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Michael Schierack mit Hund Arthos.

© Frank Ossenbrink

Landtagswahl in Brandenburg: Michael Schierack will die CDU nach vorne bringen

Er will mal sehen, was passiert. Jetzt, da er den angesehenen Beruf eingetauscht hat. Aus dem Arzt Michael Schierack wurde der Politiker, Spitzenkandidat der Brandenburger CDU. Mit einem Ziel, weit über die kommende Landtagswahl hinaus: Die Leute sollen stolz sein – endlich.

Nun erst mal in den Jungrinderstall. „In dem Alter werden sie besamt“, sagt Markus Herrmann ganz leidenschaftslos über seine braunweißen Milchkühe. Bleibt der Eingriff ohne Wirkung, muss Edgar ran, der junge Bulle. Markus Herrmann ist Tierwirt in der Agrargenossenschaft Branitz/Kahren in der Nähe von Cottbus, ein großer und stämmiger junger Mann mit blauen Augen und einem freundlichen Gesicht. Michael Schierack, der Spitzenkandidat der Brandenburger CDU für die Landtagswahl am 14. September, lehnt am Gitter des Stalls und hört zu. Da schiebt sich eine nasse Nase durch das Gitter, stupst den CDU-Mann sanft am Bein und hinterlässt eine Rotzspur auf dessen eleganter brauner Anzughose. Schierack lacht. Über sich. „Kämpft um jede Stimme, selbst bei den Kühen“, spöttelt er.

Schlagfertig ist der 47-Jährige, auch bei Leuten, die er nicht erst groß von sich überzeugen muss, weil sie als konservativ gelten und froh sind, Politikern mal ein bisschen von den Härten des Landlebens erzählen zu können. 1700 Hektar Anbaufläche, 500 Tiere, 250 davon Milchkühe – die Handvoll Mitarbeiter der Agrargenossenschaft hat mehr als gut zu tun. „Da ist nischt mit Urlaub“, sagt Christian Kuhlmann, Vorstand des Betriebs, auch noch jung und ganz bei sich, wenn es um Rapsanbau, Getreide- und Milchpreise oder die Rekultivierung ehemaliger Tagebauflächen geht.

„Bis Frost“, bis es friert also, arbeite man durch, von morgens um sechs bis in den Abend, auch an Wochenenden. Es sei schwer, gute junge Leute zu finden, die hier lernen und arbeiten wollen, sagt Christian Kuhlmann.

Längst auf Wahlkampf eingestellt

Der Gang über das Gelände führt an einem alten rot-rostigen Traktor vorbei, genannt „der Russe“, weil es sich um einen „Belarus“ unbekannten Baujahrs handelt. Die neuen Traktoren der Genossenschaft arbeiten längst mit GPS. Weiter zu den ganz jungen Kälbern, gerade ein paar Tage alt, dann hinein in den Stall mit den beiden „Hundertausendliterkühen“, womit die Gesamtlebensleistung der Tiere gemeint ist, bis zur Melkanlage. „Geh’ rein, vorwärts!“, bestimmt eine Melkerin, die Kuh fügt sich, die Anlage saugt und pumpt. Schierack hat anderthalb Stunden lang gefragt und gehört, was die Agrargenossenschaftler bewegt, von den sinkenden Getreidepreisen über den Mindestlohn bis zu den Nachwuchs- und Ausbildungsproblemen in Berufen wie Land- oder Tierwirt. Der Rotzfleck auf der Hose ist getrocknet.

Bis zur Neuwahl des brandenburgischen Landesparlaments ist es noch eine Weile hin, doch Schierack ist längst auf Wahlkampf eingestellt, auch an den Wochenenden. Vor dem Besuch bei der Agrargenossenschaft war er in Spremberg, hat dort eine Papierfabrik besichtigt und mit den Managern gesprochen. Später am Nachmittag steht ein Gespräch mit der Leitung des Cottbuser Carl-Thiem-Klinikums an, danach noch ein Treffen beim „Märkischen Boten“, dem Cottbuser Anzeigenblatt. Tage, die früh beginnen und spät zu Ende sind.

Privatleben? Schwierig

Seine Kinder, drei und sechs – wann sieht er die? „Schwierig, schwierig, schwierig“, sagt Schierack. Warum tut er sich das an? Schierack nimmt Anlauf für die Antwort. Also, er sei mit 35 in die CDU eingetreten. Bis dahin habe er schon „ein ordentliches bürgerliches Leben“ aufgebaut, „viel Zeit und Geld“ in eine gut gehende orthopädische Praxis investiert. Nun tausche er einen sehr angesehen Beruf, den des Arztes, gegen einen weniger angesehenen, den des Politikers. „Auch wenn ich mich wirtschaftlich verschlechtere“ – Kunstpause, Grinsen –, „mache ich diesen Weg!“

Das ist eher eine Ansage als eine Begründung. Eine erste, vorläufige Antwort auf die Warum-Frage muss wohl so lauten: Ein politisch eher Spätberufener hat sich vor ein paar Jahren eingelassen auf richtige Politik, mit Landtagsmandat und Parteiamt, und nun hat er Freude am Risiko gefunden, wie alle, die Politik wirklich leben, ohne Nebenberufe, ohne Beamtenposten oder Notariat als Rückfall-Position. So wie jeder, der es ernst meint mit der Politik, die Neigung eines Spielers haben muss – eben jene Bereitschaft zum Risiko und zum Spiel mit der Psyche von Freunden und Gegnern. Ein großer Schritt. Er wolle jetzt mal sehen, was passiert, sagt er.

Er ist der Erste, hinter dem die Partei geschlossen steht

Aber vielleicht ist der Schritt gar nicht so groß für jemanden, der die Wende, den Mauerfall, den Untergang der DDR als Befreiung ohne jede Einschränkung erlebt hat. Vor allem ist der Zeitpunkt günstig. Die CDU hat sich entwickelt – jedenfalls sehen das Brandenburger Wähler so. Auf der Internetseite Election.de liest sich die aktuelle Prognose vor der Wahl so: „Auch wenn die SPD nach Zweitstimmen knapp stärkste Partei bleiben kann, spiegeln sich die Verluste in den 44 Wahlkreisen deutlich wider, da von 19 Mehrheiten bei der Wahl 2009 jetzt nur elf bleiben. Deutliche Einbußen hat auch Die Linke zu verzeichnen, die von zuletzt 21 Wahlkreisen nur neun behaupten kann. Großer Gewinner ist dagegen die CDU, die sich von vier Direktmandaten bei der Landtagswahl 2009 auf jetzt 24 steigern kann.“ Bei der Europawahl kam die CDU auf fast 25 Prozent, die SPD gewann 27 Prozent der Stimmen. Bei den gleichzeitig stattfindenden Kommunalwahlen wurde die CDU, aufs ganze Land betrachtet, mit 24,8 Prozent sogar stärkste Partei, mit einem ganz knappen Vorsprung vor der SPD mit 24,5 Prozent. In der märkischen Union werten sie das als Hinweis darauf, dass die Brandenburger sich ganz sachte mit der CDU anfreunden. Schierack ist der zwölfte Landesvorsitzende der CDU Brandenburg seit deren Neugründung, der zehnte seit der Wiedervereinigung. Peter Wagner, Carola Hartfelder, Ulrich Junghanns – Namen seiner Vorgänger, vom märkischen Sande verweht, chancen- und profillos gegen einen Manfred Stolpe, gegen einen Matthias Platzeck.

Er übernahm 2012 den Parteivorsitz

Schierack ist der Erste in der CDU, hinter dem die Partei geschlossen steht. Sicher, da war Jörg Schönbohm, der Mann, der schon in Berlin durch seinen Mut zur politischen Unkorrektheit aufgefallen war. Doch Schönbohms schneidige Attacken auf die vom Sozialismus deformierte Mentalität des etwas unzugänglichen Märkers bestätigte diesen nur darin, dass er bei linken Parteien generell besser aufgehoben war als bei Schönbohms CDU. Es folgte die ostdeutsch-bürgerliche Johanna Wanka. Sie blieb gerade mal zwei Jahre, freundlich, kulturvoll, schwebend, während ihre Parteifreunde sich befehdeten. Wankas Nachfolgerin Saskia Ludwig versuchte es wieder auf die harte Tour, sie betrieb, sehr frei nach Schönbohm, stramm konservative Profilbildung am rechten Rand des Bürgerlichen. So vereinte sie im September 2012 ihre Parteifreunde – gegen sich selbst. Sie wurde aus dem Amt gedrängt. „Wir waren nicht immer eine Alternative, das muss man fairerweise sagen“, sagt Schierack trocken. Er übernahm noch 2012 den Parteivorsitz, und man könnte sagen: Das ist nun einer aus der inzwischen wieder erkennbaren bürgerlichen Elite des Landes, wie Schönbohm sie sich vorgestellt hatte.

Einer, der was darstellt

Jedenfalls haben die Strategen der Brandenburger CDU genau das in ihm gesehen. Einen, der was darstellt und den man herzeigen kann. Als er vor einem Jahr gefragt worden sei, ob er Spitzenkandidat werden wolle, sagt Michael Schierack, habe er sich mit Freunden und mit seinem Vater beraten und dann entschieden: „Okay, ich mach’ das – aber so, wie ihr mich kennt. Ich will nicht durch irgendwelche Politiker-Rhetorik-Schulen laufen.“

Groß aufgefallen war er vorher nicht, sein Fraktionsamt – gesundheitspolitischer Sprecher – ein nicht ganz so wichtiges. Einer aus der Brandenburger Regierungskoalition, der den Betrieb im Landtag schon lange kennt, sagt ein wenig spöttisch: „Nach meiner Ansicht geht er nicht mit der Partei um, sondern die Partei mit ihm.“ Zu dem Politiker Schierack gehöre, „dass er unterschätzt wird“, sagt ein politischer Freund: „Den Willen zur Macht, den hat er.“ Manches erinnert an die Sanierung der Berliner CDU durch Frank Henkel. Schierack sei ein „Eigengewächs“, sagt ein Kenner der Partei. „Erst mal hat er geschafft, die Partei zu einen“, sagen Leute, die sich auch bestens auskennen. „Er steht für eine moderne CDU.“ So wie Angela Merkel, könnte Kritik lauten: ohne Kanten, die eigenen Werte und Überzeugungen rundgeschliffen.

Die CDU-Standards für die Wahlkampfreden hat er drauf

Was Schierack will, klingt erst mal eingängig. Wegen des Noch-immer-nicht-fertig-Flughafens wollen die CDUler im Wahlkampf die SPD/Linke- Regierung schlecht machen, Motto: Wie Wowereit haben auch Matthias Platzeck und sein Nachfolger als Ministerpräsident, Dietmar Woidke, versagt. „Zwei Jahre kein Fortschritt, nur Kosten“, fasst Schierack zusammen. Wenn er über das Wahlkampfthema Bildung spricht, ahnt man, wie Schierack denkt. Erst kommt die bewährte Kritik der CDU am SPD-Bildungsreformeifer. Dann sagt Schierack, er sei für möglichst selbstständige Schulen und für das Zentralabitur. „Das ist ein so wunderbarer Wettbewerb, den wir da erleben werden ...“

Da ist er wieder, der Ehrgeiz, der Glaube an die Leistung und das Konkurrenzprinzip. Und sonst? Rhetoriktraining braucht er nicht. Die CDU-Standards für die Wahlkampfreden hat er drauf. Stichwort Einbrüche und Autodiebstahl: Brandenburg mit seinen „zwei Grenzen“ – der deutsch-polnischen und der Landesgrenze zu Berlin – brauche mehr als die von der SPD angepeilten 7000 Polizisten. Die CDU will 8000, denn „wenn an der Sicherheit gespart wird, ist der Glaube an den Staat nicht mehr vorhanden“.

Wählerseelenmassage

Wie bei allen Wahlkampfterminen geht es auch im Gespräch mit dem Krankenhaus-Manager und zwei Oberärzten in Cottbus um zweierlei: zu hören, was die Leute bewegt – und um ein bisschen Wählerseelenmassage. Das Krankenhaus mit 2200 Beschäftigten ist neben dem Energiekonzern Vattenfall der wichtigste Arbeitgeber hier, zur Straße ein würdiger, hundert Jahre alter Bau, dahinter lauter moderne Zweckgebäude, ein Bunker für die Strahlentherapie, Hubschrauberlandeplatz, Raucherpavillon mit automatischer Entlüftung und Blick ins Grüne.

Im Besprechungsraum gibt es Platten mit Törtchen und solche mit Obstspießchen. Schierack bleibt bei den Obstspießchen. Das Gespräch ist ein Selbstläufer für den Medizinerpolitiker Schierack. Er hört von geplanten Investitionen und von den Schwierigkeiten, Fachärzte in eine Stadt zu holen, deren gewiss vorhandene Qualitäten sich nicht auf den ersten Blick erschließen. Die demografische Entwicklung Brandenburgs zeigt sich eben auch in einer 100 000-Einwohner-Stadt. Am Cottbuser Klinikum merkten sie am Betrieb in der Notaufnahme, dass es in der Nachbarstadt Forst um die Jahreswende herum keinen niedergelassenen Kinderarzt mehr gab.

Am nächsten Tag hört Schierack Ähnliches zum Großthema demografische Entwicklung in der Tschernitzer Glasfabrik. Das Örtchen liegt ein ganzes Stück südöstlich von Cottbus, wirklich sehr auf dem Land. Schierack ist wieder mit dem eigenen Auto gekommen, einem VW-Passat Kombi, auch hier geht es wieder um Informationsgewinnung und Seelenmassage. Unternehmer Josef Weikinger, der die Firma aus Liechtenstein führt, stöhnt, es sei schwer, die „Lehrlinge“ zu bekommen, die man brauche. „Aus der Stadt kommt keiner.“

Brandenburg in zehn Jahren

Solche Sätze schwingen mit, wenn man Schierack fragt, wie er sich Brandenburg in zehn Jahren vorstellt. Dann wird das Land im Durchschnitt älter und deutlich leerer sein. Der „Wendeknick“ – der drastische Geburtenrückgang zu Beginn der neunziger Jahre – werde sich so auswirken, dass weniger Familien gegründet werden, sagt Schierack. Das Wahlprogramm hat er längst verinnerlicht: Brandenburg werde mit weniger Einwohnern finanziell bestehen müssen, auch kleine Städte wie Spremberg mit seinen 23 000 Einwohnern dürften nicht zum „Wolferwartungsgebiet“ werden. Dafür brauche man Industrie wie um Berlin herum und in der Lausitz.

Brandenburg solle ein Land werden, dessen Einwohner ein bisschen stolz auf das Erreichte sind, nicht mehr verzagt und behütet wie in Manfred Stolpes kleiner DDR, sondern eher wie die Sachsen. „Wir Lausitzer vergleichen uns immer mit Sachsen.“ sagt er. Da ist er wieder, der Ehrgeiz. Ob das überall im großen Brandenburg gleichermaßen zieht?

Was den CDU-Mann Schierack vom Spitzenkandidaten der SPD unterscheidet, war jüngst auf einem Sommerfest in Potsdam zu sehen. Um Woidke herum standen die Leute in Dreier- und Viererreihen und suchten seine Nähe. Da zeigt sich der Amtsbonus an der Prominenz. Schierack war ziemlich unerkannt mit zwei Parteifreunden unterwegs. Ein grüner Abgeordneter spottete deshalb, der CDU-Mann „versucht, Kontakte zu knüpfen“. Schierack tat derweil genau dies. Er hat Geduld. Er wolle den Brandenburgern vermitteln, dass es einen Machtwechsel geben soll, „aber wir bleiben in der Spur! Es wird ein Leben nach Stolpe, nach Platzeck, nach Woidke geben“.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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