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Im Spagat. Beim Arbeitgebertag plädierte Sigmar Gabriel für das transatlantische Freihandelsabkommen. In der SPD ist es aber höchst umstritten.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

SPD-Vorsitzender seit 5 Jahren: Sigmar Gabriel ist 1837 Tage im Amt - Eine Bilanz

Bald wird Sigmar Gabriel länger im Amt sein als jeder andere SPD-Vorsitzende nach Willy Brandt. In seinen fünf Jahren ist es ihm gelungen, die chronisch zerstrittene Partei zu einen. Ausgerechnet jetzt begehrt der linke Flügel auf.

Von Hans Monath

Es ist Freitag vergangener Woche, als Sigmar Gabriel in der großen Aula des Bundeswirtschaftsministeriums einen Verrat begeht. Zumindest werden das viele Genossen so sehen. Der SPD-Chef hat zur Debatte mit dem Kapitalismuskritiker Thomas Piketty geladen. Im dunklen Anzug und mit dunkler Krawatte sitzt der Vizekanzler dem neuen Rockstar der Ökonomie gegenüber, der im weißen Hemd mit offenem Kragen deutlich legerer gekleidet daherkommt.

Auf dem Podium geht es um Verteilungsfragen. Um explodierende Einkommen aus Kapital und schrumpfende Einkommen aus Arbeit – um Kernfragen der Sozialdemokratie also.

Der 43-jährige Piketty versprüht einen jugendlichen Charme, spricht ein radikal französisches Englisch und wirkt viel zahmer als die aufrührerischen Umverteilungsthesen, die in seinem Bestseller („Das Kapital im 21. Jahrhundert“) zu lesen waren. In Deutschland sei der stetige Anstieg des Vermögens der reichsten zehn Prozent im Vergleich zu den USA „moderat“ und deshalb „nicht das Hauptproblem“, sagt er.

In der ersten Reihe sitzen mehrere SPD-Bundestagsabgeordnete, darunter einer, dessen Namen man womöglich in den nächsten Monaten häufiger lesen wird. Es ist der Bremer Carsten Sieling, ein Vertreter der Parteilinken. In seinen Ohren muss die Ansage, die Gabriel gleich machen wird, wie ein Angriff auf die sozialdemokratische Sache klingen.

„Ich bin über viele Jahre im Fanclub der Vermögenssteuer gewesen“, sagt der Wirtschaftsminister und erinnert daran, dass diese im Bundestagswahlkampf 2013 eine zentrale Forderung der SPD war. Doch die Abgrenzung von Betriebs- und Privatvermögen bei Familienbetrieben sei schwierig, und er wolle den Mittelstand nicht „noch stärker in die Hände der Banken treiben“, erklärt der Hausherr. Seine Schlussfolgerung lautet: „Ich glaube, dass eine nationale Vermögenssteuer tot ist.“

Sieling greift frontal an

Wenige Tage später greift Sieling die Aussage seines Parteichefs frontal an – in einer Schärfe, die aufhorchen lässt. „Das ist ein Irrtum von Sigmar Gabriel“, sagt er. Die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland sei so groß, dass die Steuer dringend gebraucht werde. Auch SPD-Parteivize Ralf Stegner stellt sich gegen Gabriel. Damit wird deutlich, dass Gabriels Versuch, die Partei in die Mitte zu führen und ihr in der Regierung einen wirtschaftsfreundlichen Kurs zu verordnen, an Grenzen stößt.

Der Widerstand könnte dem Parteivorsitzenden ein Jubiläum verhageln, dass ihm wichtiger ist, als er zugibt: Am Sonntag kommender Woche wird der 55-Jährige die SPD länger führen als jeder andere Parteichef seit Willy Brandt, der das Amt 23 Jahre lang ausübte. Fünf Jahre und zehn Tage sind es dann für Gabriel, seit er nach dem 23-Prozent-Desaster bei der Bundestagswahl am 13. November 2009 in Dresden das Amt übernahm, das einst August Bebel ausfüllte.

In Dresden beschwor Gabriel damals seine Partei in einer aufrüttelnden Rede, die Zeit der Beschäftigung mit sich selbst hinter sich zu lassen. „Wir müssen raus ins Leben, da, wo es laut ist; da, wo es brodelt; da wo es manchmal riecht, gelegentlich auch stinkt“, rief er.

Doch kurz vor dem Jubiläum sind seine Kritiker gerade dabei, sich besser zu organisieren. In Magdeburg wollen an diesem Wochenende Sieling als der Sprecher der linken SPD-Bundestagsabgeordneten, Stegner als Koordinator der Linken im SPD-Bundesvorstand und Juso-Chefin Johanna Uekermann ein neues Bündnis schmieden. „Ein großer Teil der SPD-Mitglieder fühlt sich der Parteilinken zugehörig – leider war die in den vergangenen Jahren nicht so schlagkräftig, wie sie sein könnte“, sagt Sieling. „Deshalb stellen wir uns in Magdeburg neu auf, damit wir unsere Positionen wirksamer vertreten können.“

Gabriel muss fürchten, dass sich der Widerstand gegen seinen Kurs verfestigt und womöglich ein Phänomen in die SPD zurückkehrt, das er ihr erfolgreich austreiben konnte: der Dauerstreit der Parteiflügel, der Schlagzeilen produziert, aber auf Wähler seiner Meinung nach nur abschreckend wirkt.

Dabei erkennt auch die Linke ohne jeden Vorbehalt Gabriels Verdienste als Vorsitzender an: die Partei stabilisiert, sie mit den Gewerkschaften versöhnt, Abstand zum „Hartz- IV“-Trauma geschaffen. Wie er seine zögernden Sozialdemokraten nach der Bundestagswahl im vergangenen Jahr über den Mitgliederentscheid in die Regierung führte, gilt über alle Parteiflügel hinweg als Meisterleistung.

Sein Talent stand nie in Zweifel, seine Disziplin schon

Gabriels politisches Talent stand ohnehin nie in Zweifel, wohl aber seine Fähigkeit zur Selbstdisziplin. „Er ist der Beste unserer Generation“, lobt ihn ein SPD-Ministerpräsident. Seitdem der Niedersachse Vizekanzler wurde, so beschreiben ihn wichtige Parteifreunde, ist er weit weniger sprunghaft als früher und die Zusammenarbeit mit ihm deshalb viel einfacher. Noch im Bundestagswahlkampf war das anders, als die Mitstreiter ständig von neuen, unabgestimmten Ideen und Vorstößen überrascht wurden.

Ein Jahr nur ist dieser Wahlkampf her, den der heutige Wirtschaftsminister noch mit völlig anderen Botschaften führte. Dem Spitzenkandidaten Peer Steinbrück zwang er ein linkes Profil auf, das schlecht zu dessen Image als Pragmatiker passte, aber die skeptische Partei mit dem Kandidaten versöhnen sollte.

Der ehemalige Finanzminister Steinbrück vertrat den höheren Spitzensteuersatz und die Vermögensteuer, obwohl ihn damals die gleichen Zweifel an der Unterscheidbarkeit von Betriebs- und Privatvermögen umtrieben, die Gabriel erst heute anspricht. Parteivize Ralf Stegner konnte damals völlig zu Recht jubeln, die Parteilinke habe sich im Wahlprogramm auf voller Linie durchgesetzt.

Prägend für den Wahlkampf war aber vor allem die Grundhaltung, mit der die SPD vor die Wähler trat. Sie präsentierte sich nicht als selbstbewusster Gestalter eines starken Landes, sondern als eine Art politische Reparaturkolonne für ein völlig desolates Gemeinwesen.

Aus dem mageren Abschneiden bei der Wahl 2013 (25,7 Prozent) zog Gabriel den Schluss, dass die SPD nach dem Wiederherstellen ihrer sozialpolitischen Glaubwürdigkeit nun ihre ökonomische Kompetenz stärken müsse, um wieder mehrheitsfähig zu werden. Mit dem Wirtschaftsministerium, dem er die Zuständigkeit für die Energiewende zuschlug, schuf er sich die Machtbasis, um die neue Strategie umzusetzen.

Gabriel ist für ein Freihandelsabkommen mit den USA. Die SPD dagegen

Im Spagat. Beim Arbeitgebertag plädierte Sigmar Gabriel für das transatlantische Freihandelsabkommen. In der SPD ist es aber höchst umstritten.
Im Spagat. Beim Arbeitgebertag plädierte Sigmar Gabriel für das transatlantische Freihandelsabkommen. In der SPD ist es aber höchst umstritten.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Das Amt aber zwingt den SPD-Chef auch zum Spagat. Auf dem Arbeitgebertag in Berlin vor wenigen Tagen hält der Minister ein flammendes Plädoyer für das in seiner eigenen Partei höchst umstrittene transatlantische Freihandelsabkommen. „Wir müssen diese Debatte entmystifizieren“, ruft er. „Wir dürfen das Thema nicht so kaputtreden, dass die beiden größten Volkswirtschaften der Welt nicht mehr in der Lage sind, gemeinsame Standards zu vereinbaren.“ Die Unternehmensvertreter applaudieren – erst recht, als der Minister sich bei ihnen für ihren „riesigen Anteil“ am Aufbau der sozialen Marktwirtschaft bedankt.

Im kleinen Kreis kann Gabriel sogar stockkonservative süddeutsche Familienunternehmer für sich einnehmen, erzählt einer, der das in der Beiratssitzung einer international aufgestellten Beratungsfirma erlebt hat: Die hätten nachher vom SPD-Minister geradezu geschwärmt.

Den anderen Pol von Gabriels Welt markiert Ralf Stegner, der ihn mit seiner Kritik am Kurs der Haushaltskonsolidierung („Schwarze Null“) nervt und warnt, es sei keine sozialdemokratische Politik, die Forderungen von Handelskammern nachzubeten.

Bei den hessischen Genossen in der Stadthalle von Hofheim am Taunus geht es vor einer Woche deutlich lockerer zu als bei den Arbeitgebern. „Ich liebe diesen Saal einfach“, sagt Gabriel zur Einstimmung – denn im November 2013 war er schon einmal da. Damals warb er auf der ersten Regionalkonferenz nach dem Ende der Koalitionsverhandlungen um Zustimmung.

Auch vor den traditionell linken Hessen-Genossen bekräftigt Gabriel den Abschied von der Vermögenssteuer. Der Versuch, sie so zu organisieren, dass sie Familienbetriebe nicht schädige, sei, „wenn wir ehrlich sind, gescheitert“, sagt der Parteichef. „Ich würde uns raten zu sagen: Okay, das ist ein Projekt, von dem wir wissen, dass wir es nicht umsetzen können.“ Die Genossen im Saal klatschen häufig während der 48-minütigen Rede. An dieser Stelle klatschen sie nicht.

Vieles deutet darauf hin, dass es nicht nur bei der Vermögenssteuer bleibt

Dabei könnten auf Gabriels Parteifreunde bald noch mehr Zumutungen zukommen. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass der Wirtschaftsminister mehr plant als nur eine Absage an die Vermögenssteuer. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil, der Gabriels Kurs mit klaren Ansagen den Boden bereitet, spricht schon aus, was auch dem Parteichef vorschwebt. Weil empfiehlt seinen Genossen, im nächsten Bundestagswahlkampf auf jede Steuererhöhung zu verzichten – und damit auch keine Erhöhung des Spitzensteuersatzes mehr anzukündigen. Darum wird Gabriel mit einer gestärkten Linken ringen müssen.

Und obwohl seine Partei mit Mindestlohn und Rente mit 63 in der Regierung lieferte, was sie versprochen hatte, stagniert sie in Umfragen bei rund 25 Prozent. Für die nächste Bundestagswahl bedeuten solche Werte: Gabriel wird selbst als Kanzlerkandidat antreten müssen, ohne Aussicht auf Einzug ins Kanzleramt zu haben. „Nur Frau Merkel selbst ist in der Lage, sich um ihre Chancen zu bringen, ein anderer nicht“, hat dieser Tage dazu der Parteienforscher Gero Neugebauer gesagt. Stimmt das, bleibt Gabriel ein geschätzter Parteichef, dem sein eigentliches Ziel verwehrt bleibt, weil er nicht in die Fußstapfen von Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder treten kann.

In den Urabstimmungen seiner Partei sieht der Vorsitzende auch ein Instrument, um die Macht von Parteifunktionären zu beschneiden, die in ihrer eigenen Welt leben und dabei sehr prinzipienfest sind. In Hofheim erinnert Gabriel an den Ortsverein Bochum-Hamme, in dem er Ehrenmitglied ist. Dessen Vorstand lehnte vor einem Jahr den Koalitionsvertrag ab – einstimmig. Drei Viertel der einfachen Genossen in dem Ortsverein stimmten dann im Mitgliederentscheid dafür. „Man muss ein bisschen vorsichtig sein, wenn man ganz genau weiß, was die Parteibasis denkt“, mahnt Gabriel. Womöglich muss er im Streit um den Wirtschaftskurs selbst noch die Basis zu Hilfe rufen.

Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.

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