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Foto: Anja Niedringhaus/epa/p.a.

© Anja Niedringhaus/epa/p.a.

20 Jahre Bosnien-Einsatz: Als Deutschland wieder in den Krieg zog

Zertrümmerte Städte, Einschusslöcher, Minen. Vor 20 Jahren brach die Bundeswehr zu ihrem ersten Nato-Einsatz auf. Zwei deutsche Soldaten erinnern sich an den Präzedenzfall in Bosnien.

Von Katrin Schulze

Auf einmal stand Hanns-Christian Klasing mitten in Klein-Stalingrad. Links zerstörte Häuser, rechts ebenfalls, auf der Straße ein Bus voller Einschusslöcher. In der einst so urigen Stadt Mostar war nichts wie vorher. Auch die berühmte Brücke Stari Most, die seit dem 16. Jahrhundert bogenförmig über das Flüsschen Neretva geführt hatte, lag in Trümmern, weshalb Mitte der 90er Jahre eben alle nur noch Klein-Stalingrad zu Mostar sagten.

Im Dezember 2015 steht Hanns-Christian Klasing hinter dicken Stahltoren in der Henning-von-Tresckow-Kaserne am Rand von Potsdam. Heimat des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, versteckt mitten im Wald, Zugang nur nach vorheriger Anmeldung möglich. Der Reservist absolviert hier seit Kurzem eine Wehrübung und bittet in einen Konferenzraum der Kaserne. In seinem marineblauen Bundeswehrpullover, der ihn als Fregattenkapitän ausweist, beugt sich Hanns-Christian Klasing über alte Fotos. Sorgsam hineingesteckt in ein Album voller Klarsichtfolien zeigen sie Soldaten, die auf einem Flugfeld in Reih und Glied antreten. Kameraden, die im Lager in die Kamera lächeln. Die kaputte Stadt Mostar aus der Luft und von ganz nah.

So also sieht Krieg aus. Krieg, den deutsche Soldaten eigentlich nicht mehr mit eigenen Augen sehen sollten. Mittlerweile ist es genau 20 Jahre her, dass die Bundeswehr zu ihrem ersten Nato-Einsatz aufbrach. Zur ersten Auslandsmission, bei der zur Not auch geschossen werden sollte. Es war der Beginn der Bundeswehr als Einsatzarmee, wie sie heute selbstverständlich ist. Anfang Dezember hat der Bundestag wieder so einen Kriegseinsatz beschlossen, von dem keiner weiß, was von ihm zu erwarten ist. Für Hanns-Christian Klasing, 55, spielt es keine Rolle, dass die aktuelle Mission in Syrien nicht auf Kampf ausgelegt ist, dass sich die Bundeswehr in erster Linie mit Aufklärungstornados beteiligt. „Flieger müssen sich vor Angriffen schützen“, sagt er trocken. „Egal wie ihre Mission aussieht.“ Auch sonst spricht der Marinesoldat von Krieg und Frieden, von Leichen und von Schusswechseln wie andere von ihrem letzten Mittagessen. Er wolle nicht herzlos klingen, sagt er, aber als Soldat könne man eben nicht an jedem Schicksal Anteil nehmen.

Der Umgang mit dem Tod gehört inzwischen zum Soldatenberuf

Als das deutsche Vorauskommando für den Nato-Einsatz am 22. Dezember 1995 Richtung Bosnien zog, gehörte Klasing selbst noch nicht dazu. Es war der Tag, an dem Deutschland die Meldung von einem Marine-Unteroffizier erreichte, der bei einer Übung auf einer Fregatte in der Adria umkam. Das Schiff sollte das Waffenembargo gegen Ex-Jugoslawien überwachen. „Böser hätte es nicht kommen können“, schrieb der Tagesspiegel damals. Dem mag Hanns-Christian Klasing nur bedingt zustimmen. Der Umgang mit dem Tod gehört aus seiner Sicht inzwischen zum Soldatenberuf wie der Umgang mit der Waffe. „Jeder, der sich verpflichtet, kann davon ausgehen, in einen Auslandseinsatz zu kommen“, sagt er. „Und wenn Soldaten kämpfen, müssen sie mitunter töten und sich der Gefahr aussetzen, getötet zu werden. Das ist nicht die Regel, aber es gehört dazu.“

Hanns-Christian Klasing kann sich noch gut an die Zeit erinnern, als die Menschen unter völlig anderen Voraussetzungen zum Bund kamen. „Wir haben an der innerdeutschen Grenze gesessen und hatten mit Auslandseinsätzen oder UN-Missionen nichts zu tun.“ Viele seien davon ausgegangen, „hier friedlich ihren Job zu machen und irgendwann in Pension zu gehen“. Noch im Sommer 1989 erzählte er seinen Rekruten als Zugführer bei der Grundausbildung voller Überzeugung, dass sie die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten wohl nicht mehr erleben werden. Als er sich an diese Episode erinnert, muss Klasing loslachen.

Es ist eine von wenigen Gefühlsregungen an diesem Tag. Ansonsten verzieht er mit seinem schmalen Mund kaum eine Miene. Man fragt sich, ob Hanns-Christian Klasing wirklich so cool ist oder ob er einfach nicht mehr von sich preisgeben will. Ob er generell niemanden an sich heranlässt oder verdrängt. Jedenfalls blockt er ab, sobald es persönlich wird.

Politisches Durchringen zum Kampfeinsatz

Wie war das nun also mit Bosnien? „Ziemlich kontrovers“, sagt er. „Auf allen Ebenen wurde darüber diskutiert, ob das nötig und rechtens ist.“ Glücklicherweise habe da ja bereits das Urteil des Verfassungsgerichts vorgelegen. Tatsächlich beschlossen die Richter in Karlsruhe ein Jahr vor dem Beginn der sogenannten Ifor-Mission in Bosnien 1995, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr „zur Wahrung des Friedens“ unter bestimmten Voraussetzungen verfassungskonform sind. Auf jeden Fall müsse das Parlament darüber abstimmen.

Leicht gesagt. Vor der Entscheidung über den ersten Auftrag, der ausdrücklich eine Kampfmission einschloss, haderten vor allem zwei Parteien. Die SPD ließ kaum eine Möglichkeit aus, auf die großen Risiken hinzuweisen, stimmte dem Einsatz aber zu. Die Grünen zerriss es fast: 22 Abgeordnete stimmten mit Ja, 22 mit Nein, fünf enthielten sich. Als sich der Bundestag schließlich durchrang zum Kampfeinsatz, sprach Kanzler Helmut Kohl von einer „Entscheidung, die einen Einschnitt im Leben unseres Volkes bedeutet“.

Ein bisschen zu viel Drama für einen wie Hanns-Christian Klasing. Er nennt es eine schleichende Entwicklung. Weg von der Truppe, die jahrzehntelang nur für den unwahrscheinlichen Verteidigungsfall im eigenen Land geprobt hatte, hin zu einer Armee, für die Einsätze zum Selbstverständnis gehören. Als er selbst 1997 in seinen ersten Auslandseinsatz aufbrach, konnte er nicht ahnen, wie viele noch folgen würden. Dass die Deutschen sich nach der Jahrtausendwende unter anderem in Afghanistan, in Mali, im Kosovo und im Bürgerkriegsland Syrien engagierten. Von alldem erzählen die gerahmten Bilder, die hinter Hanns-Christian Klasing im Konferenzraum hängen.

Der Junge geht nach Bosnien und da ist Krieg

Offiziell sollte Klasings erste Mission „den Friedensvertrag für Bosnien-Herzegowina absichern“. Dass es um mehr ging, merkte er bei der Vorbereitung. Da erfuhr er von der Minengefahr im Land. „Diese Bedrohung war latent immer da.“ Er musste im Training einen Schuss über sich ergehen lassen, der direkt über seinen Kopf hinwegflog – um zu wissen, wie laut das ist („sehr laut“). Und er musste das richtige Verhalten bei Geiselnahmen trainieren („ziemlich realitätsnah“).

Diese „neue, ungewöhnliche Art der Ausbildung“ trug zum einen dazu bei, dass sich der damalige Korvettenkapitän ein bisschen besonders fühlte. Zum anderen gab es ihm Sicherheit. Eine, die seine Eltern und seine Schwester nicht haben konnten. „Für sie war das Gefühl vor der Abreise viel unangenehmer als für mich“, sagt er. „Die wussten nur, der Junge geht nach Bosnien, und da ist Krieg.“

Krieg lässt sich nicht einstudieren. Vor allem nicht die Verarbeitung der vielen Bilder zerstörter Häuser und zerstörter Leben. Da braucht man nur Daniel Ziegler zu fragen. Was Hanns-Christian Klasing in Mostar erlebte, musste sich der damals 22 Jahre junge Stabsunteroffizier etwa zeitgleich in Sarajevo anschauen. „Ich bin aus dem Flieger gestiegen und war schockiert vom Grad der Zerstörung“, erzählt er. „Einige Häuser bestanden nur noch aus dem Kamin, Straßenkreuzungen waren als solche nicht mehr zu erkennen.“ So also sieht Krieg aus.

Mit geladener Waffe durch die Stadt

Klasing und Ziegler kennen sich nicht, aber sie sehen sich erstaunlich ähnlich. Halbglatze, normal groß, normal gebaut, Brille. Nur haben die Einsätze den Jüngeren nachhaltiger geprägt. Daniel Ziegler arbeitet heute als Abteilungsleiter bei einem Lebensmittelunternehmen in Aachen, sein Interesse am Bund aber ist geblieben. Er engagiert sich in Facebook- Gruppen rund um die Einsätze und tauscht sich mit alten Kameraden aus.

1997 hat er sich freiwillig für den Bosnien-Einsatz gemeldet. Heute spricht er trotzdem davon, „ein Leidtragender der politischen Entscheidung“ gewesen zu sein. Allein dieses seltsame Gefühl, mit geladener Waffe durch die Stadt zu laufen. Auf alles gefasst zu sein. Die Angst vor den Minen, vor denen die anderen ihn immer und immer wieder gewarnt haben. Die Angst in den Gesichtern der anderen. Nein, traumatisiert worden sei er dort nicht, sagt Ziegler, im Gegensatz zu einigen Soldaten in seinem Umfeld. Seine Einstellung habe sich trotzdem schnell verändert, spätestens seit drei seiner Kameraden bei einem Hubschrauber-Absturz in Afghanistan starben. Ziegler war Versorger bei den Heeresfliegern und ist heilfroh darüber, nicht in den Kosovo oder nach Afghanistan geschickt worden zu sein.

Es reichte schon, dass er 2001 noch einmal für die Bundeswehr nach Sarajevo musste, wo dann zwar alles organisiert war „wie in einem deutschen Feldlager“, aber es handelte sich immer noch um einen Auslandseinsatz. Und an eine Nachbereitung, wie sie inzwischen üblich ist, mit Seminaren und einer Präventivkur, war damals noch nicht zu denken. Etwas Gutes immerhin hat er mitgenommen aus seinem ersten Einsatz in Bosnien – seine Frau, die er dort kennengelernt hat. Aber generell findet Daniel Ziegler Krieg „nur noch blödsinnig“. „Warum müssen Soldaten immer noch sterben? Worin besteht der Sinn?“, fragt er im Wissen, dass er keine rechte Antwort darauf finden wird.

Trauern im "Wald der Erinnerung"

Der Tod ist auch Hanns-Christian Klasing ganz nah. Nur wenige Schritte von seinem derzeitigen Einsatzort entfernt, stehen sie hundertfach, die Namen der im Einsatz gefallenen Soldaten, montiert auf Steinsäulen im „Wald der Erinnerung“. Einmal war er schon dort, sagt Klasing. Aber an diesem Dezembertag möchte er lieber nicht hingehen. Er weiß um die insgesamt 20 Soldaten, die bei der bisher längsten deutschen Auslandmission in der Geschichte der Bundeswehr bis 2012 ihr Leben verloren, bei Ifor und den Nachfolgemissionen Sfor und Eufor. Für einige von ihnen haben die Angehörigen noch eine individuelle Erinnerungsstätte an einem Baum angelegt. Blumen stehen da, Gedenktafeln oder gemalte Bilder von Kindern „für Papa“.

Hier wird die abstrakte Gefahr für Bundeswehrsoldaten, wie sie jetzt auch im Irak oder in Syrien besteht, konkret. In Bosnien hat Hanns-Christian Klasing davon nicht viel gespürt, sagt er. Interessant fand er es, dass die Bundeswehr mit Klamotten nach Bosnien marschiert ist, die für Nieselregen in der norddeutschen Tiefebene entwickelt worden waren – nicht für die extremen Temperaturunterschiede vor Ort: Im Sommer herrschten mitunter 40 Grad, im Winter musste er bei minus 20 Grad in Zelten schlafen. Ansonsten aber habe er „sein Programm abgearbeitet“, sagt er. Er war im internationalen Pressestab eingesetzt und ist bis heute überzeugt davon, dass alles schon nicht so schlimm ist, wenn man nur eine gute Vorbereitung absolviert.

Dinge, die Normalbürger erschrecken

Zumindest heikel wurde es einmal 1999 im Kosovo. Da stand er einer großen Gruppe schwer bewaffneter Paramilitärs gegenüber. Praktisch aus dem Nichts kamen sie mit Autos und kleinen Transportern die Straße entlang und hielten vor ihm, die Waffen am Anschlag. Doch als klar war, dass keiner dem anderen etwas Böses wollte, war’s auch schon vorbei. Die Gruppe fuhr weiter.

Natürlich sehe er als Soldat „schon mal Dinge, die den Normalbürger erschrecken würden“, sagt Hanns-Christian Klasing. „Aber nicht jeder Soldat kehrt traumatisiert zurück.“ Ihn selbst würden die gesammelten Eindrücke nicht beschäftigen. Damals nicht, heute nicht, und während der Arbeit im Ausland sei das sowieso kein Thema. „Man läuft vor allem anfangs den ganzen Tag fast nur im roten Bereich. Abends fällt man ins Bett, und dann ist gut“, sagt er. Und man ist geneigt, es ihm zu glauben. Ähnlich erging es Hanns-Christian Klasing in Kroatien, in Mazedonien, im Kosovo, in Dschibuti, zuletzt im Kongo – und irgendwie auch jetzt im Wald am Rand von Potsdam. Immer wieder krempelt er während des Gesprächs seinen Ärmel hoch, um auf die Uhr zu schauen. Termine, Termine, Termine. Keine Zeit zum Grübeln.

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