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Dunkelziffer. Mittlerweile gibt es im Görlitzer Park so viele Dealer, dass manche in die Straßen ringsum ausweichen. In unserem text erzählt ein erfahrener Drogenfahnder, wie es vor Ort zugeht.

© imago/Christian Mang

Die Polizei und die Dealer vom Görlitzer Park: Ein Drogenfahnder packt aus

Sein Arbeitsplatz ist der Görlitzer Park in Kreuzberg. Er observiert Drogendealer. Hier erzählt der erfahrene Fahnder dem Tagesspiegel, wie die Situation für die Polizisten ist, was sie erleben und warum sie Tag für Tag immer frustrierter werden.

Eigentlich darf er nicht reden. Nicht über seinen Dienst, nicht über seinen Frust, nicht über die Wut und Ohnmacht seiner Kollegen. Aber jetzt ist er hier, an einem sicheren Ort in Kreuzberg, wo ihn niemand erkennt. Er ist ein Mann mit ruhiger Stimme und sanftem Gemüt, groß und stark gebaut, eine Erscheinung die Sicherheit ausstrahlt. Bald muss er wieder los, zum Dienst, Görlitzer Park. Drogendealer observieren.

Der Mann, wir nennen ihn hier Patrick Wendt, um ihn zu schützen, arbeitet seit mehr als zwei Jahrzehnten als Drogenfahnder bei der Berliner Polizei. Er ist kein kleiner Beamter. In dieser Geschichte geht es nur um ihn und seine Sicht der Dinge, um die Nöte und Sorgen seiner Kollegen, die Tag für Tag auch im Görlitzer Park im riskanten Einsatz sind. Es ist eine einseitige Geschichte, aber eine, die Einblicke gibt in die Welt derer, die uns beschützen sollen. Und das auch wollen, weil es ihr Berufsethos ist.

Kreuzberg, so muss man das wohl formulieren, schafft es nicht mehr hinaus aus den Schlagzeilen und den heftigen Debatten, die weit über Berlins Stadtgrenzen hinweg wahrgenommen werden. Erst der Oranienplatz und die Flüchtlinge, dann die Gerhart-Hauptmann-Schule und nun der Görlitzer Park mit seinem längst eskalierten Drogendealerproblem. Eine irritierende Unsicherheit hat sich breit gemacht in dieser Gegend. Kreuzberg ist wieder Synonym für Anarchie und Hilflosigkeit. In der Nacht zu Mittwoch gab es wieder einen blutigen Konflikt, als Passanten in einen Streit zwischen Dealern eingriffen.

Und mittendrin in diesem Gesamtdilemma, wie immer: die Polizei.

Gerade erst hat die hochrangig besetzte „Taskforce“ der Senatsverwaltung für Inneres zum Görlitzer Park eine Vielzahl an Maßnahmen beschlossen, die die Situation befrieden sollen. Wendt will das hier gar nicht kritisieren, er hofft ja selbst, dass „die da oben“ sich mal was Richtiges ausgedacht haben. Spezialisierte Staatsanwälte, Schwerpunktzonen, enge Zusammenarbeit aller Behörden, mehr Kommunikation zwischen den Einsatztruppen. Alles schön und gut, findet Wendt, aber da gibt es noch eine Maßnahme, bei der er dann doch zusammengezuckt ist und es laut wurde unter den Kollegen. Sie lautet: erhöhte Polizeipräsenz.

Wendt knurrt verächtlich: „Noch mehr? Nee!“

Er kennt viele Kollegen, die, wie er sagt, frustriert abgeschaltet haben. „Die machen nur noch Dienst nach Vorschrift, die machen ihren Job – aber sind nicht mehr mit dem Herzen dabei.“ Nun weiß der Mann schon selbst, wovon er spricht, er weiß, auf was er sich da eingelassen hat als Polizist, und die Kollegen, die wüssten das auch. Darüber will er gar nicht klagen: Dass es immer wieder Situationen gibt, in denen man massiv Überstunden macht und unter großem Druck steht – geschenkt. Berufsrisiko.

Polizeipräsident Klaus Kandt bei einem Einsatz im Görlitzer Park.
Polizeipräsident Klaus Kandt bei einem Einsatz im Görlitzer Park.

© dpa

Aber dieses Mal, sagt der erfahrene Fahnder, sei die Situation „strukturell anders“. Er meint: Sie sei gefährlicher. Denn viele seiner Kollegen, vor allem die aus den Hundertschaften „powern seit Monaten durch“. In ihnen macht sich das Gefühl breit, „es ist ein Dauerzustand, es wird sich nicht mehr ändern“. Erst den Görlitzer Park befrieden, dann die Demos sichern und schließlich die ganze Welt retten. Es wird gerade bitter gespottet an der Basis der Berliner Polizei.

Dazu kommen permanente interne Umstrukturierungen, ältere Kollegen gehen, aber die Stellen werden nicht neu besetzt. In der Bereitschaftspolizei führt das etwa dazu, dass viele Junge quasi Zwangsrekrutierte sind. Ohne Chance, auf absehbare Zeit zu wechseln.

Aber das alles ist letztlich nicht das wirkliche Problem dieses Mannes. Sein Problem lautet: „Wir sind zu liberal.“ Und dann sagt er noch einen Satz, der auch ausdrücken soll, warum er reden wollte: „Sie müssen wissen, in Kreuzberg gibt es keine Solidarität mit der Polizei. Wir sind der Feind.“

Lesen Sie, wie die Polizei enttarnt und beschimpft wird

Im Dauereinsatz. Auch hunderte Razzien haben den Drogenhandel im und um den Görlitzer Park nicht eindämmen können. Nun werden neue Ideen gesucht.
Im Dauereinsatz. Auch hunderte Razzien haben den Drogenhandel im und um den Görlitzer Park nicht eindämmen können. Nun werden neue Ideen gesucht.

© dpa

Er kann sich schon denken, was solche Sätze anrichten können und wie er dafür von bestimmten Kreisen angegriffen werden wird. Aber er kann ausführen, was er meint. Es gibt so viel zu erzählen.

Da ist zum Beispiel die öffentliche Wahrnehmung und die Wahrnehmung der Öffentlichkeit durch die Polizei: In den letzten Wochen haben viele Anwohner in Zeitungen berichtet oder im Fernsehen gesagt, dass sie die Nase voll hätten von den Drogen und den Dealern und dass endlich etwas geschehen müsse. Wendt und seine Kollegen haben da ganz andere Erfahrungen gemacht. Nirgendwo in der Stadt sei es so schwierig, zu observieren. Kürzlich versuchte es Wendt in einer Straße gegenüber dem Görlitzer Park. Unmöglich. In einem Hausflur wurde er heftig beschimpft und trotz eindringlicher Bitte als „Bulle“ enttarnt. Die gezielte Enttarnung, nicht nur durch Dealer, sondern auch durch Anwohner, „ist kein Einzelfall, das wird dort zur Regel“.

Es ist schwer, die Nerven zu behalten

Wie im Hausflur, so auf der Straße: perfekte Alarmketten derer, die die Polizei bekämpfen, die ihre Arbeit, wie Wendt sagt, „verunglimpfen und in den Dreck ziehen“. Wendts Kollegen erinnern sich noch, wie selbst die normalen Gewerbetreibenden rund um den Görlitzer Park die Dealer und ihre immer größer werdende Zahl an Kunden gerne hingenommen haben, weil es für das eigene Business gut war. Wendt sagt: „Und viele Einwohner haben uns vor einem Jahr noch frei heraus gesagt, die Dealer gehörten halt irgendwie dazu. Folklore. Kreuzberger Flair. Die fanden das schick!“

Mittlerweile benutzen die Fahnder spezielle Autos und besondere Technik, die hier nicht näher beschrieben werden können, um ihren Job zu machen.

Die, die observieren, haben aber noch die geringsten Probleme – sie müssen seltener um ihre Gesundheit fürchten. Objektiv betrachtet handelt es sich im Görlitzer Park in der Mehrzahl um Kleindelikte, Alltag für die Polizei. Aber die subjektive Wahrnehmung der Polizisten hat sich radikal verändert. Es gab keine tödlichen Angriffe, aber die Angst davor, dass es passiert, ist gestiegen. Denn mittlerweile, das ist die Erfahrung in Kreuzberg, kann jede harmlose Identitätsüberprüfung in massiver Gewalt münden.

Im Görlitzer Park, sagt Wendt, sei es längst üblich, dass bei polizeilichen Maßnahmen, in Zivil oder in Uniform, sofort zwei, drei Passanten hinzukämen, die die Sicherheitskräfte hysterisch beschimpfen, Handys zücken und Filmaufnahmen machen. Wendt springt aus seinem Sessel und demonstriert, was ihm und anderen widerfährt: „Die kommen dir ganz dicht ans Gesicht und brüllen und filmen.“ Es gibt einen Kollegen, mehr als 40 Jahre im Dienst, der über 5000 Festnahmen durchgeführt hat, und der in einer solchen Situation kürzlich beinahe die Nerven verloren hätte. Obwohl er geschult ist, seine Emotionen zu kontrollieren. Wendt sagt: „Was glauben Sie, wie jüngere Kollegen da unter Druck geraten.“

Wüste Beschimpfungen, das gezückte Handy als Kamera soll ja Reaktionen provozieren – das ist für die Polizei vor allem bei Demonstrationen Alltag, darauf sind sie eingestellt. Aber nun wird es die Regel auch im Kleinkriminellengeschäft.

Dann kann es passieren, wie im Juli, dass plötzlich ein Video im Netz auftaucht mit angeblicher Polizeigewalt, obwohl die nur ihren Job machte. Die Polizei stand am Pranger, musste darum kämpfen, dass die ganze Wahrheit in der Öffentlichkeit ankam. Die Polizisten, denen dies widerfährt, sind fassungslos und wütend. Ihre innere Überzeugung basiert darauf, dass sie die Guten sind, dass sie zum Schutz der Öffentlichkeit viel riskieren. „Ein junger Kollege kommt da schon mal ins Grübeln, und fragt sich, in welchen Film er da gelandet ist“, sagt Wendt.

Aber nicht nur am Görlitzer Park, sondern auch in der Hasenheide oder der U-Bahnlinie 8, wo die harten Drogen verkauft werden, gehört die Solidarität nicht der Polizei. Einmal nahmen Wendt und ein Kollege am U-Bahnhof einen Dealer fest. Normalerweise verschluckt der Dealer seine Ware schnell. Um das zu verhindern, müssen die Fahnder noch schneller sein, was bedeutet: „Griff an den Hals“. Immer wieder müssen sich die Polizisten dann Hasstiraden von Passanten anhören; „zwei gegen einen“ sei unfair, ist da noch das absolut Harmloseste. Wendt sagt: „Die Leute glauben, das sei ’ne Sportveranstaltung. Was wir da machen, finden die tatsächlich unfair. Unglaublich.“

Lesen Sie, was der Fahnder im Umland entdeckte: Hightech-Plantagen

Das kommt nicht mehr in die Tüte. Die Drogenbeauftragte von Berlin will den Haschisch-Konsum in Berlin eindämmen – mit der Hilfe von schärferen Gesetzen.
Das kommt nicht mehr in die Tüte. Die Drogenbeauftragte von Berlin will den Haschisch-Konsum in Berlin eindämmen – mit der Hilfe von schärferen Gesetzen.

© dpa

Den kleinen Dealern, auch das steigert den Frust der Ermittler in Richtung Ohnmacht, sei sowieso kaum beizukommen. So war das jedenfalls bisher, vor den neuen Maßnahmen der „Taskforce“. Und es war ein wichtiger Punkt auf Wendts persönlicher Liste von falscher Liberalität. Für eine U-Haft musste der Gefasste nämlich bisher mindestens 300 Gramm bei sich haben, sonst musste man sich gar nicht erst bemühen, die sogenannten Haftgründe zu ermitteln. Wendt sagt: „Es gibt nur einen Haftgrund, der wirklich gezogen hat, das ist der fehlende Wohnsitz.“ Mit anderen Gründen wie Verdunkelungsgefahr oder Wiederholungsgefahr komme man nicht weit. Aber wenn „der Kollege Dealer“ versichert, er habe seine Zahnbürste bei einem Freund – „dann wird er laufen gelassen“.

Ganz früher gab es kleine Spezialeinheiten, die kannten nicht nur ihre Dealer, sondern auch deren Umfeld, heute erledigen den ambulanten Job die Streifenpolizisten, aber die, erklärt der Beamte, haben nicht das nötige Wissen über die Person, um einen Haftbefehl zu erwirken. Wendt wäre es am liebsten, diese Spezialeinheiten würden wieder eingesetzt.

Bald wird es einen anderen Drogenumschlagplatz geben

Patrick Wendt ist noch immer von Herzen Polizist und ein engagierter Fahnder. Er nimmt seine Aufgabe ernst, er findet es gut, dass er da ist, um die Allgemeinheit zu schützen. Aber wenn er liest und hört, was nun alles geschehen soll, wegen des Görlitzer Parks, um das Drogenproblem zu lösen, dann zuckt er nur müde lächelnd mit den Schultern.

„Der Görlitzer Park hat jetzt schon ein Überangebot, deswegen sind viele Dealer längst in die Seitenstraßen, U-Bahnhöfe oder Hinterhöfe ausgewichen. Irgendwo, bald, wird es ganz gewiss einen anderen Park geben, einen anderen Ort. Und dann wird es wieder heißen: Wir brauchen noch mehr Polizei.“

Wendt hat ein paar gute Hinweise darauf, dass seine These so falsch nicht sein kann. Er kennt nicht nur die kleinen Dealer in Kreuzberg oder Neukölln. Er weiß, wo der Nachschub herkommt, und er ist überrascht, trotz seiner langen Berufserfahrung, von der Professionalität der Produzenten. Das sind die wirklich großen Fische.

Sie sitzen in Berlin, aber seit einiger Zeit verstärkt im Umland. Das ist ein Trend. Letztens führte eine Ermittlung Wendt mit seinen Kollegen an einen Ort in Brandenburg. Was sie hinter den Mauern eines alten DDR-Konsums sahen, verschlug ihnen die Sprache. „Das war eine Hightech-Plantage, gepflegt von einem Profigärtner, versteckt hinter Rigipswänden und in einem riesigen Zelt, von außen war nichts einsehbar, alle Fenster verhangen, aber von innen war alles perfekt belüftet, Industriefilter haben sogar den typischen Geruch weggezogen.“

Wendts Truppe sicherte 1500 Pflanzen, eine Pflanze bringt 300 Gramm; über drei Perioden geerntet, ergibt das ein Produkt, das eine sichere, gute Marge bringt. Ihn treibt das um, denn die Dealer müssen nicht mehr mit Risiko schmuggeln, wenn sie perfekt versteckt und unbehelligt selbst produzieren können. Längst gibt es erfolgreiche Franchise-Unternehmer, die sich auf dem berlin-brandenburgischen Drogenmarkt tummeln.

Der Mann, der hier berichtet hat, muss jetzt gleich los. Aber vorher erzählt er noch eine letzte Geschichte von einem Dealer, der mittlerweile fast 30 Jahre ist. Wendt kennt ihn seit vielen Jahren, und manchmal kommt es ihm vor, als grüße er da einen alten Bekannten. Dieser Dealer sagte zu ihm: „Wenn ich in den Knast komme, ist das ein Familientreffen.“ Er gehört zu einer jener kriminellen Großfamilien mit arabischen Wurzeln, von denen es einige in Berlin gibt.

„Euer Knast“, sagte der Dealer, „ist wie ein Hotel im Libanon.“

Der Autor ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel. Zuletzt schrieb er über den Film "Das Ende der Geduld", in dem es um die Jugendrichterin Kirsten Heisig geht.

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