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Gelebte Geschichte. Wolfgang Schäuble ist Berlins Ehrenbürger Nummer 119.

© krohnfoto.de

Wolfgang Schäuble erhält Berliner Ehrenbürgerschaft: Pathos aus dem Erlebten und Erzählten

Ohne ihn wäre Berlin nicht Hauptstadt. Und Deutschland heute nicht so, wie es ist. Nun ist Wolfgang Schäuble Ehrenbürger. 25 Jahre nach seiner bekanntesten Rede.

Die Klänge schweben noch immer, während die Worte verhallt sind. Daniel Barenboim, der Große, dem nichts entgeht, kein Wort, keine Note, hat applaudiert. Und er hat schon sehr viel gehört, an sehr vielen Plätzen dieser Welt. Heute macht der große Saal im Berliner Roten Rathaus Staat. Wolfgang Schäuble wird Ehrenbürger.

Wenn das Berliner Protokoll das alles mitdachte, als es die rumänischen Volkstänze des Komponisten Bela Bartok als Einleitungsmusik auswählte, so hat es mehr von diesem Ehrenbürger verstanden, als manch einer in all den Jahren zuvor über ihn zu sagen wusste: Gerade die Schlichtheit und bisweilen raue Direktheit zeichnet ihn aus, ihn Bartok, ihn Schäuble. Ein ganz eigener Ausdruck ist es, der einen Neubeginn markieren soll. Neubeginn statt Romantik, in Abgrenzung von ihr, und doch zugleich Traditionen nicht ablehnend. Eine Vielfalt ist da zu hören, ein, ja doch, neuer Anschub in Richtung eines neuen harmonischen Stils. Das kann Schäuble auch.

„Meine eigentliche Idee ist die Verbrüderung der Völker. Dieser Idee versuche ich in meiner Musik zu dienen“, sagte Bartok 1931, und auf wundersame Weise ist das wie ein Fingerzeig auf Schäuble, der da in der ersten Reihe auf die Ehrung wartet. Bartok, der zu Zeiten der Nationalsozialisten mit den Deutschen brach, hier nicht mehr auftreten wollte und sich von seinem in Deutschland beheimateten Verleger abwandte. Der untersagte, seine Werke zu spielen. Und Berlin war die Hauptstadt von alledem. Als ob Bartok zum Tanz mit der Historie einlüde.

Schäuble erlebte noch einen CDU-Parteitag mit sowjetischen Militärfliegern

Der Hallraum ist so enorm – und als Erinnerung angemessen. Denn seit 1991, seit einer fulminanten Rede im Deutschen Bundestag zu Bonn, ist Berlin wieder die Hauptstadt eines geeinten Deutschlands, einer Zusammenführung aus West und Ost, brüderlich mit Herz und Hand. So wie dieser Tag der Würdigung des Mannes, der diese Rede hielt, eine Zusammenführung ist.

Da sind die, die damals auf östlicher Seite an einem zu einigenden Land arbeiteten, jeden Tag unter oft widrigen Umständen, Lothar de Maizière, Günther Krause, Sabine Bergmann-Pohl, Christine Bergmann. Und da sind die Westler, die ihr Glück kaum fassen konnten, manche es auch nicht zu fassen bekamen oder erst viel später, Walter Momper, Eberhard Diepgen. Und da sind die, die vor allem das alte West-Berlin prägte, wo Schäuble in den sechziger Jahren noch einen Bundesparteitag der CDU miterlebte, über den sowjetische Militärflieger donnerten. Wegen des Viermächtestatus. Wer erinnert sich noch daran?

Ja, viel erlebte Geschichte, manches Kopfnicken in Ehren ergrauter Häupter, und Erinnerungen. Die Verbrüderung der Völker Europas ist bis heute nicht gelungen, aber nur politisch nicht. Mit der Musik, der klassischen, die Schäuble so liebt und einst als Geigelernender ehren wollte, ist es eine andere Sache. Vielleicht hatte er deshalb früh eine Tonlage für Menschen wie Lothar de Maizière, der die Bratsche spielt. Und sich so freut für Wolfgang Schäuble. „Es geht heute nicht um Bonn oder Berlin, sondern es geht um unser aller Zukunft, um unsere Zukunft in unserem vereinten Deutschland, das seine innere Einheit erst noch finden muss, und um unsere Zukunft in einem Europa, das seine Einheit verwirklichen muss, wenn es seiner Verantwortung für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit gerecht werden will.“ Das sind die Worte, die 1991 die Menschen, die Abgeordneten bewegten, für Berlin zu stimmen. Und diese Worte stimmen bis heute.

Beurkundet. Als Ehrenbürger bekommt Wolfgang Schäuble kostenlos eine Jahreskarte der BVG. Und er hat ein Anrecht auf ein Ehrengrab in Berlin.
Beurkundet. Als Ehrenbürger bekommt Wolfgang Schäuble kostenlos eine Jahreskarte der BVG. Und er hat ein Anrecht auf ein Ehrengrab in Berlin.

© dpa

Etwas von diesem Moment schwebt durch den Raum, an dessen einer Wand auf einem großen Gemälde Reichskanzler Otto von Bismarck seine Hand ausstreckt. Aber eben nicht Bismarck bestimmt die Szene, nichts von Huld oder Hohn oder militärischer Tradition, sondern alles ist von höchster Zivilität, wie sie Berlin in dieser Republik inzwischen zur Tradition erhoben hat. Auch durch Schäuble, der mit Krause den Einheitsvertrag ausgehandelt, aber am 20. Juni 1991 seinen eigentlichen Vertrag mit den vereinten Deutschen geschlossen hat. Krause sitzt im Publikum. Schäubles Rede damals wurde zu einem Versprechen, dem die Mehrheit der Abgeordneten, wenn auch knapp, gefolgt ist, danach die Mehrheit der Bevölkerung. Seine Rede hat das Land verändert. Deutschland heute ist, wie es ist, durch den Umzug nach Berlin.

Wie jung Michael Müller wirkt - und respektvoll

Das Berlin, für das Schäuble immer wieder Verantwortung übernommen hat. Er wurde zwar nicht Regierender Bürgermeister, weil das einer verhinderte, der ihn im vorigen Jahrhundert, 1997, noch für alles befähigt erklärte. Helmut Kohl war das, der lieber Frank Steffel wollte. Aber Schäuble regierte doch, im Bundes-Berlin, und dachte dabei immer auch an die Hauptstadt, wie der Regierende Bürgermeister an diesem Tag zu erwähnen nicht vergisst.

Wie jung Michael Müller wirkt, als er am Rednerpult steht, und respektvoll außerdem. Mag Berlin zum Pathos nicht begabt sein – jetzt, in diesem Saal, gibt es sich alle Mühe. Müller hat Schäuble im Blick und lässt auch Erinnerung durch die Reihen wehen. Dass dem das Bekenntnis zu Berlin als Hauptstadt nicht in die Wiege gelegt sei, wenn man in Freiburg geboren wurde und in der Ortenau seine Heimat gefunden hat – das ist wohl wahr. Aber „als überzeugter Europäer, der er ist, dachte und denkt Wolfgang Schäuble in größeren Zusammenhängen. Und er verbindet mit der Fürsprache für Berlin immer auch einen Anspruch“. Diesen Anspruch „formuliert er zuweilen direkt und unverblümt, indem er sagt: Berlin soll Führungsverantwortung bei der Überwindung der Teilung unseres Landes übernehmen. Oder, dass Berlin aus seiner lebendigen Gründerkultur mehr machen soll“. Da hat Müller fraglos recht, und man sieht Schäuble kaum merklich nicken.

Überhaupt schlägt der Regierende einen Ton an, der nicht historisiert, aber in seiner Weise Historisches formuliert: Die Weltoffenheit bewahren, Toleranz leben, wachsam bleiben, dieser Dreiklang ist verbindend, ist eine Brücke vom Gestern zum Heute. Müller würdigt Schäuble als „Begründer“ – und das ist das Wort der Stunde. Der Bürgermeister sagt es bezogen auf die Islamkonferenz, der Erfindung von vor zehn Jahren, aber es klingt nach einem Charakteristikum dieses Ehrenbürgers: Er kann begründen wie kein Zweiter.

Wer über die Sprache verfügt, wem Worte Geige und Cello und Gitarre und Horn sind, dem ist Sprachlosigkeit, gleich in welchem Rahmen, eine Herausforderung. War es immer. Ob zwischen Deutschen und Deutschen oder zwischen dem deutschen Staat und den in Deutschland lebenden Muslimen. Denn vielfältig ist die Gesellschaft, ihre Rhythmik hat sich verändert, sie ist auf dem Weg in die Moderne. Da ist Verweigerung des Miteinanderredens vormodern.

„Vor Kurzem sagten Sie, lieber Herr Schäuble, Sie haben immer noch Freude an der Politik. Sie wollen weiter gestalten. Ich denke, ich spreche im Namen aller Anwesenden, wenn ich sage: Diese Freude am Gestalten wünschen wir Ihnen auch weiterhin von Herzen.“ Wann hört einer den Regierenden Bürgermeister Michael Müller schon so freundlich, so zugewandt, so anerkennend über einen Christdemokraten reden? Einer wie Schäuble macht es ihm leicht. Und der noch amtierende CDU-Landesvorsitzende Frank Henkel ist ja an diesem Tag, dem durchaus auch für die Union besonderen, nicht da.

Seine Dankrede ist dann auch kein Regierungsprogramm, eine mit Anforderungen an eine Großstadt der Zukunft, eine der Integration, der Digitalisierung. Es hätte eine sein können, die den Amtierenden in ihr Koalitionsgeschäft hineingeredet, oder den Abwesenden zur Lehre gereicht hätte. So etwas wie eine kleine Schule der Subsidiarität und des Föderalismus, die kommunale Selbstverwaltung heißt, mit der schließlich schon der Freiherr vom Stein Preußen reformierte.

Das westliche Modell scheint ein wenig müde

Das alles weiß Schäuble, hat er schon gesagt, auch in Berlin vor Jahren. Aber das sagte er diesmal nicht, und die Gilde derer, die sich auf die gleich wieder kommenden Koalitionsgespräche konzentrieren, Raed Saleh, Ramona Pop, wird vielleicht vor Erleichterung auch die Warnung im Piano überhört haben: dass das westliche Modell fast ein wenig müde zu sein scheine. Das westliche Modell… So sanft legt Schäuble die Mahnung an, leiht sich die Worte eines anderen Freiburgers, der in Berlin heimisch geworden ist: Heinrich August Winkler, der Bundeshistoriker. Den langen Weg der Deutschen nach Westen hat Winkler auf und von vielen Seiten beschrieben. Heute ließe sich mit Schäuble bündig sagen: So weit im Osten liegt Berlin nun nicht, dass sich einer aus dem Westen nicht mit der Stadt verbunden fühlen könnte.

Aber zurück zur Müdigkeit. Müde ist ein Wort, das dieser Ehrenbürger gar nicht mag. Zumal er des Ganzen, des großen Ganzen, gar nicht müde wird. Da passt, was Müller sagt: „Nicht zuletzt freuen wir uns, wenn Sie unserem Land und Ihrer Hauptstadt auch in Zukunft kräftige Impulse verleihen. Wenn Sie uns über die Parteigrenzen hinweg mit Ihrer Erfahrung und Ihrer klaren Haltung Orientierung geben. Wir brauchen Menschen wie diesen badischen Europäer, die nicht nur an das Eigene denken, sondern an das Ganze. Menschen wie Wolfgang Schäuble, die wissen, dass Kulturen keine abgeschlossenen Einheiten ohne Fenster nach außen sind, sondern immer schon vom Austausch und der Begegnung mit anderen gelebt haben und sich auch im Innern wandeln.“

Und so gewinnt der Tag, ohne es zu wollen, an Pathos. Nicht im Crescendo. Dafür taugt die Musik auch nicht, nicht Bartok zu Beginn und nicht Johannes Brahms in der Mitte, Brahms, der wie sinnstiftend in einer gesamteuropäischen Musiktradition steht. Und auch nicht, weil der Gemütszustand zu Ergriffenheit führen würde. Dazu ist Berlin zu spröde. Der Tag bringt auch keine affektierte Emphase oder hohle Deklamation, sondern entwickelt ein Pathos aus dem Erlebten und Erzählten. Das sind Worte, die über den Tag hinaus gelten könnten, über Parteigrenzen hinweg. Suchen die nicht gerade einen Bundespräsidenten? Aber so schwebend ist hier wohl nichts, der schöne Klang verhallt im Saal. Es war doch keiner der Dirigenten da. Keiner, der in der Politik so groß ist wie Barenboim in der Musik.

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