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Formsache. Donald Trump und Hillary Clintons starteten freundlich. Im 90-minütigen TV-Duell an der Hofstra Universität auf Long Island blieb Clinton sachlich, Trump wurde pampig – was ihm trotzdem nicht schaden muss.

© Brendan Smialowski/AFP

TV-Duell vor der US-Wahl: Donald Trump neben der Überholspur

Donald Trump ist immer er selbst: Im ersten TV-Duell vor der US-Wahl wirkt er plump und ahnungslos. Hillary Clinton argumentiert dagegen faktenreich – doch das wird ihr wohl wenig nutzen.

Der beherrschte, der seriöse, der präsidiale Donald Trump steht gut 30 Minuten auf dem Podium und diskutiert mit Hillary Clinton. Dann kann er nicht mehr an sich halten. „Das heißt“, blafft er Clinton an, „dass ich schlau bin.“ Und Trump blickt stolz ins Publikum, als habe er etwas unglaublich Schlagfertiges von sich gegeben.

Clinton, die Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, hatte den Republikaner Trump mit der Bemerkung gereizt, öffentliche Dokumente legten nahe, dass der Multimilliardär keinen Cent Steuern zahle. Weil „ich schlau bin“ – damit sagt Trump vor 100 Millionen Fernsehzuschauern eigentlich nur, dass Steuerhinterziehung eine kluge Sache ist. In einem Land, in dem Millionen Bürger in der Finanzkrise alles verloren haben.

Trump ist das egal. Wie so oft, auch an diesem Abend in einem Saal der Hofstra-Universität in New York, beim ersten Fernsehduell mit Clinton in der Nacht zu Dienstag. Es ist ein Auftritt, von dem Analysten, Journalisten, Parteistrategen sagen, er könne die Wahl im November entscheiden. Trump hat einen dunkelgrauen Anzug mit eisblauer Krawatte gewählt, mit der Amerika-Fahne als Anstecker am Revers. Auch wie immer. Die berühmten, für einen 70 Jahre alten Mann auffallend langen Haare sind frisch geföhnt, seine Hände umklammern den Rand des Redepults.

Trump hatte sich vorgenommen, gegen die sachlich-kühle Clinton mit Seriosität und Zurückhaltung zu punkten. Doch die Rolle liegt ihm nicht, der wahre Trump bricht sich schon nach einer halben Stunde Bahn. Dieser, vielleicht entscheidende Moment des Abends ist typisch für jenen Mann, der Amerikas nächster Präsident werden will.

Der Zirkus der Fernsehdebatten ist seit sechs Dekaden eine zentrale Tradition der US-Präsidentschaftswahlkämpfe. Legendär ist die Begegnung von John F. Kennedy und Richard Nixon bei der ersten Debatte 1960: Damals besiegte der entspannte und attraktive Kennedy den von Wahlkampfveranstaltungen erschöpften, schwitzenden und schlecht rasierten Nixon – und gewann später auch die Wahl.

Die Kennedy-Nixon-Redeschlacht war der Anfang einer Ära, in der das Fernsehen seitdem eine entscheidende Rolle spielt. Radiohörer urteilten schon 1960, dass das Kennedy-Nixon-Duell mehr oder weniger unentschieden ausgegangen sei. Die allermeisten Fernsehzuschauer aber sagten, Kennedy sei wesentlich besser angekommen als sein Kontrahent. Nixon war übrigens so frustriert, dass er bei seinen Kandidaturen 1968 und 1972 ablehnte, an den TV-Debatten teilzunehmen. Er war überzeugt, nur verlieren zu können.

Heute könnte sich das kein Kandidat leisten. Die Debatte ist längst ein Ritual, und zwar ein unbarmherziges. 90 Minuten ohne Werbepause, live, dafür mit unzähligen Kameras, die jedes Zucken, jede Geste festhalten. Die Kandidaten müssen höchst konzentriert sein, wenn sie sich nicht mit einer einzigen missverständlichen Bemerkung alle Chancen verderben wollen. Im Jahr 2000 verdrehte Al Gore während der Debatte gegen George Bush genervt die Augen – viele sagen, auch deswegen verlor er die Wahl.

Die Bühne in der Hofstra-Universität mit ihrer feierlich-patriotischen Atmosphäre gleicht denen der TV-Duelle der vergangenen Jahre. Moderator Lester Holt sitzt mit dem Rücken zum Publikum und blickt auf die Kandidaten, die schräg vor ihm an ihren Pulten stehen. An der Rückwand prangt das Zeichen des Ausrichters des Abends, der überparteilichen Kommission für Präsidentschaftsdebatten: Das Nationalsymbol, der Adler, der im Schnabel eine Schriftrolle hält, darauf der Spruch: „Für immer Union und Verfassung“. Auf zwei Leinwänden ist der Text der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung zu lesen.

Vor der Sendung steigt Trump betont lässig und im offenen Hemd aus seinem Wagen, er geht im Pulk seiner Leibwächter und Berater ins Gebäude. Mir kann keiner, soll dieser Auftritt sagen. So selbstbewusst ist Trump, dass er sich offenbar kaum vorbereitet hat auf diesen Abend, an dem er Millionen Menschen vor den Bildschirmen beweisen muss, dass er kein politischer Windbeutel ist, dass er zum Präsidenten taugt. Bei Cheeseburgern und Cola soll Trump hin und wieder mit einigen Vertrauten gute Sprüche über Clinton ausprobiert haben, doch angestrengt hat ihn das wohl nicht.

In Kommentaren wurde Trump mit einem großmäuligen Oberschüler verglichen, der lieber Bier trinkt, als in der Bibliothek zu pauken. Das rächt sich. Als die Sendung läuft und die beiden Kandidaten erste Wortgefechte hinter sich haben, ist es vorbei mit Trumps Zurückhaltung. Clintons Strategie, ihren Rivalen so zu provozieren, dass er sich selbst entlarvt, funktioniert. Anders als Trump hat die als Aktenfresserin bekannte ehemalige Außenministerin wochenlang frühere Auftritte Trumps studiert – sie weiß, womit sie ihn ködern kann. Deshalb spricht Clinton eben auch über das Steuerzahlen – Multimilliardär Trump weigert sich, seine Steuererklärung offenzulegen. Trump trinkt einen Schluck Wasser, grinst und zieht verächtlich die Augenbrauen hoch, bevor er von seiner Schlauheit fabuliert.

Auch in anderen Momenten sieht Trump schlecht aus. Er schnieft so viel und so hörbar, dass seine Nase unter zehntausenden Zuschauern bei Twitter ein eigenes Thema wird. Clinton hält ihm vor, in der Finanzkrise viel Profit aus den stürzenden Immobilienpreisen geschlagen zu haben – und Trump wirft ein: „Das nennt man Geschäfte machen.“ Wieder wirkt er herzlos. Was Trump möglicherweise nicht erwartet hat, sind Angriffe auf seine vermeintliche Stärke: sein Geschäftsgebaren, das ihn zu einem reichen Mann gemacht hat. Clinton spricht von „tausenden“ Kleinunternehmern, die für Trump Aufträge erledigten, aber nie bezahlt wurden. Trump verteidigt sein „unglaubliches Unternehmen“ und sagt über nicht bezahlte Lieferanten, er nutze lediglich bestehende Gesetze zu seinen Gunsten aus und denke im Geschäftsleben vor allem an sich selbst.

Die beiden Kandidaten sind mit ähnlichen Problemen, aber unterschiedlichen Zielen in diesen Abend gegangen. Sowohl Clinton als auch Trump sind den US-Amerikanern mehrheitlich unsympathisch: Jeweils 57 Prozent der Wähler sehen die Präsidentschaftsbewerber eher negativ, hat die „Washington Post“ ermittelt. Clinton hat vor allem ein Glaubwürdigkeitsproblem, 62 Prozent halten sie für unehrlich. Trump jedoch bekommt wenige Wochen vor der Wahl zu spüren, dass seine Masche nicht aufzugehen droht: 60 Prozent der Befragten glauben, dass der New Yorker Milliardär auf Stimmenfang geht, indem er an die Vorurteile der Menschen appelliert. Zudem muss sich Trump mit Zweifeln an seiner fachlichen und charakterlichen Eignung für das höchste Staatsamt herumschlagen. Eine Mehrheit glaubt, dass er unqualifiziert, vom Temperament her ungeeignet und außenpolitisch ahnungslos sei. Als er in der Debatte sagt, er habe ein „besseres Urteilsvermögen“ und ein „gewinnendes Temperament“, bricht Gelächter im Saal aus.

CNN-Zuschauer sehen Clinton als Siegerin

Amtlich. Sollte Trump gewinnen, wäre er „der gesündeste Mensch, der je Präsident wurde“, urteilte Arzt Harold Bornstein in einem Gutachten.
Amtlich. Sollte Trump gewinnen, wäre er „der gesündeste Mensch, der je Präsident wurde“, urteilte Arzt Harold Bornstein in einem Gutachten.

© /NBC News

Einer der Gründe, warum viele Amerikaner an Trumps Befähigung für das Präsidentenamt zweifeln, heißt Harold Bornstein. Der 69-jährige Internist aus New York, der mit wehenden Haaren und Nickelbrille aussieht wie ein übrig gebliebener Hippie, nicht wie ein bekannter Mediziner, passt zum Wahlkampfzirkus.

Im vergangenen Jahr hatte Bornstein erklärt, Trump sei fit für das Oval Office. Später gab Bornstein zu, er habe das Attest zwischen Tür und Angel und in großer Eile getippt, während in seiner Praxis an der edlen Park Avenue andere Patienten warteten. Berichte, wonach vor der Tür eine Limousine Trumps mit laufendem Motor stand, um das Attest abzuholen, seien aber nicht wahr, sagte der Doktor. Ein ungewöhnliches Attest ist es trotzdem. Als wolle er die vor Superlativen strotzende Rhetorik seines Patienten nachahmen, schrieb Bornstein, Trumps Werte seien „überraschend exzellent“. Sollte Trump die Wahl gewinnen, so wäre der Milliardär „der gesündeste Mensch, der jemals zum Präsidenten gewählt wurde“. Medizinische Details fehlten allerdings völlig.

Nicht allein sein Nebenjob als Trumps Leibarzt, auch seine extravagante Erscheinung und sein schluderig wirkendes Vorgehen machten Bornstein selbst zum Promi. Ein Foto, das ihn mit nacktem Oberkörper, Silberkettchen und ungekämmten Haaren vor Palmen zeigt, wurde in US-Medien zum Renner. Ein ehemaliger Patient wird zitiert, Bornstein sei ein guter Arzt, aber „exzentrisch, chaotisch“ – und niveaulos.

Das mit dem Niveau ist ein Vorwurf, der auch Trump immer wieder gemacht wird. Er stützt sich auf Anhänger, meist weiße Männer, die den Bau einer Mauer an der mexikanischen Grenze und die Überwachung von Muslimen fordern. Gleichzeitig ist Trumps Kandidatur Ausdruck einer tiefen Unzufriedenheit mit dem Establishment in Washington und dessen typischen Vertretern – wie Hillary Clinton.

In der Debatte an der Hofstra-Universität kann Trump diesen Frust aber kaum für sich nutzen. Dort sind weiße, unterprivilegierte Männer vom Land eben selten. Als er seinen Vorwurf erneuert, Clinton habe nicht das Durchhaltevermögen für das Präsidentenamt, pariert sie mit der Bemerkung, er solle erst mal mehr als 100 Länder besuchen und dem Kongress elf Stunden lang Rede und Antwort stehen, wie sie es getan habe.

In einer Umfrage des Senders CNN sahen die Zuschauer mit 62 Prozent Clinton vorn, Trump hielten 27 Prozent für den Sieger. Allerdings gilt wohl auch bei den TV-Zuschauern: Sie sollen mehrheitlich aus den Milieus stammen, das den Demokraten nahesteht. Selbst konservative Beobachter kommen noch vor Ende des Duells zu dem Schluss, dass Clinton die Debatte für sich entschieden hat. Der Kurs des mexikanischen Peso steigt wieder – auch Investoren sehen Clinton als Gewinnerin, was die Zukunft der nordamerikanischen Freihandelszone aus USA, Kanada und Mexiko sicherer erscheinen lässt; Trump will über das Abkommen neu verhandeln.

Aber längst nicht alle Amerikaner finden, dass Clinton unter dem Strich besser wegkam. Nicht nur Trump selbst findet seinen Auftritt großartig, wie er nach dem Ende der Debatte sagt. Es gibt Blitzumfragen, die nahelegen, dass Trump doch überzeugender als Clinton gewesen sei. Und es ist offen, ob Clinton unentschiedene Wähler für sich gewinnen konnte. Obama unterlag vor vier Jahren seinem Herausforderer Mitt Romney in der ersten Fernsehdebatte, gewann die Wahl aber mit einem Vorsprung von fünf Millionen Stimmen.

Bei zwei Debatten, am 9. und 19. Oktober, werden sich Trump und Clinton gegenüberstehen. Schon wenige Minuten nach dem ersten Duell deutete Trump an, dass er bei den nächsten Begegnungen gar nicht erst versuchen wird, den Gelassenen zu spielen, sondern voll auf Angriff schalten will. Er habe sich zurückgehalten, und aus Respekt vor der im Publikum sitzenden Clinton-Tochter Chelsea nicht über das Privatleben seiner Rivalin gesprochen. Jeder weiß, dass er damit die vielen Affären von Ehemann Bill Clinton meint, der nach zwei Amtszeiten als Präsident jetzt als „First Husband“ ins Weiße Haus zurückkehren könnte. Auf die Frage einer Reporterin, was er denn zu diesem Thema zu sagen habe, antwortet Trump: „Vielleicht sage ich es euch bei der nächsten Debatte, mal sehen.“

In einem Kurzinterview unmittelbar nach der TV-Debatte findet Trump dann noch eine andere Erklärung: „Ich hatte ein Mikrofon, das nicht richtig funktionierte!“ Und er frage sich, ob „die das mit Absicht gemacht haben“. Offenbar meint er damit die Veranstalter. Was genau das Problem mit dem Mikrofon gewesen sein soll, sagt er nicht, niemand anderem war ein Defekt aufgefallen.

Er kann einfach nicht anders. Aber vielleicht ist es ja gerade dieser unseriöse Typ, dieser Anti-Politiker – der wahre Trump, den sie im November wählen wollen.

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