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George Turner war Berliner Wissenschaftssenator, Präsident der Universität Hohenheim und Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz - und ist Kolumnist des Tagesspiegels.

© Mike Wolff

Sind Universitäten unregierbar?: Ich-AGs der Professoren gegen das Unternehmen Universität

Das Ziel des "Unternehmens Universität" interessiert Professoren nur in zweiter Linie. Den idealen Hochschulleiter gibt es da nicht, sagt der Hochschulexperte und Tagesspiegel-Kolumnist George Turner.

Dieser Text ist Teil unserer Debatte zur (Un)regierbarkeit von Universitäten. Hier finden Sie die übrigen Debattenbeiträge.

Überlegungen, wie die Leitung von Universitäten gestaltet werden sollte, begannen in den 1960er Jahren. Ausgangspunkt war die Erkenntnis, dass die kurzfristig wechselnden Rektoren, gewählt nach dem Prinzip der Rotation  der  Fakultäten, der jährliche Wechsel der Dekane und die Entscheidungen durch Fakultäten, in denen alle Professoren Sitz und Stimme hatten, nicht mehr dem auf Ausbau angelegten Bildungsbereich entsprach. Dem sollte mit einer Professionalisierung der Leitung, Präsident an Stelle des Rektors, begegnet werden.

Ländergesetze setzen dem effektiven Management Grenzen

Zur Umsetzung der Ideen kam es im Rahmen der alten Strukturen nicht mehr. Die um das Jahr 1970 geschaffenen Landeshochschulgesetze mit der Mitwirkung aller Gruppen an Entscheidungsprozessen, also auch der Wahl der Leitung, führte dazu, dass die akademische Gemeinschaft zunehmend zu einer politischen Organisation wurde. Kandidaten für das Rektorenamt konnten nur noch durchgesetzt werden, wenn den ausschlaggebenden Gruppen dafür ein anderes Amt angeboten wurde.

Zwar setzte sich schließlich die Erkenntnis durch, dass es einer hauptamtlichen Leitung bedürfe, gewählt für eine Amtszeit von mindestens vier Jahren. Einem effektiven Management waren aber von Anbeginn durch  die Gesetze der Länder Grenzen gezogen. Weder die kollegialen Entscheidungsstrukturen der alten Ordinarienuniversität noch die zur  Blockade neigende Gremienwirtschaft der Gruppenuniversität waren den veränderten Bedingungen der expandierenden Universitäten gewachsen.

Verstöße gegen die Wissenschaftsfreiheit?

Im Laufe der Zeit gewann die Überzeugung an Boden, dass bei mehr Autonomie der Universitäten die Fachaufsicht durch den Staat zurückzunehmen und  Hochschulräten zu übertragen sei. Der mit Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik besetzte Hochschulrat hat in der Regel bei der Wahl von Mitgliedern der Hochschulleitung eine wichtige Funktion. Die Machtverschiebung zu Lasten der bisher zuständigen Kollegialorgane, so wird kritisiert,  verstoße gegen das Recht der Wissenschaftsfreiheit und das auf akademische Selbstverwaltung. Diese Konstruktion wird nicht das letzte Wort sein.

Auch die Überlegung, Universitäten mehr nach dem Muster von Wirtschaftsunternehmen zu führen, stößt an Grenzen. Das Management eines Industrieunternehmens kann im Prinzip davon ausgehen, dass die Mitarbeiter auf das gleiche Ziel verpflichtet sind, nämlich optimale Ergebnisse zu erzielen, gleichgültig, ob man dabei in erster Linie an die Steigerung der Produktivität oder den shareholder value denkt.

Jeder Professor ist seine eigene Ich-AG

Bei Hochschulen ist das anders. Das Ziel des „Unternehmens Universität“, in dem Sinn, dass der Ruf der Einrichtung in Lehre und Forschung möglichst erstklassig ist, interessiert den einzelnen Professor erst in zweiter Linie. Für Wissenschaftler ist vor allem von Bedeutung, wie es um das eigene Ansehen bei Fachkollegen, die Reputation im Umfeld, die Akzeptanz bei den Studierenden aussieht. Insofern ist jeder Professor seine eigene Ich-AG. Dass sich aus dem Mosaik der individuellen Wünsche ein Gesamtziel ergeben kann, ist zwar richtig, darf aber nicht zu der Illusion führen, so etwas wie eine corporate identity sei für Universitäten eine Selbstverständlichkeit. Insofern unterscheiden sich die Bedingungen, welche die Leitungen von Unternehmen zu berücksichtigen haben und die an wissenschaftlichen Einrichtungen gelten, nicht unerheblich.  Als Modell scheint auch dieser Typ nicht unangefochten.

Ruf nach einem ministeriellen Kurator

Immer wieder taucht - als Gegenmodell zur autonomen Hochschule - im Zusammenhang mit der Leitung von Universitäten der Ruf nach dem Kurator alter Prägung auf, der, vom Minister eingesetzt, die Geschicke der Verwaltung leitet. Die Einsetzung durch den Minister aber garantiert  keinesfalls den fachlich versierten Experten. Der Druck, hier eine Position zur Versorgung zu nutzen, würde, wie in anderen Bereichen auch, nur zu gern von der Politik genutzt. Nach über vierzig Jahren mitbestimmter Hochschule käme es zu neuen Konflikten mit dem Staat, wenn die Universitäten so sichtbar „an die kurze Leine“ genommen würden.

Vom alten Leitbild der humboldtschen Universität geprägt

Bei der Hochschulleitung geht es manchen nicht um die Rolle des Staates im Verhältnis zu den Hochschulen und damit um die Erhaltung der Selbstverwaltung oder um  befürchtete Tendenzen der Fremdbestimmung, sondern um den Gegensatz von Professionalität bzw. Effektivität und Kollegialität. Es bleibt die Frage, ob der wissenschaftliche Erkenntnisprozess tatsächlich ein Klima der Kollegialität voraussetzt oder ob sich diese Vorstellung nicht an ein Hochschulkonzept anlehnt, das (zu) sehr vom alten Leitbild der humboldtschen Forschungsuniversität geprägt ist, die von ihren äußeren Voraussetzungen nicht mit den aktuellen Bedingungen zu vergleichen ist.

Hier ist der betuliche Kollege, da der Politprofi gefragt

Die jahrelangen Auseinandersetzungen über den richtigen Weg in der Hochschulpolitik in Bund und Ländern haben schließlich zu dem Ergebnis geführt, dass die Universitäten in einem bestimmten Umfang „in die Freiheit“ entlassen worden sind, d.h. ihnen werden mehr Möglichkeiten für die Gestaltung eröffnet. Es gibt keinen Konsens über die richtige Form der Hochschulleitung und wie sie ausgefüllt werden soll. Deshalb erscheint es wenig hilfreich, ein Modell und einen Typ für alle zu fordern. An einer Stelle mag der betuliche Kollege, an anderer der Wissenschaftsmanager, an dritter der Politprofi am rechten Platz sein. Das kann von der Geschichte der Institution, dem Fächerspektrum, von der personellen Zusammensetzung und auch von den Erfahrungen abhängen, die man mit Konstruktionen und Personen gemacht hat.

Prof. Dr. George Turner war Berliner Wissenschaftssenator (1986 bis 1989). Zuvor war er unter anderem Präsident der Universität Hohenheim und Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz. Für den Tagesspiegel schreibt er regelmäßig "Turners Thesen". Hier lesen Sie vom Autor eine Uni-Geschichte in der Nussschale.

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