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Im Alleingang. Bernie Ecclestone ist ein Macher der alten Schule, ein Wirtschaftskapitän und Diktator, manche sagen: ein Pate. Einer, der alle Fäden in der Hand halten will.

© dpa

Prozess gegen Formel-1-Boss Bernie Ecclestone: Auf seine eigene Tour

Dem Formel-1-Chef wird Bestechung vorgeworfen: Es geht um 45 Millionen Dollar. Bernie Ecclestone sagt: „Ich sah mein Lebenswerk in Gefahr." In München steht er nun vor Gericht.

Von Christian Hönicke

Als Erstes fallen seine Schuhe auf. Schwarz, glänzend geputzt, wie er es als Kind von seinem Vater gelernt hat. Dazu dunkelblauer Anzug, dunkelblaue Krawatte, weißes Hemd, alles wie immer tadellos. Freundlich geht er auf die vielen Kamerateams zu wie auf alte Bekannte im Formel-1-Fahrerlager. „Ich bin zuversichtlich, die Sonne scheint“, sagt er und lächelt sein schräges Lächeln, von dem man nie weiß, was es bedeutet.

Dann geht Bernie Ecclestone hinein in den Verhandlungssaal. Stellt sich vor die Anklagebank, blickt undurchdringlich in die Runde, und so beginnt der erste große Gerichtsprozess gegen einen ranghohen Funktionär des Weltsports. Es geht um Bestechung und Anstiftung zur Untreue, und es könnte der letzte Kampf des mächtigsten Autohändlers der Welt werden.

Mit dem Rücken zur Wand, das ist eine Situation, die Bernie Ecclestone eigentlich liebt. In der Konfrontation mit dem möglichen Scheitern erwachsen die 1,60 Meter des kleinen Briten zu ungeahnter Größe. „Im ganz normalen Alltag schafft er Probleme, nur um sich zu amüsieren“, hat sein Freund, der frühere Automobil-Weltverbands-Präsident Max Mosley mal erzählt. „Bernie ist brillant darin, sich aus einer Situation zu befreien, in die er sich selbst hineinmanövriert hat.“

Vor zehn Jahren war er in einer ähnlichen Situation

Sein größter Entfesselungstrick gelang ihm 2004. Vor zehn Jahren war Ecclestone in einer ähnlichen Situation, sein Ende schien so nahe wie heute. Als der Medienunternehmer Leo Kirch, der 75 Prozent der Formel-1-Anteile hielt, in die Pleite rutschte, war Ecclestone kurz vorm Ende. Die Gläubigerbanken, an die die Anteile fielen, wollten mit ihm nichts zu tun haben, die Rennställe wollten ihn loswerden oder eine neue Rennserie gründen. Doch Ecclestone befreite sich auch aus dieser aussichtslosen Lage. Wie, das ist nun die große Frage, die das Landgericht München I klären soll.

Unstrittig ist: Ecclestone umgarnte Gerhard Gribkowsky, einen Banker der Bayerischen Landesbank, die heute BayernLB heißt. Gribkowsky war mit dem Verkauf der Formel-1-Anteile beschäftigt, die der Bank aus der Kirch-Pleite zugefallen waren. Ecclestone lud ihn zu den Rennen ein, führte ihn herum, stellte den geschmeichelten Gribkowsky im Fahrerlager als seinen „Boss“ vor. In Wirklichkeit hielt er den gernegroßen Banker für einen „Clown“. Unstrittig ist auch: Am Ende erwarb die Investmentfirma CVC die Mehrheit der Anteile und erklärte Ecclestone zum Geschäftsführer der Formel-1-Holding. Die verwaltet fast alle Geschäfte und handelt auch die lukrativen Fernsehverträge aus. Ecclestone hatte sich nicht nur über Wasser gehalten, seine Macht war sogar gestärkt.

Doch Gribkowsky flog wegen des ungeklärten Erhalts von 45 Millionen US-Dollar auf und sitzt inzwischen in Haft. In seiner Verhandlung hat er Ecclestone beschuldigt, ihn bestochen zu haben, um den Verkauf an Ecclestones bevorzugten Investor CVC abzuwickeln. Deswegen sitzt Ecclestone hier, kampfeslustig wie eh und je. Ihm droht eine Haftstrafe und – noch viel schlimmer – der Verlust seiner Position als Formel-1-Geschäftsführer. „Gleich wird es spannend“, sagt Richter Peter Noll, bevor er dem Angeklagten das Wort erteilt. Der Vorsitzende genießt seine Rolle in dem weltweit beachteten Prozess sichtlich und lässt öfter mal einen flotten Spruch fallen. Ja, es wird spannend. Wie will sich Ecclestone diesmal entfesseln.

Vom Gebrauchtwagenhändler zum Motorsportfunktionär

Ecclestone selbst spricht nur am Anfang kurz zu seinen persönlichen Angaben, dann stützt er seinen Kopf auf die Hand und lässt seine Anwälte reden. Manchmal hält er sich das rechte Auge zu, schon seit seiner Kindheit leidet er an einer Netzhauterkrankung. Die Stellungnahme beginnt mit einer Kurzbiografie, angefangen bei seiner Geburt in Suffolk und der Angst vor deutschen Bombern. Die Anwälte breiten aus, wie Ecclestone nach einer Karriere als Gebrauchtwagenhändler in den Motorsport einstieg, erst als Teamchef, dann als Funktionär, und so die moderne Formel 1 aufbaute.

Das alles hat mit der Anklage eigentlich nichts zu tun. Eher ringt Ecclestone um Verständnis für seine Lebensleistung. Denn in München steht nicht nur ein Mann vor Gericht, hier wird über ein System geurteilt, eine ganze Epoche gar. Ecclestone ist ein Macher der alten Schule, ein Wirtschaftskapitän und Diktator, manche sagen: ein Pate. Einer, der stets alle Fäden in der Hand halten will. Der sich nicht um offizielle Regeln und Gesetze schert, weil er seine eigenen hat. Der Verträge per Handschlag besiegelt. Einer, dem Hitlers Führungstalent nach eigener Aussage weit mehr imponiert als demokratische Entscheidungsprozesse. Ob Richter Noll wohl weiß, dass Ecclestone beim Formel-3-Rennen 1953 heimlich von der dritten in die zweite Startreihe vorfuhr, um sich einen Vorteil zu verschaffen?

Die Anklageverlesung klingt wie eine Laudatio

Weite Teile der Anklageverlesung müssen sich für Ecclestone wie eine Laudatio anhören. Da werden seine gerissenen Geschäftspraktiken episodenhaft vorgetragen, etwa die einseitige Vertragsverlängerung nebst Bonuszahlung mit Ferrari, um Anfang der 2000er Jahre die abspaltungswillige Allianz der Hersteller wiederum zu spalten. „Sämtliche wichtigen Strukturen und Abläufe der Formel 1 waren auf ihn zugeschnitten“, heißt es in der Anklageschrift, er habe Verträge im Alleingang ausgehandelt und ihre Offenlegung nach Kräften zu vermeiden gesucht. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hat Ecclestone jegliche Einmischung durch die Banken in sein Geschäft verhindern wollen, „da dies für ihn den Verlust seiner faktisch unumschränkten Kontroll- und Machtposition in der Formel 1 bedeutet hätte“.

Der Angeklagte hört sich das alles an, sein Gesicht zeigt keine Regung, seine Gedanken kann man trotzdem erahnen.

Ja und, was soll denn daran falsch sein?

So hat er seit 1972 die Geschäfte der Formel 1 geführt, und hat er den Aufschwung damit nicht ganz allein verantwortet? In den chaotischen 70er Jahren war er der Einzige, der das kommerzielle Potenzial dieser Veranstaltung erkannte. Er vereinte die zerstrittenen Teams und baute erstmals professionelle Vermarktungsstrukturen auf. Die Rennserie machte der Sohn eines Fischers so zum großen Geschäft und sich selbst zum mehrfachen Milliardär.

Wie Bernie Ecclestone das geschafft hat, verdeutlicht eine Anekdote aus seinen Anfängen als Gebrauchtwagenhändler. Damals erschien er im Autohaus eines Bekannten und bot ihm nebenbei wie aus einer Laune heraus an, seinen ganzen Wagenbestand für 52 000 Pfund zu kaufen. Der Bekannte lehnte ab, und er tat gut daran. Als er später nachrechnete, stellte er fest, dass das Angebot viel zu niedrig gewesen war. Ecclestone hatte schon vorher vor dem Laden im Kopf den Wert der Fahrzeuge ausgerechnet.

Mit seiner schnellen Auffassungsgabe, knallhartem Kalkül und psychologischen Tricks hatte er bei anderen Verhandlungspartnern oft mehr Erfolg. „Er hypnotisiert die Leute“, sagte Jack Surtees, der Vater des späteren Weltmeisters John einmal. Noch bevor sie wissen, was passiert, hat er sie schon über den Tisch gezogen. Seine Schwester Marian beschrieb das Talent ihres Bruders so: „Bernard hätte Schnee an Eskimos verkaufen können.“

Raue Sitten: "Wir sind die Mafia", sagte Ecclestone einmal.

Der Geschäftssinn des schmächtigen Bernard zeigte sich schon in der Schule. In der Nachkriegszeit stand er morgens um fünf auf, um beim einzigen Bäcker in der Nähe alle Backwaren aufzukaufen und später an seine Mitschüler zu verhökern – mit einem satten Aufschlag. Er selbst naschte nie von seiner Ware, der Gewinn war ihm wichtiger als ein voller Magen. Mit 15 zog er aus, setzte seine Talente beim Handel mit gebrauchten Motorrädern und Autos in London ein und gelangte schnell zu einem stattlichen Vermögen. Günstig kaufen, aufpolieren, mit Gewinn weiterverkaufen, das ist seither sein Geschäftsmodell.

Um seinen Gewinn zu schützen, rekrutierte er aus seinen Mitschülern große und schlagkräftige Jungs, die er sich mit einem Anteil am Kuchengeld und kleinen Gefälligkeiten gewogen machte. Als Autohändler lernte er, dass man sich manchmal auch nicht ganz legaler Methoden bedienen muss. Auf der Warren Street, dem Zentrum der Londoner Automafia, ging es rau zu, deswegen nahm er die Schutzdienste von lokalen Unterweltgrößen in Anspruch. Später zog er dieses Bodyguard-System auch in der Formel 1 auf, indem er an allen wichtigen Stellen Vertrauensleute einsetzte.

In seiner Welt zählte allein sein Wille

In der Formel 1 war er so praktisch unangreifbar, in dieser Parallelwelt zählte allein sein Wille. „Wir sind nicht wie die Mafia, wir sind die Mafia“, sagte er dazu. In seinem grauen Bus, genannt „der Kreml“, stellte er die Regeln im Fahrerlager auf und wachte darüber. Wer ihn verärgerte oder linkte, den belegte er mit der Höchststrafe: Entzug des Zugangspasses, Verbannung aus der Rennsportfamilie.

Nun sitzt Bernard Charles Ecclestone, die perfekte Mischung aus Streber und Gangster, auf der Anklagebank in der Nymphenburger Straße 16, umgeben von Leuten, die er früher wohl allesamt als „Clowns“ verspottet hätte. Er muss eine Verurteilung verhindern, um jeden Preis. Selbst im Falle einer Bewährungsstrafe wäre er seinen Job als Formel-1-Geschäftsführer los, das hat CVC-Vorstand Donald Mackenzie schon klargestellt. Bis in den September hinein hat das Gericht Verhandlungstage angesetzt.

Bei seiner Einlassung hinterfragt Ecclestone auch die hehren Motive der BayernLB. Warum haben sich die Beamten überhaupt in sein Reich gewagt, wieso haben sie sich an der Finanzierung des Kirch-Medienimperiums beteiligt? Welche Vorteile die bayerische Bevölkerung denn davon gehabt hätte, wenn die Formel 1 in Kirchs Pay-TV verschwunden wäre, lässt Ecclestone süffisant fragen, und auch der Richter kann sich da ein Lächeln nicht verkneifen.

Es hat sich jemand von außen eingemischt in seine Familie, und nun muss Ecclestone sich mit den Aufräumarbeiten herumärgern. Normalerweise dealt er mit Staatsmännern und Königen, auch mit Helmut Kohl konnte er gut. Nun soll er über einen kleinen deutschen Landesbank-Beamten stürzen? Um die Blamage abzuwenden, versucht er Gribkowsky mittels E-Mail-Auszügen als manipulativen, herrischen Machtmenschen darzustellen. Die strittigen 45 Millionen seien Schweigegeld gewesen, so Ecclestone, weil Gribkowsky mit einer Steueranzeige gedroht habe.

Bernie Ecclestone lässt sich nicht an der Nase herumführen

Es fällt schwer, sich das alles vorzustellen bei einem Mann, der seinem langjährigen Autokonstrukteur bei Brabham nach 15 Jahren und zwei WM-Titeln keine Gehaltserhöhung zubilligen wollte und darüber die Freundschaft zerbrechen ließ. Der den ehemaligen Automobilsport-Präsidenten Jean-Marie Balestre in einem jahrelangen Machtkampf mit immer neuen Gemeinheiten entnervte, unter anderem gestellten Anrufen von Nelson Mandela. Nein. Bernie Ecclestone lässt sich nicht an der Nase herumführen.

„Manche Menschen haben mich gefragt, wie das sein kann, dass jemand wie Bernie Ecclestone unter Druck gerät“, lässt Ecclestone vorlesen. „Dazu kann ich nur sagen: Ja, das geht. Wenn man nur den richtigen Hebel ansetzt.“ Gribkowsky sei das gelungen, da Ecclestone befürchtet habe, bis zu zwei Milliarden Pfund an die britische Steuerbehörde nachzahlen zu müssen. „Ich sah so mein Lebenswerk in Gefahr. Es war aus heutiger Sicht sicher keine rationale Entscheidung.“

Jedenfalls, so argumentieren die Verteidiger, habe Ecclestone gar keinen Grund gehabt, den Banker zu schmieren – da er seinen Job auf jeden Fall behalten hätte. Als Beweis legen die Anwälte ein bislang unbekanntes Schriftstück vor: eine kommerzielle Vereinbarung mit dem Automobil-Weltverband Fia. Demnach hätten die Anteilseigner der Formel 1 die Zustimmung der Fia erwirken müssen, wenn sie Ecclestone als Formel-1-Chef hätten absetzen wollen. Das sei sehr unwahrscheinlich gewesen, da die Fia sehr zufrieden mit seiner Arbeit gewesen sei. Dass damals noch sein Freund Max Mosley am Ruder der Fia saß, erwähnt er in diesem Zusammenhang nicht.

Das Gericht könnte ihm sein Lebenswerk nehmen

Ein weiterer wirksamer Hebel der Verteidigung könnte Gribkowskys Beamtenrolle sein. Dass dem Deutschen die Aufgabe oblag, auch öffentliche Belange zu beachten, habe Ecclestone nie bemerkt. Stattdessen habe sich Gribkowsky nicht von den Investmentbankern von JP Morgan oder Lehman unterschieden. Deshalb habe ihr Mandant gar nicht wissen können, dass ihn die Zahlung des Geldes in rechtliche Schwierigkeiten bringen könnte. Die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young und Deloitte haben den Fall für CVC bereits untersucht und Ecclestone jeweils entlastet. Nun ist die unbestechliche Münchner Justiz an der Sache dran. „Was können die machen, mir lebenslänglich geben?“, hat Ecclestone zu Beginn der Affäre gefragt.

Inzwischen aber dämmert dem 83-Jährigen, dass sie ihm etwas viel Schlimmeres antun könnten: Sie könnten ihm die Liebe seines Lebens nehmen. Bei seinen drei Hochzeiten hatte er sich jeweils nur eine halbe Stunde freigenommen, dann setzte er sich wieder an den Schreibtisch. In Wahrheit war er schon verheiratet, mit der Formel 1. 365 Tage im Jahr, in guten wie in schlechten Zeiten. Nicht wenige im Fahrerlager glauben, dass er schnell abbauen wird, wenn man ihm seine geliebten Rennautos nimmt.

Der Prozess ist vermutlich das größte Rennen des kleinen Mannes. Ob es sein letztes in der Formel 1 wird? Man sollte nicht darauf wetten. „Ich habe nicht vor, zu gehen“, sagt Bernie Ecclestone.

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