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Wolfgang Schäuble umringt von den Ministern in Brüssel.

© John Thys/AFP

Krise in Griechenland: Klare Fronten: Tsipras gegen den Rest

Griechenland steht am Abgrund, Europa vor ernsten Problemen. Doch in Brüssel bricht fast Erleichterung aus. Mit Athens jüngstem Schachzug sind nun die Fronten klar. Die Griechen stellt das Referendum vor neue Nöte.

Nach dem Knall ist es manchmal besonders still. An diesem sonnigen Sonntagmorgen sitzt Wolfgang Schäuble nicht an seinem Schreibtisch in der Wilhelmstraße, sondern zu Hause. Der Finanzminister telefoniert ein bisschen, er setzt die Abgeordneten ins Bild, die mit dieser Griechenland-Sache von Amts wegen zu tun haben, mit der Kanzlerin hat er sowieso eine Art Standleitung. Es wird noch viel zu tun geben in den nächsten Tagen und Wochen. Doch seit Samstag ist Schäuble mit sich und der Welt so erkennbar im Reinen, dass es mal einen Tag ruhiger gehen darf. Die Krise hat einen neuen dramatischen Höhepunkt erreicht. Das Land steht am Abgrund, Europa vor ernsten Fragen. Alles nicht schön. Aber wenigstens sind jetzt die Fronten mal klar.

Als es knallte, hatte Schäuble es sich gemütlich gemacht, vor dem Fernseher nämlich. In Brüssel schien alles auf gutem Weg, endlich. Der Euro-Gipfel war zu Ende gegangen, die Verhandlungen der Experten gingen weiter – Papiere hier, Papiere da, Gespräche über Details. Um 700 Millionen Euro lag man zuletzt auseinander, eine lumpige Summe in diesem Milliardenspiel.

Schäuble guckte Fußball - da knallte es

Sportfan Schäuble also guckte Fußball – Weltmeisterschaft der Frauen, der Klassiker: Deutschland gegen Frankreich. „Es ging gerade so in Richtung Verlängerung“, erzählt der Minister tags darauf, da platzte die Nachricht aus Athen herein. Alexis Tsipras will sein Volk befragen. Der griechische Regierungschef will dafür in die Verlängerung. Bis dahin wären die anderen mitgegangen, auch Angela Merkel, auch Schäuble. Als das Referendum im Frühjahr schon einmal als Idee aufkam, war der Deutsche dafür. Aber Tsipras will sich nicht die Zustimmung zu einem Kompromiss holen. Er spricht von einem „erpresserischen Ultimatum“, von Erniedrigung, von Zumutungen, schlimmer als je. Er will, dass sein Volk Nein sagt.

„Das war natürlich ein Hammer“, sagt ein Diplomat. Am Freitagnachmittag hatte Tsipras zuletzt mit Europas Krisen- Duo zusammengesessen, mit Angela Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande. Noch einmal hatte der Grieche versucht, das zu erzwingen, was er eine „politische Lösung“ nennt – ein Einlenken über die Köpfe der Experten und der Gläubiger-Institutionen hinweg: einen Schuldenschnitt.

Merkel blieb hart. Kein Schuldenschnitt – das war ihre rote Linie. Sie hatte das Tsipras mehr als einmal gesagt. Er hat es offenbar nicht glauben wollen. Ohnehin muss sich Merkel in den letzten Tagen vorgekommen sein wie in der Satireversion eines griechischen Straßencafés: Man redet, palavert, trennt sich als verständige Freunde – und beim nächsten Mal geht alles von vorne los.

Der Grieche flog zurück

Der Grieche flog zurück nach Athen. In der Nacht erreichte seine Unterhändler in Brüssel die Anweisung per Twitter: Schluss, Aus, Abbruch.

Von dem Referendum war in der Dreier-Runde keine Rede. In der Bundesregierung schütteln sie noch Tage danach den Kopf: „Der sitzt nachmittags mit der Kanzlerin zusammen und sagt keinen Mucks!“ Aber womöglich hat Alexis Tsipras zu dem Zeitpunkt selber noch nicht gewusst, was er tun wird. Der Mann stand seit Tagen unter Druck in der eigenen Partei, diesem losen Konglomerat aus Linken und sehr Linken, aus Bürgerrechtlern und Revolutionären, Wohlmeinenden und Träumern, das stark an die frühen Grünen erinnert. Tsipras hat im Parlament gemeinsam mit dem Rechtsaußen-Koalitionspartner nur eine knappe Mehrheit. Schon für sein eigenes letztes Angebot an die Gläubiger stand er unter Feuer. In der linken Plattform von Syriza ging das Wort vom Einknicken um, vom Verrat. „Dieser Vorschlag hätte sicher zu Problemen und vielen Diskussionen in der Partei geführt", sagt Costas Lapavitsas, erklärter Euro-Austrittsbefürworter und ein Wortführer des linken Flügels.

Wenn Tsipras ein Nein von den Griechen will – dann sagt die EU Nein zu Tsipras

In der letzten Woche bekamen die anderen Europäer mit, wie Tsipras Verbündete suchte für den Fall der Fälle. Bei EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat er sich erkundigt, ob der Sozialdemokrat mal mit der griechischen Schwesterpartei reden kann. Andere fragte er nach Kanälen zu Bürgerlichen.

Was genau dann in den fünf Stunden passiert ist, in denen Tsipras in der Freitagnacht mit seinen Syriza-Freunden beriet, ist unklar. Manche sagen, er habe auf internen Druck reagiert, andere, er sei persönlich verbittert gewesen über den Lauf der Dinge. „Es gab keinen speziellen Druck der Partei auf Tsipras“, versichert Linken-Sprecher Lapavitsas. „Die Geldgeber wollten Syriza demütigen, es gab nie einen echten Willen für Zugeständnisse. Die Gespräche waren an einen toten Punkt gelangt.“

Der griechische Finanzminister berät sich im Parlament.
Abbruch. Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hatte Brüssel wütend verlassen. Im Parlament traf er nachts aufs Gleichgesinnte.

© Reuters/Yannis Behrakis

Am Samstag folgt dem Knall das Echo. Hinterher werden viele diese Sitzung der Euro-Finanzminister „historisch“ nennen, einen Einschnitt, wenn auch ein trauriger. Wenn Tsipras ein Nein von den Griechen will – dann sagt der Rest Europas eben Nein zu Tsipras. Keine Verlängerung, keine Gnadenfrist für ein Referendum. „Es ist zwar sehr bedauerlich“, sagt Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem. „Aber das Programm wird dennoch am Dienstag auslaufen.“ Er lässt später durchblicken, dass die Finanzminister an diesen Satz eine letzte Hoffnung geknüpft hatten. In Athen debattierte das Parlament über Tsipras Volksabstimmungsplan. Noch war keine Entscheidung gefallen. Die plötzliche Härte aus Brüssel hätte den Griechen noch einen Ausweg bieten können, sagt ein Teilnehmer des Euro-Rats später.

Schäuble hat in der Sitzung deutlich gemacht, dass er für eine weitere Verlängerung des Hilfsprogramms in der Unionsfraktion in Berlin keine Zustimmung bekommen wird. Außerdem, was soll das? Von „ein paar Tagen“ hatte Tsipras geredet; sein Finanzminister Giannis Varoufakis ist in Brüssel schon bei „ein paar Wochen“. Der Beschluss fällt mit 18 gegen einen, zum ersten Mal in der Geschichte der Eurozone.

Varoufakis versucht ihn in letzter Minute zu verhindern: ob das überhaupt gehe, ein Votum ohne Einstimmigkeit? Die anderen bitten den juristischen Dienst hinzu. Die Juristen sagen, ja, das geht. Varoufakis stürmt wütend nach draußen. Erst soll fassungsloses Schweigen geherrscht haben, bis Mario Draghi, der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), die Stimmung mit einem Scherz lockerte. „Wenigstens darf man uns nun wieder Troika nennen“, hat der Italiener geunkt. Seit Februar durften sie das Finanzaufpasser-Trio von EZB, EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF) nur noch „die Institutionen“ nennen, um die Griechen nicht zu reizen.

Aber was da passiert ist, ist kein Scherz und kein Spiel um Worte. Als Varoufakis abgerauscht ist, reden die Anderen über den Ernstfall: Plan B, Stabilisierung des Euro. Stabilisierung meint technisch, aber vor allem auch politisch die Schockwelle abfangen. In einer emotionalen Rede mahnt die portugiesische Finanzministerin Kollegin Maria Luís Albuquerque, man müsse nun nicht nur den Märkten, nein, auch den Menschen in Europa erklären, was der Beschluss bedeutet.

Technisch ist das relativ einfach: Am Dienstag um 23 Uhr läuft das zweite Hilfsprogramm für Griechenland aus. Damit entfällt die Basis für die Auszahlung weiterer Milliarden an Athen. Es entfällt wahrscheinlich auch die Basis für die Notkredite, mit denen die EZB die griechischen Banken flüssig hält. Der EZB- Rat friert die Hilfe am Sonntag bei der bisherigen Summe von 90 Milliarden Euro ein. Das ist also noch nicht der letzte Schritt. Aber er steht kurz bevor. Varoufakis muss in seinem Land ab Montag eigentlich den Geldverkehr einschränken. Er will aber nicht. Den Griechen, sagt Schäuble in Brüssel, stünden „ein paar unruhige Tage“ bevor.

In Athen laufen sie nachts in Pantoffeln noch schnell zum Geldautomaten

Vor den Geldautomaten in Athen bilden sich lange Schlangen.
Lange Schlangen. Die Griechen stellt das Referendum vor neue Nöte. Viele wollen ihr Geld in Sicherheit bringen.

© Yannis Behrakis/Reuters

Das könnte eine kleine Untertreibung sein. Am Wochenende erlebten viele Griechen den ersten Vorgeschmack. Mancher hat gleich eins und eins zusammengezählt, als er Tsipras Samstagnacht im Fernsehen sah. „Ich bin in Pantoffeln und Morgenmantel zum nächsten Geldautomaten gelaufen und habe 700 Euro abgehoben, mein Tageslimit“, erzählt Aristidis Panagopoulos. Am Sonntagmorgen steht der 67-jährige Rentner in einer Schlange vor einem Geldautomaten der Alpha Bank, um weitere 700 Euro abzuheben. „Ich möchte nicht am Montag mit Drachmen auf dem Konto aufwachen“, sagt der Pensionär. Kurz bevor er an die Reihe kommt, ist der Automat leer, so wie zeitweise jeder zweite in Athen. Panagopoulos macht sich auf den Weg zur nächsten Bankfiliale.

Leer ist irgendwann auch der Automat der Nationalbank im Parlamentsgebäude. Im Plenarsaal läuft stundenlang die Debatte über das Referendum. Zwischendurch versorgen sich Minister mit Bargeld. Auch Lapavitsas, der linke Freund der Drachme, zieht noch schnell ein Bündel Euro-Scheine. Weit nach Mitternacht wird dann auch er die Hand heben für Tsipras’ Weg heben. Der hat ihn vorher noch einmal bekräftigt, die Arme breit auf das Rednerpult gestützt: Ein entschlossenes Nein, „ein stolzes Nein“ solle das Volk den Gläubigern entgegenschleudern. Am nächsten Sonntag schlage für die Gläubiger „der Tag der Wahrheit“.

In Brüssel schütteln sie nur den Kopf.

In Brüssel schütteln sie nur den Kopf. In Berlin auch. Welche Verhandlungsposition? Über was sollen die Griechen abstimmen? Über ein Angebot der Gläubiger, das es dann gar nicht mehr gibt, weil es das Programm nicht mehr gibt? „Hermetisch“, sagt einer aus der Bundesregierung, und er klingt ziemlich fassungslos dabei. Merkel hatte gehofft, dass wenigstens Tsipras einer sei, mit dem sich ein normaler europäischer Kompromiss schließen lässt – einer von der Sorte, wie sie Europa kennt: Hinterher ist keiner zufrieden, aber alle können damit leben.

Aber Merkel hat lernen müssen, dass sie hermetisch sind da in Athen, Bewohner einer eigenen Parallelwelt, sagt einer: „Da geht es immer nur: Ganz oder gar nicht!“ Die SPD-Spitze ist zum gleichen Schluss gekommen. Als Tsipras von Referendum sprach, hat Sigmar Gabriel noch ganz positiv reagiert. Aber der SPD-Chef hat dann erkennen müssen, dass es in Athen um das schiere Gegenteil jener Mitgliederbefragung geht, mit der er seine Partei damals in die große Koalition gebracht hat: nicht um Kompromiss, sondern um Konfrontation.

Ob sich die noch abwenden lässt? Eurogruppenchef Dijsselbloem hat betont, dass die „Tür offen“ bleibe für neue Gespräche. IWF-Chefin Christine Lagarde sagt, wenn die Griechen reden wollten – nur zu. Varoufakis fordert, dass jetzt Merkel ran müsse, die deutsche Kanzlerin habe den Schlüssel zur Lösung in der Hand. Wenn man sich einige, dann werde seine Regierung ihre Empfehlung ändern für das Referendum: von Nein auf Ja.

Einigen? Auf was? Auf die „politische Lösung“?

Einigen? Auf was? Auf die „politische Lösung“? Noch ein Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs? Kriegen sie nicht. Merkel hat jetzt wochenlang versucht, Brücken zu bauen, so sehen sie das in Berlin und in Brüssel. „Ein unendliches Maß an Geduld“ habe die Kanzlerin aufgewandt, sagt Schäuble. Seine war schon früher erschöpft. Jetzt ist auch sie es leid. Man müsse schließlich und endlich jetzt abwägen, sagen sie in der Regierung, was für Europa und den Euro-Raum schlimmer wäre: ein Scheitern der Griechen-Rettungspakete – oder einem Alles-oder-Nichts-Kurs von Leuten nachgeben, die „Demokratie“ sagen und bloß ihr Wahlergebnis sehen, und die „Solidarität“ sagen und das Geld der anderen meinen.

„Tsipras hat sich verzockt“, glaubt ein deutscher Regierungsmann. Ob er sein Referendum überhaupt zustande kriegt? In Athen sind sich viele nicht sicher – eine Volksabstimmung in einer Woche auf die Beine zu stellen, wäre selbst für eine reiche Industrienation ein starkes Stück; wie soll ein Land am Abgrund und mit leeren Kassen das schaffen? Und selbst wenn, was wäre danach anders als vorher? Wenn die Griechen Nein sagen, wie es ihr Regierungschef will, bleibt die Welt trotzdem die gleiche. Seine Regierung, hat Tsipras im Parlament gesagt, werde dann eine ganz andere Verhandlungsposition haben. In Brüssel und Berlin schütteln sie wieder nur den Kopf.

Ein hinterlistiger Service für das griechische Volk

Und wenn das Volk Ja sagt zum Angebot der Geldgeber? Die EU-Kommission hat es am Sonntag veröffentlicht, ein hinterlistiger Service für das griechische Volk. Lagarde hat den Ja-Fall am Samstag kurz durchgespielt. Juristisch gesehen, sagt die IWF-Chefin, existiere das Rettungspaket ab Dienstag nicht mehr, also sei das Ja gegenstandslos. Andererseits, wenn die griechische Regierung nach der Niederlage zurückkommen sollte an den Verhandlungstisch, könne man es ja noch mal probieren: „Um jemand anders zu zitieren – wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“ Aber wie dieser Weg aussehen könnte, dazu fehlt in Berlin vielen noch die Fantasie. „Wie soll denn ausgerechnet diese Athener Regierung ein Ja verhandeln?“, fragt ein Spitzendiplomat.

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