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Neues Ziel? Stromtrassen für Jedermann

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Update

Strom erzeugen: Kann ich mich an Stromtrassen beteiligen?

Bürger sollen von Stromtrassen finanziell profitieren können. Bei der Bundesregierung glaubt man, dass die Idee zum Turbo für die Energiewende werden kann.

Anfang Juni 2013 kam es in Berlin zu einem denkwürdigen Treffen: Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) und Umweltminister Peter Altmaier (CDU), die sich sonst gern politische Scharmützel rund um die Energiewende liefern, setzten sich an einen runden Tisch mit den Chefs der vier Netzgesellschaften hierzulande: 50Hertz, Amprion, TransnetBW und Tennet. Die Laune war gut, man zog die Sakkos aus. Dann präsentierten die Herren ein „Eckpunktepapier“. Es beschreibt, wie Regierung und Industrie dem zu erwartenden Widerstand beim Ausbau neuer Stromnetze begegnen wollen: Durch finanzielle Beteiligung. Wer Geld mit einem Projekt verdient, so das Kalkül, geht nicht dagegen auf die Straße.

Das Prinzip geht so: Noch bevor ein Stromnetzbetreiber Bagger auf den Weg schickt, um eine Trasse zu bauen, soll er Bürgern – aber auch Firmen vor Ort – die Möglichkeit geben, sich daran finanziell zu beteiligen. Über eine Anleihe zum Beispiel sollen Interessenten 1000 bis etwa 10 000 Euro über einige Jahre investieren dürfen und dafür eine jährliche Rendite von „bis zu“ fünf Prozent ab Baubeginn erhalten. Das wäre gemessen an Sparbuchzinsen in Höhe von rund 0,5 Prozent ein für viele attraktives Angebot. Auch sollen sich die Betreiber verpflichten, die Einlage vor Ablauf (allerdings gegen einen Abschlag) wieder an die Bürger auszuzahlen, sofern diese das wünschen.

Mit diesem Geld der Bürger sollen die Netzbetreiber bis zu 15 Prozent der Kosten für den Bau einer Leitung finanzieren. Insgesamt sollen bundesweit in den kommenden Jahren rund 2800 Kilometer Leitungen gebaut werden. Inklusive der Optimierung bestehender Leitungen müssen die Unternehmen innerhalb der kommenden zehn Jahre bis 2023 rund 20 Milliarden Euro investieren, rechnet die Bundesregierung vor.

Der Betreiber Tennet macht den Anfang, indem er eine Anleihe begibt. Die dürfen Anwohner entlang der geplanten Westküstenleitung zwischen Niebüll und Brunsbüttel in Schleswig-Holstein zeichnen. Bis 2018 soll die Leitung stehen und künftig Windenergie aus dem Norden in den Süden transportieren. Mindestens 1000 Euro sollen die interessierten Anwohner anlegen – und erhalten dafür tatsächlich bis zu fünf Prozent Rendite. Die Zeichnungsfrist endet Ende August 2013.

Tennet-Chef Martin Fuchs berichtete schnell von ersten positiven Erfahrungen. Es gebe reges Interesse an dem Modell. Auf der Internetseite seien bislang Tausende Zugriffe registriert worden. Rund Tausend Bürger hätten sich  telefonisch nach den Beteiligungsmöglichkeiten erkundigt. Das Projekt scheint allerdings kein Selbstläufer zu werden, was an dem Gemüt der Nordfriesen, aber auch an dem Finanzprodukt liegt.

Die Bürger zeichnen formal nämlich keine Anleihe an dem konkreten Bauprojekt, sondern nur eine Hybridanleihe der niederländischen Tennet-Holding. Dass sich die Bürger somit also nur sehr mittelbar an der Stromtrasse beteiligen können, ist ein psychologisches Problem. Dazu kommt ein juristisches: Fondsmanager und Analysten weisen darauf hin, dass – zumindest theoretisch – die Gefahr eines Totalverlustes des angelegten Geldes drohe. Weil es eben eine Hybridanleihe der niederländischen Mutter sei, würden die Anleihezeichner als Gläubiger im Insolvenzfall nachrangig bedient.

Kritik kommt auch vom Bund der Energieverbraucher. Dort wird moniert, dass die Rendite zu niedrig sei. Schließlich gestehe die Bundesnetzagentur den Netzbetreibern eine garantierte Eigenkapitalrendite von über neun Prozent zu. „Die Bürger, die ihr Geld dafür investieren, will man dagegen mit höchsten fünf Prozent abspeisen“, argumentiert der Verbandsvorsitzende Aribert Peters.

Auch die Verbraucherzentrale Hamburg rät vom Kauf ab. "Weil die Politik mit Umweltminister Peter Altmaier und Wirtschaftsminister Philipp Rösler für diese Form der Beteiligung wirbt, besteht die Gefahr, dass viele Menschen im Vertrauen darauf die Anlagerisiken nicht ausreichend berücksichtigen", erklärt Sandra Klug von der Verbraucherzentrale. Und die sind groß, warnt die Verbraucherschützerin. Wer in die Bürgeranleihe investiere, trage das Risiko eines Totalverlustes. Den Kredit, den man Tennet gebe, könne man nie kündigen, warnt Klug. Da die Laufzeit der Anlage unbefristet ist, komme nur ein Verkauf über den Börsenhandel in Frage. "Wie viel an der Börse gezahlt wird, ist jedoch ungewiss", gibt Klug zu bedenken. Zudem zahle Tennet den angekündigten Zins von fünf Prozent jährlich frühestens nach dem Baubeginn, der für 2015 vorgesehen ist. Aufgrund der Widerstände von Naturschützern könne sich der Bauauftakt jedoch verzögern, mahnt die Verbraucherschützerin. Je später gebaut wird, desto weniger verdient der Anleger. Denn bis zum Baubeginn gibt es nur drei Prozent Zinsen.

Tennet verweist hingegen auf eine gute Analystenbewertung durch die NordLB: Wie viel Bürgergeld zusammenkommt, wird man Ende August wissen. Da werden dann auch die anderen Stromnetzbetreiber ihre Schlüsse ziehen, wie sie konkrete Beteiligungsmodelle gestalten.

Eigentlich brauchen die Netzbetreiber das Geld der Bürger nicht. Es gibt genügend langfristig orientierte Großinvestoren, Pensionsfonds etwa, die gern in derartige Infrastrukturprojekte investieren und im Zweifel geringere Renditen akzeptieren. Zudem ist der Verwaltungsaufwand für die Netzbetreiber ungleich höher, wenn sie als Emittenten eine Anleihe in so kleinen Stückelungen begeben, anstatt sich wenige strategische Investoren an Bord zu holen.

Kurzum: Es fehlt noch an Erfahrungen mit diesem Modell für die Höchstspannungsleitungen. Ob die „Bürgerdividende“, wie Umweltminister Altmaier das Konzept nennt, ein Renner wird oder floppt, muss sich zeigen. Dass Bürger aber grundsätzlich bereit sind, sich an der Energiewende vor Ort zu beteiligen, zeigen die vielen Energiegenossenschaften wie beispielsweise die Energiegenossenschaft Berlin-Brandenburg, die in der Prignitz ein einzelnes Windrad finanziert.

Eine andere Lösung, mit der Bürger sich – allerdings ebenfalls nur sehr mittelbar – an der Stromproduktion- und Verteilung von Strom beteiligen können, ist der Rückkauf von einst privatisierten Energieversorgern oder Stromnetzbetreibern, wie sie derzeit unter anderem auch in den größten Städten Berlin und Hamburg vorangetrieben wird. Aber auch viele Gemeinden betreiben die Rekommunalisierung ihrer Netze. Ein Netzbetreiber in der Hand der Kommune ist allerdings auch kein Garant dafür, dass die Bürger vor Ort ihren Strom billiger erhalten.

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