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Volkspark Schöneberg-Wilmersdorf: Das Lied vom Paradies

Kurpark und wilde Wiese: Im Volkspark Schöneberg-Wilmersdorf treffen sich Sportler, Kiffer, Paare.

Er ist fast der längste von Berlin, der Volkspark Schöneberg-Wilmersdorf. Der schmalste ist er allemal. Wie ein Lindwurm durchzieht er grasgrün auf 2,5 Kilometern gleich zwei Bezirke im Südwesten der Stadt. Das Wortungetüm in seinem Titel weist bürokratisch-korrekt darauf hin – erst Schöneberg, dann Wilmersdorf, von rechts nach links. Der Besucher bekommt von diesem Grenzübertritt nur wenig mit: höchstens durch das an einem Baum befestigte Schild, das auf die unsichtbare Linie verweist, oder durch das abrupte Ende des Asphalts beim Übergang nach Wilmersdorf, wo das Gartenbauamt Sandwege favorisiert. Die Jogger, die den Grünzug gerade wegen seiner Länge lieben, merken den Unterschied höchstens an ihren Knien.

Der Volkspark Schöneberg-Wilmersdorf bietet sich für die verschiedenen Geschwindigkeiten an: für die schnellen Läufer und Radler ebenso wie für gemütliche Spaziergänger mit Kind an der Hand oder den Hundebesitzer, für den friedlichen Bankbesucher oder stillen Sonnenanbeter. Auch hier sagt es der Name – der Volkspark ist für alle da, ein höchst demokratisches Instrument der Freizeitgestaltung. Die Bezeichnung ist programmatisch zu verstehen, denn als der Volkspark vor hundert Jahren angelegt wurde, wurden dringend Erholungsflächen gebraucht für die dramatisch wachsende Bevölkerung Schönebergs. Innerhalb kurzer Zeit hatte sich der ländliche Vorort Berlins in eine eigene Stadt verwandelt. Systematisch waren die Felder rund um das einstige Dorf von Baugesellschaften erschlossen worden; die erhalten gebliebenen Villen der sogenannten Millionenbauern rund um den früheren Anger zeugen vom urbanen Höhenflug der Dörfler.

Auch das Terrain des Volksparks wäre von ihnen gnadenlos versilbert worden, hätte die Natur sich nicht zur Wehr gesetzt. Die morastige Senke erwies sich als ungeeignet für eine Bebauung. Hier befand sich ein Überbleibsel des Urstromtals, der Nebenarm einer Eisrinne aus glazialer Zeit, welche die Grunewaldseenkette bildet. Durch den sumpfigen Boden führte der Schwarze Graben, den die Dorfbewohner wegen seines Gestankes Fauler Graben nannten. Bis er 1887 zugeschüttet wurde, waren hier praktischerweise die Abwässer Schönebergs eingeleitet worden. Der Secessions-Maler und Stadtverordnete Hans Baluschek erinnerte sich trotzdem mit Wehmut in einem Gedicht von 1924 an die „grüne Prairie“ seiner Kindheit, wo er einst Froschlaich fing und in seiner Stullenbüchse nach Hause trug: „Das war das Lied vom Paradiese/Der wilden Schöneberger Wiese!“

Von ihrer Wildheit hat sich die Schöneberger Wiese bis heute etwas bewahrt. Das Wasser des Schwarzen Grabens drückt sich immer wieder hoch und sperrt sich damit gegen alle Versuche einer Zivilisierung. Der Kurpark holt sich nasse Füße, vor allem im vorderen Teil, wo die Anlage besonders prächtig erscheint – mit Ententeich und einer U-Bahn-Station, die wie eine Orangerie aussieht, dazu ein Brunnen mit Fontänen, in dessen Mitte auf einer 8,80 Meter hohen Säule ein goldener Hirsch steht, das Wappentier des Bezirks. Nach Regenschauern stehen die Federballspieler an manchen Stellen knöcheltief im Feuchten, und auch die Freiluft-Yoga-Gruppen beginnen zu schniefen. Über die Jahre hat das Grünfllächenamt so manche Gegenmaßnahme ausprobiert: mal wurde das anarchische Rinnsal in Rohre verbannt, mal als Bächlein malerisch durch den Wiesengrund geleitet. Ohne Erfolg.

Auch was seine Besucher betrifft, decken sich Benutzerwille und kommunale Vorstellung im Volkspark Schöneberg-Wilmersdorf nicht immer. Das war von Anfang an so. Die Ordnungsvorgaben im östlichen Teil der Grünanalage, dem Rudolph-Wilde- Park – benannt nach dem ersten Oberbürgermeister Schönebergs, auf dessen Initiative zwischen 1911 und 1914 das benachbarte Rathaus gebaut wurde –, haben immer schon zum Widerspruch gereizt. Angelegt als Ort der Naturbetrachtung, der Repräsentation und gepflegten Gesellschaftlichkeit für ein großbürgerliches Publikum, das in den gleichzeitig hochgezogenen Wohnungen rundum Quartier bezogen hatte, war hier nur braves Flanieren auf den Wegen erlaubt. Die Spielplätze und Sportanlagen befanden sich weiter weg in den westlichen Bereich verbannt, um eine Ruhestörung der höheren Herrschaften zu vermeiden. Diese Aufteilung hat sich bis heute gehalten: der Kurpark im Osten, der Landschaftsgarten im Westen.

In den ersten Jahren führten die Parkwächter noch ein strenges Regiment. Nur ein Erwachsener mit jeweils einem Kind durfte die Spielwiese betreten. Väter und Mütter schrieben daraufhin wütende Briefe an das Gartenbauamt, das erst 1928 sein Reglement lockerte und die Grünfläche an drei Nachmittagen in der Woche freigab. Da hatte sich auch schon Turnvater Zobel durchgesetzt und die Wiese zumindest vormittags für den Sportunterricht erobert.

Auch heute noch gilt, dass auf der von einer steinernen Ballustrade im Halbrund eingefassten vorderen Wiese Fußballspielen eigentlich verboten ist. Nur kümmert sich keiner darum. Das Grünflächenamt hat stattdessen alle Hände voll damit zu tun, den Vandalismus an Bänken, steinernen Figuren und Vasen zu bekämpfen. Gegenwärtig tragen die bronzenen Enten ein lila bespraytes Federkleid. Auch die intensive Nutzung der Carl-Zuckmayer-Brücke, die quer über den Park führt und unter sich die U-Bahn-Station Rathaus Schöneberg beherbergt, zeitigt Spuren. Noch ist sie weit davon entfernt, ein Hotspot für junge Leute zu sein wie die Admiralbrücke in Kreuzberg. Dafür ist das Umfeld noch immer viel zu bürgerlich; in einer der Querstraßen hatte Bundespräsidenten Joachim Gauck seine Wohnung. Doch auch auf der von Johann Emil Schaudt, dem Erbauer des KaDeWe, entworfenen Brücke finden sich an warmen Abenden Gitarrenspieler ein und klimpern vor sich hin, lässt sich auf der breiten Brüstung zwischen steinernen Nymphen bei mitgebrachtem Bier der Sonnenuntergang genießen.

Durch seine Ost-West-Streckung bietet sich der Volkspark für solche abendlichen Stelldicheins geradezu an. Ähnlich beliebt wie die Zuckmayer-Brücke im Schöneberger Teil ist auf Wilmersdorfer Seite der sogenannte Kiffer-Hügel. Dort campieren ganze Gruppen auf Decken und lassen den Tag ausklingen, während auf dem benachbarten Spielplatz die letzten Kinder von ihren Eltern nach Hause gescheucht werden. Im Winter treffen sich hier die Schlittenfahrer und landen, wenn sie es ganz weit schaffen, in einem Tümpel. Auf seiner Hälfte hat das Wilmersdorfer Gartenamt offensichtlich den Kampf gegen das Wasser aufgegeben.

Der Volkspark war zu allen Zeiten ein Ort zünftigen Vergnügens. Dort, wo sich heute zwei Fußballplätze befinden, lag einst der Wilmersdorfer See mit einer eigenen Badeanstalt, in der die Kinder das Schwimmen lernten. Gleich nebenan lud ein Tanzpalast ein. „Gehen wir zu Schramm“, lautete damals ein geflügeltes Wort. Jüngere Offiziere und verarmte Adlige sollen hier auf die Suche nach den Töchtern der Millionenbauern gegangen sein. Seine Funktion als Beziehungsstifter besitzt der Volkspark noch immer, mehr noch als -verfestiger. Denn gleich nebenan im Rathaus Schöneberg befindet sich das Standesamt. Zum Ablauf vieler Hochzeiten gehört der Sekt-Empfang am „Hirschbrunnen“. Die Boccia-Spieler sind es gewöhnt. Der Volkspark Schöneberg-Wilmersdorf nimmt sie alle auf.

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