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Neue Töne. Nach mehr als 50 Jahren haben Kuba und die USA wieder diplomatische Beziehungen aufgenommen.

© Alejandro Ernesto/dpa

Kubas Zukunft: Buena Vista

Sie weinen, als sie die Nachricht hören. Es sind Tränen der Erleichterung und der Hoffnung. Für die Kubaner kommt das Ende des Kalten Krieges völlig unverhofft. Von der Sehnsucht nach Mehr.

Erst ist es nur ein Gerücht, es kommt am Mittag aus dem Küchenradio, verbreitet sich im Patio, wo es die Großmutter im Schaukelstuhl aufschreckt. Findet seinen Weg ins Wohnzimmer, kreist um den Essenstisch und schlüpft dann durch das kleine Café im vorderen Teil des Gebäudes ins Freie. Hinaus auf die sonnendurchflutete Straße in Havannas charmant morbidem Zentrum, auf der zwei junge Männer gerade die Reifen ihrer Fahrradtaxis flicken.

Man findet sich um den Fernseher zusammen. Fünf Familienangehörige, die in ihrem Haus aus der Kolonialzeit ein Casa Particular betreiben, ein vom Staat genehmigtes Bed & Breakfast mit angeschlossenem Café. Außerdem ein paar Gäste, die beiden Pedalen-Chauffeure, eine Gemüseverkäuferin.

Ihre Namen sollen hier keine Rolle spielen. Es ist für Kubaner immer noch ein Risiko, mit ausländischen Journalisten zu sprechen. Die Leute tun es trotzdem. Spätestens seit Raúl Castro zur konstruktiven Kritik am System aufgerufen hat, nimmt selbst die Bedienung im Restaurant kein Blatt mehr vor den Mund: „Ja, mein Schatz, eine gute Pizza sollte nur dreieinhalb Minuten im Ofen backen. Vieles sollte ja so und so sein. Aber wir sind hier auf Kuba.“ Und schon der Taxifahrer am Flughafen meckerte, kaum war man eingestiegen: „Wir wollen mehr Wandel. Endlich frischen Wind.“

Dieser kommt dann völlig unverhofft und ohne jegliches Brimborium.

Als sie in der Casa Particular den Fernseher einschalten, wird aus dem Gerücht Gewissheit: Telesur, der alternative Nachrichtensender aus Venezuela, der moderner daherkommt als das staatliche Fernsehen und einer der sieben offiziell erlaubten Sender ist, obwohl die Kubaner auch heimlich mexikanisches Fernsehen schauen, der Telenovelas wegen.

Im Fernsehen verkündet Kerry das Ende des Kalten Krieges

Auf Telesur also spricht der Außenminister der USA, man zappt mitten hinein in seine Rede. John Kerry verkündet gerade das Ende des Kalten Krieges in der Karibik. Nach mehr als 50 Jahren. In gewisser Weise endet damit auch das 20. Jahrhundert auf Kuba. Vor dem Fernseher atmen sie auf.

Nach fünf Jahrzehnten der Konfrontation ist für Washington die Zeit gekommen, um wieder diplomatische Beziehungen mit Havanna aufzunehmen. Ein Botschafter steht bereits in den Startlöchern, um die Geschäfte am Malecón zu übernehmen – der kilometerlangen Uferpromenade in Havanna, an der die Interessenvertretung der USA liegt. Vor dem Gebäude haben die Kubaner die „Anti-Imperialistische Tribüne“ errichtet, einen Kundgebungsplatz mit Fahnenmasten, um den Blick nach draußen zu verstellen. Und auf das Meer, auf dessen anderer Seite, rund 100 Kilometer entfernt, die USA liegen, der Erzfeind.

Bei Großmutter und Mutter fließen die Tränen. Tränen der Erleichterung und der unbestimmten Hoffnung. Was heißt das? Ja, ein Austausch von Gefangenen findet statt. Drei angebliche Spione – in Kuba „Helden“ genannt, ihre Gesichter prangen auf riesigen Plakaten entlang der Straßen – kommen nach mehr als zehn Jahren zurück, während das kommunistische Regime einen US-Geheimdienstler freilässt.

Sofort hat einer der Fahrradtaxifahrer einen Witz parat: „Womit plakatieren sie denn jetzt die Kreuzungen?“

Ein anderer bemerkt: „Jetzt gehen uns die Helden aus.“ Die andächtige Stimmung macht der Heiterkeit Platz. Und der Ratlosigkeit. Es ist ein Gefühlsbad.

Eine Lehrerin fragt: Und wie soll ich das meinen Schülern erklären?

Eine junge Englischlehrerin, mit ihrem italienischen Freund zu Gast im Café, steht auf und ruft: „Und wie soll ich das morgen meinen Schülern erklären? Diese neue Richtung kommt ja wohl ziemlich plötzlich.“ Zu viele Jahre haben die Kubaner gehört, dass die USA der feige und hinterlistige Feind sei, mit dem es keine Kompromisse geben könne. Die US-Regierung gebe den Kubanern immer wieder unfreiwillig recht, mit Dutzenden Mordversuchen an Fidel Castro, mit Sabotageakten und Unterwanderungen. Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass Washington die kubanische Hip-Hop-Szene infiltriert habe. Das seien nun eben die Tücken der Dialektik, antwortet einer der Lehrerin trocken. These, Antithese, Synthese.

Gefeierte Helden: Wie die Freigelassenen in Kuba empfangen wurden

Neue Töne. Nach mehr als 50 Jahren haben Kuba und die USA wieder diplomatische Beziehungen aufgenommen.
Neue Töne. Nach mehr als 50 Jahren haben Kuba und die USA wieder diplomatische Beziehungen aufgenommen.

© Alejandro Ernesto/dpa

Noch weiß niemand auf der Insel, ob und wie sich das Leben jetzt verändern wird. Viele hoffen auf mehr Touristen aus den USA, auf erleichterte Besuche im Nachbarland. Der Sohn der Familie, Anfang 20 und Betreiber des Cafés, sitzt an seinem Smartphone und chattet über Whatsapp. Er hat sich mit einem alten Modem einen Internetzugang gebastelt, mit dem er immerhin einfache Textnachrichten austauschen kann.

Ansonsten kommt man in Kuba nur in staatlichen Internetshops oder in den Luxushotels für die ausländischen Touristen ins Internet, die Stunde kostet bis zu zehn Dollar. Das heißt für die Normalbevölkerung: kein Twitter, kein Facebook, kein Skype, kein Instagram. Der virtuelle Nachrichtensturm, der nach der Ankündigung aus dem Weißen Haus durch die USA und Europa zieht, er geht an Kuba völlig vorbei.

Die Regierung versucht, dem Tag eine ganz eigene Deutung zu verleihen, die sie übers Radio und Fernsehen verbreitet. Die Rückkehr der drei „Helden“ und „Kämpfern gegen Terrorismus“ steht in den Nachrichten im Mittelpunkt. Ein Kompromiss, an dem Fidel Castro seit Jahren gearbeitet habe. Die Heimkehr bedeute einen großen Erfolg des kommunistischen Regimes. „Der Sieg der Gerechtigkeit und des Guten“, wie es im Fernsehen heißt.

Die Hörsäle sind leer, vom Hauptgebäude dröhnt Rockmusik

Auch ins Gedächtnis der Studenten soll sich diese Botschaft einbrennen. Um acht Uhr morgens sind die Hörsäle der Universität Havanna am Donnerstag wie leergefegt, vorm Hauptgebäude dröhnt Rockmusik. Das Treffen soll spontan wirken, aber dafür stehen die Studenten etwas steif da. Den Mädchen in der ersten Reihe hat man noch schnell Luftballons in die Hand gedrückt, weiß, blau und rot, die Farben der Nationalflagge.

Ein Raunen geht durch die Menge, als einer der heimgekehrten „Helden“ die Freitreppe betritt. Es ist Fernando González, ein winziger Mann mit Schnurrbart - und einer der fünf kubanischen Spione, die in den USA zu jahrzehntelangen Haftstrafen verurteilt worden waren.

González war der zweite von ihnen, der freikam, das war im Februar. „Dank Vater Fidel sind die Söhne Kubas wieder heimgekehrt!“, ruft der Studentensprecher. Die Rückkehr der „Helden“ sei der persönliche Triumph der Castro-Brüder. Dann tritt González ans Mikrofon, auch er hält sich an die bekannten Parolen. „Es lebe Fidel! Es lebe Raúl! Vaterland oder Tod!“ Die Menge spielt wenig enthusiastisch mit. Über die neuen Kontakte zu den USA verliert niemand ein Wort.

Auch in den Staatsmedien wird der neu belebte Dialog mit Washington nur nebenbei erwähnt. Und doch ist auch er eine konsequente Folge der neuen kubanischen Politik. Raúl Castro hat nach der Machtübernahme von seinem Bruder Fidel vor acht Jahren die konsequente Öffnung Kubas betrieben, hat mehr Privatinitiative, Meinungs- und Reisefreiheit zugelassen. Viele Kubaner, insbesondere in Havanna, eröffneten kleine Snackbars und Reparaturservices, andere verkaufen selbst angebautes Obst und Gemüse auf kleinen Bauernmärkten. Von Avocados bis hin zur exotischen Zapote-Frucht ist dort alles zu haben. Und vor dem Staat, der vor dreißig Jahren noch das Kauen von Kaugummis und Hören der Beatles verurteilte, fürchtet sich heute kaum mehr jemand. Die meisten Kubaner sprechen auch mit Fremden offen und regimekritisch über ihr Land.

Unter Raúl ist vieles besser geworden, sagt der Cafébesitzer

Der junge Cafébesitzer mit dem halblegalen Modem sagt, dass mit Raúl vieles besser geworden sei. Und er schließt von der Ankündigung des US-Außenministers auf etwas sehr Praktisches. Er hofft, dass jetzt das Reisen noch weiter erleichtert werde. Einmal war er schon unterwegs, nach Südamerika, um seine Freundin zu besuchen, die in einem kleinen Land studiert hat, das sich heute ebenfalls zum Sozialismus bekennt. Aber es habe wochenlang gedauert, bis er die Reisegenehmigung in den Händen hielt. „Das könnte schneller gehen. Ich will ja gar nicht abhauen. Ich will Teil des Wandels sein. Der wird kommen. Nächstes Jahr oder in fünf Jahren.“

Das mag überraschend klingen. Aber der junge Mann hat im Gegensatz zu den meisten Kubanern auch das nötige Geld, um sich eine Flugreise leisten zu können. Sein Café und das Bed&Breakfast seiner Eltern laufen gut, und er hat einfachen Zugang zur Ausländerwährung CUC, dem konvertiblen Peso. Dieser ist 25 mal so viel Wert wie der einfache kubanische Peso. Die unterschiedlichen Währungen haben in Kuba in den vergangenen Jahren gespalten: in Menschen mit CUC und solche ohne CUC.

Fast jeder versucht deshalb, mit den Touristen etwas Geld zu verdienen. Von den Fahrradtaxifahrern auf der Straße, von denen der eine Architektur studiert hat und der andere Elektroingenieur ist; bis hin zum Lehrer, der mit zwei freigeräumten Zimmern bei sich zu Hause eine kleine Herberge betreibt. Er zahlt dafür eine Gebühr an den Staat und muss auch für jeden Gast Steuern abführen, muss außerdem einen Teil des Geldes investieren, weil das Haus einen gewissen Standard aufweisen muss. Es rechnet sich trotzdem: Während der Mann pro Zimmer und Tag im Schnitt 25 CUC (umgerechnet 25 Dollar) kassiert, erhält die ratlose Englischlehrerin im Café den monatlichen Einheitslohn von 25 CUC.

Dritter Weg: Warum die Kubaner den "American Way of Life" ablehnen

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© Alejandro Ernesto/dpa

Hinter dem Capitol, in einem der neuen schicken Cafés, in denen internationale Loungemusik läuft, sprechen am Nachmittag zwei Künstler über die neue Zeit. Sie sind Anfang 30, tätowiert und gepierct, trinken Dosenbier. Einer stöhnt erleichtert: „Endlich. Es ist mal etwas passiert!“ Und er sagt, dass ihm die Revolution „am Arsch vorbei“ gehe. Wie solle die denn noch funktionieren, wenn er mit dem Verkauf seiner Drucke an Touristen rund 40 CUC im Monat verdiene, während sich seine Mutter mit nur 25 CUC zufriedengeben müsse. Sie ist Dekanin an der Universität.

Vielleicht hat das wenig mit der historischen Bedeutung des Tages zu tun, aber dafür viel mit den Alltagssorgen, zu denen die Gespräche auf Kuba irgendwann immer wieder zurückkehren. Was die USA angeht, sind sich beide Künstler einig.

Sie sagen: Wir wollen keine amerikanischen Verhältnisse bei uns. Kein Starbucks und keinen Bankenkapitalismus.

Auch vormittags im Café wussten vor allem die jungen Leute, was sie sich für ihr Land auf jeden Fall nicht wünschen: den „American Way of Life“ wie in den USA, die Kluft zwischen Reich und Arm wie in Brasilien, den Drogenkrieg wie in Mexiko, die Landkonflikte wie in Kolumbien… Aber wie der dritte Weg aussehen könnte, wissen sie hier auch nicht.

Eine Demonstration zieht an den Villen vorbei. Angeblich spontan

Durch das bürgerliche Viertel Vedado mit seinen Villen und modernistischen Häusern zieht am Mittwoch eine kleine Demonstration, angeblich spontan. Es sind Anhänger des Regimes, die mit ihren Jubelrufen die Revolution und das kubanische Volk hochleben lassen. Wenige hundert Menschen, um die herum der Alltag weitergeht. Fußgänger strömen an dem Zug vorbei, der Verkehr mit den vielen 50er-Jahre-Karossen verpestet die Luft. Nur eine Handvoll Passanten fühlt sich offenbar verpflichtet, sich einzureihen.

Die Demonstration endet unterhalb des Luxushotels Habana Libre, dem ehemaligen Hilton, das vor mehr als 50 Jahren von der Regierung enteignet und verstaatlicht worden ist. Dass Fidel Castro und Ché Guevara dem Volk damals zurückgeben wollten, was sie für des Volks hielten, beschleunigte die Entscheidung der USA zum Embargo. Die Kubaner, so dachte man in Washington, würden schnell wieder einknicken. Ein Irrglaube. Am Tag der Wende heißt es im offiziellen Statement Barack Obamas: „Wir können nicht fortfahren, das immer Gleiche zu tun und neue Ergebnisse erwarten.“

Auf der Demo sagt einer: „Wir Kubaner haben mit Willenskraft, Ausdauer und Widerstand das verbrecherische US-Embargo besiegt.“ Es ist eine Lesart. Am Vormittag im Café hieß es, leicht mürrisch: Das hätten sie auch schon vor fünfzehn Jahren machen können, die Amis und der Fidel.

- Mitarbeit Benedikt Peters

Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegel

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