zum Hauptinhalt

Engagement: Da dreht was

Das Fahrrad hilft die Welt verbessern: Berliner Rad-Initiativen setzen sich für mehr Miteinander im Kiez ein - und gegen die Wegwerfkultur.

Radeln ohne Alter - Nicht ohne meine Oma
Auch wer selbst nicht mehr aufs Rad steigen kann, hat ein Recht auf Wind in den Haaren. So lautet das Motto der Gruppe Radeln ohne Alter, die nun schon seit einem Jahr Senioren in der Rikscha spazieren fährt. Im Gegensatz zu touristischen Fahrradtaxen tragen die Senioren-Rikschas ihre Kabine vorne. Denn die Passagiere sollen sehen und gesehen werden. Die Wirkung sei erstaunlich, schwärmen die ehrenamtlichen Chauffeure. Berlin liege den alten Herrschaften regelrecht zu Füßen. Und der Tapetenwechsel lasse die Senioren aufblühen.
Der Schöneberger Calle Overweg hat das Konzept aus Dänemark importiert, wo die Initiative 2012 startete. In Berlin stehen inzwischen vier Rikschas mit Elektro-Unterstützung bereit, die auch Nicht-Mitglieder gegen Spenden nutzen dürfen, um ihre Verwandten spazieren zu fahren. 15 aktive Piloten sind zurzeit regelmäßig unterwegs. Jeden Samstagnachmittag lädt die Gruppe zur Einführungsfahrt auf dem Tempelhofer Feld ein. www.radelnohnealter.de

Rückenwind - Fahrräder für Flüchtlinge
Anfang 2015 schaute der Student Lukas Heidenreich auf die Bedarfsliste der Bürgerinitiative „Moabit hilft“ und stellte fest: Fahrräder sind ein Dauerbrenner. Schließlich müssen Asylsuchende wegen verschiedener Behördengänge oft quer durch die Stadt reisen. Das brachte ihn auf die Idee, alte Fahrräder für Flüchtlinge fit zu machen - die Initiative Rückenwind war geboren.

Zwei Mal in der Woche reparieren Studenten nun in der Werkstatt im Neuköllner Sharehouse Refugio gespendete Räder. Doch mittlerweile ist der Keller voll, und die Helfer mussten sogar erste Fahrradspenden ablehnen. Mehr als 200 Fahrräder konnte die Gruppe bereits an Asylsuchende übergeben, 200 weitere stehen auf der Warteliste. Jetzt will die Initiative die Flüchtlinge selbst zu Fahrradmechanikern ausbilden und dann eine Selbsthilfe-Werkstatt eröffnen. Dort können sich dann die Berliner von Flüchtlingen beim Reparieren helfen lassen. www.rueckenwind.berlin

BikeSurf  - Ein Rad auf  Zeit
Ein Fahrrad in Berlin mieten, bis zu sechs Monate lang, was kostet das? Bei BikeSurf nur eine Spende. 40 Räder gehören dem Projekt, und im Sommer steht keins davon still. Die Kunden kommen aus aller Welt. „Das sind die Leute, die entweder gerade erst nach Berlin gekommen sind und noch nicht das passende Rad für sich gefunden haben“, erklärt die Organisatorin Olga Andreeva. „Oder sie sind nur für ein Praktikum hier und es lohnt sich für sie nicht, ein eigenes Fahrrad zu kaufen.“
BikeSurf startete vor knapp drei Jahren. Erfinder Graham Pope wollte möglichst viele Berlin-Besucher überreden, die Stadt vom Sattel aus zu erkunden. Und am besten wirbt man für eine Sache bekanntlich, indem man sie kostenlos anbietet. Da der Wartungsaufwand aber sehr hoch ist, wurde aus dem Motto „kostenlos“ mittlerweile „zahl, was du willst!“. Auf ihrer Webseite listet die Gruppe akribisch auf, wie viele Spenden eingehen und wofür sie ausgegeben werden. Daran kann jeder sehen: „Das Geld fließt wirklich immer gleich zurück ins Projekt und die Projektentwicklung.“ Wer BikeSurf unterstützen möchte, kann Geld oder Ersatzteile spenden. Der beste Einstieg in das BikeSurf-Team seien eigene Ideen, wie sich das Projekt weiter verbessern lasse, sagt Andreeva. Die darf der Neuling dann auch gleich in die Tat umsetzen. www.bikesurf.org

Taschengeldfirma - Kiez-Werkstatt für Jugendliche
Eine der vielen kulturellen Errungenschaften auf dem Tempelhofer Feld ist eine kleine, mobile Fahrradwerkstatt, die Reparaturen gegen Spende anbietet. Nach Schulschluss und an Wochenenden schrauben Jugendliche hier, was das Zeug hält. Eine Hälfte der Einnahmen dürfen sie als Taschengeld behalten. Die andere Hälfte geht an den Verein Taschengeldfirma, der seit 2010 Jugendliche aus benachteiligten Familien unterstützt, um sie auf das Berufsleben vorzubereiten. „Die in der Werkstatt erlernten Fähigkeiten stärken auch das Selbstbewusstsein der Teenager“, beobachtet Vereinsgründer Talu Tüntas.
Dank einer Kooperation mit dem Energieseminar der TU Berlin beschäftigt sich der Verein auch mit dem Thema erneuerbare Energien. Ein pedalbetriebenes Open-Air-Kino feierte letztes Jahr auf dem Tempelhofer Feld Premiere. Dieses Jahr baut die „Firma“ ein zehn Meter hohes Windrad, das Strom für Nachbarschaftsinitiativen auf dem Flugfeld produzieren soll. Zur Einweihung Anfang Mai soll auch das Fahrradkino wieder flackern. www.taschengeldfirma.net

Flicken e.V. - Retter der Fahrradschläuche
Wo Fahrradwerkstätten normalerweise aufgeben, fängt die Arbeit für die ehrenamtlichen Helfer des Kreuzberger Flicken-Vereins an. Kaputte Fahrradschläuche fallen auf Berlins Straßen reichlich an. „Keiner davon gehört in den Müll“, findet Lars Kriener, der Gründer des Vereins. Recycling und Upcycling lauten die beiden neudeutschen Zauberwörter, um die sich bei ihm alles dreht.
Einmal im Monat veranstaltet Flicken e. V. den Berliner Fahrradmarkt (siehe Seite 96), auf dem gebrauchte Fahrräder günstig zu haben sind und Reparaturen alter Drahtesel gegen Spende angeboten werden. Der Flohmarkt hat sich schnell zu einem Treffpunkt für sozial und künstlerisch engagierte Fahrrad-Enthusiasten entwickelt. Die ehrenamtlichen Fahrradmechaniker haben alle Hände voll zu tun. Für die diesjährige Saison sucht Kriener schon nach Verstärkung. „Es wird im Sommer wieder richtig viel zu tun geben“, sagt der Vereinsgründer. „Wir brauchen jede helfende Hand.“ www.berlinerfahrradmarkt.de

24 neue Fahrradtouren finden Sie im neuen „Tagesspiegel Radfahren in Berlin und Brandenburg“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false