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Lebe, Mann. Detlef Uhlmann im Edel-Puff „Bel Ami“ – nirgends soll es in den 80ern toller gewesen sein.

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Berliner Ex-Bordellchef: Detlef Uhlmann - Jenseits von Eden

„Ich ziehe in den Krieg“, sagt Detlef Uhlmann. Er war mal eine große Nummer in West-Berlin. Chef des Luxus-Puffs "Bel Ami", Millionenbetrüger, Kapitän. Ein Prozess soll wieder alles zum Guten wenden.

Vielleicht hat Detlef Uhlmann Glück gehabt. Er hätte es doch auch viel schlechter erwischen können, als hier auf einem Schiff zu stehen. Als Kapitän der „MS Mecklenburg“ das Reisegepäck von Touristen durch die Berliner Flusslandschaft zu fahren, während die mit dem Fahrrad die Stadt erkunden und abends an Bord zurückkehren. Ist es nicht Glück, dass ein Reeder ihn einstellte auf seine alten Tage? Natürlich: Es gibt glamourösere Dinge, als jetzt am Potsdamer Bootsanleger mit einem Staubwedel zu stehen und gegen die Spinnweben zwischen Rettungsringen und Sonnensegel anzuwischen. Und es gibt vielleicht auch edlere Schiffe als diesen über 60 Jahre alten Lastkahn, der irgendwann einmal zum Hotelschiff umgebaut wurde. Aber dennoch: Wie viele Menschen können denn schon mit Anfang 70 noch einmal in den Beruf zurückkehren, in dem sie das letzte Mal vor ein paar Jahrzehnten arbeiteten? Erst recht, wenn sie gerade eine mehrjährige Haftstrafe hinter sich haben? Das ist die eine Sichtweise.

Das ganze schöne Leben: weg

Vielleicht hat Detlef Uhlmann aber auch Pech gehabt. Schließlich war er mal eine große Nummer in Berlin: Der Chef vom „Bel Ami“. Berlins edelstem Luxus-Puff. Luxus-Puff? Stimmt gar nicht, sagt Uhlmann. Ein „Club“ sei das „Bel Ami“ gewesen, da gab es Opern, da wurde gesungen. Helmut Newton hat dort fotografiert, der Playboy lobte Uhlmanns Laden, nirgends soll es toller gewesen sein als bei ihm. Die Spieler von Hertha BSC hatten es nicht weit vom Olympiastadion zu ihm in der Flatowallee. Das war damals: West-Berlin, 80er, 90er Jahre. Uhlmann war reich. Stinkereich. Und hat alles verloren: Steuerhinterziehung, Haftstrafe, seit Jahresanfang wieder draußen. Die Frau weg, die Villa weg, das ganze schöne Leben: alles weg. Das ist die andere Sichtweise.

So geht Uhlmann: Einmal ganz oben, dann ganz unten. Wenn es nach ihm geht, ist jetzt Halbzeit. Uhlmann will zurück. Als er zu einem der Größten wurde, stand die Mauer noch. War der Ku’damm nachts eine angesagte Adresse. War Geld in der Stadt, Berlinzulage, gab es Geld einfach nur dafür, dass man da war. Heute: alles anders. Aber Uhlmann ist noch da. Reicht das nicht als Grund? Ein alter Mann und ein Traum: Dass nicht vorbei sein darf, was vorbei zu sein scheint. Unterwegs mit dem Traumschiff. Leinen los.

Butterweich. Kapitän Uhlmann.
Butterweich. Kapitän Uhlmann.

© Rückeis

Ein neuer Club soll her

„Käpt’n Puff“ hat ihn der Boulevard genannt, das regt ihn auf. Überhaupt regt ihn so einiges auf. Schließlich ist er nicht irgendjemand! Ein Buch hat er über sein Leben geschrieben beziehungsweise schreiben lassen. In der ARD lief im Sommer ein Film über ihn, mehr als eine Million Zuschauer haben ihn gesehen. Ist das alles etwa nichts? Langsam nimmt die „MS Mecklenburg“ Fahrt auf, eine Tagestour Richtung Grünau. Uhlmanns Marschrichtung ist etwas grundsätzlicher.

„Ich ziehe in den Krieg“, sagt er, und zwischen Oberlippe und Nase bildet sich langsam ein Schweißfilm. „Krieg“ ist ein anderes Wort für Gerichtsprozess. Gekämpft wird in Cottbus, an diesem Donnerstag. Am Finanzgericht. Uhlmann will beweisen, sagt er, dass ihm Unrecht geschah. Dass man ihn reingelegt hat. Dass er der Gute in dem Spiel ist. Vielleicht der Tölpel, aber auf keinen Fall der Böse. „Die Gerechtigkeit gewinnt immer am Schluss“, sagt er, und Cottbus soll dieser Schlusspunkt sein. Danach kann’s wieder losgehen, eine halbe Million Euro brauche er für den Anfang. Ein neuer Club soll her. Die guten Anzüge, rund 1000 sollen es sein, sind noch alle da. Eingelagert in Wäschekartons, bei einem Kumpel in der Autowerkstatt.

Geschäftsmann. Nicht Zuhälter

Rückblende: 2007 kommt die Bankenkrise, das merken sie auch im „Bel Ami“. 2008 stellt Uhlmann einen neuen Buchhalter ein, der 2009 dem Finanzamt gewisse Unregelmäßigkeiten meldet: Auslandskonten, seltsame Geldbewegungen, Steuerhinterziehung? Im Finanzamt sitzt eine Frau, die sich sehr dafür zu interessieren scheint. Ein „grobes äußeres Erscheinungsbild“, laut Uhlmann, „kein Benehmen“, nur Neid und Hass auf ihn, den „erfolgreichen Geschäftsmann“. Eben: der Geschäftsmann. Und nicht: der Zuhälter. In Uhlmanns Weltbild scheint es Dinge zu geben, für die sich Frauen gut eignen. Und andere, aus denen sie sich besser raushalten sollten. Ihm das SEK auf den Hals zu hetzen beispielsweise. Nützt aber nichts.

Nach Thailand abgesetzt

Um sieben Uhr morgens im September 2009 kommt der Sturmtrupp mit gezogenen Waffen zu Uhlmann ins Schlafzimmer. Uhlmann geht in den Knast, Untersuchungshaft. Nach kurzer Zeit ist er mürbe, kann nicht mehr. Er lässt sich auf einen Deal ein, gesteht rund vier Millionen Euro hinterzogene Steuern und kommt dafür kurz vor Weihnachten aus dem Knast. In Wirklichkeit habe er nicht viel mehr als eine halbe Million hinterzogen. Das Problem: Für vier Millionen bekommt er drei Jahre und neun Monate. Haftantritt nach Jahresbeginn.

Hätte er da nicht merken müssen, dass sich hier etwas in die falsche Richtung entwickelt? Dass die Idee davon, wie seine Zukunft aussehen wird, sich durchaus unterscheidet von den Vorstellungen derjenigen, die darüber entscheiden? Ja nun.

Schlagerparade und Spitzenkoch

Er sei der Einzige, der hier nicht hingehöre, habe einer der Knastwärter immer zu ihm gesagt. Das sieht Uhlmann ganz ähnlich und setzt sich nach eineinhalb Jahren im offenen Vollzug kurzerhand ab. Nimmt das Flugzeug nach Thailand, kommt schnell wieder zur Besinnung und wieder zurück nach Berlin. Natürlich ist es dann Essig mit dem Freigang, Uhlmann sitzt bis zum Jahresanfang 2014 im Knast, ist seitdem auf Bewährung draußen, wartet auf die nächste Gerichtsverhandlung, fährt Boot.

Draußen ziehen die Potsdamer Villen vorbei, guck mal, wie hübsch alles ist, sagt er. Am Ufer stehen die Angler, auf den Bänken sitzen die Paare, Väter mit Söhnen, biertrinkende Singles. Auf dem Weg gen Osten verschwinden die Villen langsam, kommen die Industrieanlagen, die Industriebrachen. Gefallen ihm auch. Wer den Speisesaal der „MS Mecklenburg“ sieht, der sieht womöglich einen tristen Raum mit einem leeren Buffet und einer Musikanlage. Wenn abends Stimmung aufkommt, gibt’s die Auswahl aus Julio Iglesias und der „Großen Schlagerparade“. Wenn aber Uhlmann den Speisesaal sieht, dann sieht er den „Spitzenkoch“, der abends auf „höchstem Niveau“ Essen anbietet. Dann sieht er die „Super-Stimmung“ und die Gesellschaft, der er als Kapitän seine „Honneurs“ erweist.

Realitätsverlust - oder Optimismus

Uhlmann scheint einen Trick zu beherrschen: Er kann Sachen gut finden, die viele andere eher nicht so gut fänden. Und am besten scheint er es zu finden, wenn er dabei eine möglichst gute Figur abgibt. Im Kleinen wie im Großen. Im Gestern wie Heute. Da mögen sich längst Rocker und andere Banden das Rotlichtgeschäft aufgeteilt haben. Da mag es Flatrate-Bordelle geben: sooft man kann und will für kleines Geld. Da kann sich in Berlin alles in jeder Beziehung geändert haben in den letzten Jahren. Und dann kommt Uhlmann und glaubt, dass alles wieder so wird wie früher. Wo verläuft die Grenze zwischen Realitätsverlust und Optimismus? Und wann ist die Chance zum Absprung vertan? Was wird aus einem, der vor Jahrzehnten eine Menge Geld im Nachtleben verdient hat, wenn das Nachtleben nicht mehr so ist wie damals?

Der mit dem Haarhelm

Charlottenburg, ein paar Tage später: Mal Rolf Eden fragen, der kennt sich da aus. Kann man über das untergegangene Nachtleben West-Berlins schreiben, ohne ihn zu treffen? Ihn, den Playboy auf Lebenszeit, den Clubbetreiber, den heute 84-Jährigen mit dem Haarhelm? Also Auftritt: „Big Eden“. Großer, alter Mann. Edens Büro ist ein Eden-Museum, mit Eden-Sekt, Eden-Musik und Eden-Parfum, die Pappschachteln als Deko-Element überall im Raum. Die meisten sind leer. An der Garderobe hängen zwei Handtücher, auf dem roten Büro-Sofa liegt ein Kissen, Aufschrift: Playboy. Muss sein. Gehört zum Image.

Steuerhinterziehung? Ist doch üblich...

Tatsächlich verdient er sein Geld mit Immobilien. Nix mehr mit Diskos am Ku‘damm, 800 Mieter hat er, die halten ihn reich. Rechtzeitig den Absprung geschafft, anders als Uhlmann. Wie ist er denn so gewesen, der Uhlmann? Ein „netter Kerl, ein guter Geschäftsmann“, sagt Eden. Und die Frauen im „Bel Ami“ seien immer so hübsch gewesen. Wunderbar, das alles. Bei Eden ist immer alles wunderbar. Uhlmanns späterer Werdegang? Hat Eden nicht mitbekommen, warum auch. Macht doch nur schlechte Stimmung. Steuerhinterziehung? Das sei doch üblich in der Branche. Wer da alles anonymisierte Rechnungen haben will oder gleich gar keine – da seien hinterzogene Steuern kaum zu vermeiden.

Amore, Amore, Amore

Es ist – wenn man so will – der einzige kritische Eden-Satz. Eden ist der Party-Typ. Auf geplatzte Träume hat er keine Lust. Und auch nicht besonders viel Zeit an diesem Abend. Schließlich könne er sich weit bessere Dinge vorstellen, als auf einem roten Büro-Sofa einfach nur zu sitzen. Gleich komme noch Besuch, eine ehemalige Miss Germany habe sich angekündigt, da gebe es „Amore, Amore, Amore“, der Mann hat noch eine Aufgabe. Eden „unchained“.

Wie ein Kampf aus alten Zeiten, der hineinlappt bis in die Gegenwart: die Rotlichtmänner und die Frauen. Und die alte Frage: Wer hat mehr Frauen gehabt? Eden bietet 1000, mindestens. Uhlmann aber auch. Kein Kampf, stattdessen ein Gentlemen’s Agreement? Einfach immer 1000 sagen, dann muss keiner überbieten, und alle haben Ruhe? Noch so ein Traum: Bis zum letzten Atemzug ein wilder Kerl zu sein.

Der Preis steigt ständig

350.000 Euro soll die Frau bekommen, die mit Eden Sex hat im Moment seines Todes. Der Eden’sche Todesstoß, und ständig steigt der Preis. Auch Uhlmann ist nicht alleine auf der „MS Mecklenburg“, sagt er. Natürlich nicht, ein Mann wie er ist nie alleine, sagt er.

Eine Art Berlusconi-Effekt: Natürlich ist das albern, sich so zu benehmen, sagen manche. In einem Alter zumal, in dem andere Männer Enten füttern. Dann kommen die Spötter, die Pöbler, alle schimpfen, was für eine Witzfigur das doch ist. Aber dann wählen sie ihn. Wieder und wieder und wieder. Weil sie auch ein bisschen neidisch sind. Auf das wilde Leben, oder wenigstens die Geschichten darüber.

Eden vor der Tür

Auf die Eden-Geschichten von Miss Germany a.D. und seinem Dasein als begehrter Mann. Während man vor seinem Büro steht und darauf wartet, dass der Regen aufhört, tritt plötzlich Eden vor die Tür. Was macht der denn hier? Sollte der nicht längst auf der Couch liegen? Eden läuft langsam über die Straße, verschwindet in einer Konditorei, wo ein Rudel Rentner gerade Tortenschlacht veranstaltet. An einem Einzeltisch sitzt Eden. Wo ist überhaupt Miss Germany? Die kommt sicher später, die Dame. Vor Amore, Amore, Amore haben die Götter den Kuchen gesetzt.

Wieder rein in den Anzug

Damit zurück zur MS Mecklenburg, zurück zu den Uhlmann-Geschichten, die er da erzählt auf der Fahrt. Von den Problemen bei der Einrichtung der häuslichen Badezimmer: Welche Wasserhähne wohl am besten zum schwarzen Marmor passen? Die goldenen oder die silbernen? Wie leicht es hingegen ist, wenn die töchterliche Nasszelle weiß gekachelt ist, weil da nun einmal nur goldene Wasserhähne passen würden. Anders gesagt: Erste Klasse ist einfach klasse.

Also Volldampf voraus, vorwärts, voran. Schnellstmöglich raus aus dem Kutter und wieder rein in die guten Klamotten. Auf wen kann Uhlmann bauen? Auf die Hilfe seiner Frau wird er wahrscheinlich verzichten müssen. Sie hat die Scheidung eingereicht und möchte nicht über ihren Noch-Mann sprechen. Dafür teilt sie aber mit, dass sie seit zwei Wochen wieder Kontakt mit ihm habe, „weil wir wegen des Sorgerechts einige Dinge zu klären haben“. Da ist dieser Nachfolger Uhlmanns, der der Branche treu geblieben ist. Wenn man bei ihm anruft, dann geht eine Frau ans Telefon und erklärt in osteuropäisch anmutendem Akzent, dass ihr Chef zurückruft, wenn er will. Er wird nicht anrufen. Wohl keine Lust.

Alles butterweich

Aber Uhlmann hat Lust, und das ist es, worauf es ankommt. Zumindest bei Uhlmann. Ist doch wichtig, ein Ziel zu haben im Leben. In Bewegung zu sein. Wenn die Touristensaison vorbei ist, dann wechselt er das Boot, sagt er. Bleibt bei dem Reeder, aber weg vom Hotelschiff und hin zu irgendeinem Transportfrachter. Ist ja auch nicht so wichtig, sind doch eh nur Zwischenstationen. Ankunft in Grünau: etwas zu früh. Uhlmann hat’s halt eilig. Noch kein Tourist zu sehen, also ran an den Steg, Leinen festmachen, Anker werfen. Richtig anlegen will gelernt sein, sagt Uhlmann, butterweich die Anfahrt, da schlägt nix an, da rumpelt nix. Alles Handwerk.

Was man zum Überleben braucht

Ein paar Tage später sitzt eine Frau in einem Einkaufszentrum am Kurt-Schumacher-Platz. Sylvia Stümke ist 62 Jahre alt, arbeitet in der Häftlingsbetreuung und bekommt Uhlmanns Post. Stümke ist zuständig für die Vollstreckung, verwaltet seine Rente, die Unterhaltszahlungen an die Kinder, den ganzen Papierkram, für den sich Uhlmann nie interessiert zu haben scheint. Der hat die Dinge einfach laufen lassen, sagt sie, und dass Selbstkritik nicht seine große Stärke sei. Hoch verschuldet sei er, da ist ja nicht nur der Staat, der Geld von ihm haben will, so einige private Gläubiger stünden mit auf der Liste, sagt sie. Was bleibt denn da?

„Ein Lebemann, der es sich eigentlich nicht leisten kann“, sagt sie. Kommt der wieder auf die Beine? „Das ist sein Traum“, sagt sie, und dass man vielleicht Träume brauche fürs Weitermachen, fürs Überleben.

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