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Fragen Sie Dr. Om: Kleine Meditationen über die großen Fragen des Lebens - Folge 2

"Ich bin oft hin und her gerissen zwischen meinem Willen und meiner Ungeduld. Manchmal will ich etwas so unbedingt, dass ich mich verkämpfe. Dann wieder gebe ich zu früh auf und sehe später, dass es nur noch ein wenig Durchhaltevermögen gebraucht hätte. Wie kann ich eine gesunde Balance zwischen diesen Polen finden?"

Eine frühe buddhistische Schrift erzählt von Sona, einem Schüler des Buddha, der derart ehrgeizig meditiert, bis er so erschöpft und frustriert ist, dass er überlegt, ganz aufzugeben, weil er die spirituellen Ziele, die er sich selbst gesteckt hat, einfach nicht erreicht.

Oft verstärken sich starker Wille und große Ungeduld gegenseitig. Zu hartnäckig ein Ziel erreichen zu wollen, ohne letztlich anzukommen, führt oft dazu, dass man zu früh aufgibt. Zu früh aufzugeben aber kann zu dem Gefühl führen, ein Chance verpasst zu haben – was wieder dazu führen kann, dass man sich überanstrengt. Wie kommt man nun aus diesem Teufelskreis heraus?

Um seinem Schüler Sona zu helfen, verwendet der Buddha das „Gleichnis von der Laute“ (Anguttara Nikaya 6.55): Wenn die Saiten der Laute entweder zu straff oder zu lose gespannt sind, ist das Instrument nicht zu gebrauchen. Nur wenn die Saiten auf die richtige, mittlere Spannung gebracht sind, könne man beginnen, sein Stück zu spielen.

Drei Arten der Ausgewogenheit

Genauso, erklärt der Buddha, löst zu große Anstrengung Aufregung aus, und zu wenig Anstrengung führt zu Trägheit. Dann gibt er Sona folgenden Rat: Halte dich an ein ausgewogenes Maß der Anstrengung. Bemühe dich, das rechte Maß an Fähigkeiten zu erlernen. Und so strebe dann nach deinem Ziel. Die Methode Buddhas beinhaltet im Grunde drei Arten der Ausgewogenheit.

Zum einen die Ausgewogenheit der Anstrengung. Wir sollen darauf achten, dass wir weder zu aufgewühlt noch zu schlaff werden, und uns bemühen, diese Extreme frühzeitig zu vermeiden – und nicht erst, wenn wir ausgelaugt oder resigniert sind.

Sodann die Ausgewogenheit der Mittel. Wir sollen uns fragen: Können wir das Ziel unter den gegenwärtigen Umständen erreichen? Wenn ja: Was wäre der geschickteste Weg?

Schließlich die Ausgewogenheit unserer Zielsetzung. Wir sollen unsere Ziele mit großem Bedacht wählen. Wie aber geht das? Der große tibetische Lama Tsongkhapa (1357-1419) formulierte eine Meditation, um diese Frage zu beantworten – eine Meditation über die Vergänglichkeit unseres Lebens. Sie besteht aus zwei Feststellungen und einer Frage. Die Feststellungen lauten: Erstens, der Tod ist sicher. Zweitens, der Zeitpunkt des Todes ist unsicher. Die Frage lautet: Was wird von Bedeutung sein, wenn ich sterbe?

Diese Meditation kann helfen, die Wichtigkeit unserer Ziele besser einzuschätzen. Und uns so ein Gefühl dafür zu geben, wieviel Anstrengung angemessen und welches der beste Weg zu unseren Zielen ist. Wenn wir sie dann überhaupt noch erreichen wollen.

Oren Hanner, 1979 in Jerusalem geboren, studierte Philosophie in Tel Aviv und promovierte in Buddhismuskunde an der Uni Hamburg. Schicken Sie Ihre Frage an om@tagesspiegel.de

Oren Hanner

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