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Geschlossenes Gebilde. Die deutsche Nationalmannschaft freut sich ausgiebig über ihr Siegtor zum 1:0 gegen die starken Belgier.

© dpa

Gegen Belgien: Pragmatik vor Schönheit

Die deutsche Elf besticht gegen Belgien nicht durch Offensivlust, sondern mit Reife und Ernsthaftigkeit.

Mit der belgischen Identität ist das gerade so eine Sache. Die Nation ist in Auflösung begriffen, der jüngste Versuch, eine Regierung zu bilden, die den flämischen und wallonischen Partikularinteressen gleichermaßen gerecht wird, gerade erst gescheitert, und ob die belgischen Fußballer noch einmal zu einem identitätsstiftenden Element werden – wer weiß das schon? Die Nationalmannschaft hat dem Publikum wenige Stunden nach dem Scheitern der Regierungsbildung durchaus Freude bereitet und im EM-Qualifikationsspiel gegen die Deutschen ansehnliche Ansätze gezeigt; am Ende aber stand eine 0:1-Niederlage.

„Das ist Deutschland“, sagte Eden Hazard nach dem Spiel. Hazard ist gerade 19 und hatte zum ersten Mal gegen den großen Nachbarn aus dem Osten gespielt. Aber wie und wer die Deutschen sind, das weiß in Europa jedes Kind.

Ja, ja, die Deutschen: Sie trotzen allen Schwierigkeiten, können im Zweifel auf die Kraft ihres Willens bauen und gehen doch wieder als Sieger vom Platz. „Maximale Konzentration und maximales Engagement“ hatte Bundestrainer Joachim Löw bei seiner Mannschaft ausgemacht, die bei der WM im Sommer noch durch maximale Spielfreude und maximale Offensive aufgefallen war. Dass sie ihren eigenen hohen Maßstäben in dieser frühen Phase der Saison nicht würden gerecht werden können, das wussten Löw und seine Spieler vorher. Also beschränkten sie sich auf das Wesentliche. „Jeder Anfang ist schwer“, sagte Kapitän Philipp Lahm, und sein Zauber erschließt sich manchmal erst auf den zweiten Blick: Der Erfolg in Brüssel war ein Sieg der Pragmatik über die Schönheit.

„Wir haben das gemeistert, da sind wir stolz drauf“, sagte Holger Badstuber nach dem Sieg. Der junge Münchner (21) durfte zum ersten Mal bei der Nationalmannschaft in der Innenverteidigung spielen und bekam es vornehmlich mit dem noch jüngeren Romelu Lukaku (17) zu tun. Ein richtiger Brocken ist das, neben dem Badstuber fast zart und feingliedrig daherkam. Beide beharkten sich mit Verve, einmal dribbelte Lukaku an Badstuber vorbei in den deutschen Strafraum, doch je länger das Spiel dauerte, desto besser bekam der Verteidiger seinen Widersacher in den Griff. „Man hat schon gesehen, dass er was drauf hat“, sagte Badstuber, „aber wir haben ihn gut unter Druck gesetzt.“ Der Münchner spielte fast wie ein Vorstopper aus dem vorigen Jahrtausend. Selbst wenn Lukaku sich in die eigene Hälfte fallen ließ, blieb Badstuber wie ein Schatten bei ihm, um zu verhindern, dass der Belgier Fahrt aufnehmen und mit Tempo auf die deutsche Verteidigung zulaufen konnte: Lukaku war seiner Stärke beraubt. „Er hatte einen Schuss aufs Tor, dann wurde er ausgewechselt“, sagte Badstuber. „Er spielt als Innenverteidiger sachlich, einfach, hat ein gutes Stellungsspiel“, sagte Bundestrainer Löw. „Mir persönlich gefällt das. Von daher hat er gute Perspektiven.“

Das gilt auch für die gesamte Mannschaft, die einen Fehlstart in die EM-Qualifikation auf recht unaufgeregte Weise verhindert hat. Ein Sieg zum Auftakt sei immens wichtig, dozierte der Bundestrainer, „um nachher nicht ständig hinterherrennen zu müssen“. Das 1:0 in Brüssel war allerdings mehr als ein Pflichtsieg. So wie die jungen und aufstrebenden Belgier spielten, kann von einer Pflicht, gegen sie zu gewinnen, nicht die Rede sein. „Wir werden nicht die Einzigen sein, die hier Probleme kriegen“, prophezeite Heiko Westermann. Und so verließen die Deutschen das Stadion mit dem Gefühl, an diesem Abend zwei Bonuspunkte ergattert zu haben. „Mit so einem Start ist uns schon mal was Gutes gelungen“, sagte Bastian Schweinsteiger. „Das ist gleich mal ein Reizpunkt gewesen.“

Die Freude der Deutschen über den Erfolg war tief und echt. „Die Mannschaft hat guten Spirit bewiesen“, sagte Löw. Und wenn sie sich diesmal schon nicht an ihrer Offensivkunst berauschen konnte, dann begeisterte sie sich wenigstens an der Reife und Ernsthaftigkeit ihres Spiels: Die Deutschen hatten allen Widrigkeiten getrotzt, sie hatten sich von der anfänglichen Euphorie der Belgier und deren Elan nicht irritieren lassen, sondern immer den Glauben an die eigene Überlegenheit bewahrt. „Wir haben echt gut dagegengehalten“, sagte Marcell Jansen. Die neuen Deutschen, die zuletzt durch ihre Lust am schönen Fußball aufgefallen waren, schienen fast ein wenig erstaunt, dass sie das auch noch können.

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