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Schön hier. Die Teilnehmer der Schülerakademie auf dem Askanischen Platz.

© Mike Wolff.

Schülerakademie im Tagesspiegel: Rund um den Askanischen Platz

Eine Woche lang waren sie im Verlagshaus am Askanischen Platz zu Gast: 14 Schülerinnen und Schüler, die sich journalistisch ausprobieren wollten. Sie recherchierten rund um den Platz, den viele nur als Ort vor dem Anhalter Bahnhof kennen. Dabei erlebten sie Interessantes, Gruseliges und Lustiges. Ihre Artikel lesen Sie hier.

Die Schülerinnen und Schüler zwischen 14 und 19 Jahren waren bei Redaktionskonferenzen dabei, interviewten Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff und recherchierten rund um den Askanischen Platz. Dabei erlebten sie Interessantes, Gruseliges und Lustiges: im Himmel, auf und unter der Erde.

Hier lesen Sie die Artikel der Schülerinnen und Schüler. Ein Überblick über die Themen:

- Der Askanische Platz - wo war der noch gleich? Von Evangelia Nikoloudakis, 18 Jahre

- Ruinen und Berliner Pilsner: Die Stadtklause am Anhalter Bahnhof. Von David Langner (16 Jahre)

- Der Himmel über Berlin: Eine Fahrt im WELT-Luftballon. Von Marlene Resch (17 Jahre)

- Gruseln bei Sonnenschein: Das Gruselkabinett Berlin. Von Daphne Druba (17 Jahre)

- Rendez-vous mit dem Tod: Nervenkitzel im Gruselkabinett. Von Nora Tschepe-Wiesinger (19 Jahre)

- Von richtigen und falschen Straßenzeitungsverkäufern. In der S-Bahn unter dem Askanischen Platz. Von Astrid Naundorf (18 Jahre)

- Tempodrom: Das etwas andere Konzerthaus. Von Alexander Jung, 17 Jahre.

- Beeindruckende Leere. Ein Besuch im Tempodrom. Von Peter Labod, 17 Jahre.

- Park am Gleisdreieck: Der Multi-Kulti-Generationspark. Von Antonia Schinschke, 15 Jahre.

- Von heute auf morgen: Das Leben eines Obdachlosen im Tiergarten. Von Helen von Drenkmann, 14 Jahre.

- Der Tiergarten: Nachtasyl und Premiumlage. Von Elsa Despoix, 17 Jahre.

Der Askanische Platz: Wo war der noch gleich? 

Von Evangelia Nikoloudakis, 18 Jahre

Manche Plätze in Berlin muss man einfach kennen, der Askanische Platz gehört nicht dazu. Dabei befand sich gegenüber einst der berühmteste Bahnhof der Stadt.

Der bekannteste Platz in Berlin? Das ist wohl der Alexanderplatz. Und auch der Potsdamer Platz gehört definitiv zu den Mittelpunkten der Stadt.  Hier tobt das Leben, hier strömt alles hin. Doch so geht es längst nicht allen Plätzen. Denn wer möchte schon beispielsweise zum Askanischen Platz? Und wer weiß schon, wo der sich überhaupt befindet?

Fährt man mit der  S-Bahn, kann es einem passieren, dass man am Anhalter Bahnhof vorbeikommt. Anhalter Bahnhof – das ist die S-Bahn-Station am Askanischen Platz, der in Kreuzberg liegt. Als Berliner hat man davon vielleicht schon gehört, als Tourist eher nicht. Denn der Askanische Platz ist als Platz für die meisten nicht sehr interessant, nicht sonderlich sehenswert. Er ist im Gegensatz zu früher kein echtes Ziel mehr, sondern mehr eine Station auf dem Weg irgendwo anders hin.

Es gibt Plätze, die man aufsucht, um Spaß zu haben, zu shoppen, ins Kino zu gehen. Dazu gehört der Potsdamer Platz. Dann gibt es Plätze, die einfach nur gemütlich und hübsch sind, beispielsweise der Rüdesheimer Platz in Wilmersdorf. Und natürlich dann noch die, die schlichtweg beeindrucken, so wie der  Gendarmenmarkt. Aber was hat der Askanische Platz zu bieten? Er kann nicht mit vielen und beliebten Geschäften aufwarten, zeichnet sich nicht durch seltene Schönheit aus, und was das Historische betrifft: Das wirkt etwas verstaubt und langweilig. Die zahlreichen Schwarz-Weiß-Fotografien, welche die Wände des S-Bahn-Hofes schmücken, erinnern an die einstige Bedeutung des Anhalter Bahnhofes, der nun nichts weiter mehr als eine gewöhnliche S-Bahn-Station ist. Der eine oder andere Passant wirft einen flüchtigen Blick auf diese Bilder, doch wirklich spektakulär ist das alles nicht. Wie wenig Interesse für die Vergangenheit des Platzes besteht, zeigt sich auch daran, dass selbst langjährige Anwohner nicht einmal wissen, warum er eigentlich so heißt, wie er heißt.

Nur den alten Bahnhof, den kennt man vom Sehen. Eine rote Backstein-Ruine und der Name des S-Bahn-Hofes erinnern noch  an den einst berühmtesten Bahnhof Berlins, den Anhalter Bahnhof, der 1841 eingeweiht wurde und der wichtigste Fernbahnhof für die Eisenbahnverbindungen in die südlichen Länder war. Seinen Namen erhielt der Bahnhof aufgrund der Tatsache, dass er den nördlichen Endpunkt der Berlin-Anhaltischen Eisenbahn bildete.

Es wurde überlegt, auch den Bahnhofsplatz nach der sächsischen Stadt Anhalt zu benennen, also Anhalter Platz, doch dann entschied man sich doch für Askanischer Platz, was ein wesentlich originellerer Name ist, der dennoch einen Bezug zu Anhalt hat, denn die Askanier waren ein altes Rittergeschlecht in Anhalt und Sachsen. Und so ist uns der Platz seit 1844 als Askanischer Platz bekannt – oder nicht bekannt. Denn die glorreichen Zeiten des Bahnhofes und somit auch des Platzes sind vorüber. Die Judendeportationen, die zur Zeit des Nationalsozialismus auch von diesem Bahnhof aus erfolgten und an die eine Gedenktafel neben der Bahnhofsruine erinnert, werfen einen dunklen Schatten auf ihn. Und von den Bombenangriffen 1945 konnte sich das Bahnhofsgebäude nie mehr erholen, weswegen dann der Zugverkehr zum Fernbahnhof sieben Jahre später auch endgültig eingestellt wurde. Nach der Sprengung der nutzlos gewordenen Halle blieben nur noch ein Teil der Fassade und der Portikus, der von Säulen getragene Vorbau, stehen.

Das einst prächtige Bahnhofsgebäude wird also nicht mehr genutzt, doch unterirdisch gibt es nach wie vor die S-Bahn, die 1939 zum Bahnhof hinzugekommen war.

Niemand geht zum Askanischen Platz, um zum Askanischen Platz zu gehen. Natürlich gibt es diejenigen, die dort arbeiten und wohnen.  Und die mögen ihren Platz in der Regel auch, kennen ihn, schätzen ihn. Aber fragt man die vorbeilaufenden Leute auf der Straße, was sie dort treiben, antworten viele, sie seien unterwegs, hätten es eilig, wollten den Bus kriegen und dort oder dort hin. In der Tat gibt es in der Umgebung einiges zu sehen. Da wären der berühmte Erinnerungsort Topographie des Terrors, der Martin-Gropius-Bau, das Tempodrom. Und auch zu Gruselkabinett und Technikmuseum ist es nicht weit. Diese Attraktionen in unmittelbarer Nähe des Platzes tragen dazu bei, dass viele Menschen, darunter insbesondere Touristen, an dem Platz vorbeikommen – aber eben nur das: vorbeikommen. So bleibt der Askanische Platz zwar  ein wichtiger und nicht wegzudenkender Bestandteil der Stadt Berlin, kann jedoch von dem Ruhm und der Beliebtheit anderer Plätze zumindest zur Zeit noch nur träumen.

Ruinen und Berliner Pilsner: Die Stadtklause am Anhalter Bahnhof

Von David Langner, 16 Jahre

Berlin, du bist so wunderbar… und uns allen unbekannt. Den Anhalter Bahnhof kennt jeder, wenn auch nur als Ruine. Aber was ist außen herum? Askanischer Platz sagt nur wenigen etwas. Manche kennen die Stadtklause. Was schon immer da war und wovon wir trotzdem nichts wussten.

Der Askanische Platz hat das Pech, im Schatten des Anhalter Bahnhofs zu stehen. Kein Tourist kennt ihn, selbst Berliner hören manchmal das erste Mal von ihm, wenn man sie nach ihm fragt. Aber wie denn auch? Der markante Portikus, der einzige heute noch stehende Teil des Fernbahnhofs Anhalter Bahnhof, und die durch die Bäume nicht gerade einsichtige Lage verstecken ihn zu gut.

Was durchaus seine Vorteile hat. Viele Berliner, die in der Gegend um ihn herum leben, vermissen die Touristen nicht, schätzen aber die zentrale Lage und gute Anbindung an die Öffentlichen. Auch die sind ein Grund dafür, dass der Askanische Platz den meisten gar nicht auffällt. Die S-Bahnstation Anhalter Bahnhof hat ihre Eingänge zwar direkt auf dem Askanischen Platz und auch eine Bushaltestelle steht am Straßenrand der Schöneberger Straße, aber wem fällt schon ein kleines Straßenschild neben den großen S-Bahn-Schildern auf?

Heinrich Seidel war für den 1880 eröffneten Neubau des Bahnhofs zuständig, nachdem der erste Bau von Franz Schwechten abgerissen wurde. Die Kapazitäten für den zunehmenden Bahnverkehr nach Süden hatten nicht mehr ausgereicht. Seidel hat ganze Arbeit geleistet. Auch wenn nur noch die Frontseite steht, lässt sich erahnen, welchen Eindruck das Gebäude gemacht haben mag. 

Trotz aller Schönheit darf man nicht vergessen, dass der Bahnhof auch den Nazis Dienste geleistet hat. Ab 1942 fuhren von hier aus so genannte „Alterstransporte“ zum KZ Theresienstadt. 9600 der 50 000 aus Berlin verschleppten Juden wurden von hier aus deportiert. Am 3. Februar 1945 wurde er bei einem der größten Bombenangriffe der Alliierten auf Berlin jedoch zu zwei Dritteln zerstört und brannte aus, so dass nur noch die vier Außenwände standen. Notdürftig wieder betriebsfähig gemacht, diente der Bahnhof noch bis 1951 als solcher, bis er schließlich bis auf die Frontseite abgerissen wurde. Ein Fußballplatz und das Tempodrom stehen jetzt auf dem ehemaligen Gelände.

Jetzt dient er als Mahnmal und Touristenmagnet und ist jedem, der ein paar Tage in Berlin verbracht hat, geläufig. Doch der Askanische Platz, der schon immer den Vorplatz für den Bahnhof bot, ist so gut wie niemanden bekannt.

Dabei gibt es in den Nebenstraßen  einiges zu entdecken. Sogar für Berliner. Aber das kennen wir ja, man kann Jahre, Jahrzehnte in Berlin leben und immer entdeckt man etwas Neues, das einem Berlin noch ein Stück sympathischer macht. Zum Beispiel die „Stadtklause“, eine der ältesten Berliner Kneipen. 1861 eröffnet, ist sie zusammen mit „Die letzte Instanz“ und allen den anderen Kneipen ein Stück Berliner Kulturgeschichte. Gut, „Die letzte Instanz“ ist 240 Jahre älter, dennoch dürfte die „Stadtklause“ nicht weniger wichtig sein. Denn hier kann man die typische Berliner Atmosphäre sehr gut am eigenen Leib spüren. Wie man es von einer kleinen, sehr urigen Berliner Kneipe erwarten kann, gibt es alles, das ein Berliner Herz höher schlagen lässt und einem Touristen unsere Ess- und vor allem Trinkkultur näher bringt. Berliner Pilsner, Stulle mit Butter oder anderen Belägen, Kartoffeln in der Suppe oder gebraten, all das kann man hier finden. Und bei einem Ambiente wie diesem darf natürlich nicht die mit dem Berliner Dialekt gesegnete Bedienung fehlen.

Hier ist es auch kein Frevel, wenn man lieber drinnen als draußen sitzen möchte. Die Bänke, die an alte S-Bahnsitze erinnern, mit Holz verkleidete Wände, ein Kamin und der Tresen ganz hinten in der Ecke sind dafür gute Argumente, besonders wenn es draußen regnet und es richtig voll wird. So ein Besuch, am besten zusammen mit guten Freunden, kann einem den Tag retten. Und wer dann nach einer guten und ausgiebigen Erfahrung mit Berliner Bier und sonstigen Luxusgütern immer noch nicht genug hat, dem ist auch nicht mehr zu helfen.

Der Himmel über Berlin: Eine Fahrt im Welt-Luftballon

Von Marlene Resch, 17 Jahre

Die Fähigkeit zu fliegen liegt außerhalb der menschlichen Natur. Kein Wunder also, dass der Flug mit einem Ballon von rasendem Puls, Adrenalin und Angstzuständen begleitet wird. Doch weiche Knie sind ein geringer Preis, um einmal abzuheben und über Berlin zu schweben.

Es ist ein sonniger Ferientag in Berlin. Der Himmel ist strahlend blau und wolkenlos. Außer dem ein oder anderen Flugzeug ist nur noch ein Luftballon zu sehen, der über der Stadt schwebt. Ein jeder Berliner mag ihn schon mal gesehen haben: den Weltluftball. Touristenscheu wie der alteingesessene Berliner ist, hat er die Fahrt mit dem so genannten Hi-Flyer am Checkpoint Charlie jedoch  wohl eher gemieden.  Ich hingegen will den Aufstieg wagen und sehe dem Erlebnis schon mit Vorfreude entgegen. Die Vorfreude mischt sich allerdings schnell mit Bedenken, als ich im Wartebereich sitze. Vor mir sehe ich das dünne Seilchen, mit dem der Luftballon am Boden befestigt ist- wenig vertrauenerweckend. Und der Ballon selbst? Der ist von meinem Standpunkt aus nur noch weit in der Ferne zu erblicken, wenn ich meinen Kopf tief in den Nacken lege. Kneifen geht leider nicht mehr. Schon gar nicht, wenn ich neben mir die kleinen Kinder sehe, die dem Flug offenbar bedenkenlos entgegenfiebern. Die Mutter beäugt den Luftballon allerdings genauso skeptisch wie ich. Wir kommen ins Gespräch, es soll ja angeblich helfen über seine Ängste zu sprechen. In diesem Fall scheinen wir unsere Panik allerdings beide nur noch weiter hochzuschrauben. Doch ehe man es sich anders überlegen kann, ist der Ballon schon wieder am Boden und so stellen wir uns unseren Ängsten und steigen ein. Ungefähr zehn Leute suchen festen Stand auf der kreisförmigen Plattform. Ich erwarte wie im Flugzeug Sicherheitshinweise, Anschnallgurte, irgendwas. Stattdessen heißt es: Festhalten, auf das Gleichgewicht achten und schon hebt man ab. Schockiert klammere ich mich an das Geländer. Daran ist ein Netz hochgespannt, das mich von meiner lächerlichen Angst herunterzufallen befreien soll. Wie ein Schiff beginnt das Plateau zu schaukeln. Adrenalinpegel und Fluggefährt steigen konstant. Da die Schräglage langsam ausgeglichen wird und wir einen quasi festen Schwebezustand erreichen, kann ich mich und meinen Herzschlag aber zum Glück schnell wieder beruhigen. Langsam finde ich Gefallen an der Fähigkeit zu fliegen. Alles auf der Erde Liegende wird immer kleiner, das Blickfeld immer weiter. Die große, laute Hauptstadt erstreckt sich wie ein Teppich unter einem. Vom Sonycenter über den Reichstag bis hin zum Teufelsberg reicht der Blick. „Beeindruckend!“, „Atemberaubend!“, sind die Reaktionen der anderen Fahrgäste. Doch auch in ihren Blicken ist zu lesen, dass ihnen das Fliegen nicht ganz geheuer ist. Einzig und allein der angestellte Kapitän unseres Luftschiffes empfindet den Flug nach siebenjähriger Erfahrung als „nichts Spezielles“. Eine Durchsage füttert uns Passagiere mit allgemeinen Informationen, aber ich kann mich nur auf die visuellen Wahrnehmungen konzentrieren. Auch das therapierende Jazzgeklimper im Hintergrund nehme ich erst nach einer geraumen Zeit wahr. In 150 Meter Höhe angelangt wage ich es erstmals meinen Griff vom Geländer zu lösen. Wie ein Kind, das laufen lernt, tue ich meine ersten Schritte. Meine Knie sind weich wie Butter. Sichtlich nervös und unbeholfen drehe ich meine Runde und bewundere die Aussicht zu allen Seiten.  Ich sehe den Fernsehturm aus der Stadt ragen und wie er da so steht, mir auf Augenhöhe, erscheint er mir wie ein alter Freund. Die Autos sind nichtig klein wie Spielzeugautos und die Menschen wuseln wie Käferchen umher. Kaum vorzustellen, dass man normalerweise Teil dieses Miniaturmodells ist. Die 15 Minuten Dauer vergehen im wahrsten Sinne des Wortes wie im Flug und langsam aber sicher nähert sich der Ballon wieder der Erde. Dort angelangt sind die ersten Schritte auf festem Grund seltsam, doch schnell passt man sich wieder dem Gewöhnten an. Die Erinnerung an das Gefühl zu fliegen aber bleibt als besonderes Erlebnis im Gedächtnis hängen. Die Stadt mal aus diesem Blickwinkel zu sehen, egal ob Tourist oder alteingesessener Berliner, ist aller Angst zum Trotz eindeutig zu empfehlen.

Gruseln bei Sonnenschein

Von Daphne Druba, 17 Jahre

Sensenmann, blutige Operationen und kreischende Besucher gibt es in jedem Gruselkabinett der „Dungeon“-Kette. Warum aber ältere Geister mit mehr Spaß erschrecken, merkten unsere Autorinnen bei ihrem nervenaufreibenden Ausflug zum Bunker am Askanischen Platz.

Der Askanische Platz hält einige harmlose Sehenswürdigkeiten bereit, doch für unseren Artikel haben wir uns ausgerechnet das Gruselkabinett in der Schöneberger Straße ausgesucht. Trotz anfänglichem Zögern haben wir uns an einem der sonnigsten Tage dorthin gewagt. Der ehemalige Luftschutzbunker besteht aus fünf Etagen, von denen allerdings nur drei, aus Sicherheitsgründen, für die Öffentlichkeit freigegeben wurden. So steht für den Besucher im Untergeschoss eine historische Ausstellung bereit, die über die Kriegsjahre und den Umbau des Bunkers berichtet. Der Kontrast folgt im Erdgeschoss mit der gruseligen Darstellung alter Medizinszenen. Wer danach noch nicht genug vom Spuk hat, kann im Obergeschoss das Gruselkabinett mit zusätzlichen Effekten durchlaufen. Die Einzigartigkeit dieser Zusammensetzung wird noch dadurch verstärkt, dass die Gründerin Marlit Friedland dieses Projekt seit etlichen Jahren nahezu im Alleingang vorantreibt. Sie hat sich unter anderem mit Politikern auseinander gesetzt, damit sie 1995 schließlich den Mietvertrag für den leerstehenden Bunker unterzeichnen konnte. Sie ist Bauherrin, Kassiererin, zuständig für die Umsetzung aller Ideen und vieles mehr. Die Ausstellung über den Bau des Bunkers ist gespickt mit zahlreichen Audioaufnahmen, auf denen Frau Friedland von Themen wie den Luftangriffen der Alliierten, Rezepten aus der Kriegszeit, oder auch von Gedichten zur Unterhaltung bei Bombenangriffen, berichtet. Ein aufgestellter Fernseher zeigt Friedland durch den Bunker wandelnd und von den Schwierigkeiten des Umbaus erzählend. Für diesen hatte sie etwa eine Million D-Mark als Kredit bekommen, der 2008 abbezahlt war. Auf die Frage hin, ob sich die mittlerweile 18Jahre ohne Urlaub denn ausgezahlt hätten, weiß Marlit Friedland keine eindeutige Antwort. Der Bunker ist ihre Faszination, fordert jedoch viel Lebenszeit im Dunkel und eine aufopfernde Arbeit. Diese Tatsache würde wohl die meisten von dieser Berufswahl abschrecken, die Gründerin behauptet allerdings mit einem Zwinkern, dass sie durch den Aufenthalt im Bunker weitaus weniger Krankheiten gehabt hätte als jeder „Normalarbeitende“. Als während unseres Interviews angstvolles Kreischen ertönt, ist ein zufriedenes Lächeln auf ihrem Gesicht zu erkennen. „Wir wollen, dass unsere Besucher hier Spaß haben“, sagt Friedland und verweist auf die Angebote für Geburtstagspartys, bei denen eine Schatzsuche in den unheimlichen Räumen stattfindet. Auch so mancher Junggesellinnenabschied habe schon den Weg in ihre Räume gefunden. Der Selbstversuch zeigt, dass mit dem Gruselfaktor keinesfalls untertrieben wurde. Im ersten Raum treffen wir auf zwei 22-jährige Bayerinnen, die sich nicht weiter trauen. Daraufhin schieben wir uns aneinandergedrängt weiter durch verschiedenste Räume. Der Gang im Erdgeschoss zehrt schon durch plötzliche Zischlaute einer Puppe an unseren Nerven, doch als sich uns weiter oben dann verschiedene „Erschrecker“ an die Fersen heften, kommen wir aus dem Kreischen nicht mehr heraus. Die Bunkertüren sorgen durch ihr natürliches Knarren für Grusel und zusätzliche Licht- und Raumgestaltungen steigern die Panik. Der hauptberufliche „Erschrecker“ Phillip macht sich seit etwa drei Monaten einen Spaß daraus, Besucher zu verfolgen und mit seinem hämischen Lachen zu erschrecken. „Früher habe ich zu Hause meine Schwester erschreckt, jetzt verdiene ich damit Geld“, erklärt er seine Berufswahl. Er ist einer der 15 Mitarbeiter, die sich in verschiedensten Kostümen im Gruselkabinett rumtreiben. „Die meistgestellte Frage der Besucher ist, wie viele Ungeheuer gleichzeitig unterwegs sind, doch wir antworten stets, dass man Geister nicht zählen kann“. Das ist nicht das einzige Geistergeheimnis, mit dem sich das Personal umgibt. Denn letztendlich ist es doch die Unwissenheit über Spukgestalten, die Erlebnisse wie einen Gruselkabinettbesuch einzigartig und mysteriös machen. Nachdem wir aus dem Kabinett in die Ausstellung geflüchtet waren, fanden wir nach dem Durchgang unseren Weg wieder nach draußen, wo uns im Innenhof die Sonne empfing. Stolz und auch Erleichterung machte sich bei uns breit, obwohl wir noch auf der Straße manchmal ängstlich über die Schulter nach Verfolgern Ausschau hielten. Das erste Gruselkabinett aus Deutschland spielt mit seiner historischen Lage und scheint dadurch schauerlich real. Hier wird nicht mit vielen künstlichen Showeinlagen um die Besucher gekämpft, sondern mit „Adrenalinschüben und viel Lachen und Weinen“, wie ein Eintrag im Gästebuch es beschreibt. Fazit: Großer Gruselfaktor in realer Umgebung sorgt auch bei schönstem Wetter für Panik und Verfolgungsjagden.

Rendezvous mit dem Tod: Nervenkitzel im Gruselkabinett Berlin

Von Nora Tschepe-Wiesinger, 19 Jahre

Sensenmann und Dracula existieren bloß in Büchern und pestverbeulte Leichen gab’s nur im Mittelalter? Falsch, im Gruselkabinett Berlin erwachen diese Gestalten zu neuem Leben – und sorgen so für ordentlichen Nervenkitzel.

Ich bin ein Schisser. Zwar traue ich mich nach einer langen Nacht um vier Uhr morgens noch alleine nach Hause, aber Horrorfilme sehe ich mir grundsätzlich nur mit einem starken Beschützertyp an meiner Seite an. Blöd, dass mich ins Berliner Gruselkabinett am Anhalter Bahnhof nur Daphne begleitet, die – was ich im Voraus für undenkbar hielt – sogar noch mehr Schiss zu haben scheint als ich.

Daphne und ich, zwei blonde Mädchen, wagen uns todesmutig in Berlins einzigen geöffneten Luftschutzbunker aus dem Zweiten Weltkrieg, in dem sich seit 18 Jahren das Gruselkabinett befindet.

Marit Friedland, 66, ist die Gründerin und Erfinderin dieses gespenstischen Ortes. Die Idee, ein Gruselkabinett zu eröffnen, kam ihr während des Urlaubs in Spanien. „Meine Kinder sind immer in eine Gruselbude gegangen und ich hab draußen vor der Tür auf sie gewartet. Als sie schreiend wieder rauskamen, wusste ich, dass es so eine Bude auch in Deutschland geben muss“, erzählt Friedland.

Die Faszination für Grusel und Geisterhaftes veranlasst Marit Friedland im Jahr 1995, einen Kredit in Höhe von einer Million D-Mark aufzunehmen, um den ehemaligen Luftschutzbunker für ihre schaurigen Pläne umzubauen. So musste zum Beispiel eine Wasser- und Heizanlage installiert werden, die Friedland fast ausschließlich selbst finanzierte. Auf die Frage, ob sich die vergangenen 18 Jahre ohne Urlaub und Sonne gelohnt haben, weiß die 66-Jährige keine rechte Antwort. Nur so viel sagt sie: Langsam gehe ihr die Arbeit im Gruselkabinett „auf den Sender“. Bereits seit zwei Jahren sucht Friedland einen Nachfolger; bisher mangelte es interessierten Käufern jedoch am Geld.

Noch können sich die Besucher in Friedlands Kabinett auf drei Etagen gruseln, aber auch etwas über die Geschichte des ehemaligen Luftschutzbunkers lernen. Während der Bombenangriffe der Alliierten im Zweiten Weltkrieg fanden Tausende Menschen in den Kellergewölben des Bunkers Schutz. Für viele Reisende, die am nahe gelegenen Anhalter Bahnhof von Luftangriffen überrascht wurden, war der Bunker die einzige Möglichkeit, schnell in Sicherheit zu gelangen. Nach dem Ende des Krieges diente das Gebäude als Flüchtlingslager für Heimatlosgewordene.

Als Marit Friedland den Bunker 1995 mit dem Vorhaben mietet, dort ein Gruselkabinett zu eröffnen, findet sie etliche Zeugnisse aus vergangenen Zeiten: alte Zeitungen und Parfümfläschchen, verrostete Stahlhelme und Konservendosen. Heute können sich die Besucher diese und weitere Fundstücke in einer Ausstellung im Untergeschoss des Bunkers ansehen. Die persönlichen Gegenstände erzählen von der traurigen, grausamen Vergangenheit des Gebäudes und passen nicht so recht zu dem, was sich auf den Etagen darüber abspielt. Denn im Erd- und Obergeschoss geht es Marit Friedland zufolge ganz klar um eins: Spaß! „Bei uns wird die Sau rausgelassen, Kindergeburtstag und Junggesellenabschied gefeiert. Hier wird gerannt, geschrien, gelacht, geweint“, beschreibt Friedland die tägliche Stimmung.

Von Lachen kann allerdings kaum die Rede sein, als Daphne und ich uns durch die Gänge des Wachsfigurenkabinetts im Erdgeschoss des Bunkers wagen. Grausame Medizinszenen aus dem Mittelalter werden hier dargestellt. Einem Mann wird mit einer Säge ein Bein amputiert, Ratten kriechen über die Leiche eines Kindes – die Beulen in seinem Gesicht zeugen von der Todesursache: Pest. Einen Raum weiter erwachen scheinbar Tote zum Leben: Ein Sargdeckel öffnet sich und die knorrige Hand eines Skeletts greift suchend ins Leere.

Daphne und ich erschrecken uns angesichts so vieler Halb- und Scheintoter bei jeder noch so kleinen Regung selbst zu Tode und schreien uns die Seele aus dem Leib – ganz zur Belustigung des 22-jährigen Phil, der als Sensenmann verkleidet am Eingang des Figurenkabinetts steht. Sein Job ist es, die Besucher vor allem im Obergeschoss des Bunkers zu erschrecken. Als leibhaftiger Tod, ausgestattet mit schwarzem Umhang und Gruselmaske, lauert er kleinen und großen Gästen auf, um dann wie aus dem Nichts mit einem Schrei über sie herzufallen. Phil bezeichnet seine Arbeit als „klasse Job“. Erst wenn die Besucher emotional so fertig seien, dass sie sich nicht mehr trauten, weiterzugehen, fühle er sich in seiner Rolle als Erschrecker bestätigt, sagt er und lacht sein geübtes Geisterlachen.

Daphne und ich trauen uns zwar weiterzugehen, sind nach dem „Spaziergang des Schreckens“, wie Marit Friedland die Gruselaktion im Obergeschoss anpreist, dennoch mit den Nerven am Ende. Der Spruch „Geteiltes Leid ist halbes Leid“ stimmt hier definitiv nicht und die zwei Bayerinnen, die sich uns in Panik angeschlossen haben, sind hinterher so verstört, dass sie als Interviewpartner nicht mehr infrage kommen.

Auf dem Weg nach draußen, zurück zu den Lebenden, kommt uns eine Gruppe spanischer Touristen entgegen. „Is it worth going there?“, fragen sie und zeigen auf den grauen Bunker hinter uns. Is it? Wenn man auf Action steht und sich mal so richtig gruseln will, auf jeden Fall! Dennoch, das nächste Mal gehe ich nur noch mit meinem Vater oder einem Freund hin, denn Männer sind ja bekanntlich die kleineren Schisser – oder tun zumindest so.

Von richtigen und falschen Straßenzeitungsverkäufern

Von Astrid Naundorf, 18 Jahre
Für Carsten S. ist die S1 nicht nur ein Transportmittel, sondern auch sein Arbeitsplatz. Ein arbeitnehmerfreundliches Umfeld ist sie für den Motz-Verkäufer allerdings nicht. Vorurteile, Konkurrenzkämpfe und Ignoranz machen es ihm schwer. Dennoch bleibt er optimistisch.

S1 und S2 sind die Linien, die in Berlin  innerhalb des Ringes  Nord und Süd verbinden. Dabei fährt sie an einigen von Berlins größten Sehenswürdigkeiten vorbei. Wer zum Tempodrom, zum Gleisdreieck-Park, zum Tiergarten oder auch zum Redaktionshaus des Tagesspiegels  möchte, hat mit ihnen eine gute Verbindung. Für Carsten S* sind diese Linien mehr  als Beförderung. Für ihn sind sie sein Arbeitsplatz. Neben der Ring-Bahn ist es für ihn die lohnenswerteste Strecke, um das Straßenmagazin „motz“ zu verkaufen. So auch heute in der S1 Richtung Wannsee. Wenn er seine Zeitungen anpreist, klärt er die Fahrgäste auch immer über aktuelle Baustellen und Probleme im Berliner Verkehrsnetz auf: „Sehr geehrte Fahrgäste, zum Ende noch einige wichtige Meldungen für Sie. Die U6 ist bis zum 1. November zwischen Friedrichstraße und Französische Straße unterbrochen...“ „Nicht schon wieder so einer“, beklagt sich eine junge Frau bei ihrer Freundin. „Das ist heute schon der dritte, der mich nervt. Einer ist ja in Ordnung, aber es gibt so viele von denen.“  Ihre Freundin scheint es nicht ganz so kritisch zu sehen. „Wenigstens stinkt der nicht und ist vernünftig angezogen“. Carsten S. trägt Jeans und kariertes Hemd. Seine schwarzen Haare sind ordentlich nach hinten gegelt. Seinen Stapel  Zeitungen trägt er in einer schwarzen Ledermappe mit sich. Meistens steigt er Friedrichstraße und Yorckstraße in die S-Bahn der entgegenkommenden Richtung, so dass er immer an den großen Stationen Brandenburger Tor, Potsdamer Platz und Anhalter Bahnhof vorbei fährt.  Eigentlich habe er zu arbeiten, aber bis die nächste Bahn nach Oranienburg kommt, ist er bereit einige Fragen zu beantworten. Noch vor der ersten Frage beginnt er von „seinem Projekt“ zu erzählen, wie er die Motz & Co e.V. nennt. Es scheint ihm sehr wichtig zu sein zu zeigen, dass er sich mit dem Projekt auskennt. Das unterscheide ihn nämlich von „Bettler- und Nachmacher-Verkäufern“. Auf die verdutzte Frage, woran man als Fahrgast erkennt, ob es sich um einen „richtigen“ oder „falschen“ Verkäufer handelt erklärt er: „Die Nachmacherverkäufer hören sich ihren Text irgendwo ab oder haben auch gar nicht wirklich Zeitungen zum Verkauf dabei. Das Projekt soll eigentlich Hilfe zur Selbsthilfe sein, aber wenn man diesen Menschen Geld gibt, hilft das niemandem. Wer viele Zeitungen hat und vor allem Ahnung vom Projekt, der ist ein richtiger Verkäufer.“ Die Meinungen der Fahrgäste zu den Verkäufern - egal ob „richtig“ oder „falsch“ - sind unterschiedlich und meist festgefahren. „Ab und zu kaufe ich mal eine Zeitung. Allerdings nur wenn ich das passende Kleingeld habe. Meistens ignoriere ich diese Menschen einfach“, erzählt eine Frau, die jeden Tag mit der S1 zur Arbeit fährt. Die ältere Dame, die ihr gegenüber sitzt, berichtet: „Manchmal gebe ich ihnen etwas Geld. Die Zeitung möchte ich nie. Ich lese sie ja doch nicht.“ Ganz anderer Meinung ist da der 19-jährige Joshua. „Die sind selber schuld an ihrer Situation. Sie haben aus ihrem Leben nichts gemacht. Wer Geld will, soll arbeiten gehen.“  Carsten S. kennt diese Aussagen gut.  „Natürlich hört man schon mal ‚Geh arbeiten‘ oder auch ‚Du P…‘“ Er unterbricht sich und verbessert dann:  „oder sie beleidigen einen. Aber man gewöhnt sich auch dran. Das geht bei mir durch und weg.“ Er selbst, so erzählt er, habe sogar zwei Berufe. Von 4 Uhr morgens bis 8 Uhr geht er putzen. Dann von 11 Uhr bis Betriebsschluss ist er auf Berlins Nord-Süd-Strecke unterwegs. Sein Rat: Es selbst einmal auszuprobieren. Alles was man bräuchte sei Zeitungen zu kaufen, sich einen Text auszudenken und sie wieder zu verkaufen. Für 1,20€ wird eine Zeitung verkauft, davon darf der Verkäufer 80 Cent behalten. Sein Traumberuf? „Kellner! Das habe ich gelernt. Ich kann auf Menschen zugehen und mit ihnen umgehen.“ Dann klingelt sein Handy. Das werde wohl „das Projekt“ sein. Außerdem fährt in dem Moment die S-Bahn Richtung Oranienburg ein. „Das Projekt wird immer bestehen bleiben, auch wenn die Menschen uns beleidigen“, sagt er noch zum Abschluss und steigt in die Bahn.

Carsten S. ist 39 Jahre alt und sucht seit vier Jahren eine Wohnung. Seit fünf Jahren verkauft er die „motz“. Es ist ihm sehr wichtig, dass die Leute merken, dass er nicht betteln, sondern  verkaufen möchte. Doch ob das für die Käufer wirklich einen Unterschied macht?

*Name geändert

Tempodrom- das etwas andere Konzerthaus

Von Alexander Jung, 17 Jahre

Trotz der zahlreichen anderen Konzerthallen ist das Tempodrom unter den Berlinern eine der beliebtesten Arenen. Besonders die Nähe zu den Künstlern, die vor allem im kleinen Saal zu spüren ist, macht einen Besuch des Tempodroms zu einem besonderen Erlebnis.

Die Waldbühne in Westend, die Kindl-Bühne in Köpenick und nicht zuletzt das Olympiastadion in Charlottenburg sind Berliner Spielstätten, die  allesamt weit über 10.000 Menschen beherbergen können. Trotz Kapazitäten jener Größenordnung bevorzugen Weltstars wie Bob Dylan oftmals das vergleichsweise winzige Tempodrom nahe des Anhalter Bahnhofs. Die Ursache dafür offenbart sich bei einem Besuch des Konzerthauses schnell. Gleichwohl es nicht mit einer bemerkenswert hohen Anzahl an Sitz- und Stehplätzen aufwarten kann, beeindruckt das Tempodrom durch seinen Charme. Dieser definiert sich zum einem durch die Architektur und zum anderen durch die Historie des einstigen Zirkuszeltes, in dem sich seinerzeit Größen wie Nina Hagen und Die Toten Hosen einfanden. Nach der Wiedervereinigung kam es zum Konflikt mit dem einstigen Bundeskanzler Helmut Kohl, der das Zelt, welches sich damals in unmittelbarer Nähe zum Bundeskanzleramt befand, als störend empfand.  So entschied man sich im Jahre 2001, statt des Zeltes eine Arena zu errichten. Seitdem zählt das Haus zu einem der bestgebuchten Veranstaltungsorte Berlins. Schon bei einem Blick von außerhalb des Gebäudes wird augenscheinlich, dass bei der Erbauung viel Wert auf die optische Komponente gelegt wurde. In Anlehnung an die Entstehungsgeschichte erinnert das Dach stark an die Form eines Zeltes. Die Attraktivität, die die Spielstätte auf die Zuschauer ausübt tritt jedoch erst bei einem Blick ins Innere der Gemäuer zum Vorschein. Sowohl die kleine als auch die große Halle, welche bis zu 400 beziehungsweise 3500 Menschen fassen können, locken Künstler und Zuschauer gleichermaßen aus einem Grund an. „ Man ist dabei.“, sagt Jessica Paul, Mitarbeiterin im Tempodrom. Gemeint ist die besondere Atmosphäre, die in beiden Hallen vermittelt wird. Aufgrund der speziellen Bauform der Innenräume wird es den Zuschauern ermöglicht, so nah es nur geht an den Interpreten zu sein. Durch den, verglichen mit anderen Konzerthäusern, kleinen Zwischenraum zwischen Bühne und Sitzfläche wird erreicht, dass selbst in der größeren der beiden Hallen niemand befürchten muss, zu wenig vom Konzert mitzubekommen. Dieser Effekt wird durch die halbrunde Anordnung der Sitzplätze sogar noch verstärkt. Wer jedoch wirklich Teil des Konzertes sein will, der wird zu einem Besuch der kleinen Halle tendieren. Da dort die Bestuhlung in Kreisform um die Bühne herumgebaut wurde, ist es möglich, die Künstler hautnah zu erleben. Ebenjene Intimität ist es, die das Tempodrom anderen Veranstaltungsorten wie der Waldbühne voraushat. Zudem beinhalten beide Hallen Trennwände, durch deren Zurückschieben der Zugang zum Foyer beziehungsweise zur Dachterrasse hergestellt werden kann. Ein weiterer Aspekt ist der, zum einen wegen der Architektur, zum anderen durch die Standortwahl gegebene Lärmschutz. Dieser kommt sowohl den Veranstaltern als auch der zahlenden Kundschaft zugute, da nicht der Zwang besteht, aufgrund der ab 22 Uhr in Kraft tretenden Nachtruhe das Konzert abrupt abzubrechen, wie es beispielsweise in der Spandauer Zitadelle der Fall ist. „ Nicht eine Beschwerde“ habe es diesbezüglich in den letzten Jahren gegeben, so Jessica Paul. Doch nicht nur der Umwelt wird im Tempodrom eine große Bedeutung beigemessen. Gerade die sozial schwächer gestellten spielen eine essentielle Rolle. So werden jegliche Kleidungsstücke, die innerhalb eines halben Jahres nicht aus der hauseigenen Fundkiste von ihren Besitzern abgeholt werden, an „Die Arche“ gespendet. Es ist allerdings zu bezweifeln, dass dieser Aspekt ausschlaggebend dafür ist, dass sich Stars wie Katie Melua und Michael Mittermeier regelmäßig dort einfinden. Zweifelsohne ist es die Nähe zum Publikum, die solche Stars dazu bewegt, das, gemessen an der Quantität, kleinere Publikum für Auftritte in der Hauptstadt zu wählen. Letzten Endes sollte aber jeder für sich entscheiden, ob er das intime Ambiente im Tempodrom oder die lautstarken Massen im Olympiastadion bevorzugt. 

Beeindruckende Leere: Ein Besuch im Tempodrom, tagsüber

Von Peter Labod, 17 Jahre

Das Tempodrom zählt im Jahr 300 000 Besucher. Doch wenn man es ohne Menschen sieht, wirkt es riesig und ziemlich kalt.

Kurze rote Teppiche liegen vor den geschlossenen Glastüren. Verloren scheinen die runden Stehtische an den Eingängen zu warten. Die Deckenleuchten sind nicht in Betrieb und durch die mit Veranstaltungsplakaten behängte Glaswand dringen nur schmale sich auf dem schwarzen Fußboden spiegelnde Lichtstrahlen. Den Kontrast zu der in Dunkelheit gehüllten Eingangshalle bilden die kahlen hellen Betonwände. Keine Menschenseele ist zu sehen. Alles ist weitgehend ruhig, nur ein wenig Baulärm erklingt in der Ferne. Es wirkt verlassen und kalt. Eine eher  ungewöhnliche Situation für das Tempodrom in der Möckernstraße 10.

Woody Allen, Janet Jackson, Amy Winehouse, Nicki Minaj-„Alle Großen haben hier gespielt“, erzählt dieKommunikationsmanagerin Jessica Paul begeistert. Wenn sie von ihrem Arbeitsplatz spricht,  beginnen ihre Augen zu leuchten: „Die große Bandbreite der Veranstaltungen: Galas, Preisverleihungen, Kongresse, Empfänge, Sport-Events, TV-Produktionen oder Konzerte.“ Etwa 200 an der Zahl, ziehen jährlich ca. 300 000 Besucher in das Gebäude.

In der  kleinen Arena finden ca. 400 Gäste bei Clubkonzerten Platz. Eine Wohnzimmeratmosphäre und das Gefühl des direkten Dabeiseins beginnt sich ich vor dem geistigen Auge abzuspielen. Rote Vorhänge an den Wänden und die kleinen rechteckigen orangen Lampen auf den als Sitzplatz genutzten Treppen verleihen dem kreisrunden Raum eine geheimnisvolle Gemütlichkeit. Durch eine flexible Trennwand ist es möglich  den „kleinen süßen Raum“ mit dem Foyer zu verbinden. Diese Eigenschaft nutzte zuletzt  der Modeschöpfer Michalski für eine Veranstaltung im Rahmen der Fashion Week.

Das Herzstück des Tempodroms ist die große Arena. Der Weg führt über Treppen, vorbei an Schwarzweißfotos des 2001 eröffneten Veranstaltungsortes. Die Bilder zeigen die Baustelle zu verschiedenen Zeiten. Oft sind die charakteristischen weißen Zacken, die in den Berliner Himmel hinausragen, schon zu erahnen.

Beim Betreten der  Großen Area stellt man fest, dass sie ihren Namen auch verdient , bis zu 3.500 Personen können hier familiärer Atmosphäre, entweder direkt vor der Bühne oder von den im nicht geschlossenen Kreis angeordneten Rängen Konzerte genießen. Aber heute erfüllt auch hier Leere den Raum. Die 30 Meter hohe an ein Zirkuszelt erinnernde Dachkonstruktion wirkt gigantisch. Durch einen speziellen Eingang ist es möglich mit dem Lkw bis an die Bühne zu fahren.

Barrierefreiheit und Nachhaltigkeit sind wichtige Eigenschaften für die Veranstaltungsstätte betont die Führerin. Durch Aufzüge, bestimmte Parkplätze, eine Cooperation mit der Arche  und der Bezug von Ökostrom sollen diese Ziele erfüllt werden.

Der Backstagebereich  ist geräumig. „Dies ist auch notwendig um den Künstlern und ihren Teams genug Raum zum Zurückziehen zu lassen“ erklärt Paul. Bei  Veranstaltungen wie dem Bundesvision Song Contest 2007 oder dem Jubiläum zu 50 Jahre Fernsehlotterie kann man sich die riesigen Menschenaufläufe vorstellen. Doch jetzt am Ende der Führung sticht wieder nur die Leere ins Auge.

Park am Gleisdreieck: der Multi Kulti Generationspark

Von Antonia Schinschke, 15 Jahre

Anstatt "arm aber sexy" arm aber kinderfreundlich: Der neue Park in der Mitte Berlins  zieht Menschen jeden Alters  an – ein Versuch zu erklären, warum dieser Ort so besonders ist.

Park am Gleisdreieck, Mittwoch Nachmittag, kein besonders gutes Wetter - so typisch Berliner grauer Himmel, und die Temperaturen sind weder warm noch kalt.

Der Ostteil des Parks wurde schon im September 2011 eröffnet, der Westteil erst im Mai 2013 – die Bauarbeiten auf dem ehemaligen Gelände, das aus Gleisen und Wildnis bestand, dauerten insgesamt vier Jahre.

Für viele ist der Park eine Art „Wunder“, denn eigentlich sollte dort ein neuer Autobahnabschnitt entstehen - allein der Mangel an finanziellen Mitteln verhinderte dieses Projekt.

Inzwischen zählt der Park zu den  beliebtesten Treffpunkten Berlins und als echter „Geheim“-Tipp für Touristen.

Doch was macht diesen Park so besonders?

Ihn umgibt eine ganz eigene Atmosphäre. Die gesamte Anlage wirkt mit ihren riesigen quadratischen Grünflächen, dem Kinderspielplatz und dem modernen Skatepark wie ein architektonisches Kunstwerk. Die Hochhäuser des Potsdamer Platzes im Hintergrund und selbst der Lärm der U-Bahn Gleise, die direkt  über  die Köpfe der Parkbesucher führen, passen in das Bild hinein.

Ein älterer Herr in kurzen Hosen und weißem Dreitagebart beschreibt uns  den Park als „langweilig für Erwachsene“, doch eigentlich trifft man fast immer  alle Altersgruppen und Nationalitäten an, so auch heute.

Auf der Wiese treffen wir Adam, 37,  Betreuer für Behinderte. Er und sein Schützling haben ihre Fahrräder neben sich abgestellt und gönnen sich eine Pause.

„Ich wohne in Friedenau und kommt zwar nicht so oft hierher, finde den Park aber trotzdem sehr schön. Gerade weil es eine riesige freie Fläche mitten in der Stadt ist und weil er nie überfüllt ist.“

Er erzählt uns auch mit einem kleinen Augenzwinkern, dass ein Stück weiter bei der S-Bahn der perfekte Ort zum Sprühen ist und  dass man dort wirklich hübsche Graffiti finden kann. Eine Gruppe polnischer Touristen will  zwar nicht so wirklich mit uns reden, aber für ein Satz : „ist ein toller Ort“ unterbrechen sie ihr Fotoshooting.

Paula, Sophie und Michi sind drei Schülerinnen, die, weil „der Park für jeden super zu erreichen ist“,  oft zum Picknicken herkommen – sie lieben den Ort und verweisen auf die super sauberen kostenlosen Klos.

Bei den Trampolinen unterhalten wir uns mit Marit und Johanna, beide 8.  „ Man kann hier super spielen, nur der Lärm von den Baustellen ist doof!“

Wir wollen die beiden nicht weiter beim Hüpfen stören und laufen weiter.

Sven, ein eher kleinerer, dickerer Bauarbeiter, mustert uns mit einem mürrischen Blick, erweist sich dann aber doch als sehr redewillig.  Er beschreibt den Gleisdreieckpark als sehr kinderfreundlich – das einzige was ihn stört sind die vielen Radfahrer, die die langen und seiner Meinung nach hässlichen  Betonwege als Transitstrecke zwischen Yorckstraße und Potsdamer Platz nutzen.

Der  älterer Herr mit den kurzen Hosen, der einer dieser Radfahrer ist, die hier jeden Tag durchfahren, mochte den Park früher mehr, als überall Studenten waren und nicht so viele Familien. Er beschreibt uns, dass Gleisdreieck bei schönem Wetter für viele wie „eine Erweiterung des eigenen Zuhauses wird“ -  damit meint er die Großfamilien, die mit ganzen Möbeln anrücken um hier 24 Stunden lang zu picknicken.

Gut, wir finden nicht, dass es keine Studenten hier mehr gibt, aber jedem seine eigene Meinung. Vielleicht ist der Herr einfach noch nie nach 20 Uhr im Park gewesen. Denn eigentlich wird ab der Dämmerung das Publikum deutlich jünger, viele Studenten kommen her, um Bierball zu spielen und den Feierabend zu genießen.  

Ich liebe die vielen Möglichkeiten - die Volleyballplätze, den Skatepark, den Spielplatz und einfach nur das Rumsitzen -  , die der Park bietet, und dass er ganz anders ist, als alle anderen Parks die man so kennt. Klar, mit lieblicher Natur hat das nicht viel zu tun, aber der Park befindet sich mitten in einer Großstadt und passt  zu Berlin  – neu und modern, aber trotzdem ist für alle, und besonders für jugendliche und Familien, was dabei.

Unsere letzte Frage in jedem Interview: Beschreiben sie den Ort in einem Wort.

Und hier die Antworten: „urbanes Flair“ (Adam), „chillig und einfach toll“ (drei Schülerinnen), „ein guter Platz zum Spielen“ (Marit& Johanna), „vier Jahre meines Lebens“ ( Sven), „gute Stimmung“ ( älterer Herr).  Und für mich? Perfekt.   

Von heute auf morgen: Das Leben eines Obdachlosen

Von Helen von Drenkmann, 14 Jahre

Jeder weiß von den Obdachlosen, die im Tiergarten wohnen, und jeder hat eine Meinung über sie: Störend, unauffällig, ein Ärgernis, gar nicht so schlimm… Wie sieht der Alltag eines solchen Obdachlosen aus?

Ruhig, idyllisch, hübsch  – das ist der Tiergarten, der Ende des siebzehnten Jahrhunderts von Friedrich III. als Park für die Bevölkerung angelegt wurde. Mit seinen Blumenbeeten und Pfaden zwischen den Bäumen ist er für die Besucher ein schöner Ort zum Entspannen oder Fahrradfahren.

Für andere ist der Tiergarten aber noch viel mehr – ein Zuhause. In Berlin gibt es geschätzte 4000 Obdachlose, und gerade im Sommer nutzen viele von ihnen die Schlafgelegenheiten im Park.

Die Touristen sind gespaltener Meinung. „Sie machen halt viel Müll“, sagt eine ältere Dame aus Thüringen, die ich am Bahnhof Zoologischer Garten treffe. „Es ist nicht schön, wenn auf den Wiesen überall die Bierflaschen und Schlafsäcke rumliegen.“ Andere wiederum fühlen sich überhaupt nicht gestört von den Obdachlosen, manche zeigen sich sogar erstaunt. „Stadtstreicher im Tiergarten? Die merkt man ja kaum.“

Um noch eine zusätzliche Meinung einzuholen, besuche ich die Polizeistation am Bahnhof. Ein Polizist erzählt, man sei sich dieses Problems sehr wohl bewusst. „Es gibt  schon öfter Ärger, besonders, wenn der Alkohol alle ist.“ Im Grunde kämen sie aber gut klar mit den Obdachlosen, haben auch öfters mit ihnen zu tun. Die Bahnhofsmission ist ja gleich um die Ecke.

Ich mache mich auf die Suche, um selbst mit einem der Obdachlosen zu reden. Auf der Brücke über der Schleuse läuft ein älterer Herr mit einer großen Gerry-Weber-Tüte umher. Ich spreche ihn an und wie sich herausstellt, lebt er tatsächlich seit einiger Zeit im Tiergarten.

Da ich erwartet habe, dass er ablehnend reagieren würde, bin ich überrascht, als er sich freundlich zeigt und nur zu gern bereit ist, über sein Leben zu reden. Er sei jetzt 65, sagt er, und seit fast 40 Jahren in Berlin. In seiner Tüte befinden sich eine Flasche Saft und zwei Schlafsäcke. Ursprünglich sei er Schwabe, aber er lebt schon so lange in Berlin, dass er sich selbst eigentlich als Berliner sieht.

Ich frage ihn nach den anderen Obdachlosen und ob es manchmal zu Streitereien kommt. „Ja, abends kann das schon passieren. Wenn man hier Ärger sucht, findet man ihn natürlich auch.“ Er zuckt die Achseln. „Aber ich halte mich da raus. Mit den Drogenabhängigen habe ich auch nichts zu tun“, erklärt er. Überhaupt habe er kaum Kontakt zu den anderen, wird morgens von den Kaninchen geweckt und mache meistens einfach sein eigenes Ding.

Wenn er Hunger hat, gehe er zum Café am Neuen See. Die Essensreste würden sie schon nicht vermissen, die Touristen. Und Klauen ist das ja genau genommen nicht.

Um zu erfahren, wie es umgekehrt ist, frage ich noch nach den Parkbesuchern, ob sie ihn beleidigen und wie er mit ihnen klarkommt. Als Antwort zuckt er mit den Schultern. „Beleidigen tun sie mich nicht, und ich sie natürlich auch nicht. Da ist alles klar, wir kommen gut miteinander aus.“

„Das einzige, was mir ein bisschen fehlt, ist dieses Gefühl von Zuhause“, erzählt er. „Weißt du, da, wo man morgens aufwacht und man weiß, abends wird man wieder da sein.“

Eigentlich sei er aber glücklich mit seinem Leben und wolle es auch nicht ändern. Einen Job würde er mit 65 ja sowieso nicht mehr bekommen. „Ich lebe einfach von einem Tag auf den anderen. Wenn ich nachts erfriere – dann hab ich halt Pech gehabt! So ist das nun mal.“

Eine andere Art, zu leben, könne er sich kaum vorstellen. Wieso auch? Es gehe ihm ja vergleichsweise gut: „Es hätte mich viel schlimmer treffen können. Ich hab Wasser und Schatten und Essen, mehr braucht man ja nicht“, sagt er. „Was heute ist, ist heute, und morgen...“ Er zuckt wieder die Achseln, „Wir werden sehen.“

Der Tiergarten – Ein Nachtasyl und Premiumlage

Von Elsa Despoix, 17 Jahre

Die einen nennen ihn die grüne Lunge Berlins, die Berliner tauften ihn in den Zwanziger Jahren den Garten Eden, aber was bedeutet der Tiergarten den Menschen heute? Weil mich das interessiert, beschließe ich spontan ein kleine Recherche zu betreiben.

 Als erstes treffe ich auf einen Obdachlosen, der gerade die Brücke über der Schleuse am Zoologischen Garten überquert. Zögerlich gehe ich auf ihn zu, ich frage mich wie er wohl reagieren wird. Ist es nicht etwas unverschämt jemanden zu fragen, wie es sich im Tiergarten „wohnt“, während man selbst ein richtiges Dach über dem Kopf hat? Doch meine Sorge ist grundlos, denn er scheint sich darüber zu freuen mit mir reden zu können. Sofort erzählt er wie es sich hier lebt: „Morgens werde ich meistens von den Kaninchen geweckt, sie sitzen neugierig neben einem. Es gibt sehr viele Tiere hier, aber sie stören nicht. Auch mit den anderen Obdachlosen hatte ich noch nie ein Problem, aber ich gehöre auch nicht zu denen die Drogen nehmen. Der Tiergarten ist im Sommer ein wundervolles zu Hause, im Winter allerdings weiß man Abends nicht, ob man am nächsten Morgen aufwachen wird. Aber so lebe ich jetzt schon seit 40 Jahren, von heute auf morgen eben.“ Stolz zeigt er mir sein „zu Hause“ - zwei Schlafsäcke, die sich ironischer Weise in einem schicken schwarzen Beutel von Gerry Weber befinden.

Etwas tiefer im Tiergarten erstreckt sich das Café am Neuen See vor mir. Neugierig nähere ich mich der Terrasse, auf der große, alte Kastanienbäume Schatten spenden. Tische und Stühle, wie man sie an jeder Ecke in Paris findet. Wer könnte einen größeren Kontrast zu dem Obdachlosen bilden, als Roland Mary, der Besitzer des Cafés? Leider teilt man mir dort mit, dass er gerade außer Haus sei. Ich finde ihn schließlich im Borchardt, ganz in der Nähe des Gendarmenmarkts, das auch ihm gehört. Obwohl er beschäftigt ist, freut er sich über meinen unangekündigten Besuch und erzählt. „Ich war schon immer von der Schönheit des Tiergartens angetan, das ist auch der Grund, weshalb ich das Café am Neuen See damals aufgekauft habe.“

Für den einen ein zu Hause, für den anderen eine Einnahmequelle – aber was ist der Tiergarten eigentlich für mich? Das frage ich mich auf meinem Heimweg, auf dem ich wieder die Buchen- und Rhododendronwälder des Tiergartens durchquere.

Kein Ort erschien mir je freundlicher und friedlicher. Friedlich ist er in der Tat, denn da Ende des Zweiten Weltkrieges das Holz in Berlin knapp war, kamen viele Anwohner, getrieben von der Kälte des Berliner Winters, in den Tiergarten und fällten fast alle Bäume. Die darauf hin neu angepflanzten Bäume wuchsen „friedlich“ auf, sie erlebten keinen Krieg.

Ich überquere eine Brücke, in der Spiegelung eröffnet sich mir eine zweite Welt. Ein Flattern – platsch - ein Entenpaar landet mitten im Spiegelbild, wahrscheinlich in Erwartung eines Stücks Brot. Leider habe ich keines bei mir und lasse die beiden zurück, lasse mein geheimes Paradies hinter mir mit seinen schwierigen Seiten, den vielen Obdachlosen, aber auch seinen prunkvollen Alleen, die, gesäumt von satten Rhododendronbüschen, zum Café am Neuen See führen, und freue mich schon auf morgen, wenn ich wiederkomme.

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