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Unverstellt. Klaus Wowereit tanzt Tango auf dem Pariser Platz - zur Unterstützung der Stadtmission.

© dpa

Regierender Bürgermeister: Der lange Abschied von Berlin: Am Ende macht es Klaus Wowereit wieder Spaß

Von ihm kein böses Wort. In den letzten Wochen seiner Amtszeit wirkt Klaus Wowereit, als mache ihm der Job wieder richtig Spaß. Dass man ihm vorwirft, er feiere eine „Abschiedstournee“ – ihm doch egal. Bewährte Nonchalance. Donnerstag ist Schluss.

Wenn Klaus Wowereit dieser Tage den Blick von seinem Schreibtisch nach links wendet, dann schaut er auf das große Riesenrad mitten auf dem Weihnachtsmarkt. Wer oben ist, der ist auch bald wieder unten, und umgekehrt – das ist das Prinzip, und es fällt nicht schwer, dies als Sinnbild für Wowereits Karriere an diesem Schreibtisch zu nehmen. Im Büro weiter vorn, dort, wo die Besucher hereinkommen, steht übrigens ein Karussellpferd, auch so ein Inbegriff der sinnfreien Bewegung auf der Stelle. Aber es ist nicht überliefert, ob der scheidende Bürgermeister jemals darauf Platz genommen hat.

Immerhin ließe sich mit einer gewissen polemischen Absicht sagen: Berlin hat in Wowereits dreizehneinhalb Jahren einen wirklich Schwindel erregenden Stillstand hingelegt. Aber schon diese Anmerkung birgt den Nachteil, dass sie hier und da sicher zutrifft, anderswo aber nicht. Flughafen hin, Staatsoper her: Dennoch ist das Berlin des Jahres 2014 eine völlig andere Stadt als das Berlin des Jahres 2001, zumindest und vor allem in der internationalen Wahrnehmung. Mit dem Fußball-Sommermärchen 2006 begann dieser Massenandrang auf die Kapitale der Teutonen, der die Ureinwohner immer noch verwundert. Was wollen die hier alle? Und Wowereit, das kann man manchmal sehen, wundert sich auch: Wie habe ich das bloß wieder hinbekommen? War ich das überhaupt?

Nun hat er mit seinem lange angekündigten Rücktritt auch noch die Senatsarbeit gelähmt, weil alle, statt zu entscheiden, seit Monaten auf den Nachfolger warten. Und er hat sich dem Vorwurf ausgesetzt, eine „Abschiedstournee“ zu feiern, wo er doch einfach nur, zuletzt sogar ziemlich rastlos, seine vielen Termine abgearbeitet hat. Aber diese Kritik lässt er mit bewährter Nonchalance abtropfen. Werden sie ihn später feiern oder verdammen? Ihm doch egal. Läuft doch.

Er war ein Ermöglicher

Die Geschichtsschreibung hat da allerhand vor sich. Worin bestand Wowereits Beitrag zum Aufschwung der Stadt? Ein Motor der Veränderung war er eher nicht, aber eventuell eine Art Katalysator? Ein Ermöglicher war er ganz sicher – jedenfalls dort, wo ihn das Thema interessierte. Die Schwierigkeiten, ihn und sein Wirken sachgerecht zu betrachten, gehen schon auf den Anfang 2001 zurück. Alle Insider im parlamentarischen Betrieb kannten ihn als detailversessenen Chef des Hauptausschusses, der die Staatsknete verteilte, als einen Aktenfresser, der immer im Stoff war und die anderen das ganz gern auch spüren ließ.

Doch dann machte er erste, fette Schlagzeilen mit seinem Outing als Schwuler und dem Satz, Berlin sei arm, aber sexy. Es ging das Foto des Bürgermeisters um die Welt, der angeblich Champagner aus hochhackigen Damenpumps schlürfe – und die Welt schloss daraus, Berlin sei nun auf dem Weg zur Weltmetropole des Hedonismus. Ein Missverständnis, das Berlin guttat, dem Ruf Wowereits allerdings weniger. Man könnte sagen: Hier hat sich einer selbstlos zum Feierbiest stilisiert, um die Techno-Völker der Welt auf Berlin schauen zu lassen. Manchmal, in stillen Minuten, wirkt Wowereit sogar, als sei da was dran. In Wirklichkeit war es wohl nur ein lang anhaltender Höhenkoller.

Regierender Bürgermeister, das klingt bedeutsamer, als es heute wirklich ist. Wer immer das Amt annimmt, der hat von Anfang an drei unlösbare Probleme: Ernst Reuter, Willy Brandt und Richard von Weizsäcker. Drei Charismatiker von Überlebensgröße, die mit Pathos, Rhetorik und Intellektualität in wechselnden Anteilen den Status und die Freiheit der Stadt verteidigten und dem alltäglichen Verwaltungshandeln eher distanziert zuschauten; das Geld kam sowieso aus Bonn, die Befehle von den Stadtkommandanten.

Das Prinzip Lichtenrade

Keiner kann gegen diese großen drei an, schon deshalb nicht mehr, weil der Job ja im Verlauf der Einheit auf Lebensgröße geschrumpft ist und sich nicht mehr mit Pathos aufladen und so gegen Kritik immunisieren lässt. Eberhard Diepgen, der letzte der Verteidiger, musste sich nach dem Momper-Intermezzo zehn Jahre lang damit abmühen, die losen Enden der beiden Stadtteile zusammenzulöten – dann schubste ihn Wowereit vom Sockel. Mit ihm kam das Prinzip Lichtenrade, das scheinriesenhaft Gemütliche, das Tag und Nacht nach Weltgeltung barmt, statt sie sich Schritt für Schritt zu verdienen.

Kürzlich im Roten Rathaus war es wieder mal irgendwie typisch. Joachim Gauck, auch so ein Charismatiker, sollte zum Ehrenbürger der Stadt ernannt werden. Drei Musiker trugen das Heiterste vor, was die Musikgeschichte zu solchen Anlässen aufzubieten vermag, das C-Dur-Presto aus Haydns Klaviertrio XV/No.25, der Protokollchef annoncierte den „Herrn Bundespräsidenten Joachim Gauck und Daniela Schadt“, aber Wowereit hüpfte gleich mit, als sei auch er da unmittelbar involviert.

Die Zeit der Wurstigkeit und der flapsigen Aperçus ist vorüber

Aber für eine großvolumige Rede im Schatten Gaucks, des großen Predigers, ist er nicht gerüstet, war es nie. Die Gedanken aus dem Manuskript schienen ihm auf subtile Weise Widerstand zu leisten, das Vorgelesene saß nicht, manche Betonung klang, als sei er sich in der Mitte des Satzes nicht ganz sicher, wohin das Ende des Satzes eigentlich marschieren soll. Eine Pflichtübung – so erwies es sich spätestens, als Gauck selbst das Wort nahm und erst einmal, elegant extemporierend, die Musiker und die Musikstadt Berlin lobte, bevor er spärliche Manuskriptnotizen und spontane Additive zu einem einzigen langen Erzählfluss verband, von Tante Lise aus der Paulsborner Straße zur „ungeheuren Ermöglichungsstruktur“ Berlins hüpfte und es zum größten Kompliment an die Hauptstadt ummünzte, dass er, der gebürtige Rostocker, hier nie wieder weg wolle.

Solche Veranstaltungen mag Wowereit eigentlich, weil sie ihren Glanz auf ihn reflektieren, und weil er am liebsten auch so eine Art Präsident gewesen wäre für Berlin, einer, der kraft Amtes immer dabei sein darf und gute Laune oder Besinnlichkeit verbreitet, je nachdem. Der aber nie in die Niederungen der Aktenablage hinuntersteigen und das Kleingedruckte im Aufsichtsratsprotokoll lesen muss, bis die Kopfschmerzen kommen.

Der unumschränkte Zeremonienmeister

Doch andererseits – das merkten zumindest die Zuhörer – ist ihm oben bei den Gaucks die Luft zu dünn, er fühlt sich sicherer, wenn er der unumschränkte Zeremonienmeister ist. Ein paar Tage später verlieh er zum letzten Mal in seinem Amt das Bundesverdienstkreuz, der Geehrte war Nils Busch-Petersen, der Geschäftsführer des Einzelhandelsverbands – und da stimmten die Proportionen, stimmte auch die kleinere Runde, die in sein Arbeitszimmer passte und die nötige Ehrerbietung mitbrachte. Wowereit ließ die Stichworte auf seinem Zettel beiseite, war charmant und informiert, kein Wunder, denn Busch-Petersen ist einer, den Wowereit aus vielen mehr oder weniger formellen Runden kennt – und zu schätzen scheint.

Auch wenn Wowereit mit einem angedeuteten Tango auf dem Pariser Platz ein wenig mithelfen darf bei der Produktion eines Obdachlosen-Kalenders, dann wirkt er authentisch und unverstellt, gibt Autogramme und posiert jovial für Selfies. Dabei fällt auf: Er war immer der Bürgermeister, der unerwartet lange blieb auf Terminen, die seine Vorgänger schon aus Statusgründen rasch und unauffällig verlassen hätten. Das hat sicher zu der enormen Wertschätzung beigetragen, die ihm bei der Abschiedsparty im Tipi entgegenschwappte. Die bunten Vögel wie Gayle Tufts lieben ihn allesamt, inniger jedenfalls, als die Sachwalter der Hochkultur es tun. Kein böses Wort, nirgends: Seit er seinen Abgang angekündigt hat, kommt Kritik an seiner Amtsführung anscheinend nur noch in Leitartikeln und bei der Opposition vor.

Sogar die Umfragewerte erholen sich

In diesen letzten Wochen seiner Amtszeit vermittelt Wowereit nun ohnehin den Eindruck, dass ihm der Job wieder richtigen Spaß macht. Die Zeit der Wurstigkeit, der offenen Hemdkragen und der flapsigen Aperçus ist vorüber, er agiert, als lege er es insgeheim auf eine weitere Amtszeit an; sogar die Umfragewerte erholen sich leicht. Ja, es ist wohl richtig, dass Berlin seit der Ankündigung des Rücktritts in eine Art Vollzugsstau eingetreten ist und den Neuen zum Einstand keine vollendeten Tatsachen servieren will; den Terminkalender Wowereits beeinflusst das nicht.

Und hätten die Arbeitstage dieser dreizehneinhalb Jahre nicht immer so prall gefüllt sein können mit Leben und Bedeutung und Erfolg wie dieser Montag, der 1. Dezember? Das spanische Königspaar besucht Berlin, nichts Anstrengendes, nur protokollarisches Gepränge. Das Wetter hätte besser sein könne, aber das sieht man den Fotos ja nicht an – so nette Gäste ohne jeglichen diplomatischen Stress! Vorher hat Wowereit in seiner Zweitexistenz als Kultursenator die leidige Sache mit dem Berliner Ensemble in trockene Tücher bringen lassen und präsentiert nun das Ergebnis.

Er macht es wie die Sonnenuhr, lässt nur die schönen Stunden Revue passieren

Gut: Claus Peymann, der letzte der großen Salonbolschewisten, grummelt später schriftlich was vom „kleinen Claus und dem großen Klaus“, was er selbstverständlich umgekehrt richtig findet, und teilt zum Ende seiner Amtszeit bündig mit, der Rest sei Schweigen. Doch das tangiert Wowereit nicht weiter, zumal er in Oliver Reese einen zwar weitgehend unbekannten Nachfolger präsentieren kann, den der Kulturklüngel dann aber doch ganz akzeptabel findet.

Der dritte Termin an diesem Montag ist klein, aber Herzenssache: Wowereit schickt einen S-Bahn-Zug mit der roten Schleife des Welt-Aids-Tags auf die Strecke. Da ist alles dabei: Der Einsatz für die Sache der HIV-Positiven, das ernstreuterhafte Zugabfertigen, dazu die Harmonie mit den Leuten von der Bahn, die ihm sonst immer nur als Zankpartner erschienen sind; dass er sich nie wieder in seinem Leben mit der realen S-Bahn herumärgern muss und sie wohl nur im äußersten Notfall betreten wird, ist vermutlich einer der angenehmsten Aspekte des Rücktritts, gleich nach dem Abschied vom Flughafen.

Überhaupt: der Flughafen? Wowereit bringt das Kunststück fertig, vor dem Berliner Abgeordnetenhaus eine Abschiedsrede zu halten, in der dieses Stichwort nicht einmal vorkommt. Er macht es wie die Sonnenuhr, lässt nur die schönen Stunden Revue passieren, herzt verbal sogar die Piraten, die ihm angeblich emotional doch nahegestanden hätten, dankt und duzt und drechselt aus der freien Hand eine Serie dieser typischen Wowereit-Sätze, die sich beim Versuch, sie zu notieren, praktisch von selbst zerstören.

Eine große Verbrüder- und Verschwesterung

Die Antworten der Opposition sind nicht unkritisch, doch am Ende löst sich alles in eine große Verbrüder- und Verschwesterung auf. Man kann durchaus sagen, dass die Ära Wowereit auch jene Zeit war, in der das Wangenküsschen, gern doppelt und dreifach, in die inneren Entscheiderkreise vordrang. Oder hätten wir uns auch nur vorstellen können, dass Eberhard Diepgen per Bussi und Umarmung Abschied von der Opposition nähme?

Am vergangenen Freitag waren noch einmal die dicken Bretter zu bohren, da tagte der Projektausschuss des Flughafen-Aufsichtsrats, und Wowereit hat dabei, wie Vertraute schwören, keinesfalls nur Kekse geknabbert. Ein paar andere, schönere Sachen kommen noch, ein Richtfest auf dem Euref-Gelände, ein Treffen der Stadtältesten und, am Mittwoch, der große Kehraus im Roten Rathaus, zu dem sich der Lesben- und Schwulenverband und die Aids-Hilfe angesagt haben. Auch das wird noch einmal ein großes Herzen und Küssen geben.

Donnerstag ist Schluss. Wowereit wird im Abgeordnetenhaus noch gebraucht, denn einer muss ja den Senatskollegen die Entlassungsurkunden übergeben. Sie alle werden, Ulrich Nußbaum ausgenommen, umgehend wiederernannt, er selbst packt zusammen. Es ist in Berlin viel, sehr viel liegen geblieben, eine neue Ära beginnt. Und das ist auch gut so.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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