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Serienfabrikate. 142 000 Tonnen Backwaren verkauft Bahlsen jährlich.

© Kitty Kleist-Heinrich

125 Jahre Bahlsen: Der Schokoladen

Berlin ist Bahlsens Hauptstadt für alles mit Kakao. Gerade werden die Weihnachtskekse gebacken – und das Firmenjubiläum gefeiert. Ein Fabrikbesuch.

Das Eckige schlägt in diesem Fall das Runde, das ist für Karl-Heinz Gnatzig gar keine Frage. Denn der Leiter des Berliner Bahlsen-Werks hat immer ein Auge auf den ewigen Konkurrenten Griesson-DeBeukelaer gerichtet und spannt sich richtig durch, wenn die Rede auf die nicht unberühmte „Prinzenrolle“ kommt. Ist das nicht das Vorbild von Bahlsens Umsatzrenner „Pick up“? Das lässt er nicht auf sich sitzen. Also, erst einmal sei das keine Schokolade, sondern ein Klacks Pflanzenfett, den die Konkurrenz verwende, erklärt er. „Und dann sind die Dinger auch rund. Das ist natürlich viel einfacher als die eckige Form, weil die sich maschinell viel leichter wenden lassen.“

Damit wäre das klargestellt, und klar ist auch, dass die 125-jährige Geschichte der Firma Bahlsen vom Stolz auf das Erreichte getrieben wird. Gnatzig, Maschinenbauingenieur, 57 Jahre alt und bei Bahlsen seit 27 Jahren, steht mit seiner Person beispielhaft für ein Familienunternehmen, das die Rotation seiner Top-Manager quer durch Länder und Branchen nicht als Grundprinzip setzt, sondern eher die Kontinuität betont. Dazu gehört auch, dass Gnatzig schon Werksleiter war, nämlich im Stammsitz in Barsinghausen, bevor er nach Berlin entsandt wurde, und nun schon über ein Jahrzehnt von hier aus im Qualitäts-Wettstreit steht mit den Kollegen: in Barsinghausen, Varel und im polnischen Skawina.

Das Fundament des Imperiums: der Leipniz-Keks

Das gesamte Imperium beruht – das weiß nahezu jeder Deutsche – auf dem Leibniz-Keks. Aber auch die Türme sind bekannt. Sie stehen vor Hannover dick und silbrig in der Gegend herum, und auch Berlin hat einen. Und jeder, der sie mal aus der Entfernung gesehen hat, der weiß: gehört zu Bahlsen. Die Firma feiert Jubiläum Anfang Juli, ein Jubiläum, wie es in der deutschen Industriegeschichte sicher nicht allzu häufig ist, zumal bei einem so großen Familienunternehmen ohne fremde Investoren.

Dass aus der Bäckerei, die Hermann Bahlsen 1889 in Hannover gründete, nach heftigen Machtkämpfen unter seinen drei Enkeln im Jahr 1999 drei selbstständige Unternehmen geworden sind, scheint die Feierlaune in Hannover nicht zu trüben. Das Grundprinzip ist einfach: Werner M. Bahlsen übernahm die Süßigkeiten und den Namen, Lorenz führt unter der Marke „Lorenz Snack World“ die salzigen Snackprodukte fort, und Hermann Bahlsen hat bis zu seinem Tod Anfang Juni die Auslandsbeteiligungen und Immobilien verwaltet.

Wie aus den "Cakes" der "Keks" wurde

Wer also nun mit offenem Autofenster in der Gegend der Tempelhofer Oberlandstraße unterwegs ist, der ahnt mit diesem Basiswissen: dieser süße Duft gehört zu Werners Reich. Aber er kommt nicht aus dem klotzigen Turm, denn der riecht nicht. In ihm stecken einfach 20 gut verpackte Silos, in denen Mehl und Zucker untergebracht sind.

Nur noch sieben davon werden benutzt, denn mehr Platz brauchen sie in Berlin gar nicht. „Das war eine Auflage des Senats zu Mauerzeiten“, sagt Gnatzig, „die Dinger mussten aus Vorratsgründen immer bis obenhin voll sein“. 1967 kam Bahlsen nach Berlin, und selbstverständlich lag das daran, dass jeder Arbeitsplatz in der Teilstadt üppig subventioniert wurde. So üppig, dass 20 ewig volle Silos unter Kostenaspekten kein Thema waren. Diese Zeiten sind lange her, und die meisten Firmen, die sich von der Staatsknete in die Mauerstadt locken ließen, sind längst wieder weg. Bahlsen ist geblieben – und beschäftigt konstant rund 300 Mitarbeiter, die zum Teil nach wie vor im Schichtdienst Kekse backen, nonstop, von Montag bis Freitag.

Berlin ist die Schokoladenhauptstadt von Bahlsen

Allerdings: Kekse backen, das klingt ein wenig zu flapsig für das, was in Berlin geschieht. Denn das Berliner Werk entlässt keinen einzigen Leibniz-Keks so in die Welt, wie er aus der Backstraße kommt. Es ist in der internen Arbeitsteilung der Produktionsstätten der Platz für die Sachen mit Schokolade, die allerdings immer zumindest einen keksigen Kern haben.

Ein zentrales Berliner Produkt sind die „Pick up“-Riegel, ein Streifen Schokolade zwischen zwei Gebäckstreifen mit einer angedeuteten Sollbruchstelle, die ihre Verwandtschaft mit dem Leibniz-Keks allerdings nicht verleugnen – mit dem hat nun mal alles angefangen, er trägt die Firmenbilanzen und ist auch eine eigene Dachmarke mit dem Wort „Bahlsen“ nur im Kleingedruckten.

Schon das Wort „Keks“ ist ein Unikum. Denn die meisten Kunstworte, die in der deutschen Sprache herumgeistern, lassen sich selten auf ihren ganz konkreten Ursprung zurückführen; der Keks schon. Hermann Bahlsen, der Gründer, hat das Wort persönlich geprägt, als er beschloss, die typisch englischen Kuchen in seine Heimat zu bringen. Er hatte als Zuckerhändler auf der Insel gelebt, kaufte nach seiner Rückkehr 1889 eine Firma, die Backwaren im englischen Stil herstellte und nannte sie „Hannoversche Cakesfabrik“. Besonderheit: Die Kuchen wurden nicht lose verkauft, sondern in Tüten. Drei Jahre später erschuf Bahlsen seine Butter-Cakes mit den 52 Zähnen, die er nach dem Philosophen und ehemaligen hannoverschen Hofbibliothekar Gottfried Wilhelm Leibniz benannte: „Was ißt die Menschheit unterwegs? Na selbstverständlich Leibniz-Cakes“. Weil aber die Kunden das Wort immer nur schroff deutsch aussprachen, schrieb Bahlsen es dann auch so hin: Keks.

Am Stammsitz des Unternehmens in Hannover hängt seit 1913 eine Skulptur mit einem goldenen, 20 Kilo schweren Leibniz-Keks. Dessen Verschwinden ein Jahrhundert später schlug internationale Wellen – der Täter, das anonyme „Krümelmonster“, gab ihn zurück, nachdem Bahlsen 52 000 Packungen Kekse an Kinderheime gespendet hatte.

1935 kamen die Salzstangen, 1951 die Chips

1905 nahm Bahlsen in Hannover das erste Verpackungs-Fließband in Betrieb. Später war es wieder der amerikanische Einfluss, der das Unternehmen auf der salzigen Seite antrieb: Die Salzstangen, 1935 in Deutschland eingeführt, hatte Klaus Bahlsen, einer der Söhne des Gründers, in den USA kennengelernt. Die erste automatische Produktionsanlage für Kartoffelchips folgte 1951, weil zahllose in Deutschland stationierte amerikanische Soldaten den Crunch der Heimat vermissten. Heute beschäftigt Bahlsen – die süße Firma – etwa 2600 Mitarbeiter, verkauft jährlich rund 142 000 Tonnen Backwaren in mehr als 80 Länder und erzielt damit einen jährlichen Umsatz von etwa 520 Millionen Euro.

Weihnachten im Sommer

Manche Arbeitsschritte der Weihnachtsgebäckproduktion werden in Berlin noch per Hand erledigt.
Manche Arbeitsschritte der Weihnachtsgebäckproduktion werden in Berlin noch per Hand erledigt.

© Kitty Kleist-Heinrich

Denn Kekse sind hier längst nicht alles. Dies ist der richtige Zeitpunkt, das Weihnachtsfest zu erwähnen, denn das ist bei Bahlsen im Frühsommer schon gelaufen. Die 2012 öffentlichkeitswirksam verkündete Absicht, die Produktion von Weihnachtsgebäck wegen des hohen Kostendrucks komplett einzustellen, erstarb im weltweiten Gegenwind.

Auf einer der schier endlosen Backstraßen in Tempelhof läuft in diesen letzten Junitagen ein Auftrag für die USA, das kleine gemischte Weihnachtsgebäck in der Tüte, das in Deutschland nicht mehr besonders gefragt ist. Der Maschinenführer lässt von oben batzige, leicht nach Lebkuchen duftende Teigmasse aufs Band plumpsen, überwacht den Feuchtigkeitsgrad. Der Teig wird dünn gewalzt, eine Rolle formt daraus Glocken, Sterne, Kringel, das volle Erbauungsprogramm für die Adventszeit.

Kabumpf, kabumpf! Dann ist die Marmelade auf dem Keks

Diese Rohlinge laufen etwa drei Minuten lang durch die Backstraße, werden zum Abkühlen kreuz und quer durch die Halle geschickt. Ein Drittel wird weiß gepudert, ein Drittel mit Schokolade überzogen, das dritte Drittel nur mit dünnen Schokostreifen verziert. Es gibt auch welche mit Marmeladen, kabumpf, kabumpf spuckt ein präzise getakteter Mechanismus einen roten Klecks in die Mitte. Den allerdings kontrolliert ein echter Mensch, der konzentriert auf die langsam vorbeiwandernden Teilchen starrt und alle paar Sekunden ein paar davon aussortiert: „Da ist zu viel Marmelade drin“. Zu viel jedenfalls für den regulären Markt, aber gut genug für den Fabrikverkauf, der einen großen Teil der B-Ware abnimmt; was die Maschinen total vermurksen, wird aber auch nicht weggeworfen, sondern zum Beispiel irgendwo der Tierfutterproduktion beigemischt.

Weihnachten, zweiter Teil: Lebkuchen. Auch der wird, sofern mit Schokolade überzogen, in den Berliner Öfen gebacken, und das auch schon im Juni. Weil die Kunden disponiert haben, weil die Auslieferung läuft, weil der Handel nach den Sommerferien ... „Das finde ich völlig in Ordnung“, sagt Gnatzig sachlich. „Das würde ja nicht in den Läden liegen, wenn die Leute es nicht kauften“. Gerade läuft die Sorte „Jupiter“ über die Bänder, haltbar bis 1. März 2015 – das passt bis Heiligabend.

Diese Backstraße ist insofern etwas Besonderes, als am Ende ein Dutzend Frauen daran arbeitet, diese Lebkuchen per Hand in die Schachteln zu packen, ein Hauch von Leben in der sonst ziemlich menschenleeren Halle. Aber warum? Jede Frau greift sich exakt sieben Stück vom Band – und dreht eins davon um, bevor sie es in die Packung steckt. Der Werksleiter erklärt: Wenn der Karton mit der Schutzfolie umschlossen wird, erwärmen sich die Enden. Weil das die Schoko-Oberflächen verändern würde, müssen jeweils die weniger empfindlichen Unterseiten nach außen zeigen.

Kreative Stagnation. So lautet ein Vorwurf

Probleme kennt die Firma allerdings auch. Sie ist nicht unfehlbar und hat sich den Vorwurf der kreativen Stagnation anhören und im vergangenen Jahrzehnt mit auffälligen Neuschöpfungen ein paar Niederlagen einstecken müssen. Beispielsweise mit „Conditola“, dem Kuchen im Glas, der zwar gute Kritiken bekam, aber doch wohl zu teuer verpackt war. Auch „La Viva“, der mit Roh-Rohrzucker gesüßte Wellness-Keks, scheiterte und der Versuch, sich mit „Cielo“ an den Pralinenmarkt heranzupirschen, wurde gleichermaßen diskret beendet. Gegenwärtig geht es den Keks-Designern in Barsinghausen vor allem darum, dicht am Zeitgeschmack zu bleiben – sie sprangen auf den Brownie- und Cookie-Trend auf und brachten allerhand Cappuccino- und Caffè-Latte-Varianten in die Regale.

Schließlich wurde gerade vor einigen Monaten sogar das uralte Bahlsen-Firmenlogo verändert, das Wort „TET“ mit der Hieroglyphen-Schlange, das auf Altägyptisch für „Ewig, dauernd“ steht und schon 1903 als Markenzeichen eingetragen wurden – allerdings nur bei der Marke Bahlsen, nicht beim Leibniz-Keks. Seither prangt auf jeder Packung der Bahlsen-Schriftzug mit einem roten Kreis um den letzten Buchstaben der Signatur, von Geschäftsführer Sönke Renk erfrischend offen begründet: „Wir wollten das Oma-kommt-zu-Besuch-Image loswerden“. Renk, ein Marketing-Spezialist, gilt als der, der die Firma innovativ für die nächsten 125 Jahre anschieben soll – er plant kleinere, extra verpackte Portionen, will den Trend zu gesünderen Süßigkeiten bedienen, verspricht neue Produkte und eine entschlossene Sortimentsbereinigung.

Im Jahr 2139, wenn weitere 125 Bahlsen-Jahre vergangen sind, wird er voraussichtlich nicht mehr leben. Aber der Leibniz-Keks, nur echt mit 52 präzise gebackenen Zähnen, könnte es durchaus noch schaffen bis dahin.

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