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Aufklärung. In Workshops werden Flüchtlinge über die Grenzen des Karneval-Flirts unterrichtet.

© dpa

Karneval in Köln: Witz komm raus

Sie hat Angst, dass ihr jemand in den Schritt fasst. Er fände einen Bombenanschlag schlimmer. Wer hat da noch Lust auf Karneval? Die Kölner bemühen sich um Ausgelassenheit.

Die Sitzung in der Kölnarena läuft seit zwei Stunden, Lieder über den Dom und den Rhein sind gesungen worden, Konfettiwolken niedergegangen, Clownsnasen von Gesichtern gerutscht, da wird der Komiker Bernd Stelter in einem Kabuff hinter der Bühne unvermittelt ernst. Gerade noch hat er vor 10 000 Kostümierten Witze über Angela Merkel gemacht. Jetzt schenkt er sich Weißwein ein und sagt: „Natürlich sind wir ganz weit von der Normalität entfernt. Natürlich ist es nicht derselbe Karneval wie letztes Jahr.“ Stelters Stirn glänzt vor Schweiß. Er sagt, die Übergriffe der Silvesternacht hätten Schatten auf alles geworfen, was nun sei und was noch komme. Aber gut, es lasse sich auch im Schatten feiern.

In Kölns Karnevalsuniversum zählt Bernd Stelter zu den wirklich Großen, im übrigen Deutschland kennt man ihn aus der Fernsehsendung „7 Tage, 7 Köpfe“. Bis Rosenmontag wird er noch 36 Auftritte absolvieren, rauf auf die Bühne mit seiner Westerngitarre, Spaß bereiten, runter und ab zum nächsten Festsaal, doch trotz des Stresses habe er beobachtet, was diesmal anders sei: „Man merkt den Leuten jeden Abend an, dass sie feiern wollen.“ Dass die Schunkelei nicht Selbstzweck, sondern Bedürfnis und Statement sei. Seht her, das lassen wir uns nicht nehmen.

In Woche fünf nach den Übergriffen ist Köln weiterhin die verunsicherte Stadt, die mit dem Schrecken der Silvesternacht und dem Umgang damit ringt. Kann man Verunsicherung überschminken und überschunkeln, zumindest für ein paar Tage – und was, wenn dann trotzdem etwas passiert? Eine Million Menschen werden an diesem Donnerstag Weiberfastnacht feiern, sich auf den Straßen und in Kneipen zusammendrängen. Ebenso viele kommen Rosenmontag zum großen Umzug, dazu gibt es mehr als 50 kleinere durch die Stadtteile. Das sind zahllose Gelegenheiten für Menschen, die die Enge ausnutzen wollen, und Silvester hat den Kölnern eine Vorstellung davon gegeben, wie solche Menschen aussehen.

Der Komiker Bernd Stelter sagt, auch in ihm persönlich sei Silvester etwas beschädigt worden, beziehungsweise an den folgenden Tagen, als die Taten nach und nach bekannt wurden. Er hatte an die neue deutsche Willkommenskultur geglaubt, die gerade hier im Rheinland spürbar gewesen sei, und plötzlich konnte er sich nicht mehr entscheiden, ob er wütend oder traurig sein solle. Jetzt wird Bernd Stelter kurz laut: „Scheiße ist das doch!“

Einen Abend später in der Festhalle Gürzenich in der Altstadt. Die „Bürgergarde blau-gold von 1904“ hat zur Kostümsitzung geladen, der Saal ist voll. Es wird getanzt, es werden Küsschen verteilt. Keine Armlänge Abstand, nirgends. Regina Albrecht und Til Neuser, sie Feenwesen, er Pirat, sind nur zwei von tausend im Saal, aber sie können recht gut in Worte fassen, was sie jetzt umtreibt.

Sie sagt: Ich gehe abends ungern durch die Schildergasse. Ich schaue mich an jeder Ampel um, ob jemand hinter mir steht.

Er sagt: Ja, das ist doch kein Zustand.

Sie sagt: Ich habe Angst, dass mir ein Fremder an Weiberfastnacht in den Schritt fasst.

Er sagt: Schlimmer wäre es natürlich, wenn ein Islamist eine Bombe zündet.

Sie sagt: Du kannst das wohl kaum beurteilen, du bist ein Mann.

Er sagt: Auch wieder wahr.

Die politische Auseinandersetzung hat immer zum Kölner Karneval gehört, aber bloß die Art Auseinandersetzung, bei der die deutsche Kanzlerin aus Pappmaché vom Griechen-Premier aus Pappmaché den Hintern versohlt kriegt. Das ist 2016 anders. In der Festhalle Gürzenich empfinden es der Pirat und das Feenwesen als Genugtuung, dass sogar die oberste Autorität der Karnevalsgesellschaft drastische Worte gefunden hat: Prinz Thomas II., Teil des traditionellen Dreigestirns, vor seiner Krönung hieß er Thomas Elster und war Makler in der Südstadt. Dieser Thomas Elster hat Aufsehen erregt, als er vor einem „hohen Aggressionspotenzial“ warnte sowie vor „irgendwelchen Banden, die nur darauf warten, Ärger zu machen“. Teilweise könne man sich keine zehn Meter mehr durch die Stadt bewegen, ohne Gefahr zu laufen, in eine Schlägerei oder einen Raubüberfall zu geraten. Seine Frau Sabine lasse er abends nicht mal mehr alleine Taxi fahren.

Die Pressefrau des Festkomitees, das den Rosenmontagszug ausrichtet, wird später sagen, die fraglichen Sätze seien eine unglückliche Ausnahme gewesen und kämen gewiss nicht noch einmal vor. Der Prinz habe keine Zeit für Politik und auch keine Ahnung.

Die Verunsicherung hat zur Aufrüstung geführt. Der Verkauf von Schreckschusspistolen, die ohne Waffenschein eigentlich nur in der eigenen Wohnung getragen werden dürfen, ist seit Januar massiv gestiegen. CS-Gas war zwischenzeitlich ausverkauft. Weit effektiver, weil schmerzhafter, sei ohnehin Pfefferspray, sagt die Verkäuferin eines Waffengeschäfts in der Innenstadt. Das setze im Gegensatz zu CS-Gas auch alkoholisierte Menschen außer Gefecht. „Ich muss aber darauf hinweisen, dass dieses Spray in Deutschland nur zur Tierabwehr eingesetzt werden darf“, sagt die Frau. „Also benutzen Sie es nicht gegen Menschen.“ Dann zwinkert sie.

An einigen Schulen gab es Sonderunterricht, in dem über die Gefahren von K.O.-Tropfen aufgeklärt wurde. Ein Mädchengymnasium, das nur 200 Meter Luftlinie vom Hauptbahnhof entfernt liegt, bleibt heute gleich ganz geschlossen. Man wolle den Schülerinnen den Schulweg ersparen, heißt es. Besorgte Eltern hätten sich dafür eingesetzt.

Dass im Bahnhof oder direkt davor etwas geschieht, gilt als unwahrscheinlich. Das Areal befindet sich seit Tagen im Belagerungszustand durch die Polizei: auf dem Vorplatz neun Mannschaftswagen, auf der Rückseite drei, auf der angrenzenden Domplatte vier weitere. In der Bahnhofspassage schaut niemand irritiert angesichts der Selbstverständlichkeit, mit der immer genau diejenigen aus der Masse gepickt und kontrolliert werden, die dunklen Teint haben. Ein junger Nordafrikaner hat kaum eine Chance, den Hauptbahnhof zu durchqueren, ohne seine Papiere vorzeigen zu müssen. Racial profiling hätte man früher dazu gesagt. Wobei es scheint, als sei dieses früher sehr viel länger her als bloß einen Monat.

Die Frage, inwieweit man einer Bevölkerungsgruppe kollektiv misstrauen darf, treibt auch den Komiker Bernd Stelter um. Am Abend in der Kölnarena erzählt er die Geschichte von dem Schwimmbad, das neulich in die Schlagzeilen geriet, weil es keine männlichen Flüchtlinge mehr einließ. Es war nicht irgendein Schwimmbad, sondern das seiner Heimatstadt, sagt Bernd Stelter: Bornheim, südlich von Köln. Einerseits hätten dort junge Flüchtlingsmänner nachweislich sexuell belästigt, andererseits wisse er nicht, ob ein generelles Hausverbot die richtige Entscheidung sei. Da platzt es noch einmal aus ihm heraus: „Scheiße ist das doch alles.“

Unter den Motivwagen, die am Rosenmontag durch Kölns Straßen rollen, wird keiner sein, der die Silvesterereignisse aufgreift. Auch das andere große Angstthema, die Furcht vor einem Terroranschlag, ist tabu. Kölns neuer Polizeipräsident spricht von einer „abstrakten Gefahr“, konkrete Hinweise auf Anschlagspläne gebe es nicht. Regina Albrecht und Til Neuser, die beiden Kostümierten aus der Festhalle Gürzenich, glauben, dass es früher oder später auch Deutschland treffen werde. Neuser sagt, er danke dem Schicksal, dass es bisher jedes Mal, zunächst beim abgesagten Fußballländerspiel in Hannover, dann beim Polizeieinsatz am Münchner Hauptbahnhof, so glimpflich ausgegangen sei. Aber der Karneval in Nordrhein-Westfalen? „Wäre doch die Gelegenheit, wenn wir mal ehrlich sind.“ Brüssel, wo einige der Pariser Attentäter lebten, liege schließlich keine 200 Kilometer Luftlinie von Köln entfernt.

Manche fürchten, ein Attentäter könne Sprengstoff in seinem Kostüm verstecken, in seinem Astronautenanzug, in der Ritterrüstung, unter dem Ganzkörper-Bärenfell. Andere haben eher Angst vor der Angst: dass Passanten Spielzeugwaffen für echte halten könnten und dann im Gedränge Panik entsteht.

Polizeidirektor Michael Temme, der am Donnerstag den Einsatz von 2500 Beamten leiten wird, warnt genau davor. Er kennt den Karneval seit 13 Jahren und habe zuletzt leider einen Trend hin zu sogenannten Anscheinswaffen ausgemacht: Das sind maßstabsgetreue Plastik-Attrappen von Maschinenpistolen oder Sturmgewehren, die nicht mal er selbst aus zwei Metern Entfernung vom Original unterscheiden könne. „Wie soll das dann bitte der Normalbürger?“ Bei Deiters, dem großen Kostümladen in der Altstadt, werden Spielzeugwaffen zu Hunderten verkauft: die Handgranate kostet drei Euro, die Pumpgun acht, die Kalaschnikow in Originalgröße gibt’s für 19,95 Euro.

Dienstagmorgen im Stadtteil Sülz, die Caritas hat 120 Flüchtlinge in den Keller der Kirche St. Karl Borromäus geladen, zu ihrem zweistündigen Workshop „Karneval für Anfänger“. Von der Decke hängen rote und weiße Luftballons, vorn steht Kursleiter Peter mit einer Bommelmütze, die Blaskapelle hat sich auch schon formiert, und ganz hinten sitzt der Syrer Munef Alyousef, 36, und staunt. Vergangenen Sommer hat er noch in al-Mayadin gelebt, einer Kleinstadt nahe der irakischen Grenze fest in der Hand der Terrormiliz „Islamischer Staat“, jetzt klatscht er zum Karnevalsevergreen „Wenn am Himmel die Stääne danze, un d´r Dom sing Glocke spillt“ im Takt. Kulturschock sieht anders aus.

Lehrer Peter hat eine Power-Point-Präsentation vorbereitet. Auf Deutsch erklärt er einige Grundverhaltensweisen des Karnevals: singen, Kamelle fangen, Kölsch trinken („ist lecker, lockert auf, bringt Menschen zusammen“). Munef Alyousef grinst und sagt, die Dolmetscherin neben Peter habe ziemliche Probleme mit dem Übersetzen, das sei nicht wirklich arabisch, was sie da spreche. Aber er glaubt, er habe das Wesentliche verstanden, und was er höre, gefalle ihm sehr. Alyousefs Handbewegung beim Kölle Alaaf sieht noch ein wenig nach Hitlergruß aus. Der Deutsche neben ihm zeigt, dass man die Hand von links nach rechts schwenken muss.

Dann spricht Peter mit der Bommelmütze ein ernstes Thema an: das Flirten. Wer sich beim Karneval freundlich und charmant verhalte – und sich keinesfalls aufdränge –, habe vielleicht Erfolg bei den Frauen, sagt er. Das Wort „vielleicht“ ist in seiner Power-Point-Präsentation fett geschrieben. Es gebe dafür kein einklagbares Recht und keine Garantie! Und die Zärtlichkeit einer Frau sei noch längst kein Eheversprechen. Munef Alyousef schmunzelt und wiederholt leise auf Deutsch: „keine Garantie“.

Als Beobachter dieser Szene schämt man sich jetzt ein wenig. Weil sie doch offenlegt, was die Deutschen den Neuankömmlingen alles zutrauen, wenn sie glauben, solche Selbstverständlichkeiten überhaupt aussprechen zu müssen.

Verärgert Sie das, Herr Alyousef?

„Nein“, antwortet der. Er überlegt, sagt dann, sehr diplomatisch: Wahrscheinlich sei es besser, einmal zu viel zu warnen als einmal zu wenig. Es könnte ja sein, dass irgendeiner der hier Anwesenden es nötig habe und daraus lerne.

Eine von denen, die Flüchtlinge auf den Kölner Karneval vorbereiten, ist die Fotografin und PR-Beraterin Sigi Lieb. Sie wollte nicht, dass sich Syrer in der überfüllten U-Bahn vor Betrunkenen erschrecken. Also hat sie einen Flyer geschrieben und als Vorlage ins Internet gestellt, er wurde von anderen Ehrenämtlern ausgedruckt und in etlichen Notunterkünften verteilt, inzwischen deutschlandweit, sogar in Mecklenburg-Vorpommern, sagt Sigi Lieb. Sie wusste gar nicht, dass dort jemand Karneval feiert. In ihrem Flyer steht, dass Männer sich beim Karneval als Frauen verkleiden und umgekehrt. Dass manche fast nackt sind und dass erotisch aufgeladene Tanzbewegungen nichts zu bedeuten haben. Sie hat ihn in sieben Sprachen übersetzen lassen. Der Flüchtling aus Afghanistan, der die Dari-Version schrieb, habe ihr mehrfach versichert, dass er Silvester gar nicht am Kölner Hauptbahnhof war, sondern in Holland. „So unangenehm ist ihm, was passiert ist“, sagt Lieb.

In einem Heim für alleingereiste Männer, also genau die Sorte Flüchtling, die nach Silvester als Problemgruppe ausgemacht wurde, gibt Sigi Lieb jede Woche Sprachunterricht. Sie hat ihre Schüler gefragt, ob sie an Karneval mitfeiern möchten. „Ein paar sind neugierig, die anderen wollen sich fernhalten“, sagt sie. Das Gedränge sei ihnen nicht geheuer.

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