zum Hauptinhalt
Stiller Jubel. Mesut Özil feiert seinen Treffer gegen die Türkei eher gedämpft. Thomas Müller herzt ihn dafür.

© dpa

EM-Qualifikation: Ständige Vertretung in der Nationalelf

Das Team von Bundestrainer Joachim Löw beherrscht die EM-Qualifikation, weil es jeden Ausfall kompensieren kann – selbst einen von Mesut Özil.

Berlin - Zurückgeblieben ist ein lädierter, buntgeschwollener Knöchel. Es ist jener Knöchel, um den die Türken die Deutschen beneiden. Er hängt am linken Bein Mesut Özils, der mit diesem inzwischen so viel anzustellen weiß, dass er den Weltklub Real Madrid verzaubern kann. Am Freitag hat Özil einige zehntausend Türken, die das ausverkaufte Olympiastadion belagerten, verstummen lassen. Die Selbstverständlichkeit, mit der er den Ball beim 2:0 am türkischen Torwart vorbeischob, war verführerisch wie final. Das Spiel war entschieden. Özil humpelte vom Feld.

Selbst wenn Mesut Özil für das nächste Spiel in der EM-Qualifikation am Dienstag in Kasachstan ausfiele, würde das keine Panik auslösen. Was nicht an der zweifelsfrei vorhandenen fußballerischen Begrenztheit des kasachischen Fußballs liegt, sondern der großen neuen Qualität der deutschen Mannschaft geschuldet ist. Es ist die Qualität, selbst Ausfälle der höchsten Kategorie ohne Qualitätsabfall kompensieren zu können.

Als Geburtsstunde dieser Qualität gilt die Weltmeisterschaft in Südafrika, als die Mannschaft den Wegfall ihres Anführers und bis dato fußballerischen Schwergewichts Michael Ballack vergessen machte. Gegen die Türkei, gemeinhin als stärkster Konkurrent der Deutschen um den Gruppensieg in der EM-Qualifikation angesehen, musste Bastian Schweinsteiger ersetzt werden, den Löw zum emotionalen Leader, zum Motor der deutschen Mannschaftsmitte ausgerufen hatte. Was Sami Khedira in Südafrika als Ballack-Backup tat, gelang gegen die Türkei Toni Kroos auf der Position Bastian Schweinsteigers. Selbst Holger Badstuber muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden, da er es, wenngleich auf der weniger auffälligen Position des Innenverteidigers, schaffte, den Wegfall des WM-Phänomens Arne Friedrich zu kompensieren. Und das mit gerade mal 21 Jahren im gerade mal siebten Länderspiel. „Holger Badstuber hat fehlerfrei agiert“, sagte Löw – für einen Verteidiger das größtmögliche Kompliment.

Inzwischen hat das Team von Joachim Löw eine gewisse Meisterschaft in dieser Disziplin erreicht. Einerseits kann der Bundestrainer auf junge Spieler zurückgreifen, die exzellent ausgebildet sind. Sie haben die Löw’sche Spielphilosophie innerlich geladen wie die Festplatte ein Betriebssystem. Das deutsche Team ist ein funktionierendes Gebilde, das beinahe in völliger Unabhängigkeit vom Personal arbeiten kann. Hierin hat das Wirken Löws eine neue Ebene erreicht.

Gerade in der einen wackeligen Phase nach der Halbzeitpause zeigte die deutsche Elf ihre Klasse. „Die Mannschaft ist qualitativ so stark, dass sie solche Situationen spielerisch löst, sich etliche Chancen erspielt und Tore macht“, wie es Kapitän Philipp Lahm sagte. Es ist unübersehbar, dass die Mannschaft sich ihres Könnens bewusst geworden ist. Diese neue Gewissheit prägt die Mentalität dieser jungen Mannschaft, die bereits eine seltene Stabilität erreicht hat.

Das Spiel der Deutschen gewinnt an Wucht und Ausstrahlung, weil ihm eine logische Idee innewohnt. Die Spielauffassung und -anlage ist darauf gerichtet, Dominanz des Geschehens zu erlangen, sie aber nicht in Bräsigkeit verlaufen zu lassen wie derzeit beim FC Bayern München, sondern mit Tempo zum Torabschluss zu kommen. „Jeder weiß, was auf dem Platz zu tun ist“, sagte Toni Kroos, der Schweinsteigers Rolle in der Zentrale der Mittelfeldes überaus offensiv und beeindruckend ausfüllte. „Ich bin kein Schweinsteiger. Ich versuche die Position auf meine Art zu interpretieren“, sagte der 20-Jährige. An seiner Seite eskortierte ihn Sami Khedria, der im Zweifelsfall mehr in die Defensive hineinwirkte.

Nur zwei Trainingseinheiten hatte die neue Mittelfeldachse vor dem Spiel gegen die Türkei, um sich zu finden. „Der Kader kennt sich doch von der WM, da muss man nicht so viel Neues einstudieren“, sagte Kroos und lächelte. Auf ihn könnte die Aufgabe zukommen, nach Schweinsteiger nun den verletzten Spielmacher vertreten zu müssen. Mal sehen, wie Özils Knöchel morgen aussieht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false