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Herzstück. 40 000 Quadratmeter Land, das nächste Dorf ist fünf Kilometer entfernt.

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Mecklenburg-Vorpommern: Der Schatz im Brückentinsee

Teuer, viele Auflagen, unseriöse Kunden. Wer eine Insel verkaufen muss, hat es schwer. Walter Kummerow handelt deshalb nicht einfach mit einem Stück Land, sondern einem Traum – der einst seiner war.

Er hat seinen Traum wahr gemacht. Der Traum handelte von einer Hütte am See. Doch jetzt schläft er manchmal schlecht deswegen.

Im Schritttempo rumpelt man über eine schmale Holzbrücke, dann ist man Insulaner im Großen Brückentinsee. Walter Kummerow, 72 Jahre alt, schlank und munter, lädt zum Rundgang. 800 Meter unter alten Bäumen, am klaren Wasser entlang, vorbei an sandigen Buchten. Vögel zwitschern. Ein Platschen im Schilf – und Walter Kummerow erzählt von dem Traum, der ihn auf diese Insel geführt hat.

Das Platschen, vermutet er, sei wohl ein Hecht auf der Jagd gewesen.  „Ich bin Angler“, sagt er. Und als Angler habe er immer eine Hütte an einem See besitzen wollen. Er hat nicht viel gewollt, der Fischer. Seine Frau dachte in größeren Dimensionen.

1992 habe sie eine Anzeige der Treuhand in einer Zeitung gelesen: „Insel bei Fürstenberg zu verkaufen“. Da hat er sie sich eben angesehen – und gekauft. Zusammen mit einem Partner. Der Kaufpreis, damals noch in D-Mark: 1,46 Millionen. Das Geld dafür hat er als Unternehmer verdient; er lässt Angelschnüre herstellen. Fast alle Ideen für seine Schnüre seien ihm auf der Insel gekommen, sagt Walter Kummerow, die Prototypen habe er dort getestet. Aus der Angelhütte war eine ganze Insel geworden.

40000 Quadratmeter Land, frische Luft, perfekte Ruhe

Zwischen der Verwirklichung des Traums und den gegenwärtig oft unruhigen Nächten liegt fast ein Vierteljahrhundert, in dem Walter Kummerow auf seiner Insel glücklich sein konnte.

Für den studierten Maschinenbauer und Wirtschaftsingenieur wird die Insel nah am Paradies liegen. Kummerow ist in Lübeck geboren, nicht weit von der Ostsee. Als junger Mann habe er 24 Weltmeistertitel im „Casting-Sport“ gewonnen, sagt er – dabei geht es um das zielgenaue Auswerfen einer Angelschnur. Nach dem Studium in West-Berlin hat er seine Firma für Angelschnüre gegründet, die ihre Produkte heute in viele Länder exportiert. Da liegt so ein Traum von der Hütte am Wasser ziemlich nah. Nur, dass der jetzt zu Ende ist.

Das hat Kummerows Partner zu verantworten. Der sei, sagt Kummerow, in finanziellen Schwierigkeiten. Deshalb soll die Insel versteigert werden. Kummerow versucht, noch vor dem Termin einen Verkauf zu organisieren. Sein Partner erwarte einen Gesamterlös von 3,5 Millionen Euro, um mit seiner Hälfte Schulden zu bezahlen.

40 000 Quadratmeter Land, die aus der Luft gesehen an ein Herz erinnern (deshalb heißt sie Herzinsel), gelegen an einem großen Klarwassersee, auf dem Boote mit Verbrennungsmotoren nichts zu suchen haben. Nicht weit von Berlin und doch in einer anderen Welt. Rund 90 Kilometer nach Norden, in Fürstenberg rechts ab von der Bundesstraße, über ein paar Landsträßchen und die Grenze nach Mecklenburg-Vorpommern in die Feldberger Seenlandschaft: Wasser, Bäume, Waldwege, Wiesen. Frische Luft, perfekte Ruhe.

Sein Gewinn war die Zeit, die er hier verbracht hat

Und, sagt Walter Kummerow, wirklich dunkle Nächte. Das nächste Dorf, Alt-Thymen, liegt vier oder fünf Kilometer entfernt. So viele Sterne wie über der Herzinsel sieht man in klaren Nächten kaum irgendwo in Deutschland.

Jedenfalls dann, wenn auf der Insel alle Lichter gelöscht sind. Was nicht allein an Walter Kummerow liegt. Mit seinem Partner hat er das einzige große Gebäude auf der Insel umbauen lassen. Aus dem alten Ferienheim für Mitarbeiter der Staatssicherheit, das die Insel zu DDR-Zeiten zum Sperrgebiet machte, ist ein kleines feines Hotel geworden, mit einer Chefin und etwa zehn Angestellten, ein paar wenigen Zimmern und Appartements, mit zwei großen Holzhäusern direkt am See und einer dazwischenliegenden Sauna.

Für Kummerow war das Hotel Infrastruktur, die er bei Bedarf nutzen konnte. Verdient hat er, wie er sagt, nichts damit. Sein Gewinn aus dem Kauf der Insel war die Zeit, die er dort verbracht hat. Jetzt, da die Insel den Besitzer wechseln soll und muss, steht das Hotel allen Träumen möglicher einsamer Inselbewohner entgegen. Seine Verpachtung ist bis 2022 zugesichert.

Dann will die Pächterin des Hotels, Barbara Karge, in Ruhestand gehen. Die Exil-Berlinerin – „ich bin völlig Berlin-entwöhnt, ist mir viel zu hektisch“ – ist die einzige feste Bewohnerin der Insel, seit 1993, als das Hotel eröffnet wurde. Von ihrer Heimatstadt ist der erzählfreudigen Hotelchefin nur der Dialekt geblieben – und die gewisse Direktheit, mit der sie alles vorantreibt, was der Herzinsel neue Liebhaber bringt.

Bei Bedarf kommt ein Standesbeamter auf die Insel

An der Liebe kommt man auf der Herzinsel nicht vorbei. Als Barbara Karge bei einem Besuch in Köln die mit Liebesschlössern schwer behängte Hohenzollernbrücke sah, war klar: Auch auf der Herzinsel soll es einen Ort geben, an dem Paare ihre Liebe per Schloss versuchsweise absichern können. Die Chefin ließ ein schmiedeeisernes Gitter am Wegesrand aufstellen, an dem liebende Paare nun ein Schloss anbringen können. Das romantische Potenzial des Ortes liegt erheblich über dem der Hohenzollernbrücke. Schlösser und leihweise einen Gravurstift gibt es bei der Chefin. Bei Bedarf kommt ein Standesbeamter auf die Insel.

Der kleine Betrieb ist von Vorteil für die Insel – und zugleich ihr aktueller Vermarktungsnachteil. Einerseits macht Barbara Karges Hotel die Schönheit der Herzinsel für alle Besucher erlebbar. Außerdem hat die Chefin im Lauf der Jahre 17 Azubis angelernt. Und immerhin zehn Arbeitsplätze bietet das Hotel in einer Gegend, in der außer dem Tourismus kaum etwas geht.

Der Köder. Auf der Herzinsel darf womöglich ein Bungalow gebaut werden. Besitzer Walter Kummerow muss sie schnell loswerden.
Der Köder. Auf der Herzinsel darf womöglich ein Bungalow gebaut werden. Besitzer Walter Kummerow muss sie schnell loswerden.

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Andererseits macht das Hotel die Insel zu einem öffentlichen Ort. Für Fachleute wie Farhad Vladi gehört die Immobilie auf der Insel deshalb zu den Verkaufshindernissen. Vladi ist Insel-Makler mit Sitz in Hamburg und einem über die ganze Welt verteilten Sortiment. Die Internetseite seines Unternehmens bringt Träumer nach Echinadon ins Ionische Meer (45 Millionen Euro) oder auf das kanadische Hobson Island (395 000 US-Dollar).

Über 2000 Inseln hat er nach eigenen Worten verkauft, auf der Herzinsel war er auch schon. Sie ist ihm wegen ihres schönen Baumbestands in Erinnerung geblieben. Doch es gebe beim Inselkauf zwei Hauptprobleme, sagt Farhad Vladi: das Vorkaufsrecht des Staates und den strengen Naturschutz bei 90 Prozent der Inseln. So seien bebaubare Inseln in Deutschland „Mangelware“.

„Solche Flecken hier… besser, man schützt sie“

Immer mal wieder wechseln Inseln trotzdem den Besitzer. Die Deutsche Grundstücks-Auktionen hat vor Wochen zwei unbewohnte Inseln im Scharmützelsee für insgesamt 168 000 Euro versteigert – gelegen im Landschaftsschutzgebiet „Scharmützelsee“. Vor gut zwei Jahren wurde eine Insel im Eutiner See verkauft – an einen wohlhabenden alten Mann, der sie in seine Naturschutz-Stiftung aufnehmen wollte.

Walter Kummerow sieht das im Grunde genauso mit dem Naturschutz. Schließlich hat er die Insel wegen ihrer wunderschönen Lage gekauft. Hier lägen „drei Schutzgebiete übereinander“, scherzt er. Die Gegend um den Großen Brückentinsee ist Naturpark, Landschaftsschutzgebiet und Europäisches Vogelschutzgebiet.

Kummerow findet das gut und richtig. Beim Gang über die Insel folgt man keinem Projektentwickler, sondern einem Naturliebhaber. „Solche Flecken hier… besser, man schützt sie“, sagt er. Das Exposé für die Insel ist voller Fotos von jagenden Fischadlern, Eichelhähern und Ottern. Kummerow zeigt auf das gegenüberliegende Ufer des Brückentinsees und lenkt den Blick auf ein Vogelnest in über zwanzig Metern Höhe. Da also nistet der Turmfalke mit den beiden flauschigen Küken, die man schon auf dem großen Bildschirm im Hotel-Restaurant gesehen hat. Frau Karge hat eine Kamera mit Blick auf das Nest anbringen lassen.

Lil Dagover und Heinz Rühmann waren hier zu Gast

Weiter auf dem Rundweg um die Insel, zu den Badestellen. Da oben, Kummerow weist auf einen kleinen Hügel, habe die Villa der Familie von Wolff gestanden, „Villa Sanssouci“ genannt. Die Familie stammte dem Internetlexikon Wikipedia zufolge aus Niederschlesien.

Zu DDR-Zeiten wurden die von Wolffs enteignet und entschädigt. Deshalb hatten die Nachfahren – Kummerow hat einen noch kennengelernt – keinen Anspruch auf eine Rückübertragung. Von einem Nachfahren hat Kummerow gehört, dass die Ufa-Stars Lil Dagover und Heinz Rühmann in den dreißiger Jahren häufig Gäste auf der Insel waren und angeblich „stramme Partys“ dort gefeiert hätten, sagt Kummerow mit einem Lachen.

An die elegante Villa, die nur in der Bibliothek mit einer elektrischen Leselampe ausgestattet war, erinnern ein Schwarz-Weiß-Foto auf einer Schautafel und zwei kleine Betongebäude: ein Gerätehaus für den Generator und ein Eisbunker. „Für die Drinks“, vermutet Kummerow.

Dann wird es ernst, denn Kummerow erklärt, was die Insel für Käufer richtig interessant machen soll. Wo die Villa stand – nur die Bodenplatte ist noch da – habe er früher im Sommer oft sein Wohnmobil stehen gehabt. Und dort, mit Aussicht auf den See, könne ein Käufer einen Holzbungalow mit 170 Quadratmetern Wohnfläche bauen. Einen Entwurf gibt es schon.

Merkwürdige Interessenten meldeten sich

Kummerow hat das Projekt Bungalow in Gesprächen mit den Ämtern über eine „Erweiterung des Hotelbetriebs“ erörtert. Man habe ihm zugesichert, dass eine „angemessene“ Erweiterung, etwa der Bungalow, genehmigt werden könne. Die Bauvoranfrage läuft, der Bescheid soll bald eintreffen.

Wer die Insel kaufe, sei frei, das Haus aus Holz und Glas zu bauen oder zu vermieten oder eben selbst zu nutzen. Nicht nur die exklusive Adresse hat merkwürdige Interessenten angesprochen. Ein Anrufer aus Holland habe – über einen Rechtsanwalt – 3,5 Millionen Euro versprochen, „die Hälfte in bar“, sagt Kummerow – „Geldwäsche“. Von der Art seien einige unterwegs, ein Anrufer aus Italien und ein Grieche hätten sich mit ähnlichen Angeboten gemeldet.

An einen Oligarchen, der alles nur für sich beansprucht, will Kummerow nicht verkaufen. Wenn einer sozusagen das Tor zur Insel zumache, könne er nicht mehr hin. Sein Lieblingsinteressent habe ihm zugesichert, mit der Insel und Frau Karge so umzugehen, wie er, Walter Kummerow, das gemacht hat. Dann könne er selbst weiter hinfahren. „Dann würde mein Traum von der Hütte nicht zerbrechen.“

Der Artikel erschien am 20. Mai in der gedruckten Ausgabe des Tagesspiegels, im ePaper und im Online-Kiosk Blendle. Die Herzinsel wurde am 12. Juni versteigert.

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