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Messsiiii! Lionel Messi (rechts) wurde von den Fans in Neu Isenburg gefeiert.

© dpa

Argentinien: Auf der Sonnenseite

Vor dem Spiel gegen Deutschland machen Argentiniens Fußballer im Training, worauf sie Lust haben. Die Vorbereitung auf der WM 2014 beginnt hier.

Die Party dauert nur ein paar Sekunden. Die argentinische Kolonie Südhessens erzwingt sie auf anarchisch-fröhliche Art. Am liebsten würden sie Messsiiii! herzen und küssen und fotografieren. Lionel Messi winkt kurz herüber, aber dann ist er auch schon weg. Also brüllen die hinchas in der Kurve von Neu-Isenburg nach Ersatzhelden. „Masche! Masche!“ und „Kun! Kun!“ Javier Mascherano lächelt ein wenig unsicher, aber der Kollege Sergio Agüero, den sie nach einer Zeichentrickfigur alle Kun nennen, er ist schon eingetaucht in die tanzende Menge in Hellblau-Weiß. Hier ein Foto, da eine Umarmung. Agüero und Mascherano freuen sich, von hinten prosten die Kollegen mit Orangensaft zu, und die Kurve skandiert: „Ar!gen!tina! Ar!gen!tina!“

Im improvisierten Chaos endet, was eine Stunde zuvor begonnen hat mit den ersten Schritten der argentinischen Nationalmannschaft in Deutschland. Die Sonne strahlt auf den Sportpark Neu-Isenburg bei Frankfurt, aber der Platzwart hat vorsichtshalber das Flutlicht eingeschaltet. Soll keiner sagen, die lieben Gäste könnten nicht nach internationalem Standard trainieren vor dem Länderspiel am Mittwoch. Angeführt wird die Delegation von Alejandro Sabella. Der argentinische Trainer ist in Europa weitgehend unbekannt, hat sich aber in Südamerika wegen seiner Erfolge mit dem Provinzteam Estudiantes de La Plata den Spitznamen El Mago erworben. Der Magier soll Argentinien bei der WM 2014 in Brasilien endlich wieder einen großen Titel bescheren. Seit 1990 ist Argentinien bei der WM nicht mehr über das Viertelfinale hinausgekommen.

In Neu-Isenburg trägt Alejandro Sabella ein weißes Basecap, was ihn als Einzigen dazu prädestiniert, sich in die tief stehende Sonne zu wagen. Die 18 Spieler vertreiben sich die Zeit in einem schattigen Eckchen. Die Lockerungsübungen erfolgen nach einem strengen Prinzip: Wer Lust hat, macht welche, und wer keine Lust hat, lässt es bleiben. Es folgt ein Spielchen im Kreis, und wenn der Trainer pfeift, springen drei Argentinier aufeinander, umarmen sich und brüllen schwer definierbare Schlachtrufe.

Den anstrengendsten Job im Sportpark Neu-Isenburg haben die Männer von der Security. Sie tragen dem Wetter höchst unangemessene schwarze Uniformen und jagen alle paar Minuten jugendlichen Fans hinterher, die über den Zaun geklettert sind, weil sie einmal im Leben Messsiiii! sehen wollen. Der Held trägt Schuhe in leuchtendem Orange und beim Spielchen als Einziger ein rotes Trikot. Das bedeutet, dass er in beiden Mannschaften gleichzeitig mitspielt und praktischerweise keinen Fehlpass spielen kann.

Lionel Messis Beziehung zur Heimat ist kompliziert. Selten hat er in der Nationalmannschaft sein beim FC Barcelona zelebriertes Niveau erreicht. 2010 beim WM-Aus gegen die Deutschen war er kaum zu sehen, und nach dem Scheitern bei der Copa America im vergangenen Jahr daheim in Argentinien haben ihn die hinchas ausgepfiffen. Will der Magier Sabella Erfolg haben, braucht er dafür einen Messi in Barcelona-Form. Das Spiel in Frankfurt ist für ihn der letzte Test vor den WM-Qualifikationsspielen Mitte September gegen Paraguay und Peru. Im Tableau steht Argentinien hinter Chile und Uruguay auf Platz drei. Das reicht locker für einen Platz beim Finalturnier 2014 in Brasilien, aber es entspricht nicht dem argentinischen Selbstverständnis.

Nach einer halben Stunde müssen 17 Argentinier hinüber auf die sonnige Hälfte des Platzes. Messi bleibt im Schatten und schießt ein bisschen aufs Tor. Links oben, rechts unten, dann zweimal links unten. Nach vier Treffern hintereinander ist es genug und ein dicker Betreuer übernimmt das Torwarttraining. Lionel Messi setzt sich auf einen Ball und schaut den Kollegen zu, im Rücken um die 100 Jugendliche mit argentinischem Migrationshintergrund. Die Security hat den Kampf längst aufgegeben und beschränkt sich darauf, das Publikum auf den Steintreppen in der Kurve in Schach zu halten.

Ein Fernsehreporter berichtet live nach Buenos Aires, welcher Spieler welches Leibchen trägt und wie schön das Wetter in Neu-Isenburg ist. Die „Messsiiii!“-Rufe werden lauter und häufiger, aber der Held hat anderes im Sinn, nämlich einen Plausch mit Sergio Agüero, der sich auf einen freien Ball neben ihn gesetzt hat. Ein paar Minuten später kommt Angel di María, dann Javier Mascherano, und bevor auch der Rest macht, wozu er gerade Lust hast, lässt es Alejandro Sabella gut sein. Eine Tür unter der Fankurve öffnet sich. Zwei Betreuer tragen Kästen mit Mineralwasser und Orangensaft. Mit den Einkäufen aus dem nah gelegenen Supermarkt improvisieren sie auf dem Rasen eine Saftbar.

Die Party kann beginnen.

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