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Perleberg verwandelt sich in jedem Sommer in eine Sängerstadt.

© Dorothee Nolte

Lotte Lehmann Akademie für Gesang in Brandenburg: Perleberg - das Paradies der Stimmen

Perleberg, die Geburtsstadt der Sopranistin Lotte Lehmann, lockt jeden Sommer Sänger aus aller Welt an – Profis ebenso wie Laien.

Wenn Lotte Lehmann, die 1976 verstorbene deutsche Sopranistin mit Weltruhm, aus dem Sängerhimmel auf ihre Geburtsstadt Perleberg in der Prignitz blicken könnte: Sie würde weinen vor Glück. Denn sie sähe eine hübsch herausgeputzte Kleinstadt, malerisch umflossen von zwei Armen der Stepenitz, in der ihr Name und ihre Kunst erstaunlich präsent sind. Könnte die Sängerin gar einen Spaziergang durch die sommerliche Altstadt machen, dann würde sie aus vielen Gebäuden heraus vertraute Melodien von Mozart, Schubert oder Rossini erklingen hören.

Sie würde Menschen treffen wie Rui Hao  aus der chinesischen Provinz Shanxi und Yakov Israel aus Boston, Katarzyna Rabczuk aus Polen und Angela Prause aus dem benachbarten Silmersdorf, die summend vom imposanten Backsteingebäude des städtischen Gymnasiums zu einem prominent am Markt gelegenen Haus mit frischem grünen Anstrich schlendern: der Lotte-Lehmann-Akademie. Und spätestens wenn die Sängerin die Plakate überall in der Stadt und ihr eigenes Bild sehen würde, aus einem der Akademie-Fenster groß über die Dächer hinweg lächelnd, wüsste sie: Hier ist ein Wunder geschehen.

Das Wunder von Perleberg

Es ist das Wunder von Perleberg, das sich jeden Sommer aufs Neue ereignet: Junge und nicht mehr so junge Sängerinnen und Sänger, Profis wie Laien, kommen in die Kleinstadt in der Prignitz, auf halbem Wege zwischen Hamburg und Berlin gelegen, um sich ihrer Leidenschaft zu widmen.  Unterstützt von einem hochkarätigen Dozententeam entwickeln sie sich technisch und künstlerisch weiter und erarbeiten Stücke, die sie bei meist ausverkauften Auftritten in Perleberg und Umgebung vortragen. Sie beleben die Stadt mit ihren Klängen und ihrer Jugend - und das alles im Namen einer Sängerin, die längst vergessen sein könnte, da sie sich schon 1951 von der Bühne verabschiedet und ihre letzten Lebensjahrzehnte in Kalifornien verbracht hat.

Dass heute jede Friseurin und jeder Ladenbesitzer in Perleberg den Namen Lotte Lehmann kennt, ist unter anderem dem Tenor Angelo Raciti zu verdanken, dem künstlerischen Leiter der Lotte Lehmann Akademie. Was 1998 mit einer Reihe von Gedenkveranstaltungen zum 110. Geburtstag der Sängerin begann, hat sich auch durch sein Engagement aufs Schönste entwickelt, mit regelmäßigen Sommerkursen und einem eigenen Akademie-Gebäude.

Laien und Profis, aus Stuttgart und aus China - und alle sind begeistert

Jedes Jahr, immer in der letzten Brandenburger Ferienwoche, findet die „Lotte Lehmann Woche“ statt, ein einwöchiger Sommerkurs für Musiktheater und Gesang. „Es kommen junge Talente, die noch nicht wissen, ob sie sich für ein Gesangsstudium entscheiden sollen, Gesangsstudenten im Masterstudium, aber auch musikbegeisterte Laien“, sagt Angelo Raciti. „Genau diese Mischung macht die besondere Atmosphäre aus.“

In diesem Jahr waren unter den 30 Teilnehmern mehrere Schüler und eine 50-jährige Berufsberaterin aus der Prignitz,   Gesangsstudenten aus Stuttgart und Rostock und Gäste von fern: Allein fünf Teilnehmer aus China bereiten sich mit der Lotte Lehmann Woche auf Aufnahmeprüfungen an deutschen Musikhochschulen vor. Katarzyna Rabczuk, Gesangsstudentin aus Rostock, ist begeistert: „So intensiv wie hier an der Stimme arbeiten zu können, ist großartig – an der Hochschule ist das gar nicht möglich.“

Das Programm ist in der Tat anspruchsvoll: Morgens um 8.15 Uhr beginnt der Tag mit Aufwärmübungen in der Sporthalle der örtlichen Musikschule. Dann erhalten die Sänger Gesangsstunden bei unterschiedlichen Dozenten. In der Lotte-Lehmann-Akademie, im Gymnasium oder in der Musikschule erarbeiten sie mit Sylvia Koncza (Musikhochschule Stuttgart), Vivian Hanner (Musikhochschule Leipzig) und Denis Combe-Chastel (Berlin) ihre Stücke. Sie  vertiefen ihr Bewusstsein für Atem und Stimme mit dem Atem-, Sprech- und Stimmtherapeuten Martin Struckmeyer, verfeinern ihre Aussprache mit Angelo Raciti, proben Szenen mit Jungregisseur Sebastian Gühne und singen mit den Korrepetitoren Scott Curry, Andras Vermesy, Kieran Staub, Frank Peter und Doriana Tchakarova. Eine Stunde jeden Tag üben sie außerdem unter der Leitung von Scott Curry Chorstücke ein.

Auftritte im Eiscafé und in der Kirche

Was im Laufe der „Woche“, die eigentlich neun Tage umfasst, probiert wurde, kommt auch gleich zur Aufführung: im Eiscafé Belluno und im noblen „Hotel Deutscher Kaiser“ mit seinem eindrucksvollen Belle-Epoque-Festsaal. Beim  großen Abschlusskonzert in der Kirche Sankt Jakobi überrascht dann eine Deutschlehrerin oder eine Krankenschwester mit einem glockenhellen Sopran und begeistern die Jungprofis mit schwierigen Arien wie die der „Königin der Nacht“.

Seit 2009 gibt es neben der „Lotte Lehmann Woche“ auch einen dreiwöchigen Sommerkurs ausschließlich für junge Profis aus aller Welt, die von Dozenten wie Karan Armstrong und Thomas Moser, beide Meisterschüler der Lehmann, unterrichtet werden.  „Gerade für Sänger kurz nach dem Studienabschluss ist es wichtig, sich auf das Vorsingen und die Arbeit an Opernhäusern vorzubereiten: Hier können sie ihr Repertoire optimieren, ihre stimmliche und mentale Kondition stärken“, sagt Angelo Raciti. Der Prignitz kommt es zugute: Die Sängerinnen und Sänger geben mehrere Konzerte in Perleberg und in Kirchen und Höfen der Umgebung, auch beim Garzer Kultursommer waren sie zu hören.

Ein eigenes Haus für den Gesang

Die meisten Unterrichtsstunden können seit 2012 in einem eigenen Haus stattfinden: Ein Gebäude am Markt, das lange leer stand, konnte mit Fördermitteln aus dem Programm „Aktive Stadtzentren“ saniert und zur „Lotte Lehmann Akademie“ umgebaut werden. Es bietet zahlreiche Übungsräume mit Klavieren und Keyboards und wird im Rest des Jahres von der Touristen-Information und anderen städtischen Einrichtungen mit genutzt. Angelo Raciti hofft, dass die Akademie demnächst das ganze Jahr über Kurse anbieten kann.

Bemerkenswert ist die Unterstützung der Akademie durch die Stadt Perleberg ebenso wie durch private und öffentliche Sponsoren, angefangen vom Besitzer des Eiscafés bis hin zum Hauptsponsor, dem ostdeutschen Sparkassenverband und der Sparkasse Prignitz. „Die Lotte Lehmann Akademie ist ein Alleinstellungsmerkmal für die Stadt“, sagt Bürgermeisterin Annett Jura, die die Akademie schon in ihrer früheren Funktion als Koordinatorin des „Regionalen Wachstumskerns Prignitz“ begleitet hat. „Sie nützt den Bürgern, der Stadt, dem Umland, dem Tourismus und der Wirtschaft.“  Und sie bringt die Stadtgesellschaft zusammen: Die Freunde und Förderer aus der Stadt treffen sich bei den Konzerten.

In der Bäckerstraße, der Hauptgeschäftsstraße der Fußgängerzone, gibt es ein Café, das "Paradies“ heißt. „Willkommen im Paradies!“, so begrüßt Chefin Petra Unterberg jeden Gast, der ihr phantasievoll bunt eingerichtetes Lokal betritt. Man möchte sich vorstellen, dass Lotte Lehmann nach ihrem Ausflug ins Perleberg der Gegenwart auf einem der grünen Stühle Platz nehmen und ein Liedchen anstimmen würde: Sie wäre hier im Sängerparadies.

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