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Katja Eichinger hat ein kluges Buch über Mode geschrieben.

© Christian Werner

Autorin Katja Eichinger über Mode und Corona: „Ist das der endgültige Sieg der Jogginghose?“

Hyperkonsum als Frustbewältigung, politische motivierte Bartträger und die gemeinsame Erfahrung des Allein-bleiben-Müssens. Ein Gespräch mit Katja Eichinger.

Katja Eichinger hat ein kluges Buch über Mode geschrieben. In Deutschland ist sie vor allem als Witwe des 2011 verstorbenen Filmproduzenten Bernd Eichinger bekannt, arbeitet aber schon lange als Autorin und Journalistin. Mit Mode kam sie zum ersten Mal während eines Praktikums bei Vivienne Westwood in Berührung, seitdem hat sie nicht mehr aufgehört, über Mode nachzudenken. Vieles findet sich in ihrem Buch „Mode und andere Neurosen“. Sie schreibt über die Turnschuhe von Jürgen Habermas, die perfekt operierte Joan Collins, und über Handtaschen, die Vaginas symbolisieren – und damit wieder die männliche Macht.

Die Coronakrise stellt Mode vor große Herausforderungen. Welche Auswirkungen wird das haben?
Die große Frage ist, wie es wird, wenn wir wieder aus den Höhlen herauskommen. Was macht das aus uns, ist es der endgültige Sieg der Jogginghose? Oder werden wir uns danach sehnen, uns zu inszenieren? Dass sich die Mode verändern muss, ist keine Frage, der wichtigste Modetrend der vergangenen zehn Jahre war Fast Fashion.

Und das sollte sich ändern?
Die Hyperbeschleunigung eines Sektors der Modeindustrie ist ökologisch einfach nicht mehr tragbar. Gerade Fast Fashion ist extrem globalisiert. Man sieht ja, was das zum Beispiel für Bangladesch bedeutet. Dort gibt es ist eine moderne Form des Kolonialismus, völlig abhängig von Fast Fashion, und natürlich bricht da gerade die Industrie zusammen. Die Mode muss sich andere Wege der Profitherstellung überlegen, ob das Second-Hand-Ware ist, das Ausleihen von Mode oder andere Formen der Wertschöpfung.

Bangladesch wurde über viele Jahre als Textilnation aufgebaut.
Das war auch in vielerlei Hinsicht positiv. Nach den schrecklichen Unglücken wie dem Einsturz einer Textilfabrik 2013 haben sich teilweise auch die Arbeitsbedingungen verbessert. Die Kindersterblichkeit ist zurückgegangen, Frauen haben ihr eigenes Einkommen. Jetzt muss dort eine sich selbst tragende Wirtschaft entwickelt werden.

Sie beschäftigen sich in Ihrem Buch mit dem Konsum. Wie geht es damit weiter?
Hyperkonsum beruht auf einer geringen Frustrationstoleranz. Man empfindet irgendeine Form von Frust, und die muss mit einem sofortigen Kauf gestillt werden. Auf einmal müssen wir mit einem extremen Frustrationslevel klarkommen, weil wir zu Hause eingesperrt sind. Wir entwickeln Frustrationstoleranzen, die uns vorher systematisch von der Konsumgesellschaft abtrainiert wurden.

Wir hatten also bisher zu wenig Gelegenheit, mit unserem Frust umzugehen?
Es gab immer sofort einen Schnuller, bloß nichts Negatives spüren. Auf einmal sind alle Fluchtmechanismen ausgeschaltet, bis auf Netflix. Komischerweise kommen viele Leute viel besser damit klar, als man dachte. Ich hoffe, dass in der Zeit danach beobachtet wird, ob verlorengegangene Fähigkeiten zurückkommen.

„Ich schaue in zu viele aufgespritzte Gesichter - wir sollten Falten feiern“

Da geht es weniger darum, etwas zu tun, als etwas auszuhalten.
Die Impulskontrolle, die uns die Modeindustrie abtrainieren will, wird gerade gefordert. Gleichzeitig beruht Konsum auf der Idee des Träumens und der Fantasie. Meistens ist es direkt nach dem Kauf vorbei. Ein Produkt wird nie befriedigen können, was man sich von ihm erträumt hat. Aber jetzt wird Fantasie und das Wegträumen auf andere Weise befördert. Das Verrückte ist: Es geht der ganzen Welt so. Ich sitze alleine im Wohnzimmer und muss mir vergegenwärtigen, dass ich nicht allein bin. Die Schubladen, in die wir uns aufgeteilt haben, Büro, Zuhause, die fallen alle weg. Es ist, als würde die Welt im Wohnwagen auf einem digitalen Campingplatz wohnen.

Wie geht es Ihnen in Ihrem Wohnwagen?
Ich bin trainiert im Alleinesein und darin, von zu Hause aus zu arbeiten. Am Anfang habe ich mir aus Versehen zwei Kilo Räucherstäbchen bestellt. Ich habe verstanden, drei Stäbchen in einem Karton, dabei waren es drei Kartons. Ich habe mich gewundert, wieso die so teuer sind, aber ich dachte, Corona-Preise. Jetzt räuchere ich den ganzen Tag.

Tragen Sie nur noch Jogginghose?
Richtig kleiden ist wichtig, um nicht zum depressiven Robinson Crusoe zu werden. Was mir am Anfang wirklich Panik gemacht hat, war das Wissen, dass ich jetzt so lange alleine sein muss. In München, wo ich lebe, ist es strenger als in Berlin. Und sich ständig mit dem zu beschäftigen, was man nicht haben kann, ist wirklich die Hölle!

Sie schreiben, die Essenz unseres Miteinanders ist, dass wir uns missverstehen.
Und dass man das zulässt und nicht in einen Moralismus verfällt oder zum Rumpelstilzchen wird. Die Ambivalenz gehört zum Menschen und auch zur Mode dazu.

Das Missverstandenwerden ist in Deutschland eine schwierige Sache.
Die Deutschen haben Angst, dass man ihnen irgendetwas andichten könnte. Mode gilt als frivol. Wenn ich erzähle, dass ich ein Buch über Mode geschrieben habe, rollen besonders Männer die Augen und zeigen totales Desinteresse. In Deutschland gibt es ein großes Bedürfnis, sich deutlich und klar auszudrücken, vielleicht liegt das auch an der Sprache. Viele Deutsche haben Angst aufzufallen. In Großbritannien, wo die Exzentrik gepflegt wird, freut man sich, wenn das Gegenüber ein bisschen Unterhaltung in den Alltag bringt.

Schutzschild gegen die Unvorhersehbarkeit. Auch über Tatoos schreibt Katja Eichinger.
Schutzschild gegen die Unvorhersehbarkeit. Auch über Tatoos schreibt Katja Eichinger.

© Christian Werner

Sie schreiben, das Machtgefälle bestehe darin, dass Männer bestimmen, wie Frauen auszusehen haben.
Die Männer bestimmen die Spielregeln, und wir machen schön mit. Meine Mutter hatte ein Buch aus den fünfziger Jahren „Schön sein, schön bleiben“, darin habe ich immer gelesen. Sie sagte: Wenn du die Ratschläge befolgst, bist du den ganzen Tag beschäftigt. Da sollte man sich die Brüste bürsten, Sauerkrautsaft trinken. Das sind reine Beschäftigungsmaßnahmen, damit man nicht darüber nachdenkt, dass das eigene Leben latent sinnlos ist. Es hat jahrhundertelang bei Frauen funktioniert. Jetzt sind endlich auch die Männer dran.

Auch die neuen Bärtigen und der wachsende Markt für Bartpflege kommen in Ihrem Buch vor.
2012 war ich in Los Angeles in einem Café, da fielen mir zum ersten Mal Leute mit Bärten und Wehrmachtshaarschnitten auf, die sehr ernsthaft Kaffee machten. Es war geradezu faschistoid, wie man dort behandelt wurde, wenn man keine Ahnung von der reinen Lehre des Kaffeekochens hatte.

Die Medien haben sich vor allem über Hipster lustig gemacht.
Aber dass man versucht, diese Phänomene einzuordnen, passiert selten. Bärte kamen in der westlichen Welt erst in Mode nach dem 11. September 2001 und nach den Enthüllungen, was im Irakkrieg in Abu-Ghuraib passierte. Das kommt einer Assimilierung dessen gleich, wovor man sich fürchtet.

Also haben Bärte auch bei uns eine politische Dimension?
Auf jeden Fall. Auch wenn sich der Bartträger selbst als Konsument definiert.

Man konsumiert mit der Bartpflege seine Zeit weg.
In den Einkaufsstraßen sind es die Beautyläden, die richtig viel Geld machen, mittlerweile werden auch Männer einbezogen.

Und das ist gut so?
Uns ist allen klar, dass es weniger werden muss. Was wir brauchen, ist eine Reformation. Wahrscheinlich stehen wir kurz davor.

Ein Kapitel widmet sich der Selbstoptimierung. Wie ist es, älter zu werden?
Ich finde schwierig, dass ich zunehmend in Gesichter blicke, die operiert oder aufgespritzt sind. Peter Lindbergh war einer der wenigen Fotografen, der Falten gefeiert hat, und ich habe einfach keine Lust, mir etwas unter die Haut zu spritzen. Ich bin doch stolz darauf, dass ich das alles überstanden habe und ich noch hier bin! Warum soll ich das wegspritzen?

Sie beschreiben den Verjüngungswahn auch anhand von Joan Collins, die in einem Raum mit operierten Frauen die Perfekteste ist.
Jeder darf sich als Kunstgestalt herrichten und extrem sein. Aber meistens ist es ja so, dass aus diesen Gesichtern eine Angst spricht, nicht mehr geliebt zu werden. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir Falten feiern und schön finden. Die meisten älteren Schauspielerinnen haben sich überarbeiten lassen. Das kommt mir vor wie ein Instagram-Filter, den man sich überzieht. Wir sollten aufhören, Filter zu benutzen.

Katja Eichingers Buch „Mode und andere Neurosen“ ist im Aufbau-Verlag erschienen und kostet 20 Euro.

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