach Frieden und dass wir voreinander  keine Befürchtungen für die Zukunft haben müssten. Dank unserer Russisch-Lehrerin wurde die Botschaft gut aufgenommen und verstanden. Wir hatten den deutlichen Eindruck, dass das Wort „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden bei den Menschen“ etwas Gestalt angenommen hatte.

Jürgen Rhode

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