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Macht der Körper mit? Bundestrainer Joachim Löw scheint gespannt, ob Marco Reus (2. v. l.) diesmal wirklich spielen kann.

© picture alliance / dpa

Debut von Marco Reus: Mit laaaaaangem Anlauf

Marco Reus könnte im sechsten Versuch endlich zu seinem Debüt in der Nationalmannschaft kommen. Bei Mönchengladbach hat er großen Anteil daran, dass sein Verein überhaupt noch in der Bundesliga vertreten ist.

So viel Fürsorge wie in den vergangenen Tagen ist Marco Reus vermutlich selten zuteilgeworden. Immer wieder musste der Fußballer von Borussia Mönchengladbach Auskunft zu seinem Gesundheitszustand erteilen. Es ist nicht bekannt, ob sich Reus über die Anteilnahme wirklich gefreut hat. Das gesteigerte Interesse an seinem Wohlbefinden lag allein daran, dass er vor einer Woche von Bundestrainer Joachim Löw für die Länderspiele in der Türkei und gegen Belgien nominiert worden war. Für Reus hat sich die Berufung in die Nationalmannschaft immer als extrem gesundheitsgefährdend herausgestellt. Vier Mal musste er kurzfristig absagen, auf sein Länderspieldebüt wartet er bis heute. Diesmal sieht es ganz gut aus: Bei Redaktionsschluss erfreute sich der 22-Jährige bester Gesundheit. Aber es sind ja noch ein paar Stunden bis zum Anpfiff des EM-Qualifikationsspiels.

„Etwas unglücklich“ hat Reus selbst seine bisherigen Erfahrungen mit der Nationalmannschaft bezeichnet. An die Details aus seiner Krankenakte kann er sich gar nicht mehr erinnern, vielleicht will er es auch einfach nicht. Da gab es eine Zerrung, die sein Debüt verhinderte, eine Schambeinentzündung, aber auch eine profane Grippe. Und als es Reus im August, beim Freundschaftsspiel gegen Brasilien, endlich einmal auf die Ersatzbank geschafft hatte, wurde er nicht eingewechselt, weil Löw den Sieg gegen den Rekordweltmeister nicht durch personelle Experimente gefährden wollte.

„Wann ich mein Debüt feiere, ist egal“, sagt Reus. „Hauptsache, ich feiere es überhaupt.“ Vermutlich wird er als Nationalspieler mit der längsten Inkubationszeit in die Geschichte des Deutschen Fußball- Bundes eingehen. Schon vor der WM, im Mai 2010, war der Mönchengladbacher zum ersten Mal für ein Länderspiel nominiert. Doch erst jetzt, 17 Monate später, wird es wohl zum Vollzug kommen, entweder gegen die Türkei oder spätestens am darauffolgenden Dienstag in Düsseldorf gegen Belgien. Der Bundestrainer jedenfalls ist fest zum Debüt entschlossen. „Es ist für ihn und für uns alle an der Zeit, dass er mal zum Einsatz kommt“, sagt Joachim Löw.

Lesen Sei auf Seite zwei, warum Reus nicht nur aus Mitleid ein Länderspiel verdient hat.

Das klingt fast so, als hätte sich Reus schon aus Mitleid mal ein Länderspiel verdient, aber so ist es natürlich nicht. Der Offensivspieler bringt Fähigkeiten mit, für die selbst in der üppig und hochwertig besetzten Nationalmannschaft durchaus Verwendung besteht. „Auf der Außenposition kann er jedes Spiel beleben und erfrischen, auch bei uns“, sagt der Bundestrainer. „Er spielt frech, ist schnell, hat einen enormen Zug zum Tor und arbeitet sich auch viele Torchancen heraus.“ Und meistens nutzt er sie auch. Reus’ Präzision im Abschluss ist so groß, dass es schon negativ auffällt, wenn er wie am Wochenende beim 0:1 in Freiburg gleich eine ganze Reihe guter Möglichkeiten auslässt.

Marco Reus hat großen Anteil daran, dass sein Verein überhaupt noch in der Bundesliga vertreten ist. Im Relegationsrückspiel gegen den VfL Bochum, in dem er trotz einer Verletzung in der Startelf stand, erzielte er das entscheidende Tor zum 1:1; doch trotz seiner fußballerischen Qualitäten, die ihn aus seiner Mannschaft deutlich hervorstechen lassen, hält sich Reus am liebsten im Hintergrund. Er redet ungern über sich, in Interviews wirkt er einsilbig und immer ein wenig lustlos – ganz anders als auf dem Platz.

Vor zwei Jahren, nach seinem Wechsel vom Zweitligaabsteiger Ahlen zur Borussia, wurde Reus in Mönchengladbach als „der neue Marko Marin“ geführt. Inzwischen ist von Marin als Vergleichsgröße keine Rede mehr. Der Bremer ist schon länger nicht mehr für die Nationalmannschaft nominiert worden, Reus ist an ihm vorbeigezogen – mit einer Leichtigkeit, die ihn auch auf dem Spielfeld auszeichnet. „Marco Reus ist unfassbar gut“, sagt Borussias Trainer Lucien Favre, der bisher nicht durch einen Hang zum Überschwang aufgefallen ist. „Wie ein Spieler auf der Playstation“ bewegt sich Reus, findet Favre, selbst mit dem Ball am Fuß verliert er kaum an Tempo. „Marco spürt Fußball“, sagt sein Vereinstrainer, „seine Spielintelligenz ist unglaublich.“

Im vorigen Herbst, mitten im Abstiegskampf, hat Reus seinen Vertrag in Mönchengladbach bis 2015 verlängert. Rund eine Millionen Euro hat die Borussia vor zwei Jahren für ihn gezahlt, inzwischen hat sich sein Marktwert verfünfzehnfacht. Trotzdem gab es im Sommer diverse Interessenten, die Reus gerne verpflichtet hätten, unter anderem Meister Borussia Dortmund. Dessen Trainer Jürgen Klopp hat den gebürtigen Dortmunder einmal als „geilen Kicker“ bezeichnet. Dieser geile Kicker hat bis zur B-Jugend sogar für den BVB gespielt. Dann wurde er aussortiert. Marco Reus galt als zu schwach und zu schmächtig für die ganz große Karriere.

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