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Oliver Bierhoff, 44, ist seit 2004 Manager des Nationalteams.

© dapd

Nationalmannschafts-Manager: Oliver Bierhoff: "Nun müssen wir einen neuen Anlauf starten"

Nach dem EM-Aus war die Luft raus, bekennt Oliver Bierhoff. Doch vor dem Spiel gegen Schweden macht der Nationalmannschafts-Manager dem Team Mut - und verteidigt Joachim Löw.

Herr Bierhoff, wann haben Sie das letzte Mal ein Spiel der Nationalelf genossen?
Bei der EM gegen Griechenland, der Sieg bedeutete den Einzug ins Halbfinale.

Und das 6:1 in Dublin nicht?

Auch, schon, aber wenn man gegen Ende so klar gewinnt, ist die Freude manchmal geringer, so widersprüchlich das auch klingt. Wichtig war, dass wir das Spiel kontrolliert und bestimmte Dinge einfach gut umgesetzt haben. Aber Genuss hängt für mich nicht nur davon ab, dass alles perfekt läuft, sondern auch, wenn man sich ein Ergebnis auch mal erkämpft, so wie wir das bei der EM gegen Portugal und Holland gemacht haben. Gegen Griechenland war es etwas spektakulärer, damals natürlich in der Hoffnung, dass es einen Schub geben kann.

Gab es nicht, vielmehr folgte das EM-Aus. Seitdem herrscht eine große Schwierigkeit der Einordnung: Was war die EM denn nun: ein gutes oder ein schlechtes Turnier?

Hier ist die Bewertung zugegeben schwer. Die Erwartungshaltung war sehr hoch, auch bei uns. Ich bleibe bei meiner ersten Einschätzung: Die EM war erfolgreich, aber das Ausscheiden enttäuschend. Nun müssen wir sehen, dass wir einen neuen Anlauf starten. Wir dürfen uns nicht davon zurückwerfen lassen, dass wir mal wieder unter den letzten Vier gewesen sind. Das für sich ist ein Erfolg.

Das Scheitern gegen Italien hatte lange Ausläufer. Auch weil man den Eindruck hatte, dass sich Team und Trainer nicht richtig mit dem Aus auseinandergesetzt haben. Täuscht der Eindruck?

Ich nehme die Reaktion der enttäuschten Fans ernst, ich halte sie auch für normal. Es gibt dafür genügend Beispiele in der Fußball-Geschichte. Die emotionale Bindung unserer Fans zur Mannschaft ist groß, denn nichts anderes bedeutet ja die Reaktion der Enttäuschung. Diese war nicht von den Medien geschürt, sondern sie wurde von jedem Fan gelebt. Das habe ich auch in meinem Freundes- und Familienkreis so erfahren und miterlebt.

Den Enttäuschten fehlte eine verständliche Erklärung.

Ich finde, dass in der Analyse und Nachbetrachtung vieles oberflächlich bewertet wurde. Ich kann Ihnen versichern, dass wir uns in der Leitung intensiv mit dem Aus beschäftigt haben, uns auch selbst hinterfragt haben und dies weiterhin tun. Natürlich haben wir uns nach der heftigen Kritik gefragt, was gut war, was schlecht und wo man noch Luft hat. Bei aller Diskussion ist es jetzt wichtig, konzentriert zu arbeiten und nach vorne zu schauen.

Die öffentliche Aufarbeitung des Ausscheidens durch den Bundestrainer wurde als unglücklich empfunden. Wie haben Sie den Trainer erlebt?

Joachim Löw hat schon im Flieger zurück von der EM gesagt, dass sein Plan nicht aufgegangen ist und er dafür die Verantwortung übernimmt. Insofern hat er ja ein paar Dinge angesprochen, aber es ist irgendwie nicht angekommen.

Hätte er es nicht so einfach mal in aller Öffentlichkeit sagen können? Da gab es nur den Auftritt einen Monat danach, ein Monolog des Trainers, bei dem am Ende keiner wusste, woran es nun lag.

Zunächst einmal hat er in seiner Ansprache die Spieler verteidigt. Vor allem in Bezug auf die Hymnendiskussion, weil es die Spieler stark beschäftigte. Das war für den Trainer und mich enttäuschend, weil wir eben wissen, welcher Einsatz bei dem Einzelnen dahintersteckt. Der Druck auf den Bundestrainer ist während eines Turniers sehr groß. Er ist voll und ganz fokussiert auf den Erfolg, kann und darf sich in einer solchen Phase doch gar nicht mit Niederlagen auseinandersetzen. Gerade nach so einer intensiven Zeit braucht es einen gewissen Abstand, um alles zu verarbeiten. Aber, und das nehme ich an, ist es uns wohl nicht gelungen, dies optimal zu transportieren.

Anders als Jürgen Klinsmann, dessen Amtszeit von Beginn an von Zweifeln begleitet war, galt Löw als unantastbar. Das ist nun nicht mehr der Fall.

In der öffentlichen Wahrnehmung war Jürgen Klinsmann erst derjenige, der den deutschen Fußball kaputtmacht und dann bei der WM ein Messias, dem man alles zu Füßen gelegt hat. Ein Jahr später hat es dann geheißen, das war ja alles nichts, das war alles nur Motivation. Die Extreme sind einfach da, ich glaube auch, in Deutschland teilweise noch mehr als anderswo. Generell ist es schwer, in guten wie in schlechten Zeiten, die Dinge auseinanderzuhalten. Natürlich ist ein EM-Ausscheiden nicht allein mit einer taktischen Entscheidung zu erklären, aber genauso wenig ist sie für einen besonderen Sieg allein verantwortlich. Es bedarf einer differenzierteren Betrachtung. Wenn man die Dinge zu erklären versucht, ist schnell von Ausrede oder fehlender Selbstkritik die Rede.

"Bei uns wackelt es gar nicht!"

Ein Trainer darf mal falsch liegen mit seiner taktischen Aufstellung, auch wenn es in einem Halbfinale passiert. Aber viele kritisierten den Umgang damit. Die Mannschaft spielte danach fahrig und auch der Trainer wirkte angefasst und dünnhäutig. Das Bild, das alle im Spätsommer abgaben, war schief.

Ich will Ihnen nicht widersprechen. Man muss nur aufpassen, dass man nicht in die Tendenz kommt, auf einmal alles in Frage zu stellen. Für mich als Entscheidungsträger ist wichtig, die Extreme zu kappen. Ich muss sehen, was ist wirklich da? In den Spielen nach der EM war zu spüren, dass da eine gewisse Luft raus war. Das Qualifikationsspiel in Wien war schlecht, ja, aber glauben Sie mir, es bedarf auch Zeit, ein Negativerlebnis wie das Turnieraus zu verarbeiten. Das ist wie bei einer Trauer, die eine gewisse Phase braucht.

Ist das der Fluch der guten Tat? Die Mannschaft besitzt fantastisches Potenzial und hohe Sympathiewerte, doch dann kommt sie nicht durchs Ziel. Das ruft auch Emotionen hervor.

Mir ging es ähnlich nach der ersten Wut und Enttäuschung. Jeder hat doch gedacht, dass wir eigentlich die Italiener schlagen müssen, wir sind die bessere Mannschaft. Das sage ich jetzt noch.

Dieses eine Spiel hat ausgereicht, um vieles, was sich die Mannschaft aufgebaut hat, ins Wackeln zu bringen. Wie erklären Sie sich das?

Bei uns wackelt es gar nicht, dieser Eindruck wird von außen geweckt. Unsere Fallhöhe war eben sehr hoch. Mir war bewusst, dass viele Dinge in Frage gestellt werden, wenn der ganz große Erfolg ausbleibt. Dies sind die Mechanismen, die ich kenne. Problemthemen wie die angebliche Verweichlichung und Überversorgung der Nationalspieler schlummern doch latent.

Was halten Sie den Vorwürfen entgegen?

Noch einmal, ich versuche das Ganze differenziert und nüchtern zu betrachten. Wenn von Überversorgung gesprochen wird, dann nehme ich nicht alle populistischen Äußerungen auf. Ich versuche trotzdem zu verstehen, wie dieser Eindruck entsteht.

Und, wissen Sie’s?

Nein. Nehmen Sie den Vorwurf der totalen Vermarktung der Nationalmannschaft. Was heißt das konkret? Bei genauer Nachfrage kann mir das keiner erklären. Oder soll das heißen, kein Sponsorship mehr einzugehen? Für mich stellt sich die Frage, wie wir Kritik, die oftmals auf Gefühlen oder subjektiven Wahrnehmungen beruht, sachlich und konstruktiv begegnen. Ich sage aber auch, dass ich nicht immer Zustimmung für alles brauche, was wir tun, was wiederum nichts mit Überheblichkeit zu tun hat. Wir dürfen durchaus auch noch selbstbewusst sein und von unserem grundsätzlichen Weg, an dem wir weiter festhalten, überzeugt sein.

Aber vielleicht hilft ein bisschen Trubel, wie die Leistungssteigerung in Dublin zeigt.

Ich bin gar nicht mal böse, dass wir Phasen wie diese haben. Ich wünsche sie mir nicht, aber das Gute an ihnen ist, dass man noch näher zusammenrückt und sich fokussiert aufs Wesentliche, nämlich diese Mannschaft weiterzuentwickeln.

Gehört dazu, eine Balance zu finden zwischen guter Laune und Reibung?

Auch das ist mir zu oberflächlich. Erst wirft man uns vor, dass wir eine Wohlfühloase schaffen. Jetzt heißt es, da knallt es aber ordentlich. Richtig ist doch, dass wir uns auch jetzt wohl fühlen und dass es auch schon immer mal wieder intern geknallt hat. Ich sage deutlich: Wir leben nicht in einer Traumwelt oder unter einer Glocke, wo wir der Realität entschwunden sind.

Sondern?

Nehmen Sie die Kritik von Uli Hoeneß. Er wollte damit nichts Negatives oder Schlechtes. Das ist seine Art. Er hat das oft bei den Bayern gemacht, in der Erwartung einer Reaktion. Aber er kennt nicht unsere Sponsorenverpflichtungen, und Tischtennis wird auch beim FC Bayern gespielt. Mich ärgert, wenn wir im Fußball uns der Oberflächlichkeit hingeben. Wenn man der Frage nachgehen will, ob unsere Profis zu verwöhnt sind, dann kann man das nicht an der Tischtennisplatte ableiten.

Aber den Nationalspielern von heute wird schon einiges geboten, oder?

Sicher, wie bei vielen großen Vereinen und Verbänden auch. Das ist aber nicht unsere Erfindung. Schon zu Zeiten von Teamchef Franz Beckenbauer wohnte man in guten Hotels und sorgte man dafür, gute Bedingungen zu schaffen. Genauso liegt der Erfolg der letzten Jahre nicht nur an uns. Die Götzes oder Özils haben wir von den Vereinen zur Verfügung gestellt bekommen. Das wissen und schätzen wir. Wir sollten alle begreifen, dass die Nationalmannschaft die Mannschaft Deutschlands ist.

- Das Gespräch führte Michael Rosentritt.

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