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Den Sessel "Ei" entwarf Arne für den Lobbybereich des Royal Hotels in Kopenhagen. Seine revolutionäre Form sollte Intimität im öffentlichen Raum bieten.

© Fritz Hansen

Designklassiker: Denkmäler des Zeitgeistes

Was ist eigentlich Retro? Und wann wird ein Möbel zum Klassiker?

Was ist dran an dem Trend zum Retro-Design? In vielen Wohngazetten beobachte ich, dass zeitgemäße Wohnungen mit Retro-Möbeln gemixt werden, zahllose kleine Läden bieten Möbel im Used-Look aus den 50er und 60er-Jahren feil,  sogar habitat ist inzwischen auf den Trend aufgesprungen und hat gerade den ersten Vintage-Shop in Paris eröffnet.

Dieser sich deutlich abzeichnende Trend gibt mir als heutigem Designer natürlich zu denken: Haben wir Gestalter zeitgemäßer Möbel vielleicht etwas falsch gemacht? Sind unsere Entwürfe zu sachlich, zu glatt, zu perfekt geworden? Sind wir zu weit gegangen mit all unserer Coolness? Haben wir etwa das Bedürfnis vieler Menschen nach Wärme, nach individuell und unkonventionell zusammengefügten Wohnensembles nicht erkannt?  Der Gedanke drängt sich auf, denn wieso sonst werden auf einmal Möbel einer Stilrichtung, die wir noch vor gar nicht langer Zeit verlacht haben, so begehrt?

Es scheint sich um eine Art Vergangenheitsverklärung zu handeln, denn fast alle deutschen Möbel der 50er Jahre waren schon damals ziemlich lächerlich anzusehen, zumindest in den Augen eines jungen Innenarchitekten, der damals sein Studium abgeschlossen hatte. Ich bin jedenfalls eindeutig kein neutraler Betrachter, denn die Einrichtungsgegenstände, die heute als Vintage oder Retro bezeichnet werden, stammen aus der lange zurückliegenden Zeit meines Studiums und schon damals hofften wir  Studierenden, dass wir diese ganze schreckliche "Nierentisch-Coctailsessel-Tütenlampen"-Thematik möglichst bald hinter uns lassen und für immer vergessen können.

Natürlich waren das damals, wie auch heute, ganz und gar keine Design-Ikonen, aber sie stellten mit ihrer Leichtigkeit und Farbigkeit eine Art von Befreiung dar vom behäbig-altdeutschen Einrichtungsstil der damaligen Elterngeneration, sie entsprachen dem neuen, optimistischen Lebensgefühl der jungen Nachkriegsgeneration. Aber – sie waren das ganze Gegenteil von Zeitlosigkeit – sie waren modisch und absolut kurzlebig, sie waren und sind auch heute – absolut zeitbezogen und damit kaum geeignet für ein Revival!

Im gleichen Zeitraum entstand jedoch parallel – vor allem im Ausland – auch eine große Zahl creativer Neuschöpfungen "die heutigen Designklassiker". So entwarf der Amerikaner Charles Eames damals seinen legendären "Lounge-Chair" und viele wunderschöne Kunststoff-Schalenstühle, der dänische Architekt Arne Jacobsen den berühmten "Egg-Chair", den "Schwan" und seine Formholz-Schalenstühle, wie z.B. die "Ameise", Verner Panton seine "Tütensessel" und den berühmten "Panton-Chair", den ersten Freischwinger aus Kunststoff.

Damals entstanden wirklich großartige Möbelklassiker von dänischen Entwerfern wie zum Beispiel von Hans Wegener, der wundervolle Holzstühle gestaltete, wie etwa den berühmten "Y-Chair" oder von Poul Kjerholm, der eine ganze Kollektion von absolut zeitlosen Metall-Leder-Möbeln entwarf. In den USA entwickelte Eero Saarinen den ersten Einbeinstuhl, den legendären "Tulip-Chair", – um nur Einige zu nennen.

Auch deutsche Designer wie Dieter Rams mit seinen sensationellen Braun-Geräten und Möbeln, auch Rolf Heide mit seinen frühen Entwürfen wie der "Stapelliege" trugen zu dem  Bild einer Möbelgeneration bei, die auch heute noch so jung und modern erscheint wie zu ihrer Entstehungszeit und deren Erzeugnisse mit Recht zu  Klassikern wurden.

Möbelklassiker entstanden aber auch schon viel früher – besonders in den 20er bis 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts. Das deutsche Bauhaus ist legendär geworden, denn damals wurden die stilprägenden Entwürfe von Gestaltern und Architekten wie Mies van der Rohe mit seinem Barcelona-Chair und seinen Freischwingerstühlen, Marcel Breuer mit revolutionären Stahlrohrmöbeln oder Wilhelms Wagenfelds berühmte Tischleuchte geschaffen. Auch die in Frankreich lebende und arbeitende Eileen Gray gestaltete elegante Möbel, wie z.B. den Glastisch "E 1027", und natürlich die Architektur-Legende Courbusier mit Möbelentwürfen wie der legendären Liege "LC4" und dem Sessel "LC2".

Natürlich entstanden auch später – wie  beispielsweise in den 70er und 80er Jahren,  eine Reihe von Klassikern, wie das herrlich faltige "Togo"-Sofa von Ducaroy, oder die Kultleuchte "Tizio" von Richard Sapper, der "Groovy"-Sessel von Pierre Paulin und der lustige "Wink"-Sessel von Toshiyuki Kita. Sogar ein Entwurf von mir selbst, der mobile Sessel "Zyklus", stammen aus dieser Zeit. Diese Reihe ließe sich immer weiter führen, denn es immer wieder gelingt es Designern, Produkte von hoher Designqualität und Langlebigkeit zu erschaffen, die zum Klassiker wurden. Sie sind es geworden, weil die Entwürfe so gut waren, dass sie auch heute noch Maßstäbe setzen.

Im Gegensatz zum zeitbedingten Retro-Möbel, das so ziemlich alles sein kann, was der Zeitgeist der 50er und 60er Jahre hervorbrachte – allerdings meist no name und ohne jede Designqualität – steht der Designklassiker: Der ist in der Regel von einem namhaften, stilprägenden Designer oder Architekten der jeweiligen Designperiode entworfen  und  authentisch. Zum Klassiker wird ein Möbelstück, wenn es die hohe Designqulität besitzt, die notwendig ist um den Zeittest zu zu bestehen.  Der wird meist mit einer Mindestzeitspanne von zehn Jahren beziffert, in der das betreffende Möbel unverändert produziert wurde.

Möbelklassiker werden  bei renommierten Herstellern nach den Original-Entwürfen gebaut, heute oft in noch besserer Qualität, als es zur Entstehungszeit technisch möglich war. Allerdings hat solche hohe Qualität auch ihren Preis.

Nicht zu verwechseln sind diese Originale mit dem Angebot von Billiganbietern, die die Originale schamlos kopieren und damit auf dem Markt erfolgreich agieren. Das kann jedoch nicht der Weg sein, um die durchaus berechtigten Wünsche nach langlebigem Mobiliar, nach Bleibendem zu erfüllen, nach etwas, das auch noch nach Jahren Ausstrahlung und Klasse besitzt und nicht schon nach kurzer Saison wieder "out of time" ist. Vielmehr  müssen wir heutigen Designer uns noch mehr bemühen, um zeitgemäße Antworten auf diese Fragen und Wünsche zu finden!

Peter Maly

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