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Michael Ballack galt jahrelang als bester Spieler Deutschlands. Nun wurde er aus der Nationalmannschaft ausgebootet.

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Deutschland-Brasilien: Der Berg ruft zurück

Das Spiel gegen Brasilien ist das offizielle Ende der Ära Völler – eine neue Spieler-Generation drängt nach.

Wenn eine Liaison in ihr 40. Jahr geht, ist naturgemäß viel von Kontinuität die Rede. Das war auch gestern im Mercedes-Benz-Museum so, gleich gegenüber dem Stuttgarter Stadion, wo der Hausherr und der Deutsche Fußball-Bund (DFB) ihre Partnerschaft bis 2018 verlängerten. Zur Einstimmung auf das freudige Ereignis wurde ein Film mit Szenen aus der gemeinsamen Vergangenheit eingespielt, unter anderem eine Sequenz aus einem Werbespot zur Europameisterschaft 2008. Es wirkte fast wie ein Versehen, dass die Szene in den Film geraten war, die so gar nicht zum aktuellen Geschehen passen wollte: Joachim Löw weist als Bergführer den Weg zum Gipfel, und neben ihm mimt Michael Ballack den treuen Gefolgsmann.

Vorbei, vorbei. Von Gefolgschaft kann keine Rede mehr sein. Der Bundestrainer und sein früherer Kapitän sind längst geschiedene Leute. Vor knapp zwei Monaten ist ihre Beziehung unter großem Getöse in die Brüche gegangen, und wie in den besten Ehen, so ist auch diese Trennung nicht ohne gegenseitige Verletzungen abgegangen. Löw berichtete gestern, dass er seitdem nicht mehr mit Ballack gesprochen habe, und überhaupt „möchte ich nichts mehr dazu sagen“.

Wenn Löws Mannschaft heute im Stadion gegenüber dem Museum auf den fünfmaligen Weltmeister Brasilien trifft, ist das mehr als nur ein gewöhnlicher Test zum Auftakt der Europameisterschaftssaison. Das Spiel sollte ursprünglich als offizieller Abschied für Michael Ballack genutzt werden. Jetzt ist es das erste Länderspiel, bei dem der einstige Kapitän offiziell nicht mehr der Nationalmannschaft angehört. Diese Entwicklung war schon länger abzusehen: Ballack wird im nächsten Monat 35, selbst in seinem Verein Bayer Leverkusen spielt er nur noch eine Nebenrolle – und trotzdem hat sein definitiver Ausschluss aus der Nationalmannschaft etwas von einer Zäsur. Das Länderspiel heute Abend ist gewissermaßen das offizielle Ende der Ära Völler, deren Symbolfigur Michael Ballack war.

Als Joachim Löw 2004 zur Nationalmannschaft stieß – damals noch als Assistent von Jürgen Klinsmann –, war Ballack längst die herausragende Figur und ein nicht zu ignorierender Machtfaktor innerhalb der Mannschaft. Erst jetzt, sieben Jahre später, haben sich die Verhältnisse endgültig verschoben, auch wenn der Bundestrainer sagt: „Das ist alles andere als eine Zäsur. Es gibt einen Fluss, einen ständigen Prozess.“ Aber manchmal wirken solche Entwicklungen erst im Verborgenen, ehe sich die Veränderungen für alle deutlich offenbaren.

Es ist kein abrupter Umbruch, sondern ein eher fließender, den Löw 2008 nach seinem ersten Turnier als Cheftrainer eingeleitet hat – und der nun langsam zu seinem Ende gelangt. Im EM-Finale 2008 gegen Spanien standen bis auf Per Mertesacker und Thomas Hitzlsperger ausschließlich Spieler in der Startelf, die bereits unter Löws Vorvorgänger Rudi Völler in der Nationalmannschaft debütiert hatten, und noch bei der Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr stellten sie mehr als die Hälfte der Stammformation. Inzwischen aber drängt eine neue Generation nach und verlangt mit Macht nach ihrem Platz. Im Aufgebot für das Brasilien-Spiel ist Miroslav Klose der letzte Spieler, der schon bei der WM 2002 dabei war.

Der Stürmer, der in diesem Sommer von Bayern München zu Lazio nach Rom gewechselt ist, hat bei Löw immer eine besondere Wertschätzung genossen, doch heute wird er wohl nicht in der Startelf stehen. Im aktuellen Fall ist das noch damit zu erklären, dass die Saison in Italien erst in zweieinhalb Wochen beginnt. Doch auch mittelfristig muss Klose mit inzwischen 33 Jahren immer mehr um seine Position fürchten. In Mario Gomez, dem Torschützenkönig der Bundesliga, ist ihm ein Konkurrent erwachsen, der zum Ende der vergangenen Saison nachgewiesen hat, dass er auch Länderspiele kann. „Mario hat im letzten Jahr den richtigen Durchbruch geschafft“, sagt Löw. Der Münchner war zuletzt in vier Länderspielen hintereinander als Torschütze erfolgreich, er traf insgesamt fünf Mal.

Nicht nur Kloses Stellung in der Nationalmannschaft muss inzwischen als prekär gelten. Auch Arne Friedrich (Debüt 2002) könnte es nach seiner Verletzung schwer haben, in der Nationalmannschaft noch einmal zu alter Bedeutung zurückzufinden. Per Mertesacker hat lange davon profitiert, dass er im Land der Vorstopper und Liberos der erste Viererkettenversteher war; inzwischen gibt es mit Mats Hummels, Jerome Boateng, Benedikt Höwedes und Holger Badstuber genügend Auswahl an Spielern, die das moderne Abwehrspiel beherrschen. Und selbst Lukas Podolski wird sich nicht ewig auf die unergründliche Treue des Bundestrainers verlassen können. Seine Konkurrenten André Schürrle und Kevin Großkreutz verfügen zumindest über den Vorteil, sich in der Champions League auf höchstem Niveau international weiterzubilden.

Von den Spielern, die Löw schon bei seinem Dienstantritt vor sieben Jahren in der Nationalmannschaft vorgefunden hat, stehen allein Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger auf absehbare Zeit noch nicht zur Disposition. Als sich die Vertreter des DFB und von Mercedes gestern zu einem Erinnerungsfoto um einen Sportwagen gruppierten, wurde Schweinsteiger explizit gebeten, hinter dem Steuer Platz zu nehmen. Früher hätte Michael Ballack da gesessen.

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