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Seit drei Jahren lebt Firas Alshater in Berlin. Jetzt hat er ein Buch über sein Leben geschrieben: mit 25.

© Georg Moritz

Syrischer Flüchtling in Berlin: Wie Firas Alshater ein Youtube-Star wurde

Die Comedysendung „Zukar“ machte Firas Alshater bekannt. Hunderttausende lachen über seinen Blick auf Deutsche und Flüchtlinge. Ein düsteres Thema ließ er bisher aus.

Die Narbe dicht an seiner Augenbraue wirkt, als habe er da mal ein Piercing getragen. Ein ganz schlecht gestochenes, Jugendsünde, sieht man häufiger in Berlin. Dass sich kaum einer über seine Narben wundert, liegt aber auch daran, dass die vielen anderen, die große an der Schulter und die an den Füßen, in der Regel verdeckt sind.

Es tut ihm sehr leid, sagt er, dass seine Wohnung in Prenzlauer Berg so unaufgeräumt ist. Firas Alshater hat den ganzen Tag in Potsdam verbracht, dort studiert er jetzt Filmschnitt. An seinen Zimmerwänden hängen Kinoplakate, so viele und so dicht aneinandergeklebt, dass kaum Tapete zu sehen ist. Als er vor drei Jahren in diesen Plattenbau zog, 13. Stock, enger Fahrstuhl, pistaziengrüne Flure, da war er überrascht, wie hellhörig das Haus ist. Ständig kam der Nachbar und beschwerte sich, wenn Alshater auf seinem Handy Musik hörte. In Damaskus waren die Wände dicker.

Firas Alshater, 25, ist Syrer und, zumindest für jüngere Deutsche, der wohl bekannteste nach Baschar al Assad. Das hat er Youtube zu verdanken. Alle zwei Wochen stellt er dort ein neues Video ein, Hunderttausende schauen und teilen es. In kurzen Folgen erzählt er, wie ein Flüchtling auf Deutschland blickt. Und wie die Deutschen umgekehrt auf Flüchtlinge blicken. Beides ist ziemlich komisch, jedenfalls wenn man der Erzählung Alshaters folgt.

Zwischen den Kinoplakaten hängt eine Flagge. Grün, weiß und schwarz, drei rote Sterne in der Mitte. Sie gehört der „Freien Syrischen Armee“, dem Rebellenbündnis, das Diktator Assad stürzen wollte. Als die Revolution 2011 begann, hat Firas Alshater zuerst ein paar Sprüche auf Facebook gemacht, eine Freundin warnte ihn: „Firas, sei lieber still.“

Stattdessen ging er mit auf die Straße, rief Parolen durch Megafone. „Eins. Eins. Eins. Das syrische Volk ist eins.“ Er sagt, er habe an jeder Demonstration teilgenommen, die es damals in Damaskus gab. Er ist dafür mehrfach im Gefängnis gelandet. In seiner neuesten Folge auf Youtube unterhält er sich mit einem Stoffhasen mit Piepsstimme, danach setzt er sich auf den Rücken eines am Boden liegenden Bundeswehrsoldaten, um zu prüfen, ob die Deutschen die Flüchtlinge stemmen können. Der Humor ist für Menschen, die vor zehn Jahren die Comedyshow „Was guckst du?!“ lustig fanden. Nur dass diesmal ein Syrer die Gags schreibt.

Wie viel Integration ist hilfreich?

In seiner Serie „Zukar“, arabisch für Zucker, verhandelt er immer wieder die Frage, wie weit sich die Flüchtlinge integrieren müssen, wo Assimilation beginnt. „Was mir sehr wichtig war“, sagt er, „ach Moment, ich zeige es Ihnen.“ In seinem Badezimmer hängt ein Metallschlauch neben der Toilette.

Den hat Firas Alshater gleich nach Einzug im Baumarkt gekauft und unter dem Waschbecken an einen Verteiler geschraubt, so kann er Wasser abzweigen. Alshater nennt das „Arschbrause“ oder etwas edler formuliert: einen Weg, „diesen barbarischen Papierkorb mit Spülung wieder in ein vernünftiges Kulturgerät zu verwandeln“. Der Toilettengang, sagt er, gehöre zu den intimen Dingen, die sich anfühlen müssten, als wäre man zu Hause. Da seien Integrationsmühen fehl am Platz.

Über sein bisheriges Leben hat er ein Buch geschrieben, es heißt „Ich komm auf Deutschland zu“. Eine Autobiografie, mit 25. Darin beschreibt er zum Beispiel, wie er sich nach seiner Ankunft in Berlin den Luxus gönnt, im Supermarkt einen Einkaufswagen zu nehmen, auch wenn ihn das jedes Mal einen Euro kostet. Es dauert, bis ihm eine deutsche Bekannte erklärt, dass man sich die Münze hinterher zurückholen darf.

Er versteht nicht, warum er seinen Sprachkurs ausgerechnet mit 25 anderen Arabern machen soll statt mit Spaniern oder Italienern. Da sei doch klar, was in den Pausen gesprochen werde. In Berlin fährt er das erste Mal Fahrrad, er verliebt sich in deutsche Redewendungen wie „Mir fällt ein Stein vom Herzen“. Er erschrickt, als er das erste Mal Sprudel trinken soll. Das sei, als explodiere sein Mund. „Geht Integration nicht auch ohne Kohlensäure im Wasser?“, fragt er sich.

Wer einem frisch zugereisten Araber in Berlin den größtmöglichen Kulturschock bieten wolle, sagt Firas Alshater, müsse ihn nach Kreuzberg zum Karneval der Kulturen schicken. Die schrillen Outfits, der Alkohol, die tanzenden Halbnackten. Er fand es gewöhnungsbedürftig. Und dann fand er es großartig.

Sein Experiment unter der Weltzeituhr

In der ersten Folge seiner Internetshow, die ihn gleich bekannt machte und ihm das Label „Youtube-Star“ verpasste, kann man Firas Alshater bei einem Experiment beobachten. Er hat sich mit verbundenen Augen und ausgestreckten Armen am Alexanderplatz vor die Weltzeituhr gestellt. Neben ihm ein Schild, darauf handgeschrieben: „Ich bin syrischer Flüchtling. Ich vertraue dir. Vertraust du mir? Umarme mich!“ Zuerst scheint es, als gerate der Test zum Fiasko. Minutenlang laufen alle Passanten vorbei. Dann traut sich doch einer, macht ein Selfie. Und schließlich kommen die Umarmungen, immer mehr, immer inniger. Firas Alshater hat dafür eine Erklärung: „Wenn die Deutschen mit etwas anfangen, dann hören sie überhaupt nicht mehr auf.“

So geht das meistens in seiner Show. Er blickt sehr liebevoll auf die Deutschen. Spricht derart überschwänglich über sie, ihr Land und überhaupt das Leben, dass man Zweifel bekommt, ob er das alles ernst meint. Ob er den Gute-Laune-Bären nur spielt.

Von Scheinhinrichtungen und Elektroschocks

Seit drei Jahren lebt Firas Alshater in Berlin. Jetzt hat er ein Buch über sein Leben geschrieben: mit 25.
Seit drei Jahren lebt Firas Alshater in Berlin. Jetzt hat er ein Buch über sein Leben geschrieben: mit 25.

© Georg Moritz

Samstagnachmittag in einem Café am Volkspark Friedrichshain. Firas Alshater isst Burger mit Pommes. Sein Verlag hat ihm soeben ein erstes Exemplar seines Buches zugeschickt. Er wischt den Tisch ab, bevor er es drauflegt, es soll kein Krümel drankommen. Firas Alshater sagt, es habe ihn selbst überrascht, dass er in Berlin noch keinen Rassismus erlebt habe. Na gut, einmal sei er an der Tür des Soda-Clubs in Prenzlauer Berg mit dem Hinweis nach Hause geschickt worden, Piraten hätten hier keinen Zutritt. Aber sonst könne er nicht klagen. Er sagt, er habe viel Liebe erfahren. Nicht mal wegen seines auffälligen Vollbarts werde er beäugt. „Ich weiß von Freunden, dass es auch anders sein kann. Sie hatten nicht das Glück, in Berlin zu landen.“

Auf Youtube ließ er seine Zuschauer abstimmen, ob er sich den Bart abrasieren sollte. Die Mehrheit war dagegen. Das sei umso erstaunlicher, wenn man bedenke, dass die Deutschen durchaus zu Angst neigten. „Sie fürchten sich vor ihrer Polizei, vor Behörden, vor der Steuererklärung. Nur unter Alkoholeinfluss haben sie keine Angst.“ Alshater würde den Deutschen gern zurufen, dass sie zumindest vor ihrer Polizei nun wirklich keine Angst haben bräuchten. Aber dann müsste er weiter ausholen und von den korrupten Beamten in Syrien erzählen.

Das erste Mal war er mit 17 auf dem Revier, er hatte T-Shirts von Rockbands wie Metallica oder den Scorpions verkauft. Er wurde beschuldigt, Satanismus zu unterstützen. Das war lächerlich, sagt er heute, aber natürlich nichts im Vergleich zu der Gewalt, die er später erleben musste. Nach Ausbruch der Revolution, bei diversen Aufenthalten in Foltergefängnissen.

Eine Foltermethode namens Falakka

In seinem Buch beschreibt er es detailliert: die Scheinhinrichtungen und den Schlafentzug, die Elektroschocks, die Zigaretten auf nackter Haut, den Hunger. Er schreibt, wie man ihm die Beine zusammenband, seine Peiniger stundenlang mit dem Stock gegen die Fußsohlen schlugen, Falakka heißt die Foltermethode. Er schreibt von den eigenen Schmerzensschreien und denen der Vergewaltigten aus den Nebenzimmern. Wer das liest, kann sich kaum vorstellen, dass es sich hier um denselben Menschen handelt, der sich auf Youtube über das deutsche Wort „arschkalt“ beömmelt. Firas Alshater sagt, es war nicht schwer, die deutschen Behörden davon zu überzeugen, dass er unmöglich zurück nach Syrien kann. Im Prinzip musste er bloß sein Unterhemd ausziehen.

Den Integrationstest hat er mit 32 von 33 möglichen Punkten bestanden. Er wusste, dass sich manche Deutsche am Rosenmontag verkleiden und dass Berlin einen Wirtschaftssenator hat. Seit diesem Test werde ihm von den Deutschen in der Regel nur noch eine Frage gestellt, aber die leider so oft, dass es ihn nervt: „Was wollen Sie in Deutschland?“ Er glaubt, dahinter stehe eigentlich die Frage, warum er nicht zurück in seine Heimat gehe, ein Gewehr in die Hand nehme und für sein Vaterland kämpfe, auf welcher Seite auch immer. Die ersten Male hat sich Firas Alshater bei der Antwort noch Mühe gegeben. Inzwischen sagt er nur: „Weil ich nicht töten möchte.“ Das muss reichen.

Zusammen mit einem Bekannten war er im DDR-Museum gegenüber vom Berliner Dom. Da erfuhr er, dass der Osten Deutschlands mal ein Überwachungsstaat war, in dem Dinge geschahen, die er aus Syrien kennt: abhören, einschüchtern, kontrollieren. Er hat nachgedacht, warum die friedliche Revolution 1989 hier geklappt hat, nicht in einem Bürgerkrieg mit tausenden Toten endete. Seine Vermutung: Die DDR hatte im Gegensatz zu Syrien eben keine 27 Geheimdienste.

Die Namen auf seiner inneren Liste

In seinem Buch nennt er den Krieg in der Heimat ein „wirres Gemetzel“, Syrien beschreibt er als „zerrissenen Kadaver“. Auf Youtube würde er solche Worte nie sagen, nicht mal in eine Pointe verpackt. Er schreibt auch, jeder syrische Flüchtling, der es nach Europa geschafft hat, trage innerlich eine Liste mit sich herum. Seine geht so: Cousin Abdulrahman ist mit neun Jahren bei einem Bombenangriff gestorben. Cousin Khaled wurde in seinem Taxi von einem Scharfschützen erschossen. Onkel Bashar, ein Imam, ist seit fünf Jahren verschollen, wahrscheinlich tot. Maya, seine Exfreundin, starb bei einem Granatenangriff auf die Hochschule von Damaskus. Hinzu kommen knapp 300 Freunde und Bekannte, die Alshater seit Ausbruch des Aufstands verloren hat. Darunter ist auch Tamer Alawam, ein Filmemacher, der eine Dokumentation über die Gräueltaten des Regimes drehen wollte. Nach dessen Tod entschloss sich Firas Alshater, den Film für ihn zu beenden. So kam er nach Berlin. „Syria Inside“ lief 2013 in den Programmkinos, wurde mehrfach ausgezeichnet.

Eigentlich wäre Alshater gerne Schauspieler. Das liegt an einem anderen Schicksalsschlag, lange vor Beginn der Revolution. Im Alter von sieben Jahren erkrankte er an Leukämie, überlebte nur knapp, und als er nach einem halben Jahr wieder in die Schule durfte, mieden ihn seine Mitschüler. Sie hatten Angst, sich anzustecken. Aus Einsamkeit flüchtete sich Alshater in die Musik, lernte Klavier, dann Gedichte auswendig, schließlich entdeckte er Theater und Film. Den Schauspielertraum hat er aufgegeben, denn er sagt, er wolle „in Deutschland nicht den Quoten-Araber spielen“, also Terrorist oder Gangster.

Schaut er sich heute noch einmal die frühen Folgen seiner Internetshow an, merkt er selbst, wie sich sein Deutsch seitdem verbessert hat. Wie der Akzent weniger wurde. In der Premierensendung hatte er sich gleich im ersten Satz versprochen: „Hallo Leute und hässlich willkommen herzlich willkommen zu meinem ersten Video.“ Naja, sagt er jetzt, das sei eigentlich Absicht gewesen. Das fand er schon damals lustig, wie ähnlich die zwei deutschen Wörter klingen.

Im Café am Märchenbrunnen zwirbelt Firas Alshater seine seitlichen Barthaare zusammen, sodass sie senkrecht nach oben stehen. Sieht ulkig aus. Er sagt, es sei schwierig, in seiner Youtube-Sendung über den Krieg in Syrien zu sprechen. „Dort sterben Leute, wie sollte ich darüber Witze machen?“ Er bekomme Nachrichten von Freunden, die noch vor Ort sind, sie fragen ihn, warum er sich nicht mehr engagiere. Ob er die Zeit der Demonstrationen und Megafonparolen vergessen habe. Gerade hat ihm eine Frau auf Facebook die Freundschaft gekündigt, weil sie ihn für zu unpolitisch hält. „Das tut weh“, sagt er. Und dann noch: „Krieg kommt von oben. Fassbomben kommen von oben.“ Der Krieg könne auch nur von oben beendet werden, ganz sicher nicht von einem Komiker auf Youtube.

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