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Die Trauerfeier fand im Berliner Dom statt - keine andere Kirche wäre groß genug gewesen für die 2000 Besucher.

© REUTERS

Staatsakt für Richard von Weizsäcker: Staatsmann, Mensch, Vertrauter

Sie verneigen sich alle vor ihm, vor seinem Sarg, in ihren Trauerreden, auf den Straßen. Mit einem Staatsakt hat sich das Land verabschiedet von Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker.

Am Ende, als alles vorbei war am Berliner Dom und der schwarze Leichenwagen mit dem Sarg Richard von Weizsäckers leise an den Kolonnaden der Alten Nationalgalerie vorbeifuhr, da brandete ein wenig Beifall auf – der persönliche Dank der unbekannten Zaungäste der Trauerfeier. Schätzungsweise 500 Menschen waren hierher gekommen, um sich der Feier zumindest von ferne anzuschließen. Technisch war das kein Problem, wenn denn der Akku des Smartphones mitspielte: Der gebürtige Iraner und Weizsäcker-Verehrer Reza Sadafi schaffte es bis knapp zum Ende, dem Staatsakt auf dem Bildschirm zu folgen und konnte dann immerhin noch ein paar Fotos des Ehrenbataillons knipsen.

Drinnen ging es gemessener, bedeutend weniger improvisiert zu. Aber ob der Erzprotestant Richard von Weizsäcker einverstanden gewesen wäre mit dem wilhelminisch neobarocken Schwulst des Berliner Doms als Rahmen seiner eigenen Trauerfeier? Die Frage ist nicht mehr zu beantworten, aber sie stellte sich auch nicht, denn der Dom ist nun einmal die größte Kirche der Stadt– und kam somit somit als einziger Ort für den würdigen Abschied vom früheren Bundespräsidenten und Regierenden Bürgermeister in Betracht.

Rund 2000 Gäste waren gekommen, ein Spiegelbild des politischen Lebens der Bundesrepublik – angeführt von Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesratspräsident Volker Bouffier und Andreas Voßkuhle, dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, die gleich zu Beginn der Trauerfeier gemeinsam vor dem Sarg innehielten.

Der Sarg unter der schwarz-rot-goldenen Flagge

Der Sarg des Altbundespräsidenten vor den Altarstufen, bedeckt von der schwarz-rot-goldenen Flagge mit dem Bundesadler, davor ein üppiger Strauß mit bunten Rosen – das war das Zentrum der Trauerfeier. In der ersten Reihe saß die Familie von Weizsäcker, darunter Richard von Weizsäckers Frau Marianne mit schwarzem Hut, neben ihr Bundespräsident Joachim Gauck – es saßen dort die hochrangigsten Trauergäste wie der frühere polnische Staatspräsident Lech Walesa, Prinzessin Beatrix, Prinz Edward, Duke of Kent, als Vertreter der britischen Königshauses, gleich dahinter Roman Herzog, Horst Köhler und Christian Wulff, die Nachfolger Weizsäckers im Amt des Bundespräsidenten. Es saßen dort Altkanzler Gerhard Schröder, zahlreiche Bundesminister und Länderministerpräsidenten, Bundestagsabgeordnete, Manfred Stolpe, Egon Bahr – Wegbegleiter aus jedem Abschnitt des politischen Lebens. Zahlreiche Botschafter waren ebenfalls gekommen, unter ihnen Andrij Melnik aus der Ukraine, der später ein Foto twitterte und Weizsäcker als großen Europäer und Freund der Ukraine rühmte.

Offenbar hatten es alle rechtzeitig in den Dom geschafft. Das sah noch eine halbe Stunde vor dem Beginn des Trauergottesdienst nicht so aus: Vier Zugänge zu dem abgesperrten Sicherheitsbereich waren eingerichtet worden, aber man konnte sich auf sehr viel mehr Wegen nähern, beispielsweise am Spreekanal entlang vom Schinkelplatz her, wo es an den Linden plötzlich nicht weiterging und die dort wachenden Polizisten nur einen erheblichen Umweg als Lösung vorschlagen konnten. Volker Hassemer beispielsweise, im Weizsäcker-Senat Senator in wechselnden Funktionen, strandete zunächst in dieser Sackgasse, irrte ums Bertelsmann-Gebäude, stand wieder vor der Barriere und wollte rüberklettern, wovon ihm die Polizei abriet. Schließlich durfte er doch durch und fand hinter der Absperrung noch die Zeit, seinen damaligen Chef als „ungeheuer guten Zuhörer und überzeugten Entscheider“ zu würdigen. Und selbst Ex-Bundesinnenminister Otto Schily wurde erst abgewiesen, zog grollend von dannen – „Der lässt uns nicht durch, der bekloppte Kerl!“ –, versuchte es mit bekannter Energie ein zweites Mal – und war durch.

Für die nicht geladenen Zuschauer blieb nur wenig Raum

Geleit. Nach dem Staatsakt fuhr die Eskorte an Weizsäckers Arbeitsplatz, dem Schloss Bellevue, vorbei.
Geleit. Nach dem Staatsakt fuhr die Eskorte an Weizsäckers Arbeitsplatz, dem Schloss Bellevue, vorbei.

© dpa

Für nicht eingeladene Zuschauer blieb nur wenig Raum. Ideal zum Beobachten wäre die Humboldt-Box gewesen, aber dort standen nur einige Polizisten postiert. Einer aber hatte sich besonders vorbereitet: Achim von Almrich, Maler und Künstler. Zwei Schilder hatte er gemalt, auf denen er den Verstorbenen als „Freund + Vorbild“ pries, stolz zeigte er die Unterschrift des Verstorbenen, auch Kerzen und Blumen hatte er dabei. Richard von Weizsäcker habe ihn inspiriert, ja begeistert, 15 Mal habe er ihn getroffen. Ein Fan eben.

Als Prediger hatte die Familie Martin Kruse ausersehen, der als langjähriger evangelischer Bischof Berlins die Phase der Wiedervereinigung begleitet hat und sich an ein maßgebliches persönliches Erlebnis mit dem damaligen Bundespräsidenten 1989 erinnerte: Am 12. November waren rund 3000 Menschen zum Gottesdienst in die Gedächtniskirche gekommen; Weizsäcker, der sich noch nicht zu den politischen Ereignissen geäußert hatte, war dort und sprach auf Bitten Kruses ein paar Worte zu der Menge. Als „im Glauben verwurzelter Christenmensch“ habe er aus dem Gedächtnis den Brief des Paulus an die Galater zitiert, in dem es heißt: „So bestehet nun in der Freiheit, zu der uns Christus befreit hat, und lasset euch nicht wiederum in das knechtische Joch fangen“.

Kruse knüpfte an diese Erinnerung auch den Grundgedanken seiner Predigt an und sprach über die Freiheit des Christenmenschen, die das Wirken Weizsäckers ausgezeichnet und ihn befähigt habe, scheinbar feste Grenzen zu überwinden. So sei er völlig unbefangen und ohne Personenschützer unmittelbar nach dem Mauerfall am Potsdamer Platz auf eine Baracke der Volkspolizei zugegangen und habe verblüfft erlebt, wie der kommandierende Offizier sagte: „Herr Bundespräsident, ich melde: keine besonderen Vorkommnisse“.

Wie kann Freiheit bestehen, ohne Vertrauen zu wagen?

Ein wesentliches Lebensprinzip Weizsäckers, das ihn zu seinen großen politischen Leistungen befähigt habe, sei die Frage gewesen, „wie können wir in Freiheit bestehen, ohne Vertrauen zu wagen?" Es sei, sagte Kruse weiter, ein Wunder, was Gott durch ein einziges Menschenleben an Segen stiften kann.

Die Musik, eine große Konstante in Weizsäckers Leben, füllte auch den Dom zu dieser Trauerfeier. Sie begann mit Bachs c-Moll-Fantasie auf der Orgel, der Staats- und Domchor sang das alte Kirchenlied „Mein schönste Zier und Kleinod“. Das geistliche Zeremoniell teilte sich Dompredigerin Petra Zimmermann mit dem Berliner Bischof Markus Dröge und dem EKD-Vorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm.

Während die Trauerfeier drinnen mit dem Brahms-Lied „O Welt, ich muss dich lassen“ zu Ende ging, begann vor dem Dom die Ehrenformation der Bundeswehr mit der Aufstellung, 230 Soldaten des Wachbataillons aus allen Waffengattungen, dazu weitere 70 vom Stabsmusikkorps. Die vielen ausländischen, zumal asiatischen Touristen, die dort fotografierten, suchten wohl nicht wirklich Nähe zum Geschehen, sondern vor allem neue Motive für ihre Handys. Auf die Frage nach dem Grund der Zeremonien zuckten sie die Schultern. Und der eine oder andere wird auch den hinter dem Museum geparkten Sargwagen fotografiert haben, in der Meinung, es sei der Richtige. Aber es war dann doch nur der Ersatzwagen, der vorsorglich für alle Fälle bereitstand.

"Er hat uns vertraut - und wir haben ihm vertraut"

Die Trauerfeier fand im Berliner Dom statt - keine andere Kirche wäre groß genug gewesen für die 2000 Besucher.
Die Trauerfeier fand im Berliner Dom statt - keine andere Kirche wäre groß genug gewesen für die 2000 Besucher.

© REUTERS

Auch drinnen bezogen Musiker ihre Plätze: das Scharoun-Ensemble mit Mitgliedern der Philharmoniker begleitete den unmittelbar anschließenden Staatsakt, den weltlichen Teil der Feier. Darin spielte, unweigerlich, der 8.Mai 1985 eine Hauptrolle, jener Tag, an dem Weizsäcker die berühmte, als Höhepunkt seiner Präsidentschaft empfundene Rede zum 40. Jahrestag der Befreiung hielt. Bundespräsident Gauck beleuchtete Weizsäcker aber auch von der anderen Seite Deutschlands her: „Auch für uns Deutsche in der DDR war er eine Integrationsfigur. Mit unzähligen Menschen in der DDR wünschte ich, er könnte auch unser Präsident sein. Später wurde er zu unser aller Glück der erste Bundespräsident im wiedervereinigten Land“.

Gauck erinnerte auch an den berühmten Satz Weizsäckers, der 1987 dem noch dogmatisch starren Michail Gorbatschow entgegenhielt, die deutsche Frage sei offen, solange das Brandenburger Tor zu sei. „Die deutsche Geschichte hat ihn geprägt“, sagte Gauck, „und er hat selber tiefe Spuren in der Geschichte unseres Landes hinterlassen. Richard von Weizsäcker hat uns in den langen Jahren seines Wirkens Inspiration und Orientierung gegeben“. Sein Vorgänger sei ein großer Präsident gewesen, „der, als es an ihm war, das Richtige sagte und das Richtige tat“. Weiter sagte Gauck: „Seine Stimme, seine Art zu denken und zu sprechen, sind uns in den Jahrzehnten seines Wirkens so vertraut geworden wie die eines väterlichen Freundes. Er war ein Pater Patriae, wie man früher gesagt hätte. Er war uns vertraut – und wir haben Vertrauen zu ihm gehabt“.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der wie die Kanzlerin unmittelbar vor dem Abflug zum Ukraine-Krisengipfel in Minsk stand, würdige ebenso vor allem die Rede zum 8. Mai 1945. Nicht nur Krieg oder Zwang könnten Dinge bewegen, sagte er, sondern gerade auch das Wort. Weizsäcker habe das Gespür für den richtigen Zeitpunkt gehabt. als damaliger Student habe er sich von ihm ernst genommen gefühlt.

Nicht immer auf Sendung, aber immer auf Empfang

Antje Vollmer, die frühere Bundestagsvizepräsidentin, erinnerte an die Freundschaft zwischen Weizsäcker und dem tschechischen Präsidenten Vaclav Havel, die für die Einigung Europas von großer Bedeutung gewesen sei. Zuletzt zeigte sich das am 20. Juli vergangenen Jahres zur Gedenkfeier des Widerstands im Bendlerblock, „die toten Freunde begleiteten ihn ein Leben lang“. Weizsäcker habe sich dadurch ausgezeichnet, dass er anders als andere Politiker „nicht immer auf Sendung, aber immer auf Empfang“ gewesen sei.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble als letzter Redner brachte einen Einwand vor, der auf die Nachwirkung charismatischer Politiker generell zielte: „Es bestand immer die Gefahr, dass in seinem Glanz die alltägliche Politik verblasste, mehr, als sie dies verdient hätte“. Weizsäcker, so fügte Schäuble hinzu, hätte diese Auffassung sicher geteilt. Letztlich sei er aber bis zuletzt „unser Präsident“ geblieben, ohne dass er seinen Nachfolgern das Geringste weggenommen habe.

Zum Abschluss intonierte das Stabsmusikkorps den Trauermarsch von Händel, während 16 hohe Offiziere den Sarg aus dem Dom hinaus auf den Vorplatz trugen. Dort endete das knappe militärische Zeremoniell mit der Nationalhymne. Der Wagen mit dem Sarg machte sich auf die kurze Reise an Weizsäckers Wirkungsstätten vorbei nach Dahlem, während die Trauergäste in die bereitstehenden Busse stiegen, um zum Empfang des Bundespräsidenten ins Berliner Rathaus zu fahren.

Die eigentliche Beerdigung im kleinen Familienkreis auf dem Dahlemer Waldfriedhof fiel dann kurz aus. Gegen 15 Uhr 40 war der Sarg nach der von fünf Polizeimotorrädern begleiteten Fahrt in Dahlem angekommen. Er wurde dort in die Grube gesenkt, Familienmitgliedern verabschiedeten sich mit Blumen, die sie ins Grab warfen. Gegen 16 Uhr wurden die Absperrungen aufgehoben. Ein paar Bürger hatten dort bereits bis zu zwei Stunden ausgeharrt, um Weizsäcker die letzte Ehre zu erweisen.

Dann war es vorbei, die Absperrungen aufgehoben, der Dom geleert, der Empfang beendet. Wie Heinrich Bedford-Strohm es auf der Trauerfeier gesagt hatte: „Wir geben ihn in Gottes Hand zurück“.

Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.

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