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Immer weiter. Das Erdbeben hat viele Straßen zerstört, ganze Regionen abgeschnitten. Als der Geländewagen nicht weiter kommt, marschieren die Mönche zu Fuß zum Ziel.

© Nicole Graaf

Erdbeben in Nepal: Hilfe nach Buddhas Lehre

Nach dem großen Beben in Nepal sind viele noch immer mit ihrer Not allein. In abgelegenen Bergdörfern helfen Mönche allen, zu denen sonst keiner kommt. Sie bringen Wellbleche für Hütten und das, was die Menschen am meisten brauchen: Trost.

Tulku Sherab Zangpo steigt aus dem weißen Geländewagen und schlägt den Umhang seiner weinroten Robe über die Schulter, läuft ein paar Schritte. In seinen Trekkingschuhen stapft der buddhistische Mönch den matschigen Weg in einer entlegenen Bergregion nördlich von Kathmandu entlang. Am Rand fällt der Hang fast senkrecht ab. Ringsherum nichts als Wald. Die Straße, eher eine Piste aus Geröll und sandigem Boden, ist vom Erdbeben und den Gewittern der vergangenen Tage völlig zerfurcht. „Wir müssen da rauf, die Menschen brauchen uns“, sagt er.

Die Katastrophe hat nicht nur große Teile der nepalesischen Infrastruktur zerstört, mehr als 8000 Menschen getötet – sie hat das Land auch geteilt. In jene, die nach dem großen Beben in ihrer Not schnell Hilfe bekamen und jene, die mit ihrer Not allein blieben. Tulku Sherab Zango und die anderen Mönche, die mit ihm unterwegs sind, wollen dort helfen, wo sonst niemand hilft.

Mitgefühl ist das erste Gesetz ihres Glaubens

Dass sie helfen müssen, ist für sie keine Frage. Das erste Gesetz ihres Glaubens lautet, Mitgefühl mit allen Wesen zu kultivieren und danach zu handeln. Um die Gefahr, in die sie sich selbst auf dieser Straße begeben, scheren sie sich deshalb nicht, weil das egoistisch wäre.

Der Fahrer ist zwar auch Buddhist, aber noch lange kein Mönch. „Das war’s, weiter fahr ich nicht“, sagt er. Tulku Sherab Zangpo schiebt seine runde Brille auf die Nase und schnauft leise. Der quirlige 33-Jährige ist religiöses Oberhaupt von Dolpo, einer der abgelegensten Regionen Nepals. Mit seinen Freunden, ebenfalls Mönche, die er in dem Kloster kennengelernt hat, wo er seine Ausbildung absolviert hat, ist er unterwegs, um Wellbleche in ein zerstörtes Bergdorf in der Region Hyolmo, etwa 30 Kilometer nördlich von Kathmandu, zu bringen. Damit können die Menschen Unterkünfte bauen, die einerseits im Falle eines Nachbebens ihre Bewohner nicht erschlagen und anderseits dem nahenden Monsun standhalten.

Mancherorts gibt es zu viel Hilfe, woanders gar keine

Seit mehr als zwei Wochen sind die Mönche fast täglich unterwegs. 600 Haushalte haben sie bisher mit Wellblechen versorgt, mehr als 100 weitere Sets müssen noch verteilt werden. Das Geld dafür stammt vor allem von einem Abt des Klosters, wo die Mönche studiert haben und von Tulku Sherab Zangpos Schülern und Freunden aus dem Ausland. Tulkus Stiftung, die Dolpo Tulku Charitable Foundation, kümmert sich normalerweise um Bildungs- und Gesundheitsprojekte in seiner Heimat.

Nun hat eine Studentengruppe aus der Region Tulku Sherab Zangpo um Hilfe gebeten. Während die Mönche mit dem Jeep vorgefahren sind, organisieren die Studenten den Transport der Wellbleche per LKW. Sie sollen später nachkommen.

Das Gebiet, in dem die Mönche helfen wollen, liegt etwa 30 Kilometer nördlich von Kathmandu
Das Gebiet, in dem die Mönche helfen wollen, liegt etwa 30 Kilometer nördlich von Kathmandu

© TSP/PM

Die Einsätze der staatlichen Hilfskräfte und der ausländischen Organisationen werden zentral von der nepalesischen Regierung in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen koordiniert; eigentlich ein gutes System, um den Überblick zu behalten. Aber es ist zu hören, dass sich mancherorts die Hilfsorganisationen gegenseitig behindern, während anderswo gar niemand ist.

Die Nepali sind es gewohnt, dass auf ihre Regierung kein Verlass ist. Deshalb hat sich eine Vielzahl an sozialen, religiösen und kulturellen Vereinen und Initiativen gebildet. Auch die vielen Klöster zählen dazu. Ihre Netzwerke funktionieren in dieser Krise sehr viel besser als die Hilfe der Regierung, vor allem in den unzugänglichen Gebieten.

"Die Leute hier brauchen uns dringender"

Etwas ratlos steht die Gruppe nun vor dem Jeep, einer der Mönche telefoniert, um herauszufinden, wie weit die sechs LKW mit den Wellblechen bereits gekommen sind. „Wir könnten zuerst woandershin fahren und es morgen noch einmal hier versuchen“, sagt Tulku Sherab Zangpo, aber verwirft den Gedanken gleich wieder: „Die Leute hier brauchen uns dringender. Sie rechnen fest damit, dass wir kommen.“ Zudem soll es in der Nacht wieder gewittern, es würde noch schwieriger, die Dörfer zu erreichen.

Während die Bevölkerung angesichts der zwei starken Erdbeben und vielen Nachbeben extrem verunsichert ist, ist es Aufgabe der geistlichen Autoritäten, Ruhe zu bewahren und für die Menschen da zu sein. Durch tägliche Meditation über viele Jahre sind die Mönche darauf trainiert, sich durch nichts aus der Fassung bringen zu lassen, auch nicht durch ein Erdbeben. Diesen Gleichmut versuchen sie den Betroffenen nun zu vermitteln.

Auf dem Handy spiel tibetische Volksmusik

Selbst zu Fuß ist der anderthalbstündige Marsch bis zur nächsten Siedlung auf dem Bergkamm beschwerlich. Mehrfach geht es über Geröll und Schlammfelder. Das Beben hatte in den Bergen Erdrutsche ausgelöst. Um besser laufen zu können, hat einer der Mönche seine Robe gerafft. Darunter trägt er knielange blaue Shorts mit Emblem des FC Barcelona. Auf halber Strecke kommen der Gruppe die Helfer entgegen. Sie tragen Schaufeln und Hacken.

Internationale Retter helfen bei den Bergungsarbeiten.
Internationale Retter helfen bei den Bergungsarbeiten.

© dpa

Die Mönche sind guter Dinge und spielen tibetische Volksmusik auf ihren Handys. „Wir sollten nicht die ganze Zeit an das Erdbeben denken, sondern unserem Geist auch mal eine Gelegenheit zur Entspannung geben“, hatte Tulku Sherab Zangpo schon auf der Fahrt gesagt und die anderen aufgefordert, mit ihm ein Lied zu singen.

Tulku Sherab Zangpo hat das erste große Beben miterlebt und die Panik selbst gespürt. Er war gerade in einem der großen Klöster von Kathmandu, 400 Mönche saßen in der Gebetshalle beisammen. Dann fingen die Säulen an zu schwanken. Er sagt: „Wenn ich nur an meine eigene Angst denke, hab ich keine Kraft mehr den Leuten zu helfen.“

Häuser aus Zement wären stabiler

Als die Mönche schließlich den Bergkamm erreichen, steht die Sonne bereits tief. Der Blick fällt auf mehrere völlig zerstörte Dörfer. Die orangefarbenen Planen, die nach dem Beben für erste Notunterkünfte verteilt wurden, muten an wie Warnschilder.

Für die Nacht kommen die Mönche bei einer Familie unter. Das Haus der Gastgeber ist ebenfalls kaputt. Das Beben hat in den Bergdörfern vor allem deshalb so viel Schaden angerichtet, weil die Schiefersteinbrocken der Gebäude nur mit etwas Lehm zusammengehalten werden. Zement wäre stabiler, aber er muss mühsam aus dem Tal hinaufgebracht werden. Die Familie hat mit den Wellblechen aus einem alten Dach eine kleine Hütte gebaut, in die zwei Betten und eine Kommode mit persönlichen Dingen passen.

Trotz ihrer Lage serviert die Familie Tee, Kekse und getrocknete Früchte. „Unser Haus ist zwar auch zerstört“, sagt der Gastgeber, „aber die Leute in den abgelegeneren Tamang-Dörfern sind sowieso so arm. Es ist gut, dass ihr denen zuerst helft.“

Seelischer Beistand ist vielen wichtiger als materielle Hilfe

Der Mönch mit den Barcelona-Shorts verteilt Mani Rilbu, kleine braune Kügelchen aus getrockneten Kräutern, die aussehen wie Globuli. Sie werden im Kloster hergestellt und sollen Segen und Gesundheit bringen. Für die verunsicherten Menschen hier wirken sie wie Beruhigungsmittel. „Nimm eins jetzt, und bewahre eines auf, falls wieder ein Erdbeben kommt“, rät der Mönch einem alten Mann. Der bedankt sich mit einer tiefen Verbeugung. Der seelische Beistand ist vielen hier wichtiger als materielle Hilfe.

Eine alte Frau mit grauem Zopf und traditionellem Wickelkleid bittet die Mönche in ihre Teestube. Sie erzählt, wie plötzlich alles wackelte, sie hin und her geschleudert wurde und die Teller und Tassen vom Regal fielen. Sie wirkt verängstigt. „Schau mal“, sagt ein Mönch im sanften aber eindringlichen Tonfall eines buddhistischen Lehrers. „Ihr habt eure Vorräte noch und auch eure Felder. In Afrika gibt es viele Menschen, die gar nichts haben. Wenn du dir Sorgen machst, dann denke daran, dass es euch hier immer noch viel besser geht.“ Die alte Frau schenkt Tee nach.

Die Altstadt Kathmandus ist kaum wiederzuerkennen.
Die Altstadt Kathmandus ist kaum wiederzuerkennen.

© AFP/Prakash Mathema

Am nächsten Morgen kommen die LKW mit den Wellblechen als auch die Mönche in Kutumsang an – dem Ziel der Reise. Die Mönche werden mit Khatags empfangen, weißen Schals, die Reinheit und Segen bedeuten.

Manche Hilfegesuche hat der Mönch abgelehnt

Während internationale Hilfsorganisationen häufig teure Berater beschäftigen, die den Erfolg ihrer Projekte analysieren, haben die Mönche ihr eigenes Monitoringsystem eingerichtet. „Wir schicken immer erst ein Team von zwei, drei Leuten los, um die Situation zu beurteilen“, hatte Tulku Sherab Zangpo erklärt. Er hat schon manche Hilfsgesuche abgelehnt, weil er fand, anderswo dringender gebraucht zu werden.

Das System funktioniert vor allem durch persönliche Kontakte und Vertrauen – Vertrauen darauf, dass die tiefgläubigen Menschen die Mönche nicht betrügen. In der unübersichtlichen Situation werden mancherorts Nahrungsmittel oder Zeltplanen aus Hilfslieferungen gehortet oder weiterverkauft. Deshalb mussten die Mönche auch selbst mitfahren und konnten die Übergabe nicht allein dem Studentenverein überlassen.

"Jetzt wo wir sie brauchen, lassen sie uns im Stich"

Die Studenten haben einen Tisch für die Übergabe aufgebaut. Jeder der fast 200 Einwohner aus der Umgebung quittiert den Empfang auf einem Din-A4-Formular mit Daumenabdruck und Unterschrift. Ein Mönch läuft durch das Gedränge und fotografiert alles mit dem iPad. Die Spender sollen wissen, dass das Geld ordentlich verwendet wurde. Weil der mobile Internetempfang in den Bergen besser funktioniert als im überbevölkerten Kathmandu, landen die Bilder gleich auf Facebook.

Ein Mittvierziger mit grauem Bart, lilafarbenem Sportanzug und Flipflops, fängt an zu schluchzen, während er sich für die Hilfe bedankt. „Wenn Wahlen sind, kommen die Politiker zu uns und betteln um Stimmen“, sagt der Mann. „Aber jetzt, da wir sie brauchen, lassen sie uns im Stich.“

„In ein paar Tagen werden wir wiederkommen und nachschauen, ob ihr eine gute Unterkunft gebaut habt“, mahnt einer der Mönche. Dann tritt die Gruppe den Marsch zurück an. Zwei Stunden steil bergab über das Geröll. Scheinbar gleichmütig und mit tibetischen Volksliedern auf dem Handy.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegel

Auch der Tagesspiegel sammelt Geld für die Erdbebenopfer in Nepal.
Spendenaktion Der Tagesspiegel e.V.,
Verwendungszweck: "Menschen helfen!",
Berliner Sparkasse
BLZ: 100 500 00
Konto: 250 030 942

Mehr zum Verein erfahren Sie hier

Die Dolpo Tulku Charitable Foundation von Mönch Tulku Sherab Zangpo können Sie hier unterstützen

Nicole Graaf

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