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Hart an der Linie. Die Uefa hat Fifa-Präsident Josef Blatter zum Rücktritt aufgefordert. „Dazu ist es zu spät“, antwortete der.

© dpa

Die Fifa und ihr Präsident: Die gnadenlose Show des Sepp Blatter

Jetzt muss er kämpfen. Joseph Blatter galt als unantastbar. Kurz vor der Wahl tut er, als sei nichts geschehen. Seine Gegner bereiten den Putsch vor. Ob der gelingt, ist unklar. Nicht einmal der Fifa-Chef weiß, wer ihn noch will.

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Joseph Blatter dreht sich und zeigt mit der Hand hinter sich, wie ein alter Showmaster. „Liebe Fußballfreunde, war das eine Parade!", ruft er in den Saal. Auf der Bühne hinter ihm stehen statt Showgirls Fahnenträger, die eine Flagge für jeden Fußballverband der Welt hinaufgetragen haben. Eigentlich fehlt nur, dass Blatters Jackett glitzert. Doch das gehört sich nicht für einen Präsidenten der Fifa, der hier einen Kongress des Weltverbandes eröffnet.

Doch was gehört sich noch für Blatter? Die letzten Tage waren eine einzige Parade der Peinlichkeiten. Fifa-Funktionäre, einer nach dem anderen von Polizisten aus Hotels abgeführt. Staatsanwälte, die mit brisanten Akten das Fifa-Hauptquartier verlassen. Und eine immer längere Reihe von Fußballfreunden, die den Rücktritt des Präsidenten oder die Absage der anstehenden Wahl fordern. Und Blatter? Macht weiter mit der Show. Begrüßt drei Minuten lang geladene Gäste an dem Ort, an dem er an diesem Freitag wiedergewählt werden will. Setzt vier Minuten ein ernstes Gesicht auf, als er über bedauerliche Einzelfälle spricht, von korrupten Individuen, nicht er, wohlgemerkt. Und kündigt dann, mit einem Lächeln, rhythmisch die Schultern schwingend, Tänzer und Sänger an. „Bitte, genießen Sie unsere Show.“ Dann gibt Blatter die Bühne frei für drei Schattenmänner, die im Dunkeln mit Fußbällen jonglieren – eigentlich sind es nur Projektionen von Fußbällen an der Wand.

Wie kann Sepp Blatter einfach so fortfahren?

Zurück bleibt eine fassungslose Weltöffentlichkeit, die sich fragt: Wie kann Joseph Blatter, dieser große Schattenmann des Fußballs, einfach so fortfahren, als wäre nichts gewesen? Sich am Freitagnachmittag zum fünften Mal zur Wahl für das mächtigste Amt im Fußball stellen? Ohne auch nur einen Rückzug zu erwägen? Und keine Verantwortung übernehmen, für die Skandale, die nur die jüngsten in einem langen Reihe sind?

Es ist ja nicht so, als ob ihn niemand darum gebeten hätte. Der Chef der europäischen Fußballer, Michel Platini, sagte am Donnerstag, er habe Blatter unter Tränen um einen Rücktritt angefleht. Blatters Gegenkandidat Prinz Ali bin al Hussein forderte den Wechsel an der Fifa-Spitze bei jedem seiner Auftritte in Zürich. Blatter tauchte währenddessen einfach unter. Und als er doch auftauchte, kurz vor seinem Auftritt im Theater am Hallenstadion, lief ein britisches Fernsehteam den Weg neben ihm her und der Reporter fragte, ob jetzt endlich Zeit sei zu gehen. Blatter starrte mit glasigem Blick geradeaus und grüßte in die Ferne, „Hallo, wie geht‘s?“, auch dahin, wo gar keine Leute standen.

The Show must go on. Kriegt der Mann gar nichts mehr mit? Ein wirrer alter Herr? Der Jodlern, Cheerleadern und Schlagersängern die Bühne überlässt, wenn es doch Zeit wäre für klare Worte und Taten? So einfach ist es leider nicht. Seit 40 Jahren ist der Schweizer im Weltverband, seit 17 Jahren der Präsident. Blatter hat noch jeden Skandal überlebt, triumphiert, wenn ihn alle unterschätzen, und eine Macht aufgebaut, die aus Gegnern plötzlich Freunde werden lässt – und umgekehrt.

Blatter: "Ich kann nicht jeden überwachen"

„Ich weiß, dass mich viele Leute für verantwortlich halten“, sagt Blatter, als er auf der Bühne kurz ernst wird, „aber ich kann nicht jeden jederzeit überwachen. Wer Falsches tun möchte, wird versuchen, es zu verstecken. Das muss jetzt aufhören. Im Fußball ist kein Platz für Korruption.“ Einige Reporter müssen bei diesen Sätzen lachen, einige Fifa-Mitarbeiter zumindest grinsen.

Blatter hat das schon so oft gesagt, bei allen vergangenen Skandalen, immer wieder. Das Schlimme ist, dass er das auch so meint. Blatter hält sich wirklich für den Guten, für einen Reformer, dessen Mission es ist, den Fußball vor den Schlechten zu retten. Nur wer die Schlechten sind, das ändert sich. Unter den sieben Funktionären, die US-Behörden am Mittwoch verhaften ließen, waren viele alte Freunde und Verbündete Blatters. Es ist kaum vorstellbar, dass der Präsident nicht wusste, wie sich seine Vizepräsidenten bereicherten. Aber es war ihm wohl egal, solange sie ihm das Wahlvolk zutrieben und seine Macht sicherten. Nun wurden sie eben erwischt, und er muss seine Gefolgsleute fallenlassen, um nicht selbst zu fallen. So wie die Fifa im vergangenen November selbst die Schweizer Behörden einschaltete, um zu klären, ob bei der Vergabe der WM-Turniere an Russland 2018 und Katar 2022 Korruption im Spiel war. Die Strafanzeige läuft gegen unbekannt, das passt. Niemand in der Fifa weiß, ob er als nächstes Blatters Freund oder Feind werden könnte. So wie Michel Platini. Der Franzose war mal Blatters Freund, dann wurde er seinem Ziehvater zu mächtig. Heute sind Platini und der von ihm geführte europäische Verband Uefa Blatters Feinde.

Prinz Ali ist nur ein Schattenkandidat von Platini

Wenige Stunden vor Blatters Auftritt im Theater war Platini selbst auf die Bühne getreten, in einem Hotelsaal, der mit schweren roten Vorhängen abgedunkelt war. Im Kameha Grand Hotel, nur einen Steinwurf vom Ort der Wahl entfernt, hatten die Europäer ihre Stellung bezogen, die letzte, große Bastion gegen Blatter. Prinz Ali bin al Hussein war erschienen, höflich, aber harmlos. Der jordanische Königssohn, mit 39 Jahren nur halb so alt wie Blatter, ist nur ein Schattenkandidat der Europäer und damit von Platini. Der frühere Starfußballer wollte selbst nicht gegen Blatter antreten, weil er keine Chance auf einen Sieg sah. Das änderte sich nun mit den Skandalen der vergangenen Tage.

Süffisant lächelt Platini immer wieder in den Saal, als schwebe da Blatter irgendwo über den Reportern und blicke böse zurück. „Niemand weiß, wie Blatters System funktioniert“, sagt er, und erklärt es dann doch, halb in Englisch, halb in Französisch: Es beruht auf Angst. Er sei mit al Hussein auf Wahlkampfreise gewesen und habe viele Menschen erlebt, die fürchten, Blatters Gunst zu verlieren. „Die Fifa-Fördergelder erlauben ihnen zu überleben“, sagt Platini. Es sind nicht die europäischen Verbände, die reichsten der Fußballwelt, sondern Funktionäre in Schwellen- und Entwicklungsländern, die Blatter seit Jahrzehnten mit großzügigen Gaben aus der Fifa-Kasse gefügig hält.

Die Uefa dagegen ist sogar zum äußersten entschlossen: zum Bruch mit der Fifa. Offen kokettierte Platini mit der Möglichkeit, die Europäer könnten austreten und ihren eigenen Verband gründen. Aber das will selbst Platini nicht. Die Europäer verdienen ja auch gut an Turnieren wie der Fußball-WM.

Blatter: "Ich kann nicht zurücktreten. Es ist zu spät."

Und dann berichtet der 59-Jährige, was sich bei dem kurzfristig von Blatter anberaumten Krisentreffen am Morgen ereignet hatte. Platini erzählt, dass er Blatter gebeten habe, zurückzutreten. „Sepp war traurig.“ Aber dann habe der Fifa-Präsident entgegnet: „Ich kann nicht zurücktreten. Es ist zu spät.“ Die Show muss jetzt weitergehen für Blatter, sonst fällt er selbst. Wenn er abgewählt wird oder vorher zurücktritt, wer fürchtet und respektiert ihn dann noch? Wer will den Gefallenen dann noch zum Freund haben?

Weil aber im Fifa-Kongress jedes Land eine Stimme hat, sind die 53 europäischen Verbände unter 209 Mitgliedern in der Unterzahl. Sie alleine können Blatter nicht stürzen. Allerdings gibt es nun auch Zeichen für einen Wechsel. Kandidat al Hussein zeigte den Europäern angeblich eine Liste mit 60 Ländern außerhalb Europas, die für ihn stimmen würden. Das könnte im zweiten Wahlgang für eine einfache Mehrheit gegen Blatter reichen. Doch danach sieht es nicht aus. Als die Eröffnungsshow des Fifa-Kongresses am Abend beendet ist, schlendern die Funktionäre in einer langen Parade aus dem Theater. Scheich Ahmad Fahad al Sabah aus Kuwait lächelt noch völlig beseelt nach Blatters Rede. „Er hat wieder einmal bekräftigt, wie viel er gegen Korruption unternimmt“, sagt er. Der Scheich ist ein Freund des Präsidenten, ein Aufsteiger in der Fifa-Welt, der als möglicher Thronfolger Blatters gehandelt wird.

In den Hotelfluren in Zürich gab es großes Getuschel: Wer ist der nächste, gegen den Vorwürfe auftauchen? An wen kann ich mich wenden, wenn es mich erwischt? An den Mann, der seit 40 Jahren weiß, wie man alle Skandale überlebt und alle Geheimnisse kennt? Oder an seinen jungen Herausforderer, der von Transparenz faselt? Die Antwort bei vielen lautet: Dann doch lieber weiter mit der Show.

„Solidarität und Einheit sind nun gefragt“, hatte Blatter auf der Bühne gesagt. Es klang wie eine Drohung an alle, die vergessen sollten, was es heißt, von Blatters Freund zu Blatters Feind zu werden. Dann wünschte er allen noch einen schönen Abend. Und gute Unterhaltung.

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