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Ein halbes Leben im Theater. Tagesspiegel-Kulturchef Rüdiger Schaper.

© Kai-Uwe Heinrich

Zeitung im Salon am 11. Juni: Ein halbes Leben im Theater

2500 Theatervorstellungen hat Kulturchef Rüdiger Schaper besucht, 35 Jahre lang Kritiken geschrieben, die großen Inszenierungen in Deutschland und im Ausland miterlebt. In seinem Buch "Spektakel. Eine Geschichte des Theaters von Schlingensief bis Aischylos" erzählt er, was ihn persönlich am meisten beeindruckt hat - und entwirft eine Biografie des Theaters.

2500 Abende: Das ist eine Menge Lebenszeit. Ungefähr so viele Theater-Vorstellungen hat Rüdiger Schaper in 35 Jahren als Kritiker erlebt, immer auf der Suche nach dem „seltenen, kostbaren Erlebnis“, das Theater sein kann, dem magischen Moment, wenn das Licht im Publikumsraum ausgeht und auf der Bühne eine andere Welt herbeigezaubert wird. 35 Theaterjahre hat Schaper sehr bewusst durchlebt, Jahre, in denen große Namen wie Heiner Müller, Einar Schleef, Pina Bausch, Jürgen Gosch, Christoph Schlingensief gewirkt, gewebt, gewütet haben.

„Ich wollte sehen, was bleibt nach einem halben Leben im Theater“, sagt Rüdiger Schaper. Schon als Abiturient hat er für die Lokalzeitung seines Heimatorts Kritiken geschrieben, zehn Jahre als Kulturkorrespondent für die „Süddeutsche Zeitung“ gearbeitet, seit 2005 leitet er zusammen mit Christiane Peitz das Kultur-Ressort des Tagesspiegels. Das, was bleibt, was ihn persönlich berühr und aufgerüttelt hat, hat Schaper in „Spektakel. Eine Geschichte des Theaters von Schlingensief bis Aischylos" (Siedler Verlag, 348 Seiten, 24,99 Euro) niedergeschrieben.

Die Zeit des Theaters läuft umgekehrt

Seine Erzählidee ist so bestechend wie auf den ersten Blick absurd: Die Zeit des Theaters, behauptet Schaper, laufe umgekehrt, es verjünge sich mit den Jahrhunderten. Geboren wurde es nämlich – Theaterwunderknall! – um das Jahr 500 vor Christus als „Mann von siebzig, achtzig Jahren, im Vollbesitz seiner geistigen, moralischen, politischen, ästhetischen Kräfte“. Perfekt ausgereift kam es im antiken Griechenland auf die Welt, gleichsam aus dem Nichts – denn aus der Zeit vor Aischylos, Sophokles und Euripides sind so gut wie keine Theaterwerke bekannt. Die häufig vorgebrachte These, das Theater habe sich „irgendwie“ aus dem Kult des Dionysos entwickelt, ist Schaper zu ungenau, zu unspektakulär. Plötzlich also war es da, mit Stücken wie „Die Perser“ von Aischylos, die bis heute ihre Wucht entfalten – die Inszenierung der „Perser“ von Dimiter Gotscheff am Deutschen Theater zählt zu denen, die Schaper am meisten beeindruckt haben. Von den Steinbänken der Amphitheater aus blickten die Zuschauer einst über die mediterrane Landschaft und< ergaben sich den Gefühlen der Rührung und des Schreckens: der Katharsis, wie Aristoteles den Gefühlsmix nannte.

Mit Shakespeare in der Pubertät

Im Lauf seiner Geschichte wird das Theater immer jugendlicher. Mit Shakespeare und Molière gelangt es in die Pubertät, wird „rücksichtslos und zart, wankelmütig und explosiv, geil und verliebt“. Schaper spaziert durch Jahrhunderte und Inszenierungen, springt mal vor und wieder zurück, gestattet sich auch die Ich-Form, die in Zeitungs-Theaterkritiken verpönt ist, um deutlich zu machen: Dies ist keine Enzyklopädie, kein wissenschaftliches Werk, sondern ein sehr persönlicher Streifzug, ein Versuch. Christoph Schlingensief, mit dem Schaper zunächst wenig anfangen konnte und der ihn dann immer mehr gefangen nahm, stellt in der umgekehrt laufenden Zeit des Theaters das Kind dar, ein sterbendes Kind. In der Gegenwart stirbt das Theater viele Tode – um sich hoffentlich immer wieder aufs Neue zu verjüngen. Eine „Meckerarie“, betont Rüdiger Schaper, habe er nicht schreiben wollen. Zwar sieht er die Theatergegenwart kritisch, empfindet sie als „übergeschäftig und ausgebrannt“, oft fühlt er sich in Inszenierungen fremd, alleingelassen, unterfordert, vermisst Intelligenz und Komik. Aber: „Für ein schlecht gelauntes Buch hätte ich nicht meine Wochenenden geopfert“. Vielmehr sucht Schaper Orientierung und Substanz. Er möchte die heutige Theaterzeit, „die den Anschluss an ihre eigene Biografie verloren hat und in Gegenwärtigkeit ertrinkt“, wieder mit ihrer Geschichte verknüpfen. Mit seinem Buch erinnert er daran, was Theater einmal ausgemacht hat – in der Überzeugung, dass es seine ursprüngliche Kraft auch in der mediatisierten, digitalen Gegenwart noch entfalten kann. Am 11. Juni stellt Schaper sein Buch im Gespräch mit Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff im Tagesspiegel-Salon vor. Dazu spielt der Gitarrist Carlos Hamann mediterrane Melodien aus Geschichte und Gegenwart.

Wir verlosen Exemplare: Schicken Sie bis zum 24. Mai eine Mail an veranstaltungen@tagesspiegel.de oder eine Karte an Der Tagesspiegel, Askanischer Platz 3, 10963 Berlin, Stichwort: Theater.

Zeitung im Salon mit Rüdiger Schaper, 11. Juni, Beginn 19.30 Uhr, Eintritt inkl. Begrüßungssekt, Snack und Live-Gitarrenmusik 16 Euro, Anmeldung hier oder unter Tel. 29021-560.

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