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Das kleinere Übel? Von ihrem Präsidenten Hollande haben vier von fünf Franzosen eine schlechte Meinung. Aber auch Sarkozy belasten etliche Affären.

© Joel Saget/AFP

Sarkozys Comeback: Kabale und Krise

Es ist ein alter Mythos in Frankreich. Jedes Mal, wenn es am schlimmsten stand, erschien ein Retter. Aber braucht das Land Nicolas Sarkozy? Der Ex-Präsident wittert gerade seine zweite Chance. Ende November könnte er dem Elysée wieder ein Stück näher kommen.

Er wird begrüßt wie der Messias. „Seit zweieinhalb Jahren warten wir auf dich, jetzt bist du da! Und wir sind zur Stelle!“ Sein Vorredner heizt den Saal dermaßen ein, dass die Menschen auf die Stühle steigen und skandieren: „Nicolas! Nicolas! Nicolas!“

5000 Anhänger von Nicolas Sarkozys Partei UMP haben sich in Halle 8 auf dem Messegelände von Paris versammelt. Hier stehen sonst die Kühe und Schafe auf der Landwirtschaftsmesse. Der Rahmen hat nicht mehr viel mit den großen Sarko-Shows zu tun, die seine Anhänger miterlebt haben, als das Geld noch ungezählt floss; als es bei den Buffets nach den Meetings, zu denen die Lokal- und Parteielite geladen war, so viel Trüffel gab, dass es regelrecht stank. Die Partei ist inzwischen mittellos.

Doch in der Not wächst der Enthusiasmus. Ein paar Fans schwenken die Trikolore, andere halten Pappschilder mit Sarkozys Foto in die Luft. Nicolas! Nicolas! Nicolas! Viele Menschen tragen Königsblau, die Farbe der UMP. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man die Veranstaltung für den Gottesdienst einer neuen Freikirche halten. Man spürt Erlösungssehnsucht. Es herrscht dieselbe heitere Zuversicht, als werde am Ende so etwas wie die Rettung stehen.

Der Durcell-Hase ist wieder da

Aber es ist nur Nicolas Sarkozy, der hier sein Comeback versucht. Troyes, Saint-Cyr-sur-Loire, Nizza, Marseille, Toulon, Nancy, Paris, Caen, gestern Abend Saint-Étienne: Seit Ende September tourt er durch Frankreich. Er füllt Sport- und Allzweckhallen. Es fühlt sich an wie Wahlkampf. Er steigt in den Ring, er redet, er reißt mit. Der Duracell-Hase ist wieder da. Und obwohl das ein Déjà-vu ist, tut es irgendwie gut in einem Land, das in einer Krise stecken geblieben zu sein scheint, die nicht vergehen will. „Ich will euch Hoffnung machen“, schreit er ins Publikum. Die Anhänger jubeln. Er redet von der Republik, er zielt auf das große Ganze. Sarkozy sieht die Demokratie bedroht und er tritt an, um sie zu retten. Den Namen seiner Partei, der UMP, nimmt er kein einziges Mal in den Mund. Sein Hemd ist nach jedem Auftritt durchgeschwitzt. Angeblich zieht er jedes Mal ein neues an und wirft es danach weg.

Dabei geht es nicht um alles. Noch nicht. Erst mal muss er nur die Mitglieder der UMP davon überzeugen, dass er der richtige Mann für den Vorsitz der Partei ist. Am 29. November steht die Wahl an. Geld für einen Parteitag gibt es nicht. Die knapp 270 000 Mitglieder werden per Internet abstimmen. Aber die Partei ist zerstritten, zersplittert, wenn nicht längst explodiert. Schon jetzt gibt es Zwist darüber, ob bei diesem Verfahren auch alles mit rechten Dingen zugehen wird.

Der Ex-Premier wollte Sarkozys Rückkehr verhindern

Den Todesstoß hatte der UMP die jüngste Affäre versetzt: Ex-Premierminister François Fillon soll im Sommer versucht haben, Sarkozys Rückkehr zu sabotieren. Bei einem Essen mit Jean-Pierre Jouyet, dem Generalsekretär des Elysée-Palastes, habe er angeblich gedrängt, die Ermittlungen gegen den ehemaligen Präsidenten, der in etliche Affären verstrickt ist, zu beschleunigen. „Wenn ihr nicht schnell zuschlagt, dann wird er zurückkommen!“ Mit diesen Worten wird Fillon von Jouyet zitiert. Durch ein Buch von zwei Journalisten ist die Sache aufgeflogen. Jouyet hat erst abgestritten. Jetzt steht er als Lügner da. Für beide Beteiligten ist die Affäre vernichtend. Der lachende Dritte ist Sarkozy, der sich mal wieder als Opfer eines Komplotts hinstellen darf, dieses Mal anscheinend mit Recht.

Tabula rasa. Was Sarkozy seinen Anhängern verspricht

Das kleinere Übel? Von ihrem Präsidenten Hollande haben vier von fünf Franzosen eine schlechte Meinung. Aber auch Sarkozy belasten etliche Affären.
Das kleinere Übel? Von ihrem Präsidenten Hollande haben vier von fünf Franzosen eine schlechte Meinung. Aber auch Sarkozy belasten etliche Affären.

© Joel Saget/AFP

Sarkozy verspricht der Partei einen Neuanfang: neuer Name, neues Logo, neue Kraft. Tabula rasa. Wie sie heißen wird, sagt er nicht. Nur, dass er „alle einschließen“ und hinter sich versammeln will: „die Reichen und die Armen, die Rechte und die Linke, die Städte und das Land“. Das Rettungsszenario ist damit klar. Nur er werde Frankreich vor dem weiteren Absturz bewahren und die Republik retten. Aber damit hat sein Plan auch etwas Absurdes an sich: Wenn die UMP-Mitglieder Ende des Monats ihren Parteivorsitzenden wählen, werden sie in Wahrheit über die Abschaffung ihrer eigenen Partei abstimmen.

Sarkozy ist nicht der Einzige, der antritt. Bruno Le Maire und Hervé Mariton sind seine blassen Gegenspieler. Sein eigentlicher Konkurrent im eigenen Lager ist Alain Juppé. Er ist zehn Jahre älter, ruhiger, kontrollierter. Er ist ein ernst zu nehmender Gegner. Denn vor allem unter traditionell links wählenden Franzosen genießt er mehr Glaubwürdigkeit als Sarkozy. Dessen Sieg ist also keinesfalls sicher, aber nicht unwahrscheinlich. Es wäre ein erster kleiner Schritt auf dem steinigen Rückweg Richtung Elysée.

Spötter sagen, er habe keine neuen Ideen

Am 19. September hatte Sarkozy seine Rückkehr verkündet. Via Facebook. Spötter sagen, er habe so wenig neue Ideen im Gepäck, dass die 140 Zeichen eines Tweets eigentlich gereicht hätten. Sarkozys schreibt seinen „lieben Freunden“ auf seiner Facebook-Seite: „Ich liebe Frankreich zu sehr; ich interessiere mich zu leidenschaftlich für die öffentliche Debatte und die Zukunft meiner Landsleute, als dass ich tatenlos zusehen könnte, wie sie zu diesem hoffnungslosen Schauspiel oder der Perspektive einer Isolation in der Sackgasse verdammt sind.“ Bald darauf wird er deutlicher. Mit dem hoffnungslosen Schauspiel ist der „abgehalfterte Sozialismus“ gemeint; mit der Isolation in der Sackgasse die „Tragödie des FN“ – des Front National.

Marine le Pen also. Die Sozialisten stürzen Frankreich in eine solche Depression, dass nicht einmal die Hollande-Wähler noch an einen Umschwung glauben. Umfragen zeigen, dass ein Sieg des Front National bei den Präsidentschaftswahlen 2017 nicht mehr auszuschließen ist. Das Meinungsforschungsinstitut Ifop veröffentlicht Anfang September eine niederschmetternde Analyse: Wären jetzt Wahlen, würde Marine le Pen in jedem Fall in die zweite Runde kommen. Ganz gleich, ob sie gegen einen sozialistischen oder konservativen Kandidaten anträte. Noch nie war der Weg an die Macht für die rechtsextreme Partei so frei.

Sarkozy weiß das, und er nutzt es aus. Auf dem Meeting vor den Pariser Anhängern versichert er, den Platz nicht den Demagogen zu überlassen und übernimmt im selben Atemzug die Themen von le Pen, die die Ängste eines großen Teils der Bevölkerung bedienen. Tobenden Applaus bekommt er für den Satz, eine verschleierte Frau dürfe eine Klasse nicht auf einem Schulausflug begleiten – ein Thema, das die Franzosen in den letzten Wochen beschäftigt hat. Sarkozy bringt das ganze Abendland ins Spiel: Christentum, Aufklärung und – im Falle Frankreichs – natürlich den Laizismus, den es zu verteidigen gelte. Die neue Rechte, das ist seine Botschaft, ist der Garant für die Republik. Dichter werden zitiert. Er preist die französische Sprache, die misshandelt werde, und die Höflichkeit, die als Wert verloren gehe. Es klingt alles so gut, dass man ihm gerne glauben würde. Nur, hat er selbst ein so schlechtes Gedächtnis? Hat er tatsächlich vergessen, dass er am Tatort spricht? Dass er genau hier, auf dem Messegelände, die Kontrolle verloren und einen Kritiker mit „Dann hau doch ab, du Idiot“ beschimpft hat? Das war 2008. Und vermutlich der Anfang von seinem Abstieg.

Die Bürger glauben den Politikern nicht mehr

Das größte Problem Frankreichs ist längst nicht mehr die wirtschaftliche Lage, sondern der Glaubwürdigkeitsverlust seiner politischen Klasse und die tiefe Vertrauenskrise, in der die Franzosen stecken. Brüssel übt Druck aus. Hollande vertröstet. Die staatliche Verschuldung hat Rekordhöhen erreicht. Das Drei-Prozent-Ziel des Maastrichtvertrages ist in weite Ferne gerückt. 2017 soll es endlich so weit sein. Ansonsten: kein Wachstum nirgends. Nur die Steuern steigen. Und die Arbeitslosenzahlen. Seit der Wahl François Hollandes zum Präsidenten haben weitere 500 000 Menschen ihre Arbeit verloren. Damit sind 3,4 Millionen der Erwerbstätigen arbeitslos, was einer Quote von zehn Prozent entspricht. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte Hollande versprochen, er werde den Trend umkehren. Jetzt, auf halber Strecke seiner Amtszeit, scheint seine einzige wirklich außergewöhnliche Leistung zu sein, sich in dieser kurzen Zeit so unbeliebt gemacht zu haben wie kein Präsident vor ihm. Vier von fünf Franzosen haben eine schlechte Meinung von ihm. Ein historisches Tief.

Hollande war angetreten, um wieder Normalität in das politische Leben Frankreichs zu bringen. Stattdessen hat er das Unmögliche geschafft und mit den Episoden des Rosenkrieges aus dem Elysée-Palast seinen Vorgänger sogar noch überboten. Das Buch von Valérie Trierweiler, ihre persönliche und politische Abrechnung mit ihm, übertraf selbst die heißesten Momente der Ära Sarkozy. Hollande hat es sich selbst zu verdanken, dass sein liebster Feind eine neue Chance bekommt.

Der Mythos vom Retter: Napoleon, de Gaulle, Sarkozy?

Das kleinere Übel? Von ihrem Präsidenten Hollande haben vier von fünf Franzosen eine schlechte Meinung. Aber auch Sarkozy belasten etliche Affären.
Das kleinere Übel? Von ihrem Präsidenten Hollande haben vier von fünf Franzosen eine schlechte Meinung. Aber auch Sarkozy belasten etliche Affären.

© Joel Saget/AFP

Sarkozy tritt jetzt auf wie der Mann der Stunde. Das ist ein alter Mythos in Frankreich. Jedes Mal, wenn es am schlimmsten stand, kam ein Retter: Napoleon Bonaparte, Charles de Gaulle. Aber wollen die Franzosen Sarkozy wirklich wiederhaben? Braucht ihn Frankreich? Wer sich die Bilanz seiner Amtszeit anschaut, kann eigentlich nur mit Nein antworten. Unter ihm ist die Staatsverschuldung um 50 Prozent angewachsen, das Wachstum auf null Prozent gefallen, die Außenhandelsbilanz auf 56 Prozent gesunken, 350 000 Arbeitsplätze sind in der Industrie verloren gegangen, 337 000 Menschen rutschten unter die Armutsgrenze.

Meinungsumfragen ergeben, dass die überwältigende Mehrheit der Franzosen seine Rückkehr nicht befürwortet. Wenig schmeichelhafte Metaphern von einem abgehalfterten Boxer oder ausgedienten Schlagersänger wurden in den Medien benutzt. Aber Sarkozy ist ein Kämpfer. Je härter der Widerstand, desto größer der Ehrgeiz, den er entwickelt. Die ehemalige Präsidentschaftskandidatin der Grünen, Eva Joly, unterstellt ihm sogar, auf die politische Bühne nur aus einem Grund zurückgekehrt zu sein: um wider Immunität zu erlangen und seinen juristischen Affären zu entkommen.

Ein einziges Verfahren wurde erst eingestellt

Davon zieht Sarkozy viele hinter sich her. Ein einziges Verfahren ist inzwischen eingestellt worden. Andere kommen erst so richtig in Fahrt. Aber ob Liliane Bettencourt, Muammar al Gaddafi oder Bernard Tapie, merken kann sich der Normalfranzose nur, dass es immer wieder um dasselbe geht: um Parteispenden, Verdacht auf Bestechung, Untreue, Korruption. Unter Bygmalion – der Name einer Kommunikationsagentur – wird die Affäre verbucht, nach der Sarkozy sein gesetzlich vorgeschriebenes Wahlkampfbudget um elf Millionen Euro überzogen haben soll.

Selbst, wenn sich am Ende nicht alles wird erhärten lassen können, sicher ist, dass Frankreich unter seiner Präsidentschaft keinesfalls die tadellose Republik war, la République irréprochable, die Sarkozy den Franzosen versprochen hatte.

Vielleicht tritt dieser auch deshalb jetzt als geläutert und gereift auf. Aber selbst das klingt in den Ohren der Franzosen wie sein berühmtes „Ich habe mich geändert“, mit dem er 2007 den Elysée-Palast erobert hat. Als wäre tatsächlich alles schon mal da gewesen.

In den Sport- und Mehrzweckhallen glauben sie jedenfalls noch an ihn. Wie an einen Retter. Am Ende wird sogar gesungen. Es ist die Marseillaise. „Allons enfants de la patrie!“ – „Auf, Kinder des Vaterlandes!“ Als wüssten sie jetzt, wo es langgeht.

Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.

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