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Auf der Bildfläche. Durchaus freudig spricht Karamba Diaby von den vielen unzerstört gebliebenen Wahlplakaten mit seinem Konterfei.

© John Macdougall/AFP

Bundestagswahl: "Es ist wieder härter geworden"

Haut ab! Die Wütenden werden wieder lauter. Was der SPD-Abgeordnete Karamba Diaby besonders zu spüren bekommt.

Doktor Diaby ist sich eigentlich ziemlich sicher, wieder in den Bundestag gewählt zu werden. Die Zuversicht hat gute Gründe. Der Bildungspolitiker, auch Mitglied im Ausschuss für Forschung und – begrifflich etwas sperrig – Technikfolgenabschätzung und Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, ist in seinem Wahlkreis 72 so etwas wie ein kleiner Star. Schulterklopfen hier, aufmunternde Worte dort, Zuspruch allerorten, freundlicher Zuspruch, herzlicher Zuspruch.

So weit, so gut, so wenig ungewöhnlich für einen Politiker, der seit 2013 für die SPD im Bundestag sitzt, mit keinem Fehler aufgefallen ist und unumstritten. Nur, dass Karamba Diaby schwarz ist – wie die Nacht, hätte man früher völlig unbekümmert gesagt. Was aber abwertend klingt und damit im Grunde eine rassistische Bemerkung ist, immer schon, aber auch und gerade in Deutschland 2017.

Karamba Diaby kandidiert im Wahlkreis 72, das ist Halle an der Saale, und diese schöne Stadt ist nach Erkenntnissen der Extremistenbeobachter einer der dunklen Flecken Deutschlands, ein Zentrum brauner Kriminalität in Sachsen-Anhalt.

„Es ist wieder härter geworden“

Im Juli hat die Identitäre Bewegung in unmittelbarer Nähe der Universität eine Begegnungsstätte eröffnet. Vier Stockwerke für WGs, an der Fassade hängt ein Banner, „Halle ist nicht Hamburg. Patriotismus statt Linksextremismus“. Im Mai griffen Rechtsradikale eine Gruppe Jugendlicher an, die neben einem Infostand „Bündnis gegen Rechts“ standen, und schlugen mit Eisenstangen zu. Und gerade erst ist ein 17-Jähriger vom Hallenser Landgericht zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren verurteilt worden, weil er im vergangenen Jahr einen Studenten mit neun Messerstichen schwer verletzt hatte.

In dieser Gesamtkonstellation wird Karamba Diaby zu einer Projektionsfigur für die innere Befindlichkeit der Republik zehn Tage vor der Wahl. Die vermeintlichen Wutbürger, von denen die Öffentlichkeit hat annehmen können, dass sie sich in den Monaten zuvor ein wenig verlaufen haben, „ja“, sagt Diaby, „sie melden sich wieder, es ist wieder härter geworden, auch hier in Halle.“

Karamba Diaby ist Deutscher durch und durch, hat seit 2001 die alleinige deutsche Staatsbürgerschaft.

Die NPD beschimpft ihn als „Schwarzen Affen“

Ist Hallenser durch und durch, lebt seit 31 Jahren in der Stadt, hat sie „höchstens mal vier Wochen am Stück verlassen, Heimat ist Halle, Halle ist meine Heimat.“

Er hat hier Chemie studiert und seinen Doktor gemacht, hat sich hier verliebt, geheiratet, zwei Kinder, „Mischlinge“, wie er sagt, einen Sohn, zehn Jahre alt, eine Tochter, 22 Jahre alt, er kennt jeden Stein in der Stadt, jeden Grashalm am Ufer der Saale, und in der Innenstadt offensichtlich jeden Menschen.

An einem Spätsommertag im September bekommt Diaby gleich nach dem ersten Wahlkampfauftritt beim „Bundesfreiwilligendienst mit Flüchtlingsbezug“ vor der Autofahrt zum nächsten Termin noch schnell ein Schreiben durchs Fenster gereicht, das er unterschreiben muss und soll und will: eine Anzeige gegen die NPD, die ihn auf einer ihrer Facebook-Seiten rassistisch angepöbelt hat, „Schwarzer Affe“, „Volksverräter“ steht da unter anderem. „Solche Anzeigen stelle ich nahezu wöchentlich einmal“, sagt Diaby.

In der Innenstadt kann er sich unbehelligt bewegen

Wiederum andererseits kommentiert er durchaus freudig die unzerrissenen Wahlplakate mit seinem Konterfei. Deren Verunglimpfung dürfte allerdings für seine Gegner eine ziemliche logistische Herausforderung darstellen, ohne höhere Leiter ist an Diabys Abbild wohl nicht heranzukommen. „Na ja“, sagt er, „in den Außenbezirken der Stadt und im ländlichen Wahlkreis wurde mir schon ein Hitler-Bärtchen angemalt.“ Was ein bisschen einen Blick auf die Denkfähigkeit der Rassisten und Faschisten wirft.

Durch die Innenstadt kann Diaby unbehelligt spazieren, ohne Pöbeleien, ohne Anfeindungen oder gar körperliche Attacken. Halle ist hier multikulturell, studentisches Milieu, bildungsbürgerlich im Geburtsort von Georg Friedrich Händel.

Auf dem Weg zur SPD-Zentrale, dem nach dem Widerstandskämpfer und in Berlin-Plötzensee von den Nazis umgebrachten Adolf Reichwein benannten Haus, sagt Diaby mehrmals „ah, Moment, da muss ich schnell noch guten Tag sagen.“ Und dann begrüßt er einen türkischstämmigen Gastwirt, „meine Stimme hast du“, sagt der. Diaby begrüßt andere erkennbare Migrationshintergründler, bleibt kurz am Stand des Freiwilligendienstes stehen und gibt in einer lustigen Szene zwei Schülern Auskunft. Die sprechen ihn an, weil sie einen Schulauftrag zur Erkundung der Stadt auszuführen haben, sie kennen ihn natürlich, den SPD-Politiker, und fragen nach dem Weg zur CDU-Zentrale. „Das fragt ihr mich“, sagt Diaby, lacht, er lacht überhaupt gerne, und erklärt exakt den Weg. „Und dann kommt ihr zum Reichweinhaus, oder?“ Die Schüler grinsen ein wenig verlegen, „wir dürfen ja noch nicht wählen, aber wenn, dann Sie.“ Diaby lacht wieder.

Bestimmte Gegenden meidet er in der Dunkelheit

Eine Glatze kommt des Weges, rein optisch kein Sozialdemokrat, das T-Shirt des Glatzenträgers ist mit vier Buchstaben drapiert: „Hate“. Auch den begrüßt Diaby, der Angesprochene reißt erschrocken die Augen auf, knurrt etwas Unverständliches, „ich habe keine Berührungsängste“, sagt Diaby. Was in diesem Moment hier auf dem Marktplatz leicht ist, weil fünf Meter weiter zwei Polizisten stehen, zusammen mit einem Zivilisten, der stellt sich als Ralf Karlstedt heraus, der Pressesprecher der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Süd. Wie zufällig er da steht, sei dahingestellt, aber er sagt: „Rechte Strukturen, hier bei uns in Halle, nein, die haben wir hier nicht, wirklich nicht, schauen Sie, Sie sehen es doch selbst, Doktor Diaby kann sich völlig unbehelligt bewegen.“ Diaby strahlt.

„Gut“, sagt er später im Sitzungszimmer des Reichweinhauses, „es gibt in Halle und im Landkreis Gegenden, die meide ich ab einer bestimmten Uhrzeit, bei Einbruch der Dunkelheit bewege ich mich dort nur, wenn es sein muss.“ Zwischen den Worten ist zu hören, dass es nie sein muss.

Er berichtet auch von einer Wahlveranstaltung, an einem Donnerstag vor zwei Wochen, mitten in der Fußgängerzone. Sigmar Gabriel sei geladen gewesen, zwei Stunden lang habe eine Gruppe Rechter die Veranstaltung zu stören versucht, „Haut ab! Haut ab!“, hätten sie gebrüllt, das inzwischen in manchen Gegenden für Politiker nahezu jeglicher Coleur übliche Begrüßungsgebrüll. „Und in meinem Fall kommt eben noch Rassismus hinzu, es wurden Plakate hochgehalten, das sollte wohl Jim Knopf sein, nein, witzig finde ich das nicht.“

Er sagt, er kenne keinen Alltagsrassismus

Diaby wurde im Senegal geboren und kam über ein Stipendium in die DDR. Er ist nicht der einzige Abgeordnete des Bundestages mit afrikanischen Wurzeln. Charles M. Huber, der als Schauspieler im Fernsehen bekannt wurde, sitzt für die CDU in Berlin, der hat einen senegalesischen Vater und eine deutsche Mutter und wurde in München geboren. Und Kai-Uwe von Hassel, der einstige Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Bundesverteidigungsminister und Präsident des Deutschen Bundestages, wurde 1913 in Gare, was damals Deutsch-Ostafrika genannt wurde, geboren. Diaby hat senegalesische Eltern, die starben, als er Kind war, wuchs im Senegal auf, er ist, ja, ist er Exot im Bundestag?

„Ich fühle mich nicht so“, sagt er, „ich erfahre das auch nicht“, sagt er. Womit dann schon einiges gut wäre in unserem Deutschland 2017. Womit Karamba Diaby aber auch der einzige dunkelhäutige Mensch in diesem Land wäre, der keinen alltäglichen Rassismus kennt. „Meine Kinder? Nein, nie, auf der Straße nicht, in der Schule nicht, nie.“ Und er selber? Er sitzt da, fächelt sich Luft zu mit der Kopie der Anzeige gegen die NPD. „Gleich nach der Wende war es schlimm, da wurden wir ausländischen Studenten angepöbelt, auch körperlich attackiert, ich nie, aber andere.“ Aber das sei alles vorbei. Wie soll es auch anders sein. Soll Diaby, der als MdB in Halle wiedergewählt werden will, etwas Schlechtes über seine Stadt sagen?

„Nur aus Mitleid gewählt“

Diaby windet sich ein wenig auf seinem Stuhl, steht auf, holt Wasser, beantwortet entschuldigend, aber auch ein wenig erleichtert eine SMS seines Fahrers, der ihn in 15 Minuten zur nächsten Podiumsdiskussion, diesmal beim Allgemeinen Behindertenverband, fahren will.

Auf der Bildfläche. Durchaus freudig spricht Karamba Diaby von den vielen unzerstört gebliebenen Wahlplakaten mit seinem Konterfei.
Karamba Diaby freut sich über viele unzerstört gebliebene Wahlplakate mit seinem Konterfei.

© John Macdougall/AFP

Da wird er dann wieder sitzen mit den anderen Spitzenkandidaten des Wahlkreises, mit Frank Sitta von der FDP, mit Grit Michelmann von Bündnis 90/Die Grünen, mit Christoph Bernstiel von der CDU und Petra Sitte von den Linken. Sie werden sich auch dort, wie bei allen bisherigen Veranstaltungen an diesem Tag, gut verstehen, werden freundlich sein untereinander, sich teilweise duzen, werden Wahlkampf machen, wie der gesamte Wahlkampf in diesen Zeiten ist, Wahlkampf als Freundschaftsspiel unter Gleichgesinnten, die in Nuancen sich unterscheiden, aber die kann man doch ausgleichen, bitte, wir sind doch alle Demokraten, und diesem Land geht es doch so gut, und es gibt keine Gefährdung dieser, unserer, Demokratie.

Immer noch im Reichweinhaus: Soll einfach nicht sein, was ist, bekommt man die Realität weggefächelt, wenn man sie ignoriert?

Dann erzählt Karamba Diaby, das Mitglied des Bundestages, der überzeugte Sozialdemokrat, der Freund und Verfechter der deutschen Kleingartenkultur, der Liebhaber seines Halle an der Saale, doch noch etwas.

Eine Mitarbeiterin wurde zusammengeschlagen

„Es hat eine CDU-Abgeordnete gegeben, ihren Namen möchte ich nicht nennen, die hat öffentlich erklärt, dass wir Migrationshintergründler ja nur aus Mitleid gewählt würden. Bei ihnen aber zähle ausschließlich Leistung.“ Und das ist kein Rassismus? „Geärgert habe ich mich schon darüber“, sagt Diaby. Und rudert sofort wieder zurück.

Diaby hatte unter der Woche, wenn er im Bundestag arbeitet, eine Wohnung in Prenzlauer Berg, er sucht jetzt eine neue - findet aber keine. „Nein, nein, mit meiner Hautfarbe hat das nichts zu tun, ist halt alles zu teuer“, sagt er. „Doch, ich kann es nicht leugnen“, sagt Diaby dann wieder, „es wird wieder schlimmer.“ Er selber sei noch nie körperlich angegangen worden, aber eine Mitarbeiterin von ihm sei kürzlich zusammengeschlagen worden. „Seit die AfD ihre Hassparolen verbreitet, scheint die rechte Szene zu glauben, sie könne sich wieder mehr erlauben.“

Es gibt noch einen Nachtrag zum Besuch bei Diaby in Halle. Den liefert ein enger Mitarbeiter des Abgeordneten, der möchte nicht namentlich genannt werden. Verschließt aber die Augen mit der Hand bei der Frage nach rechten Strukturen im Wahlkreis. „Die machen alle die Augen zu, die wollen nicht sehen, was ist.“

Auf ein Plakat hat jemand „Vergasen“ geschmiert

Sie müssten nur einmal eine kurze Fahrt durch Halles Randbezirke unternehmen, durch die weniger fremdenfreundlichen Stadtgebiete, durch Halles Neustadt - die in den vergangenen Jahren wiederum überproportional viele Einwanderer aufgenommen hat. Ja, es ist offensichtlich so, dass hier ein Spaziergang für Diaby nur mit vielköpfigem Sicherheitspersonal möglich wäre. Auf einem Wahlplakat des SPD-Abgeordneten steht, orthografisch nicht ganz korrekt: „Nigersau!“ Auf einem anderen „Vergasen“.

Wir dürften nicht weichen, sagt Diaby, er sei in diesen Tagen im Süden der Stadt gewesen, im idyllischen ehemaligen Fischerdörfchen Wörmlitz, Plattenbauviertel grenzen daran, „da hängt kein Plakat mehr von mir, die wurden alle abgerissen.“ Es wird wohl kein Spaziergang für Karamba Diaby.

Dieser Text erschien zuerst am 14. September 2017 auf der Reportageseite der gedruckten Ausgabe.

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