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Jean-Claude Juncker und die Griechenland-Krise: Der gescheiterte Vermittler

Wo es Streit gibt, da will er schlichten. Jean-Claude Juncker gibt stets den Kumpel. Aus der Krise in Griechenland wollte er als der europäische Versöhner hervorgehen. Erreicht hat der EU-Chef das Gegenteil.

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Gesten kann Juncker. Und Witze auch. Es ist bereits kurz vor Mitternacht am Montagabend, der Sondergipfel in Brüssel ist gerade zu Ende gegangen und der EU-Kommissionschef berichtet über die neuen Reformvorschläge aus Athen. Alle sind müde, angestrengt von den vergangenen Tagen. Jean-Claude Juncker sagt: Die Papiere aus Griechenland liegen jetzt „zur Meditation vor“. Die Zuhörer lachen. Juncker grinst.

Ein typischer Juncker. Schon mittags hatte er sich vom griechischen Premier öffentlich mit einem Klaps auf die Wange verabschiedet. Eine Geste mit viel Bedeutung: Vertrautheit, Freundschaft – und die gleichzeitig allen Anwesenden zeigen sollte, wer hier der Ältere und Erfahrenere ist. Alexis Tsipras lächelte. Etwas gequält, aber er lächelte. Juncker wirkte vor allem erleichtert.

Das mit der Harmonie hat in den vergangenen Wochen nämlich nicht so geklappt, wie Juncker sich das vorgestellt hat. Seitdem die Griechenlandkrise neu aufgeflammt ist, hat Juncker alles versucht, um der EU-Kommission die Rolle des neutralen Vermittlers zu verleihen. Der ehemalige Luxemburger Regierungschef wollte in die europäische Geschichte eingehen als der große Versöhner, der beide Seiten versteht, den krisengeplagten Süden und einflussreichen Staaten wie Deutschland, die vor zu großer Nachgiebigkeit warnen. Als ein Politiker, der beide Positionen abgleichen kann, zum Wohle ganz Europas. Tatsächlich kam sein Bemühen anders an. In Deutschland misstraute man ihm bereits von Anfang an.

Griechenlands Premier Alexis Tsipras und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Brüssel
Griechenlands Premier Alexis Tsipras und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Brüssel

© AFP

Schon bei seiner Bewerbung um den Posten als Kommissionspräsident im vergangenen Jahr hielt sich Merkel lange bedeckt, ob sie ihn unterstützen würde. Juncker, so lautete die Befürchtung in Berlin, könnte in Brüssel zu viel Macht an sich reißen. Und auch im Umgang mit Athen konnte Juncker Berlin kaum etwas recht machen. Solo-Touren leiste sich der Kommissionspräsident, er bleibe zu selten bei der vereinbarten, harten Linie, hieß es. Er erzähle zu viele Interna weiter, die dann von der griechischen Seite als „Uneinigkeit der Institutionen“ ausgeschlachtet werden könnten. „Ich weiß, dass viele, vor allem in Deutschland, in mir einen naiven Griechenlandversteher sehen“, hat Juncker gerade dem „Spiegel“ gesagt. Getroffen haben ihn die Anschuldigungen, er übergehe die Eurogruppe als eigentliche Entscheidungsinstanz und habe mit seinem Nein zum „Grexit“ die Griechen erst zum Zocken eingeladen. Da hatte er sich früh festgelegt, anders als zum Beispiel der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble.

Junckers Traumrolle in der Krise: Der große Versöhner

In der Griechenlandkrise aber hat man ihm in Berlin dann irgendwann doch die Wunschrolle zugestanden. Juncker wurde nach dem Treffen Anfang des Monats zwischen Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und der Kanzlerin damit beauftragt, Syriza-Chef Alexis Tsipras den Vorschlag der Geldgeber schonend beizubringen.

Da aber stieß Juncker auf ein zweites Problem, mit dem er so wohl nicht gerechnet hatte: Alexis Tsipras spielte nicht mit. Im Athener Parlament wies er den Gläubiger-Entwurf als absurd zurück.

Nur ein Blick in die Vergangenheit kann helfen, zu verstehen, wie tief Juncker das getroffen haben muss. Denn er hatte bei Tsipras versucht, Geschichte zu wiederholen. Als Juncker 1989 als Finanzminister seine europäische Karriere startete, gab es einen alten und erfahrenen Mann an der Spitze, der nannte ihn „Junior“. Das war Helmut Kohl. Niemand hat Juncker in seiner Politik so geprägt, wie der deutsche Alt-Kanzler. An seinem ersten Arbeitstag als neugewählter EU-Kommissionschef hat er abends Kohls Europa-Buch vorgestellt. Was er dabei über die „Kohlsche Methode“ sagte, ist wohl, was er auch gerne einmal über sich selbst lesen würde: „Er ist der Gegner des negativen Denkens über andere Völker.“ Er achte die Befindlichkeit anderer. „Zu wissen, was den anderen umtreibt, gehört zu seinem Rüstzeug.“ Als Juncker 2006 den Karlspreis erhielt, war Kohl der Laudator. „Es ist ein Glück für Europa, dass es dich gibt“, sagte der damals.

Kohl nahm sich Juncker an und Juncker wollte sich Tsipras' annehmen

Als Juncker in die Politik kam, hat Kohl sich seiner angenommen. Juncker hat nun dasselbe bei Tsipras versucht: Schon bei ihrem ersten offiziellen Treffen nahm Juncker den „Neuling“ an die Hand. Nicht nur sprichwörtlich sondern tatsächlich, in aller Öffentlichkeit. Wieder so eine Geste. EU-Diplomaten erzählen zudem, Juncker habe Tsipras bei dessen Antrittsbesuch – ganz pädagogisch – die Tabelle mit den Milliardenbeträgen, die sein Land noch in diesem Jahr seinen Schuldnern zurückzahlen muss, gezeigt. Ein anderes Mal habe er ihn an einen Computer in seinem Büro gesetzt, damit er sich die nötigen Zahlen besorgen könne. Tsipras war angeblich unvorbereitet zu einem Gespräch erschienen.

Griechenlands Regierungschef ließ all die Witzeleien über sich ergehen. Juncker war schließlich der erste EU-Akteur, der ihm Gespräche jenseits der Technokraten-Ebene zugestand – und über einen Draht zu Angela Merkel verfügt, ohne zu sehr unter ihrer Kontrolle zu stehen. Überliefert ist ein Telefonat, als sich die Kanzlerin im Namen von Günther Oettinger beschwerte, „ihr“ Kommissar habe ein wichtiges Sitzungsdokument zum Euro-Stabilitätspakt zu spät erhalten. „Das ist nicht dein Kommissar“, soll Juncker gekontert haben, „das ist mein Kommissar.“ Und Juncker sieht wie Tsipras die humanitäre Krise, in der Griechenland sich befindet. Innerhalb der Troika war es die Juncker-Kommission, oft Juncker selbst, der neue Kompromisse vorschlug. „Der IWF ist eindeutig härter gegenüber Griechenland, wir sind irgendwo dazwischen“, sagt ein Beamter der EZB. Juncker hält sich zugute „ein Freund des griechischen Volkes“ zu sein.

Juncker irrt: Tsipras will ihn nicht zum Freund - Mission "Junior" scheitert

Doch Juncker irrte. Tsipras dachte gar nicht daran, ihn als Freund oder Verbündeten zu betrachten. Im Gegenteil. Griechische Regierungsmitglieder erzählen, ein erklärter Gegner wie Schäuble sei doch viel angenehmer, weil man bei ihm wenigstens klar wisse, woran man sei. Ein selbst erklärter Freund wie Juncker, der erst Verständnis zeige und Hilfe zusichere, der sich dann am nächsten Tag aber doch vor die Kameras stelle und behaupte, die Griechen lieferten nicht genug – auf so einen Alliierten könne man verzichten.

Verzichtet haben sie auf diesen Alliierten dann doch nicht. Trotzdem hat die Syriza-Regierung nicht vergessen, welche Rolle Juncker vor seinem Wechsel zur EU–Kommission gespielt hat. Bis 2013 war Juncker als der damalige Chef der Euro-Gruppe einer der Architekten der verhassten Troika. Sein Nachfolger Jeroen Dijsselbloem ist eine noch größere Hassfigur in Griechenland. Inzwischen hat Juncker die Troika zwar öffentlich als undemokratisch bezeichnet, die Ergebnisse der Sparpolitik aber verteidigt.

Als Tsipras den selbsterklärten Vermittler auflaufen ließ, reagierte Juncker emotional. Er nahm tagelang das Telefon nicht ab und gab sich öffentlich gekränkt. Wider besseres Wissen habe Tsipras vor dem Parlament in Athen erklärt, das Angebot der Gläubiger sei nicht verhandelbar. Juncker war wütend. „Die Debatte sowohl in, als auch außerhalb Griechenlands wäre einfacher, wenn die griechische Regierung genau das wiedergeben würde, was die Kommission wirklich vorschlägt“, sagte er damals. „Ich werfe den Griechen vor, der griechischen Bevölkerung Dinge gesagt zu haben, die nicht mit dem übereinstimmen, was ich dem griechischen Ministerpräsidenten gesagt habe.“ Die Mission „Junior“ war damit öffentlich gescheitert.

Seine exzentrische Art ist auch seine Stärke

Doch wenn der 60-Jährige eines hasst, dann sind es offene politische Rechnungen. Es sollte also nicht lange dauern, bis Juncker wieder zum Telefonhörer griff. Vor zwei Wochen dann die Versöhnung. Beide lächelten in die Kameras, als sei nichts geschehen. Doch Juncker war durch seine Wut zu einem destabilisierenden Faktor geworden. Galt als zu unberechenbar. Bei den Gesprächen in den kommenden Tagen wird Juncker als einer von vielen verhandeln. Die großen Gesten aber werden die Staatschefs übernehmen. Sollte es am Ende ein Handschlagfoto für die Geschichte geben, es wird Merkel und Tsipras zeigen.

Es ist aber nicht so, dass Juncker mit seiner Art bei allen schlecht ankommt. Gerade innerhalb der Brüsseler Institutionen ist er für seine schrägen Sprüche beliebt. Er sticht aus dem sach- und zahlenbezogenen Normalbetrieb heraus, auch wenn er mit seinen Lockerungsversuchen manchmal nur knapp an der Lächerlichkeit vorbeischrammt. Vor wenigen Wochen beim EU-Ostgipfel in Riga begrüßte er Ungarns Viktor Orban mit „Hallo, Diktator“, küsste Belgiens Premier Charles Michel auf die Glatze und ohrfeigte symbolisch seinen Luxemburger Landsmann Jean Asselborn.

„Manchmal übertreibt er es mit seiner exzentrischen Art“, sagt ein belgischer Diplomat, „aber gerade in dieser angespannten Lage hilft es, dass er mit allen klar kommt und über die Jahre eine Art Kumpelverhältnis aufgebaut hat – er bringt die Menschen trotz unterschiedlichster Positionen zusammen.“ Das, was von manchen unangenehm altmodisch mit einem Hang zum Männerbündnis empfunden wird, ist auch seine Stärke. Ein technokratischer Riesenapparat wie die Kommission in Brüssel brauche einen Mann wie ihn.

Vor einiger Zeit hat Juncker schon einmal versucht, große Männer Europas miteinander zu versöhnen: Wolfgang Schäuble und Helmut Kohl. Die Absage fiel ziemlich eindeutig aus.

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