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Durchgerungen. Wolfgang Schäuble gehört am Mittwoch zu den 454 Befürwortern des Pakets. Es gibt 113 Gegenstimmen.

© Rainer Jensen/dpa

Griechenland-Hilfe: Wenn es sein muss

Die Zustimmung des Finanzministers: zögerlich. Die Ablehnung des Oppositionschefs: verhalten. Als der Bundestag über das dritte Hilfspaket für Griechenland abstimmt, wirkt es, als gebe es keine gute Lösung.

Von Antje Sirleschtov

Nein, überzeugt ist der Mann wohl nicht. Wenn Wolfgang Schäuble von etwas überzeugt ist, dann sieht und hört man ihm das an. Der Finanzminister, das weiß im Bundestag jeder, kann sehr deutlich werden und auch scharf, wenn er etwas als richtig erkannt hat. Doch an diesem Mittwochmorgen schlägt Schäuble im Bundestag seine Mappe am Rednerpult auf, blickt einen Moment nach oben und gesteht als erstes: „Die Entscheidung fällt nicht leicht.“

Schäuble hat in den vergangenen acht Monaten in unendlichen Nachtsitzungen um Rettungspakete für Griechenland gerungen, hat sich von einem hochnäsigen Finanzminister aus Athen über den Mund fahren und belehren lassen müssen. Er hat gegen die Reformunwilligkeit der griechischen Regierung ankämpfen und sich zwischen hartleibigen und allzu freigiebigen europäischen Nachbarländern behaupten müssen. Und immer wieder der drohenden Katastrophe ins Auge geblickt: Griechenland fliegt aus dem Euro, das System implodiert, und er beendet seine lange politische Laufbahn als Abwickler des europäischen Währungssystems. Zum Schluss spielte Schäuble sogar einen Grexit durch; vielleicht rettet man den Patienten ja, wenn man ihn für eine Weile ins Koma versetzt, ihn aus dem Verkehr zieht?

Das aber ist jetzt Vergangenheit. Europa wird Athen mit einem dritten Hilfspaket und weiteren 86 Milliarden Euro vor dem Bankrott bewahren. Alles andere, die Reformen, das Wirtschaftswachstum und damit der Heilungsprozess – niemand weiß, wie es ausgehen wird. Natürlich gebe es „keine Garantie“ dafür, dass die Griechen wirtschaftlich gesunden, sagt Schäuble, spricht von Hoffnungen und sagt auch, Athen habe nun wenigstens erkannt, dass das Land vom Kopf auf die Füße gestellt werden muss. Am Ende aber gesteht er es ein, sich selbst und den anderen: „Es gibt gute Gründe dafür und auch dagegen.“

Nein, ein überzeugendes Plädoyer aus dem Mund des Finanzministers klingt anders. Als Schäuble nach einer guten halben Stunde seine Mappe schließt, plätschert der Beifall der Abgeordneten so dahin. Ein wenig von der SPD, dem Koalitionspartner, etwas mehr von der eigenen Fraktion. Gut drei Stunden lang, bis Norbert Lammert zur namentlichen Abstimmung ruft, wird das übrigens so bleiben. Keinem im Plenum ist offensichtlich ganz wohl bei der Sache, weder denen, die Ja sagen werden, noch den anderen.

Gregor Gysis Unwohlsein

Gregor Gysi, noch bis zum Herbst Oppositionsführer und Fraktionschef der Linken, ist einer der anderen. Der Wortgewaltigste sowieso. Gysi könnte jetzt die Falschheit der Regierungspläne geißeln, könnte darauf hinweisen, dass ein großer Teil der 86-Milliarden-Euro-Kredite, die Athen gewährt werden, zu nichts anderem taugt als der Abzahlung von Schulden an diejenigen, die den Griechen in den letzten Jahren Kredite gegeben haben. Er könnte die Ungerechtigkeiten und das griechische Volk als Verlierer der geforderten Reformen benennen und als Zeugen für die Ablehnung seiner Fraktion heranziehen. Aber auch ihm, dem Linken, ist bei seinem „Nein“ das Unwohlsein anzusehen. Denn Alexis Tsipras, der Chef der linken Syriza-Partei, hat den Kampf gegen Europa, den er den Griechen einst versprochen hatte, in diesem Frühsommer aufgegeben und sich selbst an die Spitze derer gestellt, die das Land weiteren – oft auch schmerzhaften – Reformen unterziehen wollen. Und zwar mit Europa. Ausgerechnet jetzt, wo Tsipras die Milliarden der Europäer dringender denn je braucht, sagt die deutsche Linke: Nein.

Gregor Gysi wird an diesem Mittwoch alles tun, um das Dilemma zu verschleiern. Er schimpft stattdessen ausschweifend über den „Skandal“ um das Beinahe-Ermittlungsverfahren gegen die Blogger von „netzpolitik.org“ wegen Landesverrats und wirft alles mögliche andere der Koalition und Frau Merkel vor. Gregor Gysi kann es sich leicht machen am Rednerpult. Er wird nicht mehr an der Fraktionsspitze stehen, wenn in einigen Jahren über die Wirkungen und Nebenwirkungen dieses dritten Hilfspaketes Bilanz gezogen wird. Und darüber, wie es gekommen ist, dass die deutschen Linken der Verlängerung des zweiten Hilfspaketes für Griechenland noch im Februar zugestimmt hatten und damit Syriza unterstützten. Und warum sie es Mitte August dann plötzlich nicht mehr tun. Am Ende werden sich von den 64 Abgeordneten sieben enthalten und 12 ihre Stimme nicht abgeben. Immerhin ein Drittel.

Was sich in der Union verändert hat

Durchgerungen. Wolfgang Schäuble gehört am Mittwoch zu den 454 Befürwortern des Pakets. Es gibt 113 Gegenstimmen.
Durchgerungen. Wolfgang Schäuble gehört am Mittwoch zu den 454 Befürwortern des Pakets. Es gibt 113 Gegenstimmen.

© Rainer Jensen/dpa

Bei der Union sind es zum Schluss 63 Abgeordnete, die ihre Stimmkarte mit einem „Nein“ versehen haben. Wobei man Peter Ramsauer (CSU) und auch Erika Steinbach (CDU) nicht vergessen darf, die ihre Stimmen nicht abgeben, auf den schwarzen Listen der Fraktionsführung aber als „Abweichler“ geführt werden, weil sie schon im Juli mit „Nein“ votierten. Sind 63 und ein paar Versteckte viel, ist Merkels Autorität damit beschädigt? Mitnichten. Ob nun, wie am Abend zuvor bei der Probeabstimmung, 56 oder dann im Parlament 63 die Gefolgschaft verweigerten, ist für die Machtstatik in der Union unwesentlich.

Und doch hat sich ganz offenbar etwas verändert in diesen Wochen in der Union. Statt offen darüber zu debattieren, dass dieser Milliardenkredit eine schwere Entscheidung mit vielen Fragezeichen und Risiken ist, hat Volker Kauder von oben herab ein Ja verordnet. Wer nicht mitmacht, wird bestraft. So einfach und so klar hat der Fraktionschef es festgelegt. Schweigend saß die ganze Fraktion am Dienstagabend im Saal, nachdem die Kanzlerin und ihr Finanzminister das Hilfspaket erläutert hatten. Minutenlang kein Wort, keiner wollte aufstehen und sagen, was er wirklich denkt. Auch Volker Kauder nicht. Er versuchte mehrfach, seine Leute zum Reden zu bringen: „Will denn wirklich niemand etwas sagen?“

Ein Raunen im Saal

Dann endlich bricht Klaus-Peter Willsch die „skurrile“ Stille, wie sie später einer nennt. Da er ja sein erneutes „Nein“ schon in der Presse bekannt gegeben habe, betrachte er es als angebracht, das auch im Kreis der Fraktion zu tun, sagt Willsch. Raunen im Saal oben unter der Reichstagskuppel. Und dann wieder das Schweigen. Es wird nicht leicht sein, Merkels Truppe durch die nächsten Monate zu führen.

Vermutlich ist Volker Kauder die Stimmung vom Dienstag noch sehr präsent, als er – wie immer ohne Zettel oder Redemanuskript – am Mittwochmorgen erst einmal um gutes Wetter wirbt. „Natürlich“ gebe es Fragen, knirscht Kauder, und mancher in den Unionsreihen hebt die Augenbrauen zu dem, was dann folgt: Er, Kauder, habe „sogar Verständnis“ für Zweifel. Eine Entschuldigung für die Machtdemonstration der vergangenen Wochen? Wahrscheinlich eher das Eingeständnis der eigenen Ungeschicklichkeit. Der Stachel aber sitzt. „Die Rechnung“, sagt einer aus der Fraktion später, „wird noch zu begleichen sein.“

Für Kauder aber ist spätestens um 12 Uhr mittags klar: Der Aufstand gegen die Griechen-Milliarden der Angela Merkel ist ausgeblieben, Aufgabe erfüllt. Die Kanzlerin ist in einer Stunde auf dem Weg nach Brasilien, der Bundestag hat noch drei Wochen Urlaub.

Doch halt. So vom Platz zu gehen, das will sich Kauder nun auch wieder nicht gestatten. Und redet, ganz besonders seiner eigenen Fraktion zugewandt, den Leuten noch einmal ins Gewissen. Zehntausende, hunderttausende Flüchtlinge, sagt Kauder, kämen in diesen Monaten nach Europa und stellten den Kontinent vor bisher ungekannte Herausforderungen. Sollen Griechen, Deutsche und Franzosen jeder für sich mit den Flüchtlingsströmen fertig werden? Womöglich noch sich gegenseitig die Verantwortung für die bedrängten Ankömmlinge zuschieben? „Europa muss zusammen bleiben“, mahnt Kauder, und gemeinsam eine Lösung suchen.

Nichts gehört von der SPD

Durchgerungen. Wolfgang Schäuble gehört am Mittwoch zu den 454 Befürwortern des Pakets. Es gibt 113 Gegenstimmen.
Durchgerungen. Wolfgang Schäuble gehört am Mittwoch zu den 454 Befürwortern des Pakets. Es gibt 113 Gegenstimmen.

© Rainer Jensen/dpa

Wie schwer diese gemeinsame Lösung zu finden sein wird, davon konnte man ja schon in der jüngeren Vergangenheit einen Vorgeschmack bekommen: Endlose Streits um die Aufnahme von Flüchtlingen in Brüssel ohne Ergebnisse, Zäune, die gebaut werden, ein Dublin-Abkommen zur Verteilung von Migranten, das irgendwann außer Kraft gesetzt wurde. Ohne Beschluss, einfach so, überrollt von der Menge der Menschen, die Schutz in Europa suchen. „Griechenland“, sagt Kauder, „ist erst der Anfang“ in einer langen Prüfung für die Funktionsfähigkeit dieses europäischen Modells.

Ewig nichts gehört von der SPD? Stimmt. Nachdem der Vizekanzler, Sigmar Gabriel, mit den Grexit-Plänen des Finanzministers sympathisiert hatte und dann mit lautem Gepoltere von seiner Partei zurückgeholt wurde, hat sich die SPD ein Schweigen in der Sache auferlegt. Soll doch mal zur Abwechslung die Union ein Bild der Zerstrittenheit abgeben. SPD gleich Europapartei gleich Geschlossenheit beim Athen-Milliardenkredit.

Die Rolle des IWF

Zuletzt meinte der Finanzmann Carsten Schneider sogar, es sei ganz egal, ob der Internationale Währungsfonds weiter mitspiele oder nicht. Kein Wort vom Zweifel, nur Peer Steinbrück und drei weitere werden dagegen stimmen. Ob die anderen 173 Genossen wirklich alles Überzeugungstäter sind? Oder geht es ihnen womöglich ähnlich wie den meisten anderen von der Union bis hinüber zu den Grünen und der Linkspartei. Im Zweifel für Griechenland. Und alles Weitere ist Hoffen.

In der Bundestagskantine haben sie am Mittwoch übrigens griechisches Moussaka mit Reisnudeln gereicht. Schwarz-rot-grünes Durcheinander also.

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