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Förmlich. Auf Joachim Gaucks Programm in Myanmar stand auch ein Treffen mit der Friedensnobelpreisträgerin und Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi.

© dpa

Gauck im Goethe-Institut: Hoher Besuch in Myanmar

Mehr als 50 Jahre war das Goethe-Institut in Myanmar geschlossen. Nun wird wieder Einweihung gefeiert, mit höchstem Besuch aus Deutschland. Die Künstler lässt das hoffen: auf Investitionen in Kultur und Bildung. Und dass ihr Land nicht vom Weg abkommt – hin zu Demokratie und Gerechtigkeit.

Kaum ist unter Palmen und bunten Bastschirmen das Zusammenspiel zwischen westlichem Jazz und den von Hand geschlagenen birmesischen Trommeln verklungen, sprengt der Bundespräsident das Protokoll. Joachim Gauck im schwarzen Anzug eilt in der tropischen Nachmittagshitze von Yangon, der Viermillionenmetropole Myanmars, das früher Birma hieß, auf den deutschen Komponisten und Saxofonvirtuosen Jan Klare, auf dessen Kompagnon Tim Isfort am Bass und die myanmarischen Musikerkollegen zu, schüttelt Hände und ruft aus: „Ich habe so etwas noch nie gehört! Dass Menschen, die so entfernt voneinander aufgewachsen sind, mit ihren unterschiedlichen Traditionen derart wunderbar zusammenwirken können, ist für mich der Beweis, was Kultur bewirken kann.“

Joachim Gauck ist in Myanmar auf Staatsbesuch. Begleitet von einer Wirtschaftsdelegation. Am Vortag hat er in der rund 400 Kilometer landeinwärts gelegenen, im Jahr 2005 von der damaligen Militärregierung ins Retortenleben gerufenen neuen Hauptstadt Nay Pyi Taw dem amtierenden Ex-General und Staatspräsidenten Thein Sein seine Aufwartung gemacht. Ist dort über 20-spurige Geisterstraßen auch zur Visite bei der erst seit Ende 2010 aus dem jahrelangen Hausarrest entlassenen Friedensnobelpreisträgerin und Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi gefahren. Das war für Gauck erkennbar das Pflichtprogramm.

Aber jetzt hat er hier im Garten vor einer malerisch angegammelten Kolonialstilvilla mit dem symbolischen Scherenschnitt durch ein rotes Band das künftige Domizil des Goethe-Instituts in Yangon eröffnet. Ihm zur Seite der in weißes Leinen und Seide gehüllte Kulturminister Aye Myint Kyu, eine stumme Würdemaske, und Klaus-Dieter Lehmann, der Präsident aller nunmehr weltweit 159 Goethe-Institute. Lehmann zitiert in seiner Begrüßungsrede ein myanmarisches Sprichwort: „Kultur und Bildung sind eine goldene Schale, die niemand stehlen kann.“ Eine Ansprache des Bundespräsidenten ist gar nicht vorgesehen. Doch Gauck wirkt ergriffen vom Genius Loci.

Die Villa hatte sich Anfang der 1920er Jahre ein chinesischer Teakholz-Tycoon erbaut. Am Ende des Zweiten Weltkrieges diente sie als Hauptquartier der gegen die britische Kolonialherrschaft gerichteten Unabhängigkeitsbewegung des birmesischen Generals Aung San, des Vaters der jetzigen Freiheitsikone Aung San Suu Kyi.

Der Ort könnte kaum symbolträchtiger sein. Ihn hat Franz Xaver Augustin, der Direktor des Yangoner Instituts, beharrlich erkämpft. Gut ein Jahr lang wird man das Haus noch renovieren müssen und bis dahin mit dem deutschen Sprachunterricht und der kleinen, pionierhaften Verwaltung Unterschlupf beim befreundeten französischen Kulturinstitut finden. Aber in den luftigen Räumen der künftigen Goethe-Villa gibt es zur Einweihung schon Installationen, Videos und Fotografien deutscher und einheimischer Künstler zu sehen.

Es sind Arbeiten unter anderem aus einem Workshop zu der Frage „What Means Democracy from your Personal View?“, den die Berliner Fotografin Nora Bibel im Auftrag des Goethe-Instituts Yangon betreibt. Ein Bild ist dabei auch Joachim Gauck besonders ins Auge gefallen. Es zeigt die Nahaufnahme eines spaltbreit geöffneten eisernen Vorhängeschlosses, das der sehr junge Fotograf Kyaw Ko Htet „Not opening. Behind the Present“ genannt hat.

Die Angst schien in Myanmar bis vor kurzem noch fast übermächtig

Von der Öffnung des Landes und dem Weg in die erst zu befestigende Demokratie hat Gauck am Dienstagmittag vor 600 Studenten und Lehrenden in der Aula der Universität Yangon gesprochen. Doch anders als in kleinerem Kreis oder später spontan im Goethe-Institut, ist der eloquente Ex-Pastor kein besonders zündender politischer Rhetoriker. Gauck spricht auf Deutsch, wird simultan übersetzt, und das Bekenntnis des gebürtigen Rostockers, zwei Drittel seines eigenen Lebens in einem „Unrechtsstaat“ verbracht zu haben, macht Eindruck und wird tags darauf auch in myanmarischen Zeitungen zitiert. Die markantesten Formulierungen aber borgt sich der Bundespräsident. Er zitiert Barack Obama, der hier im Mai 2013 gesagt hat: „Das wichtigste Amt der Demokratie ist das Amt des Bürgers.“ Und Gauck nimmt Aung San Suu Kyi mit dem Satz auf: „Angst ist nicht der natürliche Zustand eines zivilisierten Menschen.“

Die Angst schien in Myanmar bis vor kurzem noch fast übermächtig, ein freies Gespräch in der Öffentlichkeit, berichten einem die Ortskundigen, war wegen der Unzahl von Sicherheitskräften und Spitzeln kaum möglich. Seit 1962 hatte ein Militärregime unter sozialistischem Banner das Land isoliert, es hatte 1988 den Protest der Studenten und 2007 die „Safran-Revolte“ der buddhistischen Mönche blutig niedergeschlagen, hatte 2008, als ein Zyklon im Ayeyarwady-Delta binnen 13 Stunden mehr als 130 000 Menschen tötete, brutal alle ausländische Hilfe verweigert. Die Generäle bereicherten sich und trieben ihr Land in den Ruin.

Yangon, das früher Rangun hieß, war einmal hinter Liverpool der zweitgrößte Seehafen der Welt. Heute wirken die Docks am meernahen Yangon River halb verwaist, und wohlinformierte britische Diplomaten erzählen, dass einige der im Hitzedunst dahinschippernden Containerboote wohl noch immer den geheimen Waffengeschäften von und mit Nordkorea dienen. Rangun jedenfalls prunkte einst nicht nur mit seiner von zig Tonnen Gold überglänzten riesigen Shwedagon-Pagode, die Stadt war bis Anfang der 1960er Jahre, lange vor Bangkok oder Singapur, das wichtigste Luftdrehkreuz Südostasiens, das Pro-Kopf-Einkommen Birmas lag beim Doppelten Thailands, heute beträgt es nur noch ein Zwanzigstel.

Dabei ist Myanmar überreich an Bodenschätzen: Gold, Edelsteine, Erdgas, Öl, seltene Erden und die Teakholzwälder, die den Raubbau einst durch die Engländer und bis heute die Chinesen überlebt haben. Seit Präsident Thein Sein die Uniform ausgezogen hat und als Mitglied der alten Nomenklatura die Rolle eines ostasiatischen Gorbatschows spielt, seit sich das Land vor drei Jahren für seinen Transformationsprozess geöffnet hat, drängt nun vor allem der Westen auf Investitionen – und Reformen.

Das begrüßen auch Künstler, Intellektuelle und Publizisten wie Zarganar. Er ist der berühmteste Schauspieler und Medienmann des Landes, er wird von Millionen geliebt für seine Clownerien, für seine ironischen Witze über die Mächtigen und Gerissenen der Gesellschaft. Ein Komödiant als Gesicht der Freiheit, der Folter und insgesamt elf Jahren Gefängnis getrotzt hat, er verkörpert den dramatischen Zwiespalt im neuen Myanmar. Alle kennen und nennen ihn nur mit seinem Künstlernamen Zarganar. Als er 2012 im Alter von 50 Jahren erstmals in seinem Leben einen Pass erhielt, fuhr er zunächst nach Thailand und Kambodscha zu geflohenen Freunden aus dem politischen Widerstand.

Viele in Myanmar und auch in der westlichen Welt hoffen auf einen Sieg der Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi.

Zarganar, im blütenweißen Hemd und dem traditionellen Sarong als Beinkleid, ist ein untersetzter Mann mit dem runden Kahlschädel eines buddhistischen Mönchs, mit einem feinen Lächeln und noch feineren Händen, die seine Reden begleiten. Wir treffen ihn in einem der von Modernität und Morbidität gleichermaßen gezeichneten Geschäftshäuser im Süden Yangons. An der schmalen Fassade steht „House of Media and Entertainment“. Die Firma hat er vor kurzem mit Freunden gegründet.

Im zweiten Stock öffnet sich eine fast unmöblierte Vorhalle mit betriebig umherlaufenden jungen Leuten, die Augen und Ohren an ihren Handys, und an der sonst kahlen Stirnwand hängt ein Großfoto von Mahatma Gandhi. Zarganar empfängt dahinter in seinem holzgetäfelten Büro ohne Außenfenster. Und beginnt sofort zu erzählen. Dabei klingt die Stimme wie von einem birmesischen John Wayne, ein umwerfend aufgerauter Bariton. Aus so viel Tiefe freilich kommt eine sanfte Klugheit. Statt Gandhi zitiert Zarganar sogleich Nelson Mandela, als er über das Erbe der Diktatur spricht. „Mandela hat einst gesagt: Forget and forgive. Ich sage, wir wollen vergeben, aber nicht vergessen.“

Was heißt das für ihn: vergeben ohne zu vergessen? Zarganar erzählt, dass er im Gefängnis – unter Wasser – Elektroschocks und rückwärts an den Armen aufgehängt, Torturen erduldet hat, die ihn über das irakisch-amerikanische Gefängnis in Abu Ghraib sarkastisch sagen lassen: „Das waren wohl eher leichte Foltern!“ Ist er den Verantwortlichen für seine Schmerzen später noch einmal begegnet? „Oh ja“, ruft er aus. „Der Offizier, der mich bis zum Kopf eingraben ließ und dann mit dem Jeep über mich hinweggefahren ist, wurde bei einer Säuberung innerhalb des Militärs 2004 selber verhaftet und kam in meine Nachbarzelle. Er hatte nun furchtbare Angst vor mir und konnte kaum verstehen, dass ich ihm mein Essen anbot. Er sitzt heute noch ein, und ich bin frei“, lächelt Zarganar, „so absurd ist unsere Situation.“

Die Gesellschaft braucht die politische und ökonomische Öffnung

Augenblicklich ist eines seiner Filmteams unterwegs, um die landesweiten Vorbereitungen für eine Volkszählung fürs Fernsehen zu begleiten. Der Zensus steht im Zusammenhang mit den für 2015 geplanten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, von denen sich viele in Myanmar und auch die westliche Welt einen Sieg der Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi erhoffen. Jetzt aber befürchten zahlreiche der 135 ethnischen Gruppen Myanmars und die von der buddhistischen Mehrheit verfolgten muslimischen oder christlichen Minderheiten neue Schikanen durch die amtliche Registrierung. Zarganar: „Es werden 41 Fragen gestellt, und die Leute sind misstrauisch, weil sie auch beantworten sollen, ob sie einen Fernseher, einen Computer, ein Auto oder Motorrad haben. Warum will das die Regierung wissen?“

Traut er selbst der Regierung? „Ich glaube, Präsident Thein Sein will die Demokratie. Er ist flexibel und weiß, dass die Gesellschaft politisch und ökonomisch die Öffnung braucht. Aber er kommt aus dem Militär, wo man Gehorchen und Befehlen lernt, aber keine Kultur der freien Diskussion. Er muss das selber erst lernen.“ Und Zarganar wird manchmal direkt vom Präsidenten angerufen und um Rat gefragt. Er habe mit Freunden 2012 in Yangon ein internationales Filmfestival mit dem Motto „The Art of Freedom“ organisiert, unter der Schirmherrschaft von Aung San Suu Kyi. „Da ist der Präsident zu dem Dokumentarfilm von einem unserer oppositionellen Exilregisseure gekommen, der hat ihm gefallen. Danach hat er gesagt: ,Jeder Künstler soll die Regierung kritisieren können.’ Das war ein Meilenstein!“

Inzwischen wurde Zarganar mit anderen ehemaligen Führern der studentischen Revolte von 1988 in ein Komitee zur Untersuchung der Lage der (früheren) politischen Gefangenen berufen. Mehr als 6000 Häftlinge hat Thein Sein entlassen, und offiziell sollte es keine politischen Gefangenen mehr geben. Doch kürzlich erst wurden fünf Journalisten verhaftet, die über eine angebliche Giftgasfabrik, betrieben von einem früheren Mitglied der Militärjunta, berichtet hatten.

Auch die 1966 geborene Autorin und Menschenrechtsaktivistin Ma Thida ist besorgt. Sie war fünf Jahre im Gefängnis und konnte später auf Einladung der Harvard University in den USA lehren und ihren international gerühmten Birma-Roman „The Roadmap“ veröffentlichen. Jetzt leitet sie in Yangon die Redaktion einer politischen Wochenzeitung und in ihrem winzigen Büro auch noch den PEN-Club von Myanmar. „Wir müssen den Druck auf die Regierung bis zu den Wahlen 2015 aufrechterhalten und für eine freiheitlichere Verfassung streiten.“ Eine Beratung der „anderen Seite“, wie sie Zarganar für sinnvoll hält, lehnt sie ab.

Ma Thida oder der nach seiner Haftentlassung auch in deutschen und europäischen Museen gezeigte Maler, Videokünstler, Verleger und Galerist Aye Ko hoffen auf das jetzt wiedereröffnete Goethe-Institut. Es war zwischen 1959 und 1962 das erste deutsche Kulturinstitut in Südostasien und während der Militärdiktatur über 50 Jahre geschlossen. Doch hat Goethe-Direktor Franz Xaver Augustin seit einigen Jahren schon als Regionalleiter für alle südostasiatischen Institute feine Fäden nach Yangon gesponnen. So schwärmen die jungen Studenten der aus deutschen und EU-Geldern geförderten Yangon Film School bereits von ihrer Teilnahme „bei der nächsten Berlinale“, und die Musikschule Gitameit forciert die Fusion von Jazz, Rock und myanmarischer Volksmusik. „Investionen in Kultur und Bildung“, sagt Augustin, „sind auch hier ein Ferment der Zivilgesellschaft, ohne die weder Politik noch Wirtschaft funktionieren.“

Am Donnerstagabend zeigt die Berliner Tanztruppe von Sasha Waltz auf Einladung des Goethe-Instituts noch einmal ihr Stück „Travelogue“ im Yangoner Nationaltheater. Für die Gastspielpremiere am Dienstagabend gab es Befürchtungen wegen der (eigens verlängerten) Slips der Tänzerinnen und Tänzer. Und bei einem Tango als erotisch-emanzipativem Geschlechterkampf wirkten fünfhundert Zuschauer plötzlich ganz atemlos leise – in einem Land, in dem sich Paare bis heute kaum öffentlich küssen oder berühren dürfen. Danach: Aufschreie, Bravos, stehende Ovationen.

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