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Aufbruch. Manfred Krug besang ein neues Lebensgefühl der DDR.

© imago/United Archives

Tod von Manfred Krug: Vom Stahlschmelzer zum Filmstar

Manfred Krug war Liebling der Deutschen in Ost und West. Doch seine erste Liebe galt der Musik – und wohl auch seine letzte. Jetzt starb er mit 79 Jahren. Ein Nachruf.

Vielleicht sind Staaten ein bisschen so wie Menschen: Sie müssen erst erwachsen damit man ihren wahren Charakter erkennt. Für die DDR, die damals das Halbstarkenalter von 23 Jahren erreichte, war 1971 ein Jahr der Träume. Im Mai löste Erich Honecker nach einer Art Putsch im Politbüro den leninbärtigen Altkader Walter Ulbricht, der die Mauer hatte bauen lassen, als SED-Generalsekretär ab. Der mit 59 Jahren verhältnismäßige junge Obergenosse galt als Reformer. Honecker setzte auf die „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“, die seinem Volk wachsenden Wohlstand bringen sollte. Künstler und Intellektuelle hofften auf einen „demokratischen Sozialismus“, auf Meinungs-, Publikations- und Reisefreiheit.

Den Soundtrack zu diesem Sommer des Aufbruchs lieferte Manfred Krug. Schon die ballonförmigen Pop-Art-Buchstaben auf seinem Amiga-Album „Das war nur ein Moment“ signalisierten, dass die Zeiten des Wünschens nun vorbei sein sollten. Nun musste die Erfüllung folgen, so bunt wie im Westen würde es künftig auch in diesem kleinen Land zugehen. Ulbricht hatte den englischen und amerikanischen Pop noch als „Monotonie des Yeah, Yeah, Yeah“ verdammt. Doch jetzt durfte die DDR funky klingen, so funky wie noch nie.

Der Saxofonist Günther Fischer hatte orchestrale Souljazzstücke geliefert, die sich vor ihren Vorbildern aus Detroit oder Philadelphia nicht zu verstecken brauchten. Und Krug singt dazu Nonsenszeilen wie „Baden gehen / Du kannst Waden sehen“, die er unter dem Pseudonym Clemens Kerber selbst geschrieben hatte. Zu träge flirrenden Geigen wehklagt der Sänger in der Hochsommerballade „Als ich rief nach dir“: „Erster Mai, Marx-Engels-Platz / Ich suche dein Gesicht und find es nicht.“ Dort, im Zentrum von Ost-Berlin, nahm Honecker in diesem Jahr erstmals die „Ehrenparade“ ab. Was wie die Chronik einer Republikflucht beginnt, entpuppt sich schließlich als glücklich endendes Liebeslied.

Keiner phrasierte besser

Manfred Krug, der bereits am letzten Freitag, wie sein Management nun bestätigte, „friedlich im Kreise seiner Familie zu Hause“ gestorben ist, gehörte zu den beliebtesten deutschen Schauspielern. Er war aber auch, was oft vergessen wird, ein begnadeter Sänger. Besser phrasieren als er konnte außer Sinatra kaum einer. Krugs erste Liebe war die Musik – und ganz sicher seine letzte. „Zu den schönsten Kulturerfindungen des amerikanischen Brudervolks gehört für mich der Jazz“, hat er einmal mit trockenem Humor bemerkt. „Dafür braucht man ein gewisses Feeling. Das kann man nicht lernen, man erbt es, also ist es ein Gottesgeschenk. Und ich dachte, wenn du es schon hast, dann nutze es.“ Seine Tochter Fanny sollte das Talent von ihm erben, mit ihr nahm er das Album „Sweet Nothings“ auf.

Von der Fernseharbeit hat Krug sich 2001 nach 41 Folgen als singender „Tatort“-Hauptkommissar Stoever im Zorn losgesagt: „Die Sätze ähneln sich immer mehr. Es wird immer gleichförmiger.“ Doch gesungen hat Krug weiter, auf Konzertbühnen und im Musikstudio, wie für sein vom Jazztrompeter Till Brönner produziertes Comebackalbum „Schlafstörung“. Am Ende machte sich der Star, der ewigen Auftritte überdrüssig, in der Öffentlichkeit rar. Anrührend war, Krug Anfang 2015 in der Talkshow „3 nach 9“ dabei zuzusehen, wie er, nach einer Herzklappenerkrankung erschreckend abgemagert, mit seiner langjährigen Bühnenkollegin Uschi Brüning noch einmal den Bossanova-Klassiker „Ade“ interpretierte. A cappella, ein Abschiedsgesang mit brüchiger Stimme.

Narben aus der Produktion

Berühmt geworden ist Manfred Krug im Osten, aber er kam aus dem Westen. Als Sohn eines Eisenhütten-Ingenieurs 1937 in Duisburg geboren, zog er mit seiner Familie 1940 ins brandenburgische Henningsdorf, wo der Vater eine Stelle als Oberingenieur im Stahlwerk bekam. Helden der Arbeiterklasse sollte Krug später nicht nur im Defa-Kino verkörpern, er hat auch nach der Schule als Stahlschmelzer im Stahl- und Walzwerk in Brandenburg an der Havel geschuftet. Daran erinnerte die markante Narbe an seiner Stirn, die von einem Spritzer flüssigen Metalls rührte. Aber die Knochenarbeit machte Krug auch klar, was er auf keinen Fall wollte: sich auf ewig verausgaben im Werk. Die Bühne war sein Sehnsuchtsort. Also Abitur, Studium an der Staatlichen Schauspielschule in Berlin, dann Eleve am Berliner Ensemble von Bert Brecht. Und, sehr schnell, Ruhm.

Auf einen so kraftstrotzenden, proletarisch stolzen Hoppla-jetzt-komm-ich-Typen schien das realsozialistische Kino nur gewartet zu haben. Manfred Krug debütierte als Rocksänger in Kurt Maetzigs Liebesfilm „Vergesst mir meine Traudel nicht“, langsam kletterte sein Name in Komödien wie „Wenn der Blitz einschlägt“ oder dem antiwestlichen Schmugglerkrimi „Ware für Katalonien“ im Vorspann nach oben. Zum Star machte ihn 1960 Frank Beyers Historienfilm „Fünf Patronenhülsen“, ein Heldengemälde über die Kämpfer der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg.

Eine Bautischlerbrigade mit zünftigen Handwerkerhüten, angeführt von einem grimmig glotzenden Manfred Krug, marschiert zu Blasmusik in einer Baustelle ein und grüßt den entgegenkommenden Spielmannszug mit synchron entkorkten Bierflaschen. Überschäumender Arbeiterstolz. Der Ausschnitt aus Frank Beyers Aufbaufilm „Spur der Steine“ hat es zu einer bleibenden Szene der deutschen Filmgeschichte gebracht. Dabei hat den Film lange niemand sehen können, denn er wurde wegen seiner „zu negativen“ Darstellung der Arbeiter und Parteisekretäre gleich nach der Premiere verboten, wie fast die ganze Defa-Spielfilmproduktion von 1966.

Hannes Balla heißt dieser unbotmäßge Zimmermann, den Krug in „Spur der Steine“ verkörpert. Er legt sich mit Autoritäten an, kippt dem neuen Parteisekretär eine Hutladung Regenwasser auf die feinen Schuhe. Seine Rebellion ist der Ausdruck von Stolz, für Krug wurde daraus eine Lebensrolle. Auch im sozialistischen Kollektivstaat pochte er auf sein Recht, ein Individuum zu bleiben. „Ich wollte immer ein freier Mensch sein“, hat er gesagt. „Das Wort ,Massenorganisation’ war mir zuwider.“

Schwierigkeiten mit der Richtung

Auf Dauer konnte Krug mit dieser Haltung nicht durchkommen, schon gar nicht in der exponierten Position eines Film- und Fernsehlieblings. Intendanten und Funktionäre fragten, ob dieser Star denn noch richtig auf dem „Weg zum Sozialismus“ unterwegs sei. Krug erzählte später gerne die Episode, wie er einmal im Staatsratsgebäude von Ulbricht mit einem Orden dekoriert worden war. „Haben Sie denn wieder den richtigen Weg gefunden, Genosse Krug?“, fragte der Generalssekretär. „Herr Krug“, entgegnete Krug. „So viel Zeit muss sein. Ich bin, wie Sie wissen, nicht in der Partei. Aber ich wusste auch gar nicht, dass Sie denken, ich hätte Richtungsschwierigkeiten.“

Richtungsschwierigkeiten ist ein mildes Wort, Krug passte die ganze Richtung nicht mehr. Die Träume von einem Neubeginn unter Honecker waren bald ausgeträumt, und als der Schauspieler 1976 ein Protestschreiben gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann unterzeichnete, bekam er die Härte des Regimes zu spüren. Berufsverbot, sein Name durfte nicht mehr öffentlich erwähnt werden. Eine Damnatio memoriae auf sozialistische Art. Bei einer Fernsehreportage, die Krug nach seiner Ausreise aus der DDR im Juni 1977 zeigen, rühren die spontanen Tränen. Immer hat er betont, freiwillig gegangen zu sein, auf eigenen Antrag, „ich bin nicht rausgeworfen worden“.

Im Westen ging die Erfolgsgeschichte fast bruchlos weiter, nach Auftritten in Serien wie „Das Traumschiff“ oder „Jakob und Adele“ machte ihn die Anwaltsreihe „Liebling Kreuzberg“ auch dort zum Fernsehliebling. Die Drehbücher schrieb Jurek Becker, mit dem der Schauspieler einst in der Berliner Cantianstraße eine Wohngemeinschaft teilte. Sehr lakonisch hat Krug den deutsch-deutschen Wohnortwechsel auf seiner Platte „Da bist du ja“ kommentiert. Da singt er, er sei der Mann, „der nur mal eben Zigaretten holen gegangen ist“.

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