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Marcel Schmelzer, 25, wechselte als Nachwuchsspieler vom 1. FC Magdeburg zu Borussia Dortmund. Dort schaffte er 2008 den Sprung in die erste Mannschaft und wurde mit den Westfalen 2011 sowie 2012 Deutscher Meister.

© dpa

Marcel Schmelzer im Interview: „Vielleicht wollte mir das Schicksal was Gutes tun“

Vor dem Rückspiel der Deutschen Nationalmannschaft in der WM-Qualifikation gegen Kasachstan: Der Dortmunder Marcel Schmelzer über Druck, Chancen und Erfolge eines Linksverteidigers in der deutschen Nationalmannschaft.

Herr Schmelzer, wie viele Linksverteidiger der Nationalmannschaft aus den vergangenen zehn Jahren bekommen Sie zusammen?

Ich glaube, in dieser Hinsicht sind Journalisten die Experten, weil das Thema in den Medien deutlich ausgiebiger behandelt wird als in Spielerkreisen.

Aber Sie werden ja auch ein bisschen genauer auf diese Position geachtet haben. Versuchen Sie’s doch mal!

Natürlich hat es auf dieser Position über einen längeren Zeitraum keinen Spieler gegeben, der sich in der Nationalmannschaft etabliert hat. Aber ich glaube auch, dass es für jeden, der eine Chance bekommen hat, schwer war. Vielleicht schwerer als auf anderen Positionen.

Sie hören sich ein bisschen gereizt an.

Überhaupt nicht! Es ist nur so: Sie haben mir diese Frage zwar zum ersten Mal gestellt, aber ich habe sie schon unzählige Male beantwortet. Sobald ein junger Linksverteidiger zur Nationalmannschaft eingeladen wird und vor seinem ersten Spiel steht, wird ihm die Frage gestellt: Werden Sie sich durchsetzen und die Probleme auf dieser Position dauerhaft lösen? Ich kann mir vorstellen, dass Dennis Aogo oder Marcel Schäfer…

… zwei Ihrer vielen Vorgänger …

… das auch so durchgemacht haben. Das Thema wird aber leider häufig nur oberflächlich und nicht sachlich diskutiert.

Wussten Sie eigentlich, dass Bernd Schneider auch mal Linksverteidiger gespielt hat?

Nein, echt?

2005 in Rotterdam, gegen Arjen Robben.

Nicht schlecht!

Warum haben es Linksverteidiger so schwer?

Der Fokus der Medien ist auf diese Position fixiert. Der Druck ist ohnehin schon groß, wenn ein junger Spieler zur Nationalmannschaft stößt, und wenn dann vorher die Zeitungen nur über die Probleme auf dieser und jener Position berichten, kommt zusätzlicher Druck dazu. Es ist unsere Aufgabe als Profis, über diesen Diskussionen zu stehen. Auch wenn das zugegebenermaßen nicht immer einfach ist. Aber alle Nationalspieler haben gute Gründe für ein starkes Selbstbewusstsein.

Sie sehen für sich als Linksverteidiger also eher die Schwierigkeiten, die diese Position mit sich bringt, als die Chance, die Kritiker zum Schweigen zu bringen?

Nein, ich bin ein total positiver Mensch, der es allerdings nicht ansatzweise als seine Aufgabe ansieht, Kritiker zum Schweigen zu bringen. Meine Aufgabe ist es, der beste Fußballspieler zu sein, der ich sein kann. Das ist mein Antrieb. Ich bin allerdings Realist genug um zu wissen: Ein Fehler, und es kann sein, dass du öffentlich wieder zum Deppen wirst.

Aber die Probleme auf dieser Position waren zuerst da, nicht die Kritik der Medien.

Ja, aber das ist nicht die Schuld derer, die aktuell spielen.

Warum ist es so schwer, einen Linksverteidiger zu finden, der sich über Jahre auf dieser Position etabliert?

Linksfüßer gibt es eben nicht so viele wie Spieler mit einem starken rechten Fuß. Und die Linksfüßer, die es gibt, wollen meistens in der Offensive spielen, weil man natürlich lieber Tore schießt als Tore zu verhindern. Es wird auch künftig vergleichsweise wenige Spieler geben, die für diese Position infrage kommen.

Sie sind auch erst spät auf diese Position versetzt worden.

Ich glaube, nach dem ersten Jahr in der A-Jugend. Vorher habe ich auch vorne gespielt, aber dann hatten wir keinen Linksverteidiger, und der damalige Trainer Heiko Herrlich hat mich in die Viererkette gestellt. Wie das halt so geht (lacht). Für mich war das kein Problem. Ich konnte mich immer mit nach vorn einschalten, wenn die Chance da war.

Hans-Joachim Watzke, der Vorstandsvorsitzende von Borussia Dortmund, hat einmal gesagt, dass Sie den Fußball auch theoretisch beherrschten. Hat Ihnen das bei der Umschulung geholfen?

Ich glaube, er meinte, dass ich zu hundert Prozent verstanden habe, was unser Trainer taktisch vorgibt. In Dortmund haben wir da durch Jürgen Klopp in den letzten vier, fünf Jahren enorme Fortschritte gemacht. Diszipliniertes Spiel gegen den Ball hat bei uns eindeutig Priorität. Natürlich schaue ich mich um, was in anderen Mannschaften gespielt wird, bei Real Madrid, bei Arsenal oder bei den Bayern. Wie verhält sich der Linksverteidiger dort in einer bestimmten Situation? Wie reagiert er? Aber grundsätzlich spiele ich in Dortmund das, was ich in Dortmund beigebracht bekommen habe.

War das Ihr Problem in der Nationalmannschaft? Dass dort etwas anders gespielt wird als in Dortmund?

Ich habe immer schon gesagt, dass es Zeit braucht. Beim BVB weiß ich, wenn ich in einen Zweikampf gehe: Da ist ein Kollege hinter mir, der sichert mich jetzt da ab. Bei uns in Dortmund ist es nicht schlimm, mal einen Zweikampf zu verlieren; es ist nur schlimm, wenn man den Zweikampf des anderen nicht absichert. Wenn man nun mit Spielern aus anderen Mannschaften zusammenspielt, muss man sich darauf einstellen, dass die das anders handhaben. Also weiß ich erst mal nicht: Kann ich auch so in diesen Zweikampf gehen? Oder muss ich eher abwarten? Das ist keine Kritik, das sind ganz normale Anpassungsprozesse.

Der Dortmunder Einfluss wächst. Inwiefern profitieren Sie davon, ein Teil des Dortmunder Blocks zu sein?

Es ist von Vorteil, ganz klar. Aber das wird Ihnen auch jeder Bayern-Spieler sagen, dass es einfacher ist, wenn man sich aus dem Verein kennt. Wenn Marco Reus vor mir spielt oder Mats Hummels neben mir, weiß ich instinktiv, wie ich mich in bestimmten Situationen verhalten kann.

"Nach dem Spiel gegen Österreich war ich geknickt"

Wie haben Sie die Entscheidung des Bundestrainers nach der EM empfunden, dass Philipp Lahm wieder auf rechts verteidigen wird?

Das hat mich natürlich gefreut. Für mich hat sich dadurch eine größere Chance ergeben, mehr Spiele auf meiner Position zu machen, als wenn dort der Kapitän gesetzt wäre. Wobei die Freude schnell ein wenig getrübt wurde.

Sie meinen das Spiel gegen Österreich im September, nach dem die Kritik an Ihnen ungewöhnlich deutlich ausgefallen ist.

Sie sagen es. Danach war ich wirklich geknickt. Aber das ist Vergangenheit. Ich nutze jedes Spiel, das ich mache, um meine Leistung zu bringen. Manchmal klappt es besser, manchmal nicht.

Kurz nach dem Spiel in Österreich gab es dann die Aussage des Bundestrainers, dass er sich keine Linksverteidiger schnitzen könne und mit Ihnen eben weiterarbeiten müsse …

Auf diese Frage habe ich gewartet.

Man hätte Löws Aussage auch so interpretieren können, dass er weiter mit Ihnen und an Ihnen arbeiten wolle, damit Sie den höchsten Anforderungen eines Tages gerecht werden.

Also ganz ehrlich, so sehr wie die Medien habe ich mich mit dieser Aussage des Bundestrainers zunächst gar nicht beschäftigt. Joachim Löw hat öffentlich klargestellt, dass seine Sätze zu diesem Thema anders gemeint und ungeschickt formuliert waren.

Hatten Sie danach erst recht Angst, etwas falsch zu machen?

Mit so einem Druck wie gegen Irland bin ich noch nie in ein Spiel gegangen. Ein solches Gefühl wünsche ich niemandem. Ich glaube, ich habe mich 15 Kilogramm schwerer gefühlt. Das ist extrem gewesen. Ich meine, wir haben unser Hobby zum Beruf machen können. Natürlich sollte Druck dabei sein, aber nicht in dieser enormen Ausprägung, nachdem ich mit Borussia Dortmund zwei Meisterschaften und den Pokal gewonnen hatte und bei aller Bescheidenheit eine gewisse Qualität nachgewiesen habe. Heute bin ich froh, dass das alles hinter mir liegt. Es ist gut gegangen, und am Abend nach dem Spiel konnte ich wieder gut schlafen.

Kurz darauf haben Sie für Dortmund das Siegtor gegen Real Madrid geschossen.

Ja, aber das war Zufall. Oder vielleicht wollte mir das Schicksal was Gutes tun, nach dieser ganzen Sache (lacht).

Haben Sie das Gefühl, dass der Bundestrainer Sie jetzt anders wahrnimmt?

Nein. Wir hatten gleich danach ein längeres und gutes Gespräch. Und er hat ja wie gesagt auch öffentlich eingeräumt, dass er sich unglücklich ausgedrückt hatte. Für mich war die Sache damit erledigt.

Sind Sie nach diesem Zwischenfall sogar in einer besseren Position?

Man müsste erst einmal ein Spiel abwarten, indem es vielleicht nicht so optimal läuft oder wir gegen einen stärkeren Gegner spielen. Wenn dann die Reaktion nicht ganz so drastisch ausfiele wie nach dem Österreich-Spiel, dann vielleicht. Natürlich war es kein gutes Spiel von mir, aber ein Grottenspiel war es auch nicht.

Ihr einstiges Vorbild und ehemaliger Dortmunder Mitspieler Dede hat Ihnen mal mit auf den Weg gegeben, dass Fußball nichts sei, wovor man Angst haben müsse. Haben Sie in dieser Zeit mal gedacht, er hat Sie angelogen?

(lacht) Dede war zwar Linksverteidiger, aber er hat nicht für Deutschland gespielt. Nein, mal im Ernst: Ich habe keine Angst vor dem Fußball.

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