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Tagesspiegel-Salon am 25. März: Dem Krieg ins Gesicht sehen

Was geht in Soldaten vor, die von Auslandseinsätzen zurückkehren? Ulrike Scheffer und Sabine Würich haben über 70 von ihnen interviewt. Ihr Buch „Operation Heimkehr“ stellen sie am 25. März im Tagesspiegel vor.

Im Supermarkt eine Tüte Milch einkaufen: Das kann jeder, sollte man meinen. Marcus B. konnte es ein halbes Jahr lang nicht. „Man sieht die vielen Leute zwischen den Regalen und geht gleich wieder raus. Denn eine Verhaltensregel im Einsatz lautet: Meide Menschenmengen“, sagt der Hauptfeldwebel, der zu Auslandseinsätzen im Kosovo, in Bosnien und zweimal in Afghanistan war. „Das muss man sich erst wieder abtrainieren. Man sagt sich dann: Du bist wieder in Deutschland, du kannst da reingehen, da hat keiner eine Waffe – und trotzdem sucht man die immer.“

Das „Supermarkt-Syndrom“, wie Marcus B. es nennt, kennen viele Soldaten, die Auslandseinsätze hinter sich haben. Es gehört zu den milderen Folgen der Einsätze. Viel schlimmer getroffen sind Soldaten, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden: Sie haben unter anderem mit unkontrollierten Gewaltausbrüchen zu kämpfen. „Wenn mir jemand auf dem Parkplatz die Vorfahrt genommen und den Finger gezeigt hat, habe ich den aus dem Wagen geholt. Ich war dann im Einsatz“, sagt Stabsunteroffizier Thorsten Gehrk. Auch in der Familie sei er gewalttätig geworden. „Meine damalige Frau und mein Sohn wollen heute nichts mehr mit mir zu tun haben.“

Was geht in den Soldaten vor, wenn sie nach Deutschland zurückkehren? Wie haben die Einsätze sie geprägt – und wie empfinden sie die Reaktionen der zu Hause Gebliebenen? Die Fotografin Sabine Würich wollte es genau wissen. „Im Zweiten Weltkrieg gab es eine Schicksalsgemeinschaft zwischen den Soldaten und der Bevölkerung“, sagt sie. „Heute dagegen weiß die Bevölkerung wenig darüber, wie die Soldaten ihre Einsätze erleben.“ Würich hatte daher die Idee, ein Buch mit Porträts heimgekehrter Soldaten zu veröffentlichen, und nahm dafür Kontakt mit Tagesspiegel-Politikredakteurin Ulrike Scheffer auf. Scheffer, die seit 2001 für den Tagesspiegel über Krisenregionen berichtet, war sofort bereit mitzumachen.

"Die Soldaten haben ganz frei geredet"

Gemeinsam haben die beiden Frauen über 70 Heimkehrer von verschiedenen Einsätzen interviewt: Kosovo, Bosnien, Mali, Zentralafrika, Afghanistan. Darunter sind Soldaten unterschiedlicher Dienstgrade, männlich und weiblich, einige mit Migrationshintergrund, ebenso wie Veteranen, Sanitäter oder Geistliche. Würichs Fotos und Scheffers Texte sind jetzt in dem Buch „Operation Heimkehr. Bundeswehrsoldaten über ihr Leben nach dem Auslandseinsatz“ im Christoph Links Verlag erschienen (192 Seiten, 24,90 Euro). Im Tagesspiegel-Salon werden die beiden ihr Buch am 25. März vorstellen. Ebenfalls dabei: einer der Porträtierten, Andreas Lison, der in Kambodscha und Afghanistan als Sanitätsoffizier gearbeitet hat. Die Moderation übernimmt Michael Schmidt, stellvertretender Politikchef mit dem Schwerpunkt Sicherheits- und Verteidigungspolitik, der ebenso wie Ulrike Scheffer bereits über den Afghanistan-Einsatz vor Ort berichtet hat.

Ungefähr 40 der Befragten wurden Würich und Scheffer von der Bundeswehr vermittelt, die anderen haben sie selbst ausfindig gemacht, etwa über Verbände wie den der Reservisten oder Veteranen. „Die Bundeswehr war bei dem Projekt sehr kooperativ“, sagt Würich, und Scheffer bestätigt: „Niemand hat in die Gespräche oder auch die Texte eingegriffen, die Soldaten haben ganz frei geredet.“ Wenn die Gespräche beendet waren, baute Sabine Würich ihr mobiles Fotostudio auf und hielt die Kamera auf die Interviewten: Sehr eindringliche und ehrliche Fotos sind auf diese Weise entstanden. In den Gesichtern scheint sich noch das eben geführte Gespräch zu spiegeln, die innere Beteiligung und Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung werden deutlich.

"Unser Respekt vor den Soldaten ist gewachsen"

Eben diese Offenheit der Interviewten hat Ulrike Scheffer und Sabine Würich überrascht. Die Soldaten sprechen über ihre Ängste und familiären Probleme ebenso wie über den Stolz, bei einem Einsatz mitzuwirken, oder auch den Adrenalinstoß, den Kick in der Gefahr. Viele klagen darüber, dass die Daheimgebliebenen sich nicht für ihre Erlebnisse interessieren oder die Soldaten gar pauschal als „Mörder“ abwerten. Und immer wieder sprechen die Befragten darüber, wie dankbar sie sind, in einem friedlichen und wohlhabenden Land zu leben. Ulrike Scheffer glaubt, dass Soldaten vor fünf, sechs Jahren noch nicht so offen geredet hätten: „Zu Beginn des Kosovo-Einsatzes 1999 zum Beispiel waren die psychischen Belastungen für die Bundeswehr noch gar kein Thema, und Soldaten mit PTBS mussten jahrelang für ihre Anerkennung kämpfen. Da hat sich viel getan.“

Ehrlichkeit, das würden sich die beiden auch von der Bevölkerung wünschen. „Viele wollen sich nicht klarmachen, was das heißt, in einem Krieg zu sein“, sagt Ulrike Scheffer. „Aber wenn wir Soldaten in Kriegseinsätze schicken, müssen wir uns auch damit auseinandersetzen, was dort geschieht. Wir müssen zuhören, was die Soldaten zu sagen haben, und uns um sie kümmern, wenn sie zurückkommen.“ Den Soldaten eine Stimme geben – das gelingt in diesem Buch. Wer die Texte liest und in die Gesichter blickt, empfindet ähnlich wie Ulrike Scheffer und Sabine Würich. Ihr Fazit lautet: „Unser Respekt vor den Soldaten ist gewachsen.“

Zeitung im Salon, 25. März, 19 Uhr, Askanischer Platz 3, 10963 Berlin, Eintritt inkl. Begrüßungsgetränk und Snack 14 Euro, Anmeldung unter Tel. 29021-520 oder HIER.

BUCHVERLOSUNG

Wir verlosen Exemplare des Buchs: Schicken Sie bis zum 22. Februar eine Mail an veranstaltungen@tagesspiegel.de oder eine Karte an Der Tagesspiegel, Askanischer Platz 3, 10963 Berlin, Stichwort: Operation Heimkehr.

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