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Flammender Appell in Frankfurt am Main.

© Geisler-Fotopress

Blockupy-Proteste in Frankfurt: Die Europäische Wut-Gemeinschaft

Drinnen wird geredet, draußen fliegen Steine. Zur Eröffnung des neuen Gebäudes der Europäischen Zentralbank kamen zornige Demonstranten aus vielen Ländern. Denn für sie ist die EZB das Sinnbild für alles, was in Europa falsch läuft.

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Die Stimmung kippt schnell am Mittwochmorgen in Frankfurt am Main. Erst rieselt noch Konfetti durch die Luft auf der Flößerbrücke, dann fliegen Steine. Hinten werden noch Brezeln verkauft und Pralinen verschenkt – da brennt vorne schon die erste Barrikade. Immer wieder ruft die Polizei die Demonstranten in der ersten Reihe auf, die Kreuzung unweit des Neubaus der Europäischen Zentralbank (EZB) zu räumen. „Gehen Sie wenigstens vom Feuer weg, der Rauch ist gefährlich“, schallt es aus den Lautsprechern. Als keiner reagiert, fährt ein Wasserwerfer vor. Dabei sollte alles so friedlich werden und bunt.

Tausende Aktivisten sind am Mittwoch einem Aufruf des Bündnisses Blockupy gefolgt und zu Demonstrationen in Frankfurt zusammengekommen. Die meisten stören sich an der europäischen Krisenpolitik. Die EZB ist ihnen dabei Sinnbild für alles, was ihrer Meinung nach falsch läuft. Dass es während der Demonstrationen zu Ausschreitungen kommen würde, damit wurde allenthalben gerechnet. Jedoch nicht mit einer solchen Gewalt, wie sie die Stadt im Laufe des Tages erlebte. Schon am Nachmittag berichtet die Feuerwehr von 47 Einsätzen seit den frühen Morgenstunden. Die Polizei beklagt zig verletzte Beamte, die sich der Wut der Demonstranten in den Weg stellten.

Es gibt keinen Champagner, nur Saft und Kaffee

Der Neubau der EZB steht im Osten Frankfurts, etwas abseits der Innenstadt. Ein mächtiges, strahlendes Gebäude und an diesem Tag zudem von Sonnenlicht durchflutet. Es ist nur ein kleiner Kreis, der sich am Vormittag dort versammelt hat. Rund 80 Gäste hat Mario Draghi, Chef der Bank, zur offiziellen Eröffnungsfeier der 1,3 Milliarden Euro teuren Doppeltürme geladen. Es gibt keinen Champagner, nur Saft und Kaffee. Der Rahmen ist bescheiden dafür, dass hier eine der wichtigsten Institutionen in Europa ihr neues Zuhause einweiht. Kein Regierungschef, kein Finanzminister ist gekommen, auch der Chef der EU-Kommission fehlt. Gäste aus der Politik sind Hessens grüner, stellvertretender Ministerpräsident Tarek al Wazir und Frankfurts Oberbürgermeister Olaf Feldmann.

Dass draußen vor den Türen der Bank mittlerweile Autos und Mülleimer brennen, dass Steine fliegen und Tränengaspatronen, all dies hält Mario Draghi nicht davon ab, gut gelaunt eine Rede zu halten. Er spricht über die Demonstranten, die sagen, Europa tue zu wenig und es mangele an Solidarität; über die Populisten aus der anderen Ecke, die sagen, es passiere zu viel – und die mehr Nationalismus wollen. Er verstehe die Motivationen. „In Wahrheit bieten aber beide keine Lösung für die aktuelle Lage.“ Die EZB werde von frustrierten Bürgern kritisiert. Das sei aber nicht fair, „denn gerade unser Handeln zielt darauf, die wirtschaftlichen Schocks abzufedern“. Solidarität sei wichtig. Und wichtig sei auch, dass die Länder auf eigenen Füßen stehen können. „Das heißt aber nicht, dass sie allein gelassen werden.“

Draghi will versöhnen

Seine Rede ist ein Plädoyer für die politische Integration in Europa. Auch die Geschichte der ehemaligen Großmarkthalle – auf deren Areal der EZB-Neubau errichtet wurde – verpflichte dazu. Von hier aus seien 10 000 Juden aus Frankfurt in Konzentrationslager deportiert worden. „Ein demokratisches und friedliches Europa ist eine der wichtigsten Lektionen aus diesem dunklen Kapitel der Geschichte.“ Vehement plädiert Draghi für die wirtschaftliche Union und die Vertiefung der politischen Union. Er fordert die Stärkung der Rolle des Europäischen Parlamentes und damit der demokratischen Entscheidungswege in der Krisenpolitik. Auch um die Demonstranten zu versöhnen und zu integrieren. Die Zentralbank werde dazu ihren Beitrag leisten, die Integrität und Stabilität des Euro sichern. „Er ist mehr als nur ein Mittel des Wandels. Eine Währung ist ein Teil der Identität der Menschen und zeigt ihre Gemeinsamkeiten, heute und in Zukunft.“ Die Demonstranten, die ihn nicht hören können, fürchten das Gegenteil.

„Wir wollen ein Zeichen setzen gegen die Sparpolitik“, sagt beispielsweise Tanja. Die 33-jährige Krankenschwester ist aus Wien angereist, sie trägt eine weiße Maske über Nase und Mund und einen schwarzen Regenschirm, auf dem in Neonfarben „Block Austerity“ steht. Wie viele andere auch will sie ihren vollen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen. Dann erzählt sie von ihren Freunden in Griechenland. Die seien ein Grund dafür, dass sie heute vermummt in Frankfurt stehe. „Viele von ihnen haben studiert, wissen aber nicht, wovon sie leben sollen“, sagt sie. Tanja macht das wütend. „Wir können in Deutschland doch nicht so tun, als wäre uns das scheißegal.“ Sie jedenfalls will Solidarität zeigen, Mitgefühl ausdrücken. Ihre Freunde haben Musikboxen mitgebracht, die auf einen Rollstuhl geschnallt sind. Technomusik schallt daraus über die Brücke.

Den einen geht es um Gerechtigkeit, andere wollen ihre Wut rauslassen

Ein paar Schritte weiter steht Christine. „Capitalism sucks“, der Kapitalismus ist scheiße, steht auf dem Plakat, das sie in die Höhe hält. Die 44-Jährige aus Berlin hat sich am Dienstag spontan entschieden, gemeinsam mit hunderten weiteren Berlinern mit einem Blockupy-Sonderzug nach Frankfurt zu fahren. Zuhause hat sie drei Jobs, kann sich und ihren Sohn damit grade durchbringen. „Deshalb bin ich hier“, sagt sie. „Um für soziale Gerechtigkeit zu demonstrieren.“ Ihr Sohn steht kurz vor dem Abitur. „Er will studieren“, sagt Christine, „aber ich weiß nicht, wie ich das finanzieren soll.“ Soziale Ungerechtigkeit gibt es auch in der Wohlstandsrepublik Deutschland und nicht nur in den südeuropäischen Ländern – das will sie zeigen. So hat jeder der Aktivisten seine eigene Geschichte, die ihn auf die Straße treibt.

Doch während es den einen um Gerechtigkeit geht, wollen andere vor allem ihre Wut rauslassen. Vermummt stehen die Aktivisten am späten Vormittag auf der Hanauer Landstraße vor einer Wand von Polizisten. Es sind bereits Farbbeutel geflogen und Steine. Gerade hat ein Abschleppwagen einen ausgebrannten Streifenwagen abtransportiert. Hinter den Wasserwerfern und Mannschaftswagen steht ein weiteres völlig demoliertes Auto, die Scheiben eingeschlagen, die Türen orangefarben besprüht. In der Seitenstraße brennen Mülltonnen und Fahrräder, die Demonstranten als Barrikaden auf die Straße geworfen haben. Manche Polizisten tragen schmale Flaschen auf dem Rücken: Feuerlöscher.

Gemäßigte und Radikale

„Der Kapitalismus muss raus aus den Köpfen“, ruft die Menge im Chor, begleitet von lautem Getrommel, das immer schneller wird. Das Bündnis Blockupy selbst verurteilt die Gewalt, verhindern kann es sie nicht. Überraschend viele Aktivisten hat Blockupy zusammengebracht, gemäßigte und radikale. Es heißt, einige seien auch aus Italien, aus Dänemark und Schweden angereist. Was sie alle eint, ist ein großer Frust.

Der Zug aus Berlin sei bereits vor zwei Wochen ausgebucht gewesen, sagt Uwe Hiksch, einer der Berliner Blockupy-Organisatoren. Als die Tickets für die gut 850 Plätze in den 15 Waggons weg waren, haben sie noch zwei Busse gemietet – auch die sollen voll geworden sein. Hiksch aber freut sich besonders über die Zugfahrt. „Mit einem Zug zur Demo zu fahren ist allein schon ein Symbol.“

Die Wahlen in Griechenland waren Anstoß

Es ist ein alter Zug aus den 60er Jahren, der am Dienstagnachmittag mit einer Stunde Verspätung den Berliner Ostbahnhof verlässt. Die Sitze lassen sich in den Abteilen zu Betten ausziehen. Es gibt eine Art Partywaggon, in dem gesungen wird, getrunken und gequatscht. Zwischendurch geben die Organisatoren nützliche Tipps: Die Nummer vom Anwalt-Notruf auf den Arm schreiben – für den Fall, dass die Polizei einen festnimmt und das Handy einkassiert. Oder: unbedingt Wasser mitnehmen – nicht nur zum Trinken, sondern vor allem zum Ausspülen der Augen, falls Tränengas eingesetzt wird. Unterwegs werden Transparente und Schirme bemalt, italienische Protestlieder einstudiert und Vorträge gehalten, zum Beispiel über die Situation von Flüchtlingen in Berlin. Und doch gehen am Abend viele früh schlafen. Die große Party ist für die Rückfahrt geplant.

Für viele waren die jüngsten Wahlen in Griechenland Anstoß, bei Blockupy mitzumachen. Auf einmal ist da eine Regierung an der Macht, die den anderen Staatschefs Paroli bieten will. Die meisten der Blockupy-Aktivisten finden das richtig. Und wer weiß, vielleicht fänden sie Gefallen an den Worten, die der Grüne Tarek al Wazir im Inneren der EZB an die Festgemeinschaft richtet. Auch er kritisiert die europäische Sparpolitik, ruft – mit Blick auf Griechenland – beide Seiten dazu auf, respektvoll miteinander zu sprechen. Für die gewalttätigen Proteste hat al Wazir kein Verständnis. Nicht nur sei die EZB das falsche Ziel der Wut. „Alle haben das Recht zu demonstrieren, aber niemand hat das Recht, Autos anzuzünden und Steine zu werfen.“

Gerade mal 45 Minuten dauert der Festakt, nach dem die Mitglieder des EZB-Rats wieder ihrer Arbeit nachgehen – zur Bewältigung der Krise. Die Kundgebung von Blockupy auf dem Frankfurter Römer und die Demonstrationen gehen da erst richtig los.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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