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Lichtblick. Die Gerhart-Hauptmann-Schule soll nun renoviert werden. Die Flüchtlinge dürfen auch währenddessen dort wohnen bleiben.

© DAVIDS

Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg: Ausnahmezustand für Flüchtlinge beendet - vorerst

Sie sind müde - und unzufrieden. Das sagen die Flüchtlinge in der Kreuzberger Gerhart-Hauptmann-Schule. Mit dem Bezirk schließen sie einen Kompromiss. Sie bleiben. Die Polizei soll weg. Der Ausnahmezustand scheint zuende zu gehen. Zumindest für den Moment.

Es ist noch früh am Mittwochabend, als Hans-Christian Ströbele die Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg durch einen Seiteneingang betritt. In seiner Tasche: ein Angebot an jene Flüchtlinge, die das Gebäude besetzt halten. Ob sie es annehmen werden, ist da noch lange nicht klar.

Es ist kein Unterstützer, kein Flüchtling, sondern die Berliner Polizei, die kurz zuvor getwittert hat: Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg teilt mit, dass die Verhandlungsführer ein Ergebnis erzielt haben. Informationen darüber folgen prompt über andere Kanäle. Der linke Abgeordnete Hakan Tas, einer der Unterhändler, lässt verlauten, wie die Einigung aussieht: Die Flüchtlinge sollen die ersten beiden Stockwerke räumen. Sie dürfen in der dritten Etage bleiben, auch auf das Dach dürfen sie weiterhin. Jeder, der noch drin ist im Gebäude, bekommt einen Hausausweis. Ein privater Sicherheitsdienst soll den Zugang kontrollieren.

Wird die Schule geräumt, wird sie nicht geräumt – oder vielleicht nicht vollständig? Die Antwort lässt auf sich warten.

Und so dauerte er erst einmal weiter an, der ganz normale Kreuzberger Ausnahmezustand der vergangenen Tage. Der Bereich um die Ohlauer Straße ist großflächig abgesperrt, überall stehen die dick wattierten Einsatzkräfte der Polizei. Allein von den umliegenden Dächern ziehen sie und 250 Unterstützer. Während der vergangenen Tage und Nächte hatten sich die Demonstranten an der Straßenecke eingerichtet, mit Musik, Megafon und Sprechchoranimation. Sogar eine Massage-Bank ist aufgebaut. Wer die Nacht in Schlafsäcken auf den Pflastersteinen verbracht hat, kann sich hier durchkneten lassen.

Die Bewohner der abgeriegelten Straßen wurden während der vergangenen Tage auf ihrem Nachhauseweg kontrolliert. Wer keine Wohnadresse nachweisen konnte, erhielt einen Aufpasser zur Seite gestellt. Einkaufstüten galten als Verdachtsmoment. Könnten ja Lebensmittel für die Flüchtlinge drin sein. Nur Post und Müllabfuhr durften unbehelligt passieren. Die gesperrten Straßen wirkten, als seien die Bewohner und Kneipenwirte kollektiv verreist. In den Parklücken dösten Polizisten in ihren Fahrzeugen. Die bekannten Hinterhof-Schlupflöcher in die Schule oder direkt auf das Dach waren von Beamten blockiert.

Auch vor dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg mit dem Büro von Bürgermeisterin Monika Herrmann standen seit Tagen Mannschaftswagen der Polizei. Besucher mussten durch „Sicherheitsschleusen“, Flurtüren waren von innen verriegelt. Vor einigen Tagen war das Büro der Bezirksbürgermeisterin von Flüchtlingsaktivisten besetzt worden. Monika Herrmann hakte solche Störungen bisher ab – mit ihrem typischen Siegerlächeln. Subtext: Am Ende umarmen sich doch alle. Ist halt Kreuzberg hier, dafür lieben wir es ja .

Seit einigen Tagen sah man dieses Lächeln nicht mehr. Die Bezirksverordnetenversammlung vom Donnerstag wurde aus Sicherheitsgründen abgesagt. Das Flüchtlingsdrama von Berlin hat seine entscheidende Zuspitzung erreicht. Nach der Befriedung des Oranienplatzes durch ein Kompromisspapier mit dem Senat waren alle politischen Verhandlungen in der Schule geplatzt. Grünen-Stadtrat Hans Panhoff richtete ein „Räumungsersuchen“ an die Polizei, verbunden mit der Bitte, erstmal eine friedliche Lösung zu suchen. Die Polizei spielte seit Dienstagmittag eine der Hauptrollen im Schlussakt des Dramas.

Auf dem Dach der seit Dezember 2012 besetzten Schule in der Ohlauer Straße sitzen am späten Mittwochnachmittag noch Flüchtlinge, dieses Dach ist ihr Faustpfand. „Freedom“ haben sie auf die Dachpappe gemalert. Sobald geräumt werde, wollten sie herunterspringen, hatten einige gedroht. Oder gleich die ganze Schule anzünden. Hans Panhoff, der schon vorab die politische Verantwortung für alle Geschehnisse an der Schule übernommen hat, hätte dann zurücktreten müssen. Und wer noch?

Das Seufzen des Baustadtrats

Am Abend dann steht plötzlich nur noch einer der Flüchtlinge auf dem Dach. Er ballt die Fäuste. „Freedom“, ruft er laut. Freiheit! Und er tanzt zu Hip-Hop-Musik. Wird es bald eine Einigung geben? Vielleicht, heißt es. Wer weiß das so genau. Warten, tanzen, sitzen, reden, etwas anderes bleibt nicht zu tun.

Hans Panhoff seufzt ausgiebig, wenn ihm jemand mit Fragen zu nahe rückt. Das mag er nicht. Privates behält der gelernte Stadtplanungsingenieur aus Karlsruhe lieber für sich. Bis auf den Hinweis, er sei ja selber mal Hausbesetzer gewesen. Darauf ist er stolz. In einem Radiobeitrag über die Veteranen der Bewegung aus den 80er-Jahren erklärt er rückblickend: „Wir sind jetzt nicht so die Truppe, die sich alle die schwarzen Jacken überstreifen und gemeinsam auf die Demo gehen und die Kapuzen runterziehen. Das waren wir nie und das werden wir auch nie.“ Aber das Leben wollten sie schon neu erfinden, jenseits aller Bürgerlichkeit. Dass er mit dieser Vergangenheit mal einen Polizeieinsatz gegen Flüchtlinge anordnen würde, hätte er selbst nicht für möglich gehalten. Der Bruch mit den ideologischen Dogmen seiner grünen Kreuzberger Parteibasis ist auch ein Bruch mit dem eigenen politischen Gewissen. „Ich bin hin- und hergerissen. Es ist sehr ambivalent“, sagte Panhoff nach seiner Entscheidung für die Räumung. Sollte die Partei ihn zum Rücktritt drängen, werde er sich fügen.

Seine Entscheidung war ein Alleingang. Monatelang kam er jeden Freitag zu den Flüchtlingen und ihren Unterstützern, machte „Plenum“, auf Englisch oder Französisch. Kann Panhoff beides. Fortschritte gab es nicht, nicht mal einen Sprecher wollten die Flüchtlinge wählen. Als die Polizei ihren Druck erhöhte, kämpfte Panhoff an zwei Fronten gleichzeitig. Die Nerven hielten nicht mehr stand. Der Stadtrat hat zwar ein Herz für autonome Strukturen, aber ganz ohne Strukturen verliert er den Halt. Am späten Montagabend gab er das Diskutieren auf. Eine bittere Niederlage.

Nachdem Panhoff aufgegeben hatte, schaltete sich sein Kreuzberger Grünen-Kollege, der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele in die Verhandlungen ein. Ein Polizeisprecher erklärte, ein Räumungsersuchen könne auch wieder zurückgenommen werden. Ein Signal der Entspannung – oder doch nur taktisches Vorspiel für eine Räumung?

Klar, dass auch die Landesgrünen in eine Art Ausnahmezustand geraten sind. In der Geschäftsstelle der Partei am Rand von Kreuzberg wollten Bettina Jarasch und Daniel Wesener am Mittwochvormittag über die Berliner Personalpolitik und das aus ihrer Sicht notwendige „Moratorium“ beim Stellenabbau sprechen. Wichtiger war dann aber das Spannungsfeld um die Gerhart-Hauptmann-Schule. Denn in diesem Spannungsfeld zerfallen die guten, fast intimen Beziehungen zwischen den Grünen und den Kreuzbergern – und die der Grünen untereinander.

Die Beziehungen zwischen den Grünen und den Flüchtlingen, die so lange auf dem Dach ausharrten, sind längst zerstört. Das machen Wesener und Jarasch widerstrebend deutlich: Weder Panhoff noch Monika Herrmann, sagen sie, stünden in direktem Kontakt mit ihnen, vielmehr gebe es Vermittler. Warum? Bettina Jarasch guckt traurig und antwortet indirekt: Es habe in den Verhandlungen eine Phase gegeben, in der die Flüchtlinge sich geweigert hätten, mit Vertretern des Bezirks zu sprechen und nur „mit Herrn Henkel“ hätten reden wollen.

Die Abgeordnete Canan Bayram, seit vielen Jahren in der Flüchtlings- und Asylpolitik versiert, war die einzige Grüne, mit der die Besetzer noch sprechen wollten. Immerhin hatten die Grünen aller Ebenen am Mittwoch schon wieder so was wie eine gemeinsame Haltung entwickelt. Bayram verhandelt, Panhoff redet, Herrmann schweigt, Jarasch und Wesener rechtfertigen: Panhoff habe die Sache mit der Räumung „allein entschieden, weil er in dieser Situation keinen Ausweg mehr gesehen hat“.

Monika Herrmann als Verwaltungsorgan

Zu diesem Zeitpunkt ist Monika Herrmann längst von der Politikerin zum Verwaltungsorgan geworden. Die Grüne, die vor einen knappen Jahr so beherzt ins Amt gegangen war, hält sich zurück. Vor einem Jahr hatte sie mit dem „Refugeecamp“ auf dem Oranienplatz und der besetzten Schule ein ganzes Problemsammelsurium von ihrem Vorgänger Franz Schulz übernommen. Ihr Umgang damit war realpolitisch, um es grünennah zu sagen: Die Flüchtlinge sollten ihren Symbolort haben – schließlich hielt auch Herrmann das europäische Asylrecht für falsch und schlecht. Doch zum Flüchtlingswohnort sollten Platz und Schule nicht werden. Bis zum gescheiterten Räumungsversuch des Oranienplatzes wird Herrmann gedacht haben, dass sie mit ihrer grünen Methode des Redens, Diskutierens, Verhandelns weiter kommen würde als der Innensenator mit seinem Grünanlagengesetz, auf dessen Grundlage er meinte, einschreiten zu können. Danach ist offenbar vieles anders geworden, in und mit Monika Herrmann.

Am frühen Mittwochabend verschickt Herrmann eine schriftliche Stellungnahme, in der sie das Vorgehen des Bezirks verteidigt. Ebenso wie das Räumungsersuchen ihres Stadtrats. „Das ist aus seiner Sicht der Dinge nachvollziehbar – auch wenn ich persönlich diesen Schritt so nicht vollzogen hätte.“

Im Netz war schon morgens eine angebliche E-Mail von Herrmann an andere Grüne zu lesen gewesen – weil die Grünen-Politikerin derzeit nicht zu erreichen ist, bleibt die Frage offen, ob die Mail echt oder gefälscht ist und ob Herrmann oder jemand anderes sie mit Absicht hat kursieren lassen. Jedenfalls erklärt Herrmann darin, wie es kam, dass Panhoff – nicht sie – entschied, wie „das Bezirksamt“ verfahren würde. „Während wir noch diskutierten, erklärte Hans, dass er das Räumungsersuchen bei Kandt stellen wird – qua seiner Zuständigkeit – und ihn niemand davon abhalten könne und ging raus...“ Damit aber niemand glaubte, Panhoff sei in seiner Entscheidungsfreude und Konfliktbereitschaft der neue Regierende Bürgermeister von Kreuzberg, stellt Herrmann auch klar, es gebe im Bezirksamt „keine Richtlinienkompetenz“.

Genau. Im Bezirksverwaltungsgesetz steht alles, vor allem: dass das Bezirksamt ein Kollegialorgan ist. Schöner Satz: Zu den Aufgaben des Bezirksamts gehört „die Entscheidung über Meinungsverschiedenheiten zwischen Mitgliedern des Bezirksamts“. Was im Fall Räumung der Gerhart-Hauptmann-Schule gar nicht möglich war, weil Panhoff ja den Raum verlassen hatte. Womöglich hat nun seine ungrüne Entscheidung den Weg zu einer Lösung vorgezeichnet.

Es ist kurz nach 20 Uhr, als ein Flüchtling gemeinsam mit einer Anwältin an das Tor zur Schule tritt. Sie haben eine Erklärung abzugeben zum Stand der Verhandlungen: „Es ist kein gutes Angebot. Wir mögen es nicht. Wir fordern weiter das Bleiberecht.“ Sie wollen weiter verhandeln, wenn das auch schwer sei unter diesen Bedingungen, mit so vielen Polizisten ringsum. Cana Bayram lobt die gute Gesprächsatmosphäre, Hans-Christian Ströbele bittet um Geduld. Und dann geht plötzlich doch alles ganz schnell.

Sie seien nicht zufrieden, aber müde, sagen die Flüchtlinge etwa eine Stunde später. Drei von ihnen unterzeichnen stellvertretend für alle, wie viele es sind, weiß sowieso niemand genau, vielleicht 40, vielleicht 80. Sie alle jedenfalls dürfen in der Schule bleiben, die Stück für Stück renoviert werden soll. Ihr Protest für ein Bleiberecht wird weitergehen. Die Polizei, das hat man ihnen versprochen, zieht ab, vielleicht schon in der Nacht. Auf dem Dach rufen sie wieder: Freedom!

Mitarbeit: Timo Kather, Tiemo Rink, Julia Prosinger

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