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Müssen Kinder vor Werbung für Müsli geschützt werden, wenn Schokoflocken beigemischt sind, weil sie sich sonst ein falsches, zuckerreiches Ernährungsverhalten angewöhnen?

© Hans Wiedl/dpa

Kinder- und Jugendärzte zur Zucker-Debatte: Der Staat muss gesundheitspolitische Initiative ergreifen

Es macht Sinn, Werbung zu verbieten, die dem Erlernen eines gesunden Ernährungsverhaltens zuwiderläuft. Meint Uwe Büsching vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte.

Der Vorschlag von Frau Künast, Werbung für "ungesunde" Nahrungsmittel zu verbieten, die sich an Kinder unter 12 Jahren richtet, entspricht den Forderungen des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte Deutschlands (BVKJ).

Der Staat muss sich gesundheitspolitisch positionieren

Der Staat setzt gern auf das freie Spiel der Kräfte. Sich nicht festzulegen ist bequemer, weil Politiker so ein geringeres Risiko eingehen, Wähler zu vergrätzen und an andere Parteien zu verlieren. Es wäre aber wichtig, dass sich der Staat im Interesse der Mehrheit gesundheitspolitisch positioniert und das Konzept einer öffentlichen Gesundheitsvorsorge stärker besetzt. Werbung für "ungesunde" Nahrungsmittel zu verbieten, die sich an Kinder unter 12 Jahren richtet, gehört zu diesem Auftrag.

Dicke Kinder gibt es immer häufiger, aber es kümmert nicht wirklich jemanden. Seit Jahren besteht ein Streit darüber, ob Übergewicht überhaupt eine Krankheit ist. Solange Übergewicht an sich nicht als Krankheit gilt, solange liegt die Verantwortung für die „Behandlung“ und Prävention nicht bei den gesetzlichen Krankenkassen. Stattdessen wird lieber gewartet, bis aus Übergewicht eine Krankheit des Herzens, des Skelettsystems oder anderer Organe geworden ist. Erst dann sind die Krankenkassen eindeutig zuständig. Wir Kinder- und Jugendärzte sind mit diesem verzögernden Taktieren nicht einverstanden. Umso mehr hoffen wir auf politische Entscheidungen.

Werbung ist stärker als Aufklärung

Aber die gesetzlichen Krankenkassen sind nicht für alles zuständig, was deutsche Politik im Sozialen und Gesundheitlichen nicht regelt. Viele gesetzliche Krankenkassen engagieren sich mit Projekten, die für ein gesünderes Frühstück oder mehr Bewegung und Gesundheitsbewusstsein in der Schule sorgen sollen. Aber Werbung ist stärker, Firmen haben mehr Geld für Werbung als Schulen für Konzepte gesunder Ernährung zur Verfügung haben. Selbst die Steuerersparnisse für die Werbung, also staatliche Einnahmeverluste, schätzen wir höher als die Ausgaben aller Schulen und gesetzlichen Krankenkassen für „Gegenwerbung“, also Appelle an ein gesundes Ernährungsverhalten.

Was können Kinder- und Jugendärzte gegen den gesundheitlichen „Super-GAU“ des Dickerwerdens vieler Heranwachsender unternehmen? Beratung fruchtet nicht, stationäre Rehabilitationsprogramme für übergewichtige Kinder und Jugendliche haben kaum Erfolg. Kontrollen sind berechtigterweise in der Arzt-Patientenbeziehung nicht gewollt.

Fürs schlanke Leben lernen

So bekommt die Forderung nach politischer Weichenstellung zur Verringerung übergewichtiger Kinder- und Jugendlicher noch mehr Bedeutung. Es kann weder im Sinne der Gesundheitspolitik noch der gesetzlichen Krankenkassen sein, dass sich aufgrund der Folgen von Übergewicht die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen wieder verkürzt, die wir mit einer großartigen ambulanten wie stationären Versorgung auf über 80 Jahre anheben konnten.

Ein Verbot von ungesunden Lebensmitteln bei Kindern nützt doppelt, denn es heißt: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr!“ Das bedeutet aber auch, dass ein als Kind gelerntes gesundes Essverhalten ein Leben lang nützt.

Uwe Büsching

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