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Der oder der? Der noch Regierende Klaus Wowereit mit den beiden möglichen bald Regierenden, Jan Stöß (links) und Raed Saleh.

© DAVIDS/Darmer

Update

Klaus Wowereit und der Rücktritt: Jan Stöß oder Raed Saleh: Wer soll Berlin regieren?

Auf einmal ist Klaus Wowereit ganz entspannt. Denn der Druck lastet jetzt auf zwei anderen: Jan Stöß und Raed Saleh. Aber keiner der Nachfolge-Kandidaten löst Begeisterung aus. Und bei der Bundes-SPD raufen sie sich schon die Haare.

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Zwischen Klaus Wowereit und Raed Saleh liegen Welten, was die Lockerheit angeht an diesem Dienstagnachmittag. Der Noch-Regierende Klaus Wowereit hat für seinen Staatsbesuch im Unfallkrankenhaus Marzahn am Stadtrand die Krawatte gar nicht erst mitgebracht, er scherzt und plaudert entspannt in jedes der zahlreichen Mikrofone, während Raed Saleh, streng gedeckt mit Schlips und Kragen, wie der Regierungschef-Azubi wirkt, der er möglicherweise ist.

Eigentlich geht es um Marzahn-Hellersdorf, die SPD-Wahlkreisabgeordnete Liane Ollech schreitet nebenher, Krankenhaus-Chef Axel Ekkernkamp erläutert sein Reich, aber dieser Termin ist vor zwei Monaten verabredet worden, und da war die Lage eine ganz andere. „Ich freue mich, dass so viele Journalisten den Weg nach Marzahn gefunden haben“, ulkt Wowereit, aber er möchte bei der Gelegenheit doch eine Botschaft auf den Weg bringen: „Wir arbeiten“. Dennoch geht es natürlich um Rücktritt und Nachfolge, aber es wird schnell klar, dass die sozialdemokratischen Reihen nach der überraschenden Ankündigung geschlossen sind. Saleh und Jan Stöß seien beide ausgezeichnet geeignet, sagt Wowereit, Saleh sagt so etwas Ähnliches, und von einer Kampfsituation will er schon mal gar nichts wissen, „ich freue mich auf einen fairen Wettbewerb“.  Und dann weicht Wowereit doch noch ein wenig von der Sprachregelung ab und lässt sich entlocken, dass er wisse, für welchen Nachfolger er stimmen werde. Na, jedenfalls grundsätzlich. „Sie können sich ja auch noch kandidieren“, flapst er in Richtung der Abgeordneten Ollech.  Dann zieht der Tross wieder los.     

Klaus Wowereit wirkt, als sei ihm eine Last genommen

Nach einer schlaflosen Nacht sah er am Morgen nicht aus. Obwohl es hieß, dass er mit Freunden den Abend verbracht hat. Gut rasiert, mit offenem Hemd schlendert der Wowereit auf die Kameras zu. Am Mittwoch kurz vor elf Uhr, auf dem Flur vor dem Ernst-Heilmann-Saal im Berliner Abgeordnetenhaus. Dort kam die SPD-Fraktion zu einer Sondersitzung zusammen, um einen Tag nach dem angekündigten Rücktritt die neue Lage zu beraten. Der noch Regierende wirkt erleichtert, als sei ihm eine Last von der Schulter genommen worden. Und er frotzelt wie gewohnt die Journalisten an: „Na, auch schon wieder da?“

Seinem Nachfolger, der von den Berliner Sozialdemokraten erst noch gefunden werden muss, gibt Wowereit auf den Weg: „Das ist kein leichtes Amt, man braucht starke Nerven und ein dickes Fell.“ Aber er hütet sich zu sagen, wem er den Job im Roten Rathaus, den er seit mehr als 13 Jahren ausgeübt hat, eher zutraut. Auch wenn es ein offenes Geheimnis ist, dass Wowereit zu Raed Saleh tendiert. Aber, so hört man, der scheidende Regierungschef rechnet eher mit einer innerparteilichen Mehrheit für Jan Stöß. Er soll auch zugesagt haben, nicht offen Werbung für den einen oder anderen Kandidaten zu machen.

Das hat er auch nicht mehr nötig. Eigentlich ist Wowereit seit Dienstag ein „elder statesman“, der sich nun gelassen anschauen kann, was in seiner Partei passiert, hier und da ein paar gute Ratschläge gebend. Eine „bescheidene Rolle“ hat er sich nach eigenem Bekunden auferlegt, die wird er auch wahrnehmen, und es könnte sein, dass der Fraktionschef Saleh doch ein bisschen davon profitiert.

Mit Michael Müller und Ulrich Nußbaum stehen zwei weitere potenzielle Kandidaten bereit

Im Zweikampf mit Stöß, von dem sich der Regierende spätestens seit Jahresbeginn gemobbt fühlt. Gedrängt zum beschleunigten Rücktritt – und das hat ja nun auch geklappt. Weitere Interessenten für das höchste Regierungsamt wagen sich wohl nicht aus der Deckung. Bis Montag nimmt der SPD-Landesvorstand noch Anmeldungen entgegen, aber mit einer neuen Kandidatur ist nicht zu rechnen. Weder Stadtentwicklungssenator Michael Müller noch der parteilose Finanzsenator Ulrich Nußbaum lassen erkennen, dass sie sich doch bewerben wollen. Müller soll zwar am Dienstag mit sich gerungen haben, doch ein großer Kämpfer war er nie. Jedenfalls nicht in eigener Sache, und das dicke Fell, das Wowereit für seine Nachfolge voraussetzt, ist Müller nie gewachsen.

Also – nur Stöß kontra Saleh. Im Willy-Brandt-Haus, der nur wenige hundert Meter entfernten Zentrale der Bundes-SPD, verfolgen sie das Duell der beiden Lokalpolitiker mit einer Mischung aus Verzweiflung und Fatalismus. In der Bundes-Partei gilt der Berliner Landesverband seit Jahren als Sanierungsfall: hoffnungslos selbstfixiert, ideologisch, provinziell. Und jetzt muten ihnen die Berliner Genossen auch noch zwei Kandidaten ohne jede persönliche Strahlkraft zu – ein Jammer.

Für Sigmar Gabriel geht es in Berlin auch um seine SPD-Kanzlerkandidatur

Für SPD-Chef Sigmar Gabriel ist der Rücktritt von Klaus Wowereit ein Problem.
Für SPD-Chef Sigmar Gabriel ist der Rücktritt von Klaus Wowereit ein Problem.

© dpa

Vor allem SPD-Chef Sigmar Gabriel könnte bei dem Gedanken an die Hauptstadt-Genossen trübsinnig werden. Für ihn geht es um mehr als die Macht im Stadtstaat Berlin. Für den SPD-Chef steht bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus im Herbst 2016 auch sein Schicksal als möglicher SPD-Kanzlerkandidat auf dem Spiel. Denn Gabriel weiß: Wenn die SPD in Berlin aus dem Roten Rathaus gedrängt werden sollte, vielleicht sogar von einer schwarz-grünen Koalition, dann startet die Bundes-SPD mit einer schweren Hypothek in den Bundestagswahlkampf 2017.

Schwarz-Grün wäre dann über Nacht Modell für den Bund, die Bundes-SPD und ihr Kanzlerkandidat stünden ohne Machtperspektive da. Für Gabriel eine Horrorvorstellung. Auch deshalb hat er versucht, ein politisches Schwergewicht als Wowereit-Nachfolger zu gewinnen. Während der Sommerpause klopfte er bei seinem Freund Martin Schulz, dem Präsidenten des Europaparlaments, an. Der ließ sich die Sache durch den Kopf gehen – und lehnte dankend ab. Andere prominente Kandidaten von außen sind nicht in Sicht und hätten in der Berliner SPD auch keine Chance auf Unterstützung. „So ein Himmelfahrtskommando nimmt niemand auf sich“, sagt ein SPD-Mann.

Das hat inzwischen auch die Bundespartei erkannt. Bei einer Telefonkonferenz kam die engere Parteiführung am Montag überein, sich nicht weiter in die Berliner Kandidatenfindung einzumischen. Insgeheim aber tendieren führende Genossen wie der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz zu Stöß. Auch Gabriel räumt dem SPD-Landeschef größere Chancen ein als Fraktionschef Saleh. Viele Jahre haben die Kontrahenten, die Berlin nun regieren wollen, als weitgehend unbekannte Protagonisten des linken SPD-Flügels, zusammengearbeitet. Für soziale Gerechtigkeit und Integration, gegen Rechts und Thilo Sarrazin.

Hildesheim gegen Westjordanland - Stöß oder Saleh?

Kandidat Nr. 1: Der Verwaltungsrichter Jan Stöß, gebildet und eloquent. Aufgewachsen in Hildesheim, Jura-Studium in Göttingen und Berlin. Seine politische Philosophie bringt er dieser Tage auf den kurzen Nenner: „Soziale Gerechtigkeit und Freiheit.“ Ein politischer Durchstarter, der in wenigen Jahren die Ochsentour vom Orts- und Kreisverbandschef, Bezirksstadtrat bis zum Landeschef absolviert hat. Offen schwul und wohnhaft im Schöneberger Kiez. Gern wäre Stöß nach der Wahl 2011 Finanz-Staatssekretär geworden – was Ulrich Nußbaum allerdings zu verhindern wusste. Seit Sommer 2012 steht Stöß an der Spitze der Landes-SPD.

Kandidat Nr. 2: Raed Saleh, geboren im Westjordanland und Betreiber einer Online-Druckerei. Ein Medizinstudium hat er abgebrochen, viele Jahre führte er die Geschäfte einer Fastfood-Filiale in Spandau. Ein ehrgeiziger Aufsteiger aus einfachen Verhältnissen, genauso kommunikativ und gut vernetzt wie der Konkurrent Stöß. Er wohnt mit Frau und zwei Kindern in Spandau, ist dort SPD-Kreischef und seit 2011 Fraktionschef im Abgeordnetenhaus. Saleh gibt sich kiezbezogen, als Anwalt der kleinen Leute. Sein Mantra: „Kontinuität, Stabilität und Verlässlichkeit.“

"Die suizidalen Neigungen in der SPD-Fraktion sind nicht so groß"

Raed Saleh traf am Mittwochnachmittag Klaus Wowereit in Marzahn.
Raed Saleh traf am Mittwochnachmittag Klaus Wowereit in Marzahn.

© dpa

Einer von beiden wird wohl noch vor Weihnachten Regierender Bürgermeister sein. Egal, wer das Rennen macht, die Genossen werden sich umstellen müssen – und ihnen fällt nach dem Schock vom Dienstag der Abschied von Wowereit schwer. Erst forderten die Berliner Sozialdemokraten von ihrem Spitzenmann Klarheit, wie es weitergehen soll. Nun wissen sie es und sind erschrocken. Am Eingang zum Fraktionssitzungssaal nimmt die kulturpolitische Sprecherin Brigitte Lange den Regierenden in die Arme. „Ach Mann, Klaus!“

Zweieinhalb Monate hat die Berliner SPD nun Zeit, einen Nachfolger zu küren. Bis Montag, wenn der Vorstand tagt, wollen sich Stöß und Saleh auf das Prozedere für ein verbindliches Mitgliedervotum einigen, das die Parteispitze am Dienstagabend einstimmig beschlossen hat. Es soll Diskussionsforen geben, auf denen sich beide Kandidaten der eigenen Basis stellen. Am 8. November wird der Sieger der Mitgliederbefragung auf einem Landesparteitag offiziell nominiert – und am 11. Dezember mit rot-schwarzer Mehrheit zum neuen Regierungschef gewählt.

Wenn im Parlament alle mitmachen. Aber, so formuliert es ein führender Genosse: „Die suizidalen Neigungen in der SPD-Fraktion sind nicht so groß, dass Schlimmes zu befürchten ist.“ Zudem verfügt die Koalition aus SPD und CDU im Abgeordnetenhaus über eine komfortable Mehrheit von 85 Sitzen. Zehn Abgeordnete weniger würden sogar reichen, um den Regierungschef zu wählen. Aber so weit ist es noch lange nicht. Erst einmal sind die 17 000 Berliner SPD-Mitglieder dran, die ihre Stimme voraussichtlich im Oktober per Briefwahl abgeben dürfen.

Klaus Wowereit bummelt entspannt durch Marzahn

Basisdemokratie, um einen Regierungschef zu küren, das hört sich gut an. Aber viele Sozialdemokraten, jedenfalls die älteren Semester, erinnern sich nicht gern an die 90er Jahre, als zwei Mal ein SPD-Spitzenkandidat per Urwahl nominiert wurde. 1995 siegte die damalige Sozialsenatorin Ingrid Stahmer gegen den Ex-Regierenden Walter Momper. Dem gelang vier Jahre später das Comeback, als in einer erneuten Mitgliederbefragung der SPD-Fraktionschef Klaus Böger das Nachsehen hatte. Mit beiden Kandidaten verlor die SPD jeweils mit einem desaströsen Ergebnis: 23,6 und 22,4 Prozent, weit abgeschlagen hinter den Christdemokraten. Und beide Male zerfiel die Partei in verfeindete Lager, die sich erst mit Wowereit 2001, als die große Koalition in Berlin zerbrach, zu neuer Geschlossenheit zusammenfanden.

Eine schnelle Entscheidung, „keine Hängepartie, keine schmutzige Wäsche“, das wünscht sich ein führendes Fraktionsmitglied. Ganz einfach wird das nicht, weil die einst funktionierende Zweckgemeinschaft zwischen Stöß und Saleh zu Ende war, als Saleh die Osterferien dazu nutzen wollte, den Parteivorsitz an sich zu reißen. Das misslang. Auf einem Landesparteitag am 17. Mai wurde der Landeschef Stöß wiedergewählt. Mit 68,7 Prozent. Kein berauschendes Ergebnis, aber eine stabile Mehrheit quer durch die zwölf SPD-Kreisverbände, auf die sich der potenzielle Wowereit-Nachfolger nach wie vor stützt. „Ich bin zuversichtlich“, sagt Stöß am Mittwoch. Saleh sagt nichts zu seinen Chancen. Mittwochnachmittag trifft er Wowereit im Unfallkrankenhaus Marzahn, bei einer bezirklichen Infotour. Ein ungleiches Paar. Der eine hat noch was vor, der andere kann jetzt entspannt durch den Kiez bummeln.

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