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Was auf ihn zukommt. Es ist irgendwie – schicksalhaft. Das formal Größte in der Republik zu tun, Kanzler zu sein, war Wolfgang Schäuble nicht vergönnt. Aber dadrunter, daneben, gibt es nichts Kleines, ist alles Größere seins.

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Kommt der Grexit?: Wolfgang Schäuble - und seine Rolle in der griechischen Tragödie

Was diese Augen schon alles gesehen haben. Und heute stellt sich die große Frage: Kommt der „Grexit“? Wolfgang Schäuble schweigt zu der Tragödie. Der Finanzminister hat seine Rolle gespielt. Und gesagt, was zu sagen ist.

Können diese Augen lügen? Ja, diese Frage muss man stellen. Weil sie sich jeder stellt, der mit wachen Augen auf die gegenwärtige Situation blickt. Der sieht, wie sich Politiker, oder solche, die sich Politiker nennen, treffen, um Großes zu verhandeln, einander anlächeln oder aneinander vorbeilächeln. Wie sich ihre Mienen verziehen zu Grimassen der Freundlichkeit. Oder ist es doch wahr, sind sie sich doch nicht so fern, wie es ihre voneinander abgewandten Schultern auf den Bildern nach ihren Treffen nahelegen?

Die Treffen des Griechen Yanis Varoufakis mit Wolfgang Schäuble sind, wenn man die beiden danach sieht, wenn man ihrer Unterschiedlichkeit in Gestus und Habitus und Mimik angesichtig wird, ein ganz besonderes Schauspiel. Es eine griechische Tragödie zu nennen, ist nicht übertrieben.

Denn so wird die ja beschrieben: Die Tragödie behandelt die schicksalhafte Verstrickung des Protagonisten, der in eine so ausweglose Lage geraten ist, dass er durch jedwedes Handeln nur schuldig werden kann. Die herannahende, sich immer deutlicher abzeichnende Katastrophe lässt sich trotz großer Anstrengungen der handelnden Personen nicht mehr abwenden.

Statt Pathos Arbeitsethos

Und man kann doch diesen Eindruck haben, in diesen Tagen. Tagen des Zorns der einen wie der anderen. Tagen des Hochmuts dazu. Tagen, an denen einer wie der Gesamteuropäer Martin Schulz durch seine Ansprachen nahe am Pathos, die Entgegenkommen von allen Seiten herbeipredigen sollen, daran erinnert, dass Europa eine Göttin ist.

Europa! Eine Göttin! Einer wie Schäuble weiß das wohl, auch das. Da muss ihm keiner was erzählen. Lange, lange schon sagt er – mit seinen Worten, die gegenwärtig Pathos meiden, wo es nur geht –, dass die europäische Einigung ein Auftrag ist. In einer durch frommes eigenes Streben und Schaffen erreichten Situation, nach einer durchaus auch gottgegebenen Gelegenheit. Aber wehe, jemand wagte zu behaupten, er sagte so was. Das denkt er, der Christ. Und er ist es: ein protestantischer, aufgeklärter, abgeklärter abendländischer Christ. Darum statt Pathos Arbeitsethos.

Zu Besuch bei Wolfgang Schäuble. Im Arkanum seiner Macht. Er sitzt im lilafarbenen Pullover, leger, lässig. Dieser Kopf! Er ruht auf seinen Händen. Statuarisch. Voller Leben. Das wie herausgestichelt erscheint. Er ist kein Mann für den Meißel.

Können diese Augen lügen? Blau, sehr blau schauen sie hinter den geschliffenen Gläsern, die er jetzt nahezu immer trägt. Manchmal blitzen sie, aber das kann eine Täuschung gewesen sein. Wie so vieles.

Was diese Augen schon alles gesehen haben

Was auf ihn zukommt. Es ist irgendwie – schicksalhaft. Das formal Größte in der Republik zu tun, Kanzler zu sein, war Wolfgang Schäuble nicht vergönnt. Aber dadrunter, daneben, gibt es nichts Kleines, ist alles Größere seins.
Was auf ihn zukommt. Es ist irgendwie – schicksalhaft. Das formal Größte in der Republik zu tun, Kanzler zu sein, war Wolfgang Schäuble nicht vergönnt. Aber dadrunter, daneben, gibt es nichts Kleines, ist alles Größere seins.

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Was diese Augen schon alles gesehen haben an Politik und Politikern. Große Kanzler. Große Verhandler um große Summen. Und kleinere, Verhandler wie Summen. Die deutsche Einheit hat er verhandelt. Er hat ein Buch darüber geschrieben, in dem er der Politik die sieben Siegel nimmt und vielmehr erklärt, wie mühselig sie ist. Mit Reden über Einigungen auf allen Ebenen und über Paragrafen und über Gesetzesüberleitungen und Fußnoten und alles das. Ein Geschäft ist Politik auch. Aber wenn es groß ist, das zu Schaffende, dann ist es inspiriert von einer Idee. Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? In diesen Momenten ist es die Aufklärung, die einen wie ihn leitet.

Es wirkt, als habe Schäuble, der Nestor der großen deutschen Politik, der Doyen der deutschen Minister, der Schatzkanzler der von ihm mitgeschaffenen neuen deutschen demokratischen Republik inzwischen nur noch Großes zu behandeln. Das er sich selbst sucht, das aber auch ihn sucht. Es ist irgendwie – schicksalhaft. Das formal Größte in der Republik zu tun, Kanzler zu sein, war ihm nicht vergönnt, wird ihm nie vergönnt sein; er wird immer der Kanzler im Konjunktiv bleiben. Aber dadrunter, daneben, gibt es nichts Kleines, ist alles Größere seins. Denn am Gelde hängt doch alles, zum Gelde drängt doch alles.

Seit 1972 ist Schäuble im Bundestag, ein Menschenleben

National geht es um den Länderfinanzausgleich, und er hat sich der Aufgabe angenommen, obwohl sie sich nicht zuerst ihm stellt. Den Ausgleich zu regeln, das kann er doch. Das können die anderen von ihm haben, mit ihm haben. Wenn sie wollen. Wenn nicht – dann nicht. Kleinliches Geschacher verträgt sich nicht mit dem Großen, das er im Sinn hat. Mit dem, der klein denkt und handelt, verträgt er sich nicht. Der kann ihn kennen lernen. Wobei: So viele Jahre ist Schäuble in der Politik, seit 1972 im Bundestag, ein Menschenleben – man kann ihn kennen. Auch ein jüngerer Finanzminister kann das. Wenn er will.

National ist auch der Streit um die Erbschaftsteuer. Schäuble nimmt sich der Aufgabe an, die auf ihn gekommen ist. Sie muss neu geregelt werden. Und der Schatzkanzler der Republik will es tun. Für die Republik. Schaffen will er auch das, und er kann es. Wenn es nach den Grundregeln der Logik geht, wie er sagt. Logik! In der Politik! Und dennoch. Sonst ist doch der Föderalismus am Ende, früher oder später. Das will er nicht erleben. Man wird, sagt er darum leise böse, noch ein bisschen gesamtstaatliche Verantwortung wahrnehmen dürfen. Er als altmodischer Protestant. Sagt er. Da zeigt er sich, der Strenge, der er in fast allem ist. Der strenge Christ.

International ist seine Finanzpolitik, und internationale Sicherheitspolitik ist die auch. Schäuble hat darüber eine Rede gehalten, in der Bundessicherheitsakademie, die nachzulesen sich lohnt. Die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, befasst mit den Turbulenzen in aller Welt, verehrt ihn. Wie eine Rede auf ihn belegt, die nachzulesen sich ebenfalls lohnt. Die Bundeskanzlerin respektiert ihn, wie an ihren Worten zu belegen ist, wann immer die Rede auf ihn kommt. Und Respekt, das ist, was er will.

Oder ist das alles vorbei? Geht das dahin mit der Tragödie um Griechenland, der Respekt, das Geschaffene, Europa? Schäuble kann so schauen wie kein Zweiter. Er kann Blicke, sagen wir, austauschen. Lassen wir sie sprechen: Eine Tragödie ist ein Schauspiel. Mit verteilten Rollen. Er spielt seine. Und wie das so ist bei großen Mimen, mit der Zeit werden sie ihre Rolle, gehen sie darin auf. Das sagt die Wahrnehmung. Gustaf Gründgens war ein Großer, und er wurde Mephisto, oder?

Er hat Varoufakis gewarnt

Was auf ihn zukommt. Es ist irgendwie – schicksalhaft. Das formal Größte in der Republik zu tun, Kanzler zu sein, war Wolfgang Schäuble nicht vergönnt. Aber dadrunter, daneben, gibt es nichts Kleines, ist alles Größere seins.
Was auf ihn zukommt. Es ist irgendwie – schicksalhaft. Das formal Größte in der Republik zu tun, Kanzler zu sein, war Wolfgang Schäuble nicht vergönnt. Aber dadrunter, daneben, gibt es nichts Kleines, ist alles Größere seins.

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Kein Blatt Papier passt zwischen ihn und die Kanzlerin. Sagen sie in der Unionsfraktion, seiner Fraktion. Und wenn es nicht so wäre, so wäre es nicht schlecht für ihn. Aber auch das Papier, auf dem die Pläne stehen für den Fall, dass Griechenland den Euro verliert, diese drei Punkte, von denen jetzt überall berichtet wird, die Vorsorge für den großen Knall – das trennt die Kanzlerin und ihren Schatzkanzler nicht. Denn es liegt doch so nah. Logik! Nach der Pleite muss die innere Sicherheit des Staates gewährleistet sein, die Gesundheitsversorgung, die Schule muss weitergehen. Die Banken muss man isolieren, sie dürfen nicht kollabieren. Und den Menschen muss humanitär geholfen werden. Humanität ist keine Frage der Gelegenheit.

Das ist zu ernst, um leichtfertig darüber zu reden. Varoufakis tut das – sagen inzwischen immer mehr, in der Union sowieso, aber auch bei den Sozialdemokraten. Selbst Sigmar Gabriel hat jetzt genug, tatsächlich genug, und er versteht es doch nun wirklich, mit dem anderen schon mal sein Spielchen zu spielen. Aber vielleicht ja gerade deshalb? Weil Gabriel Politiker ist und nicht nur so tut?

Jedenfalls hat er Varoufakis gewarnt.

Schäuble weiß zu schweigen

Bei dem Griechen, dessen Kopf wie aus Stein gemeißelt erscheint, der in die Politik nur geraten ist, wirkt das Ganze wie eine Zurschaustellung. Die ihm zu missraten droht. Und spielt er auch eine Rolle für seinen Kanzler, seinen Premier, so ist er doch ein unerprobter Theoretiker des Spiels. Ein Mann, der mit Computerspielen Geld verdient hat. Dem manche, nein, immer mehr, unterstellen, dass er jetzt auf einem anderen Level mit dem Spiel Geld zu machen glaubt. Auf dem staatlichen Level. Schäuble weiß zu schweigen. Er schaut sich das Ganze an. Er schaut auf das große Ganze. Gelassen. Er hat gesagt, was zu sagen war.

Jetzt sagen es andere. Der „Grexit“ ist jetzt in aller Munde. Sogar in dem von Jean-Claude Juncker, dem Kommissionspräsidenten, dem Hüter des Tempels der Europa. Ihm hat er es auch gesagt, Schäuble. Er hat es ihm doch gleich gesagt – so passt der Satz übrigens noch besser zu ihm. Nicht dass Schäuble unfehlbar wäre. Er weiß es nur besser. Der „Grexit“ – nicht mehr ob, sondern nur noch wann? Heute stellt sich die Frage. Allen. Den Finanzministern der Eurogruppe. Dem Chef der Europäischen Zentralbank. Den Chefs, den Premiers. Allen, überall.

Schäuble ist ein Meister im Sortieren, Differenzieren, Zusammenfassen. Wer an Großem baut, der muss auch Mosaike können. Für ihn ist Politik ein Mosaik, das gelegt werden muss. Und es ist eben nicht Schwarz und Weiß. Er sieht die unzähligen Grauschattierungen. Gut, Böse, das so zu sortieren, ist ihm alles zu einfach, zu Schwarz-Weiß. Er differenziert. Das gilt bei Menschen, die ihn umgeben, Menschen, die ihn herausfordern. Er differenziert auch bei Varoufakis. Denn Schäuble weiß, der Mensch ist fehlbar. Sogar er. Auch er hat seine Meinung ändern müssen. Nur soll keiner bloß Chaos bringen, anstatt durch neue Fakten, durch neue Erkenntnisse eine neue geistige Anordnung zu erzwingen. Varoufakis hatte seine Chance.

Nicht nur Merkel, auch Schäuble ist ein Sicherheitsapostel

Was auf ihn zukommt. Es ist irgendwie – schicksalhaft. Das formal Größte in der Republik zu tun, Kanzler zu sein, war Wolfgang Schäuble nicht vergönnt. Aber dadrunter, daneben, gibt es nichts Kleines, ist alles Größere seins.
Was auf ihn zukommt. Es ist irgendwie – schicksalhaft. Das formal Größte in der Republik zu tun, Kanzler zu sein, war Wolfgang Schäuble nicht vergönnt. Aber dadrunter, daneben, gibt es nichts Kleines, ist alles Größere seins.

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Jetzt hat das Tragische überhandgenommen. Jetzt wendet sich sogar ein Schäuble von den griechischen Säulen des Tempels der Europa ab. Wer hätte das gedacht. Er hat die Lage analysiert, hat den Mitmenschen studiert und wieder für sich differenziert. Wobei die Differenz – sein Abschied von der Bereitschaft, Stütze für alles zu bieten – das Bedeutende ist.

Das ist, was alle sehen und schon gar die Kanzlerin. Aber sie beide zu trennen, in dieser Lage, dazu gehört inhaltlich mehr als ein Blatt Papier. Politisch sowieso. Denn wie der Premier und der Finanzminister in Griechenland, so brauchen auch die Kanzlerin, die Première in Europa, und ihr Finanzminister daheim in Deutschland eine Mehrheit. Mehr denn je. Und was die Politiker, die mit beiden zu tun haben, nicht unterschätzen, ist ihr Gleichklang in dieser Hinsicht: Nicht nur Angela Merkel, auch Wolfgang Schäuble ist ein Sicherheitsapostel. Ein Sachwalter der Stabilität. Wer sich von ihm Geld leihen will, der muss ihn zu mehr als 100 Prozent überzeugen, dass er es sicher zurückbekommt. Nur Wissen und Rat sind großzügig von ihm zu haben.

Schäuble ist ein Mann mit Grenzerfahrung

Das erinnert daran, wie Jean-Claude Juncker ihn belobigte, als Schäuble 2012 mit dem Karlspreis ausgezeichnet wurde. Da sagt der heutige Kommissionspräsident, Schäuble sei, wie viele Europäer, die es mit Europa ernst meinen, ein Mann der Grenze. Das stimmt. Ein Mann mit Grenzerfahrungen ist er in jeder Hinsicht, und einer, der zur Not Grenzen setzt. Er hat seine. Und was ihn nun – und immer noch – mit Angela Merkel verbindet? Das findet sich abgeleitet in einem Zitat bei „Bild der Frau“, der er vor einem Jahr sagte: „Ich mag keine Angeber und kein hohles Geschwätz. Ich mag Verlässlichkeit und Menschen, die wirklich was zu erzählen haben. Man kann mir gut die Meinung sagen, aber ich ärger mich, wenn man mich anlügt.“ Die Kanzlerin lügt ihn nicht an. Sie weiß: Er ist so loyal, dass er es nicht mehr beweisen muss. Sie kann sich darauf verlassen. Nur bequem ist er nicht. Aber das braucht Merkel auch nicht.

Das große Finale. Die Seinsfrage, der Einzelne und die Welt, Schuld und Sühne, Charakter und Schicksal. Und das Tragische tritt jetzt übermächtig hervor. Die Griechen, die einfachen Menschen, die unter all den Versäumnissen der Jahrzehnte so leiden müssen – sollen sie schuldlos zu Schuldigen erklärt werden? Das ist die Seinsfrage, im übertragenen Sinn: Welche Anstrengungen die Menschen noch unternehmen und was sie noch tragen können. Als Georgios Papandreou noch Premier war und er ein Referendum anstrengen wollte, hat ihm die Kanzlerin die passende Frage dazu aufgeschrieben. Vielleicht ist das die Lösung: Dass Angela Merkel Alexis Tsipras die Frage aufschreibt, deren Antwort sein Volk geben soll? Wie schön wäre es, wenn die Tragödie jäh endete, ohne Exodus, ohne Katastrophe.

Können diese Augen lügen? Was für eine Frage. Nun, Wolfgang Schäuble sieht, was er sieht. Sein Blick – ist offen.

Einen Gastbeitrag von Alexis Tsipras zum Thema lesen Sie hier

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