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Ursula Kantelberg mit ihrem Baumkuchen als 16-Jährige. Bis vor kurzem war sie Chefin des Café Buchwald.

© privat

Café Buchwald: Der Stammbaumkuchen

Unverdrossen backen sie im Café Buchwald die immer gleiche Spezialität – seit 162 Jahren. Deshalb liegt hier auf den Tellern stets auch ein Stück Berliner Historie. Teil 7 unserer Serie.

Wer ahnt das schon? Wenn sie da so sitzen am Kaffeetisch im Garten an der Spree, die Japaner und Amerikaner, die Spanier und ein paar Berliner auch. Wenn sie da also sitzen, die Spatzen verscheuchen und eine Scheibe Baumkuchen vor sich auf dem Teller haben, dann ahnen sie gar nichts. Halten den Kuchen für nichts als einen Kuchen und wissen nicht im Geringsten, dass sie gerade dabei sind, ein gewaltiges Stück Geschichte zu verspeisen.

Möglicherweise haben sie gelesen, dass das Café Buchwald die älteste Konditorei Berlins ist. Und dass es weit und breit berühmt ist für seine Baumkuchen-Produktion. „Der König der Kuchen“, sagt Andrea Tönges, die Chefin, und lässt sogleich eine Scheibe servieren. Ein schweres Stück Gebäck: Marzipan, Mandeln, Zuckerguss, Gewürze. Welche Gewürze? „Wird nicht verraten“, sagt Andrea Tönges. Süß jedenfalls, sehr süß. Und ein Kunstwerk. Denn das Baumkuchenbacken zählt zu den schwierigen Disziplinen des Konditorenhandwerks, Teil jeder Meisterprüfung. Schließlich muss der Teig sorgsam um eine Walze gedreht werden, die heute aus Metall ist und früher ein dünner Baumstamm war, daher der Kuchenname. Immer wieder wird dieser Teig gewickelt und über dem Feuer gebacken, bis am Ende 15 bis 20 Schichten entstanden sind, die dem Backwerk die charakteristische Form von Jahresringen verleihen. Baumkuchen eben.

Ein bisschen Würde muss sein - sie hat Jahrhunderte zu vertreten

Solche Jahresringe hat auch das Café Buchwald angesetzt. 162 ganz genau. Alles begann im Jahr 1852, eine Tradition, die eine Familientradition ist. Andrea Tönges ist die Chefin in fünfter Generation, und jetzt hat sich auch ihre Mutter an den Kaffeetisch gesetzt, Ursula Kantelberg, die Vorgänger-Chefin, so zierlich und klein und lebhaft wie die Tochter. Die ist 47, schwarzer Pagenkopf, ihre Mutter ist 26 Jahre älter, ähnliche Frisur, Farbe allerdings: Rot. Inzwischen kommt Ursula Kantelberg nicht mehr täglich ins Café, aber wenn sie kommt, dann hat sie ihre Konditoren-Repräsentationsuniform an, weiße Hose, weißes Jackett, gestickte Aufschrift: „Café Buchwald“. Ein bisschen Würde muss schon sein, man hat hier schließlich eineinhalb Jahrhunderte zu vertreten. Jahrhunderte, die es in sich hatten. Das ist der Grund, warum der Buchwald’sche Baumkuchen ohne Historie gar nicht zu denken, geschweige denn zu verzehren ist. Und dann erzählen Mutter und Tochter.

Drei Generationen. Die neue Chefin Andrea Tönges (links), ihre Mutter Ursula Kantelberg und die Zukunft des Unternehmens, der 21-Jährige Eike Tönges.
Drei Generationen. Die neue Chefin Andrea Tönges (links), ihre Mutter Ursula Kantelberg und die Zukunft des Unternehmens, der 21-Jährige Eike Tönges.

© Thilo Rückeis

Es war einmal im 19. Jahrhundert. Da machte sich ein gewisser Gustav Buchwald, der gerade eine Bäckerlehre in Polen absolviert hatte, mit 17 Jahren auf Wanderschaft, gelangte in die Stadt Cottbus und fand, dass er an den rechten Ort geraten sei. Hier, das stellte er mit den der Familie Buchwald eigenen Geschäftsgenen sofort fest, war Geld da. Das florierende Tuchmachergewerbe hatte Reichtum nach Cottbus gebracht. Und davon fühlte sich Gustav Buchwald augenblicks angezogen. Denn der Baumkuchen, auf den er sich schon in frühen Jahren spezialisiert hatte, war eine Sache für Wohlhabende. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts kostete eine Scheibe fünf Reichsmark. Dafür musste zum Beispiel eine Schneidermeisterin eine Woche lang arbeiten. „Der Kaviar unter den Kuchen“, sagt Andrea Tönges. Heute ist er billiger geworden, aber 100 Gramm kosten immerhin noch 3,95 Euro.

So machte Gustav I., der von nun an so genannt werden soll, weil alsbald ein Gustav II. auftreten wird, in der Sandower Straße 4 einen Laden auf, verkaufte seine teuren Kuchen, und die Geschichte wäre eine Cottbuser Geschichte geblieben, hätte nicht die Deutsche Reichsbahn mit Bauarbeiten begonnen.

Bald waren Schienen zwischen der Lausitz und Berlin verlegt, und in Gustav I. machten sich wieder die Geschäftsgene bemerkbar. Also fuhr er in die Hauptstadt, wurde vorstellig bei Hofe und fand, dass der König der Kuchen unbedingt ein Kuchen für Könige werden müsse. Im Berliner Schloss teilte man diese Auffassung, und ab 1883 durfte sich Gustav Buchwald „königlicher Hoflieferant“ nennen. Das Geschäft seines Lebens.

Mutter und Tochter im Café lassen nun den zweiten Gang Baumkuchen kommen. Diesmal von tiefdunkler Farbe mit Schokoladenglasur.

Wann immer man seinen Reichtum herzeigen wollte, kam Baumkuchen auf den Tisch

Fortan pendelte der Baumkuchen im Zug von Cottbus zum Königshaus, und auf die Dauer, dachte Gustav I., dass diese Kuchen-Verschickung ein wenig umständlich sei, sah sich in Berlin um und entdeckte ein Neubaugebiet. Reiche Hamburger Kaufleute begannen sich zur Jahrhundertwende dort anzusiedeln, weshalb es bald das Hansaviertel hieß. Gustavs Geschäftsgene gerieten erneut in Wallung, nicht nur wegen der potenziellen Kundschaft, sondern auch weil der neue Stadtteil ans Berliner Gasnetz angeschlossen wurde. Ideal fürs Baumkuchenbacken. Bald war ein Objekt gefunden, ein Haus an der Spree in der Brückenallee, die heute Bartningallee heißt.

In den Genuss der Neuerwerbung kam Gustav I. nicht mehr, er starb, und so zog sein Sohn Gustav II. in das Anwesen ein, eröffnete Backstube und Laden, brachte das Geschäft zum Blühen, und die Berliner Hautevolee war entzückt. Wann immer es etwas zu feiern gab und man seinen Reichtum herzeigen konnte, kam Buchwalds Baumkuchen auf den Tisch. Und dann endete das Glück.

Auch das hatte etwas mit den Geschäftsgenen zu tun. Auf die vertraute Gustav II. offenbar in allzu leichtsinnigem Maß. Er begann in großem Stil zu spekulieren, und als 1928 der Schwarze Freitag kam, war es um sein Vermögen geschehen. Das Haus musste verkauft werden, der Laden wurde ein Mietladen, und das Unternehmen Buchwald war in höchster Gefahr.

Zum Glück gab es in der Verwandtschaft eine gelernte Kauffrau. Sie hieß Käthe Dielitz, war Mutter und Großmutter der beiden Damen, die nun im Café den dritten Gang auffahren lassen, Baumkuchenspitzen. Käthe Dielitz jedenfalls sanierte das Geschäft, brachte es über die schweren Zeiten und folgte Gustav II. nach, nachdem der 1935 gestorben war. Und begründete eine neue Ära. Es begann die Zeit des Matriarchats.

Die Außenansicht des Cafés in der Bartingallee
Die Außenansicht des Cafés in der Bartingallee

© Thilo Rückeis

Das geriet bald in höchste Nöte. 1939 diktierten die Nationalsozialisten, dass Mehl zu nichts anderem als zum Brotbacken zu verwenden sei, der Laden in der Brückenstraße wurde geschlossen und Käthe Dielitz zum Arbeitsdienst in einer Brotfabrik am Alexanderplatz zwangsverpflichtet. Als eine Bombe auf die Fabrik fiel, lag sie drei Tage verschüttet unter den Trümmern. Sie überlebte.

Auch auf das Haus an der Spree war eine Bombe gefallen, aber immerhin, das Erdgeschoss blieb bewohnbar. Also eröffnete Käthe Dielitz nach dem Krieg die Konditorei erneut, und diesmal wurde auch ein Café daraus. Langsam wurde expandiert – und dann war es wieder die Politik, schon wieder, die ins Café Buchwald einen Blitz einschlagen ließ: Mauerbau, 1961, die Kunden blieben aus, schließlich lag das Café nahe an der Grenze. Dennoch ging es bald weiter, vor allem wegen des inzwischen florierenden Versandhandels. Australien bestellte, Amerika, Namibia, Südafrika und Japan. Von den Japanern hat der Baumkuchen seinen schönsten Namen bekommen, er heißt „Baumukuhen“.

Pauli blieb 60 Jahre, war nie krank, machte nie Urlaub

Sogar bis zum Bundesverdienstkreuz hat es das Buchwald gebracht. Das durfte sich zwar nicht eine der Konditor-Damen an die Brust heften, sondern ein gewisser Willi Pauli. Er war der Mann, ohne den Überleben und Gedeihen des Café Buchwald nicht denkbar gewesen wären. Eigentlich gehörte er nicht zur Familie, aber weil das hier ein Familienbetrieb durch und durch ist, wurde er alsbald „Onkel Pauli“ genannt, eingemeindet sozusagen. Als 13-Jähriger kam er hierher, als Laufbursche, erlebte noch die Zeiten, da hier Kutschen mit dem königlichen Wappen vorfuhren, um die Baumkuchen-Pakete für den Hof abzuholen. Pauli brachte es bis zum Konditormeister, blieb 60 Jahre, machte niemals Urlaub, war keinen einzigen Tag krank und fehlte nur in den Zeiten des Wehrdienstes – in beiden Weltkriegen.

Auch Ursula Kantelberg hat „Onkel Pauli“ noch gekannt. Als Tochter von Käthe Dielitz wuchs sie in der Backstube auf, und natürlich gab es keinen Zweifel daran, dass sie einmal ihre Nachfolgerin sein würde. Der Weg dahin muss nicht einfach gewesen sein. 45 Konditorlehrlinge waren sie damals in den 50er Jahren – und Ursula Kantelberg die einzige Frau. „Schikaniert haben sie mich, unter der Wendeltreppe musste ich mich umziehen“, das hat sie nicht vergessen. Auch nicht, wie sie immer angekämpft hat gegen diese Männerdomäne, immer besser sein musste als die Jungs neben ihr. Aber sie hat es ihnen gezeigt: dieser Rosenkorb, den sie gezaubert hat „aus gezogenem Zucker, aus geblasenem und aus gegossenem“! Eine Goldmedaille hat sie dafür bekommen, und mit 22 Jahren war sie Berlins jüngste Konditormeisterin. Ursula Kantelberg erzählt das so, als wären die 50er Jahre gleich um die Ecke.

Ob man noch eine Scheibe Baumkuchen servieren dürfe? Vielen Dank, auch die Lust auf Süßes kennt Grenzen.

1960 präsentiert Ursula Kantelberg ihre Künste auf der Berliner Funkausstellung.
1960 präsentiert Ursula Kantelberg ihre Künste auf der Berliner Funkausstellung.

© privat

Die Ära Kantelberg war eine glückliche Buchwald-Zeit. Von politischen Wirren blieb sie verschont, die Geschäfte gingen gut. Nur einmal trat die Politik auch in ihr Leben: Am Abend des 9. November 1989 stand sie im Bad und schminkte sich ab, da rief ihr Mann nach ihr: Sie möge kommen, was da für ein seltsamer Spielfilm im Fernsehen laufe. Menschenmassen waren da zu sehen, in hellem Aufruhr, glücksverzerrte Gesichter, unterwegs in Berlin, von Ost nach West. Welch ein Unfug, dachten die Kantelbergs, was sich Leute vom Film immer nur einfallen lassen. Sie schalteten das Fernsehen aus und gingen zu Bett. Am Tag danach erreichten die Menschenmassen das Café Buchwald. Binnen wenigen Stunden war alles ausverkauft.

Bis vor zwei Jahren hat sie die Café-Geschicke geleitet und dafür gesorgt, dass sich möglichst wenig änderte. Die Walzen in der Backstube drehten sich in bewährter Gleichförmigkeit, drei bis vier waren immer in Betrieb, und so ist es bis heute. Arbeitsbeginn morgens um fünf, Arbeitsende um 20 Uhr, jeden Tag, und das 364-mal im Jahr. Nur an Neujahr gönnt sich das Buchwald einen Ruhetag. Und wenn am Sonntag andere Menschen frei haben, herrscht hier Hochbetrieb; dann geht die Schlange der Kuchenkäufer oft bis hinaus auf die Straße an der Spree. Und die wollen nicht bloß den ewigen, unverwüstlichen Baumkuchen. In der Vitrine liegen Käsesahne und Sacher und Zitronentarte und was der Konditor sonst noch an Fettem zu bieten hat. Das Kalorienbewusstsein der modernen Zeiten ist hier nicht zu Hause. Nur eine Konzession an diese modernen Zeiten haben sie hier gemacht: Den Baumkuchen gibt es mittlerweile auch mit Eis, mit Orangensahne, mit Früchten oder – neueste Kreation – mit Chili.

Christian Ströbele ist Stammgast, am liebsten isst er Marzipantorte

Das ist aber schon alles an Zugeständnissen. Das Café ist geblieben, wie es immer war. Tische mit braunen Deckchen und künstlichen Rosen, die Standuhr tickt, die Parkettdielen sind 100 Jahre alt. Und selbstverständlich gibt es hier keine Musik. Genauso wenig wie Würstchen oder Pizza. Sondern Kuchen, Kuchen, Kuchen. Traditionell soll es hier sein, altmodisch. „Es soll aussehen wie in Omas Wohnzimmer“, sagt Andrea Tönges.

Das Publikum dankt es, die Tische sind meist gut besetzt, der kleine Vorgarten ist es auch. Wer hierherkommt, will es offenbar, wie es ist. Lieber einen Filterkaffee als einen Latte macchiato, lieber ein Likörchen als einen Aperol Spritz. Barbara Schöne, die Schauspielerin, kommt gerne vorbei, Manfred Krug früher auch, und Christian Ströbele ist Stammgast, seine Rechtsanwaltskanzlei ist ganz in der Nähe; er isst am liebsten Marzipantorte.

So werden im Buchwald die Walzen weiter walzen, tagein, tagaus, und das Vergehen der Zeit wird hier ein äußerst relativer Begriff sein.

Wenn die Zeit aber doch vergehen sollte? Da tritt ein junger Mann an den Kaffeetisch heran, elegante Erscheinung, schwarze Hose, schwarze Weste, silbergraue Krawatte. Er bringt neue Getränke. „Das ist Eike“, sagt Andrea Tönges, „mein Sohn.“ 21 Jahre ist er alt, hat die Hotelfachschule besucht und jetzt beim Buchwald im Service angefangen. Die sechste Generation steht bereit. Alles bleibt in der Familie, nichts wird sich ändern. Höchstens eins: Die Zeiten des Matriarchats werden zu Ende gehen. Aber bis dahin ist noch viel, viel Zeit.

Alle Teile unserer Serie "Berliner Wurzeln" finden sie auch unter tagesspiegel.de/reportage

Dort berichtet Veronica Frenzel über Götz Aly, den Nachfahren des Urtürken, Lothar Heincke besucht die Kunstgießer der Familie Noack, die schon die Victoria auf der Siegessäule fertigten und Tiemo Rink traf Anna Zielke, Ärztin in dritter Generation

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