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Athen am Montagvormittag: Zwei Griechen informieren sich über die Lage in ihrem Land.

© Orestis Panagiotou/dpa

Nach Entscheidung der Euro-Länder: Wie es in der Griechenland-Krise weiter geht

Der Kompromiss mit Griechenland ist gefunden. Nun sind die Regierungen der Euro-Länder gefragt. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Am Montagmorgen stand er. Der Deal, der Kompromiss, auf den die Euro-Zone seit Januar hingearbeitet hat. Das „Grexit“-Szenario scheint abgewendet – ein Ende der Verhandlungen allerdings bedeutet das noch nicht. Und für Griechenland zwar mehr Hilfsgelder, aber auch weitere Jahre mit der Troika.

Was steht im Abschlusspapier?

Gleich der erste Satz bezieht sich auf die Währung, die momentan in der Europäischen Union nicht hoch im Kurs steht: Vertrauen. Dieses müsse neu aufgebaut werden, weshalb auf den weiteren Seiten des siebenseitigen Abschlussdokuments vor allem Maßnahmen aufgezählt werden, die Griechenland innerhalb weniger Tage durch das eigene Parlament bringen muss. Sechs Gesetze wird der griechische Regierungschef Alexis Tsipras seinen Abgeordneten abverlangen müssen, darunter bis zum kommenden Mittwoch die Erhöhung der Mehrwertsteuer, Rentenkürzungen und eine unabhängige Statistikbehörde. Nur eine Woche später soll unter anderem die Bankenabwicklungsrichtlinie verabschiedet werden.

All diese Punkte hatte Tsipras den Gläubigern selbst in einem Kompromissvorschlag angeboten – in der Hoffnung auf einen Schuldenerlass. Der wird in diesem Papier aber höchstens indirekt angeboten, man werde darüber beraten heißt es, eine Umstrukturierung der Schulden käme aber nur bei voller Umsetzung aller vereinbarten Maßnahmen in Frage. Damit hat Tsipras in dieser Frage nicht sehr viel mehr erreicht als sein konservativer Vorgänger Antonis Samaras.

Wenn diese Vereinbarungen es durch das griechische Parlament geschafft haben, sollen Verhandlungen zwischen der griechischen Regierung und dem Euro-Krisenfonds ESM um ein drittes Hilfspaket beginnen. Auf etwa 82 bis 86 Milliarden Euro schätzen die Institutionen den Finanzbedarf. Darunter fallen die Zahlungen an die Europäische Zentralbank, den Internationalen Währungsfonds und die Rekapitalisierung der griechischen Banken.

Wie soll der geplante Treuhandfonds funktionieren?

Kurz vor knapp von der deutschen Regierung eingebracht und schon Bestandteil des Kompromisses ist der Transfer von griechischem Staatsbesitz an einen Treuhandfonds, den Athen gemeinsam mit den EU–Institutionen verwalten soll. Die darin enthaltenen Besitztümer sollen veräußert werden, ihr Wert wurde auf 50 Milliarden Euro geschätzt. Es ist vor allem diese enorm hohe Summe, die in Griechenland für Skepsis sorgt. Denn einen Privatisierungsfonds hat das Land schon seit 2010, eingerichtet damals unter Aufsicht der Troika. Übertragen musste der Staat alle seine Anteile an staatlichen Unternehmen. Der HRADF (Hellenic Republic Asset Development Fund) listet von regionalen Flughäfen über verschiedene Staatskonzerne alles auf, was man damals für verkäuflich hielt. Als Privatisierungsziel wurde 2010 ebenfalls 50 Milliarden Euro angesetzt, von denen bis heute aber nur vier Milliarden Euro erwirtschaftet werden konnten. Deshalb wurde das Ziel in den vergangenen Jahren immer weiter herabgestuft, bis es nur noch bei 11 Milliarden lag. Auch das Bundesfinanzministerium nannte die damaligen Schätzungen unrealistisch.

Der mangelnde Privatisierungserfolg lag zum Teil an mangelnden Strukturen wie einem fehlenden Katasteramt, häufig aber auch an der schlechten Marktsituation und fehlender Nachfrage. Experten bezweifeln, dass die griechischen Assets 50 Milliarden Euro einbringen können. Der liberale Oppositionspolitiker und Steuerexperte Haris Theoharis glaubt deshalb, dass diese Summe vor allem ein finanzielles Manöver sei, um die Kosten für die europäische Seite zumindest auf dem Papier drücken zu können. 25 Milliarden sollen dabei eigentlich die Bankenrekapitalisierung decken, 12,5 Milliarden in die Schuldentilgung fließen und weitere 12,5 Milliarden als Investitionen nach Griechenland. Diese Regelung ist eine leichte Verbesserung für Athen, beim bisherigen Fonds floss das komplette Geld in die Schuldentilgung.

Wie ist der weitere Zeitplan?

Es ist geplant, dass der Bundestag am kommenden Freitag über ein Mandat für die Verhandlungen über das dritte Griechenland-Hilfspaket abstimmt.

Als Voraussetzung gilt, dass das griechische Parlament zuvor über die ersten Sofortmaßnahmen wie die Mehrwertsteuer- und Rentenreform abgestimmt hat. Zudem muss dem Bundestag eine Bewertung der EU-Kommission darüber vorliegen, ob durch den Beinahe-Bankrott Griechenlands eine Gefahr für die Stabilität der Euro-Zone insgesamt ausgeht. Nur im Fall einer entsprechenden Ansteckungsgefahr für andere Euro-Länder können Gelder aus dem ESM gewährt werden, wie sie Griechenland beantragt hat. Bis es zu einer Vereinbarung über neue Hilfen kommt, dürften mehrere Wochen vergehen.

Als wichtiges Datum gilt der 20. Juli, wenn Griechenland 3,5 Milliarden Euro an die Europäische Zentralbank (EZB) zurückzahlen muss – die größte Rückzahlungsrate, die Griechenland im Juli aufbringen muss. Um Hellas die Rückzahlung zu ermöglichten, berieten die Euro-Finanzminister am Montag in Brüssel über eine Brückenfinanzierung.

Welche Rolle spielt der Internationale Währungsfonds (IWF) künftig?

Der IWF bleibt auch im dritten Griechenland-Programm mit von der Partie. Zwar wollte Tsipras unbedingt ein weiteres Engagement des IWF verhindern, weil der Währungsfonds bekannt dafür ist, die härtesten Spar- und Reformauflagen zu machen. Dennoch heißt es in der Abschlusserklärung des Gipfels, dass Griechenland eine fortdauernde Unterstützung des IWF ab März 2016 beantragen werde. Dann läuft das bisherige IWF-Programm aus.

Reaktionen in Griechenland und Deutschland

Wie fallen die Reaktionen in Griechenland aus?

Für Alexis Tsipras war Montag, der 13. kein gutes Datum. Tsipras ringt sich zwar ein Lächeln ab, aber es wirkt gequält. „Wir haben in einer harten Schlacht bis zum Ende gekämpft und die bestmögliche Vereinbarung erzielt“, sagt er. Es sei der griechischen Delegation gelungen, „die extremistischen Bestrebungen der allerkonservativsten Kreise der Europäischen Union zu durchkreuzen“. Man habe „die finanzielle Strangulierung“ und die finsteren Pläne zur „Zerstörung des griechischen Bankensystems“ abgewendet.

In Athen schürt Nikos Filis, Fraktionssprecher des regierenden Linksbündnisses Syriza, die Stimmung: Was man mit Griechenland beim Euro-Sondergipfel gemacht haben, sei „Waterboarding“, erklärte Filis in Anspielung auf Folterpraktiken. Deutschland schicke sich nun zum dritten Mal in einhundert Jahren an, Europa zu spalten. Das soll wohl vor allem dazu dienen, das regierende Linksbündnis Syriza zusammenzuhalten.

Die meisten Griechen waren am Montag erleichtert. Das Land bleibt zumindest vorerst in der Euro-Zone. Das wünschten sich mehr als drei Viertel der Menschen. Aber in die Erleichterung mischt sich die Gewissheit, dass nun neue Entbehrungen bevorstehen. Tsipras verspricht zwar, die Lasten des Sparprogramms würden diesmal anders verteilt. Man werde jene zur Kasse bitten, die sich bisher gedrückt hätten, sagt er. Aber die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer und die Rentenkürzungen treffen wieder einmal vor allem die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen. Diese Erkenntnis könnte durchaus zu weiteren Protesten im Land führen.

Was passiert nun mit der vom Linksbündnis Syriza geführten Regierung?

Das Linksbündnis Syriza steht vor dem Zerfall. Das zeigte sich bereits vergangene Woche bei der Abstimmung über das Verhandlungsmandat, das der Premier vom Parlament erbeten hatte. Mehr als 30 Syriza-Abgeordnete versagten Tsipras die Gefolgschaft oder blieben der Abstimmung fern. Das zeigt: Auf seine Regierungsmehrheit kann sich der griechische Premier bei den fälligen Abstimmungen über die einzelnen Gesetze des Reform- und Sparprogramms nicht stützen. Er braucht die Unterstützung aus den Reihen der Opposition. Über kurz oder lang bedeutet dies wohl die Spaltung von Syriza, eventuell Neuwahlen oder eine Umbildung der Regierung.

Noch vor dem Rückflug aus Brüssel beantragte Tsipras ein Spitzentreffen aller Parteiführer unter Vorsitz von Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos. Dabei könnten bereits die Weichen für eine Regierungsumbildung gestellt werden: An die Stelle des bisherigen Links-Rechts-Bündnisses könnte eine Koalition treten, in der sich die Syriza-Partei (ohne linken Flügel) auf Liberale, Konservtive und Soazialdemokraten stützt – die Kräfte, die im Referendum für „Ja“ geworben hatten. Theoharis, Sprecher der liberalen To Potami, sagte dem Tagesspiegel: „Wir werden die Regierung dabei unterstützen, die notwendigen Gesetze durch das Parlament zu bringen. Premierminister Tsipras wird seine Regierung umbauen müssen, denn entscheidende Minister, die selbst nun Gesetze ausarbeiten müssten, sind gegen die Maßnahmen.“

Wie verläuft die politische Diskussion in Deutschland?

Der Bundestag muss der Regierung einen Auftrag für Verhandlungen über die Hilfen durch den ESM erteilen. Wenn Athen die ersten geforderten Gesetze am Mittwoch beschließt, könnte das Parlament am Freitag zur Abstimmung zusammen kommen. Dass sich Angela Merkel dabei auf eine Koalitionsmehrheit stützen kann, davon kann man wohl ausgehen. Sie könne dem Bundestag die Zustimmung „aus voller Überzeugung empfehlen“, sagte sie am Montagmorgen im CDU-Vorstand, und Teilnehmer berichteten später von großer Zustimmung. Auch Unionsfraktionschef Volker Kauder sprach von einer Empfehlung, die er seiner Fraktion aussprechen wolle. Es handele sich nicht um ein „Geldbeschaffungspaket“ für Athen, sagte er. Bei der Verlängerung des zweiten Hilfspakets im Februar hatten rund 100 Unionsabgeordnete zwar zugestimmt, später jedoch Erklärungen ihres Zweifels abgegeben.

Einer von denen, die mit „Nein“ stimmten, der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch, erklärte nun erneut seine Ablehnung. „Das Paket ist weder glaubwürdig noch tragfähig“, sagte Willsch dem Tagesspiegel. Hier würden „weiterhin mit viel Geld Risse im System zugeklebt“. Unter anderem kritisierte Willsch den Umfang des geplanten Treuhandfonds von 50 Milliarden Euro. Dieser Umfang sei bereits als Privatisierungsziel im ersten Hilfspaket festgehalten worden. Erreicht worden sei noch nicht einmal zehn Prozent davon.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann äußerte die Erwartung, „dass der Bundestag mit breiter Mehrheit für die Aufnahme von Verhandlungen stimmen wird“. Auch die Fraktion der Grünen signalisierte ihre Zustimmung. Die Linke hingegen wird im Bundestag vermutlich mit Nein stimmen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Linke einem solchen Austeritätsprogramm zustimmen wird“, sagte Parteichef Bernd Riexinger. Die beiden stellvertretenden Linken-Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht warfen der Regierung vor, die griechische Regierung „gnadenlos erpresst“ zu haben. „Dass Syriza diesem Diktat trotzdem zustimmt, ist nicht ihr freier Wille“, heißt es in einer politischen Bewertung der beiden Politiker.

Wie steht SPD-Chef Sigmar Gabriel nach der Entscheidung da?

Schlecht. Der SPD-Vorsitzende hat sich im Endspiel um Griechenland nicht als krisenfester Macher erwiesen – im Gegenteil. Zunächst versuchte er, seine Partei für einen „Grexit“ zu gewinnen. Damit kam er in der eigenen Führung aber nicht durch: Präsidium und Vorstand verweigerten ihm die Gefolgschaft. Das allein wäre schon ein Desaster gewesen, heißt es in der SPD. Doch am Wochenende kam es noch schlimmer. Als am Sonnabend der Vorschlag von Finanzminister Wolfgang Schäuble für einen zeitlich befristeten „Grexit“ bekannt wurde, ließ Gabriel via Facebook verlauten, die Idee des Finanzministers sei der SPD „natürlich bekannt“. Und: „Jeder denkbare Vorschlag“ müsse „unvoreingenommen geprüft werden“. Sofort hagelte es Kritik empörter Sozialdemokraten, die ausgerechnet durch den Parteichef ihre europäischen Ideale verraten sahen. Nicht wenige Genossen unterstellten Gabriel, er habe an den eigenen Gremien vorbei mit Schäuble den „Grexit“-Plan abgestimmt.

Was dann folgte, war ein fast schon panischer Rückzug Gabriels, der durch rabulistische Formulierungen getarnt werden sollte. Der „Grexit“-Vorschlag sei von Schäuble nur mündlich vorgetragen und damit keineswegs von Gabriel inhaltlich befürwortet worden, hieß es nun aus Gabriels Umfeld. Am Sonntag eilte der Wirtschaftsminister nach Brüssel, um den Schulterschluss der sozialdemokratischen Parteienfamilie Europas zu suchen. Seine Botschaft nun: Wir wollen Griechenland im Euro halten.

Der ohnehin angezählte Parteichef manövrierte sich damit weiter ins Abseits. „Das hat dem Autoritätsverfall des Vorsitzenden weiter Vorschub geleistet“, sagte ein Vorstandsmitglied am Montag. Unklar ist, wie weit die Erosion des Vertrauens schon fortgeschritten ist. Im sozialdemokratischen Regierungsapparat jedenfalls wurde bereits spekuliert, ob Gabriel noch als Kanzlerkandidat infrage kommt und auch ob er den Parteivorsitz behalten könne: „Nichts ist klar, außer, dass es so nicht weitergeht.“

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